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Ausgabe:

1962 Nr. 2

Spalte:

106-108

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Sacra pagina 1962

Rezensent:

Wallis, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 2

106

In einem Appendix versucht Dr. dann zu beweisen, daß die
Harränier-Säbier der islamischen Häresiologen mit den Nasöräern
bzw. den Jalüfe identisch seien (sie hätten so hermetische Schriften
aufgenommen?!); mich überzeugt das nicht. Aufschlußreicher
scheint mir dagegen die von Dr. (S. 62 u. 105, A. 2) herangezogene
Nachricht Ibn Jäqüts zu sein, die besagt, daß in Tib (einst,
wie die Abschreibetrlisten zeigen, ein mandäisches Zentrum) die
Säbier oder Nabatäer nicht aufhörten, die „Religion des Seth" zu
bekennen (Mu'aggam al-Buldän VI, Cairo 1906, S. 76). — Eine
Übersicht über die unveröffentlichten und veröffentlichten Quellen
(114 f.) und ein Index beschließen das Buch.

Was ist nun zu der Hauptthese Lady Dr.s zu sagen? Zunächst
erinnert sich der Kenner der Mandäerforschung an die Interpretation
Hugo Odebergs, der das Makro-Mikrokosmos-Verhältnis
als grundlegende Idee der mandäischen Gnosis auffaßte". Die
jüngeren Scrolls scheinen einige seiner von der Kabbäla bestimmten
Auffassungen zu bestätigen, wenn auch nicht die älteren
Texte. Letzteres bringt nun einen Haupteinwand gegen Dr.s
Darstellung. Man muß doch der mandäischen Religion wie jeder
anderen eine historische Entwicklung zugestehen12, und da ist es
jedenfalls methodisch falsch, die einwandfrei nachweisbar sprachlich
und inhaltlich jüngeren Texte zur Interpretation der älteren
heranzuziehen oder gar über diese zu stellen (indem man sie als
esoterische Tradition erklärt). Nur eine kritische Analyse der
ältesten Texte, wie 6ie uns im GinzS, Johannesbuch und den liturgischen
Sammlungen vorliegen, kann zu einer Eruierung der
ältesten Nasirütha führen. Ich habe in einer abgeschlossenen Arbeit
an Hand des Themas „Theogonic, Kosmogonie und Anthro-
pogonie" eine solche literarkritische und traditionsgeschichtliche
Untersuchung geliefert". Darnach ergibt 6ich, daß die Adakas
(s= Adäm kasjä = Adäm rabbä)-Lehre mit zum ältesten Bestand
der mandäischen Gnosis zählt, die aus einer Verbindung
von jüdischer Adamlegendc und gnostischem Anthroposmythos
hervorgegangen ist, aber die in ATS und ARR mit ihr verknüpfte
Ausgestaltung der Mikro-Makrokosmoslehre erst eine jüngere
Stufe mandäischer Priesterspekulation darstellt (wie in der jüdischen
Gnosis auch die Kabbäla). Hinweise auf den Gabrä
Qadmäiä (Urmensch) liefert bereits GR VI 207, 20 (Lidzb. 207,
37 ff.), Liturg. 1, 9 f. (hier kann damit auch Mandä dHaije gemeint
sein) und Johannesb. 168, 7 f.". Zu dieser jüngeren Spekulation
gehört auch die „Vater-Mutter-Symbolik", die Lehre
vom kosmischen Estüna1"' und mar(i)bä (Uterus = Welt)", die
Zahlen- und ABC-Spekulation, 60wie manche Interpretationen
der Riten in den Kommentaren17. Kennzeichen dieser Schicht ist
die mangelnde Klarheit, das Durcheinander und die Gleichsetzung
älterer und jüngerer Lichtwesen, die Anordnung von Begriffen
verschiedenen grammatischen Geschlechts in Syzygien (z.B. Quelle-
Palme, Licht-Glanz etc.)1", ferner die zunehmende Ritualisierung
und Klerikalisierung1' der mandäischen Religion. Inwieweit in

") A.a.O. S. 7: „Der Mensch nimmt an der Struktur des ganzen
Universums teil, ja, er umfaßt sie und ist darin einbegriffen." „Das
Universum ist so wie der Mcnsdi zwar ein einheitlicher Organismus,
aber dennoch in Stufen von einem höchsten bzw. zentralen Punkte zu
einer niedrigsten, bzw. äußersten Sphäre aufgebaut." Vgl. auch S. 10
über den mand. 'en-söf, und S. 14 f. über Ab- und Aufstieg des Urmenschen
.

") Wie Dr. selbst S. 9 zugibt.

") Erscheint als Habilitationsarbeit der Philosoph. Fakultät Leipzig.
M) „Das Mysterium (raza) der Welt ist Adam, das Mysterium des
Ersten (Mannes?) sein Sohn."

16) Dieser Terminus wird in den ältesten Texten synonym mit fagrä
(pagra) gebraucht; beide Begriffe haben mikro-makrokosmischc Doppel-
bedeutung (Körper/Leib = Welt/Tibil).

M) Belege dazu bei den Scthianern: Hippolyt, Refut. V 19, 11 (ed.
Wendland S. 118 ff.). Marbä kann auch „Krater" (■» große Quelle) bedeuten
.

17) Ich rechne dazu auch die Hiero6-gamos-Symbolik; s. dazu Man-
däer II, S. 124. Anm. 1 ; 267 Anm. 8; 316 ff. Ebenso die Rehabilitation
der (kosmischen) Rühä (parallel zur individuellen rühä), s. ib. S. 276.

,N) In den alten Texten so nicht nachweisbar.

") Die Scheidung von Klerikern, Nasöräern (Eingeweihten) und
Laien (Mandäcrn) ist im Mandäismus nicht grundsätzlich und in der
heutigen oder jüngeren Form erst eine 6pätcrc Entwicklung (vgl. Man-
däer Bd. I, S. 113 f.; Mandäer II. S. 23 ff.). Damit fällt auch die Annahme
einer besonderen älteren Gcheimlehre.

den Scrolk ältere Elemente enthalten sind, muß die weitere Forschung
klären. Ich möchte hier andeuten, daß man neben der
nötigen Heranziehung jüdisch-gnostischer und kabbalistischer Lehren
zum Vergleich20 auch die ismaelitische Gnosis berücksichtigen
muß, die verschiedentlich Parallelen zu den Lehren der jüngeren
Nasirüthä aufweisen (Urmensch-Adam-Lehre, ABC u. Zahlenspekulation
)21. In beiden Bereichen werden diese Lehren ebenfalls
streng esoterisch gehandhabt.

Trotz mannigfaltiger Differenzen, die hier Lady Drowcr
gegenüber zum Ausdruck kommen mußten, verdanken wir ihr im
vorliegenden Buch eine Darstellung der mandäischen Lehre, wie
sie uns in den „Secret Scrolls" entgegentritt, besonders aufgrund
unveröffentlichter Texte dieser Art. Darüber hinaus zollen wir
der Verfasserin hohe Anerkennung für das bis in ihr hohes
Alter hinein mit seltener Hingabe Geleistete, das einen Markstein
in der Geschichte der Mandäistik bildet.

Leipzig Kurt Rudolph

20) Darüber s. jetzt bes. G. Scholem, Jewish Gnosticism, Merkabah
Mysticism and Talmudic Tradition, New York 1960; zu erwarten: Die
Anfänge der Kabbäla (Studia Judaica III). • So ist die Verknüpfung von
Zahlenspekulation und Urmenschlehre bei Markos (Irenaeus I 14, 3
„Leib der Wahrheit" = Urstoff = Anthropos) greifbar, die, wie Scholem
, a.a.O., S. 57 ff. einleuchtend zeigt, jüdisch-gnostisdicr Herkunft
ist, da die rabbinischen Si'ür-Qömäh-Lehren in das 2./3. Jhdt. gesetzt
werden können. Vgl. dazu „Die jüdische My6tik in ihren Hauptströmungen
", Frankfurt/M. 1957, S. 68—72, speziell S. 70f. (Ez. 1,26:
kcmareh adäm, ellioi ävftgwnov — qömäh). Eine Mikro-Makrokosmos
-Spekulation ist damit noch nicht verbunden. Eine ähnliche Lehre
begegnet dann bei den islamischen Anthropomorphisten der Musabbiha,
wie Sahrastäni, Kitäb al-miläl wäl-nihal ed. Cureton, 1842, S. 78 berichtet
. In den Hekhälöt-Texten finden sich auch Belege für die Vorstellung
von den Buchstaben als Schöpfungsmittel (Scholem, a. O.. S. 79 f.;
3 Hen. c. 13 u. 41).

") Auf Näheres kann ich hier nicht eingehen, sondern verweise
auf Rudolf Strothmann, Gnosis-Texte der Ismaeliten (Arab. Hs. Ambrosiana
H. 75), Göttinnen 1943 (Abh. der Akad. d. Wiss. in Göttingen,
philol.-hist. KI. 3. Folge, Nr. 28); zum 'Omm al-Kitäb s. Ivanov, Revue
des etudes islam. 1932, S. 419 ff. und Der Islam XXIII, S. 1—132-;
Massignon Eranos - Jahrbuch V, 1937, S. 3 5 ff. (ib. S. 3 5 f. über al-Mu'gira
[ + 736 ], der nach Sahrastäni, op. cit. I, 134 f.; 203 f. lehrte, daß Gott
= Licht = Alphabeth sei). Vielleicht kann aufgrund solcher Studien
manches über die Vorgeschichte dieser späten Gnosis eruiert werden.

Werner, J.: nolvxaXxo<; ovgavdg und axegemfia bei J. Tzetzes.
Byzantinische Zeitschrift 54, 1961 S. 289.

BIBELWISSENSCHAFT

Coppens, J., Doscamps, A.. u. E. Massaux: Sacra Pagina.

Mi6cellanea Biblica Congressus Internationalis Catholici de Re Biblica
ed. Vol. I. u. II. Paris: Gabalda; Gembloux: Duculot 1959. 579 S.
m. Abb. i. Text u. a. Taf. u. 486 S. gr. 8° = Bibliotheca Ephcmcridum
Theologicarum Lovaniensum, Vol. XII-XIII. Actes du Congres International
Catholique des Sciences Bibliqucs, Bruxelles-Louvain 1958.

Anläßlich der Weltausstellung in Brüssel im Jahre 1958 regte
der Vatikan einen Internationalen Katholischen Kongreß der
Bibelwissenschaften an, deT vom 25. bis 30. August jenes Jahre«
dortselbst im Pavillon des Heiligen Stuhles abgehalten wurde.
Dieser Kongreß stand unter dem Patronat des Kardinals van Roey
und wurde von der Katholischen Universität von Louvain veranstaltet
. Präsident de6 Kongresses war Mgr. J. Coppens.

Es dürfte schwerfallen, auf alle 78 Beiträge aus den verschiedenen
Gebieten der Bibelwissenschaft, die die vorliegenden über
tausend Seiten zählenden Kongreßakten bieten, einzeln einzugehen
. Ja, es würde über den angemessenen Raum hinausgehen, auch
nur die Autoren und ihre Themen wörtlich aufzuführen, die Ansprachen
und einführenden Vorträge de6 einleitenden Teils (S. 7
—61) nicht einmal eingerechnet. Es soll hingegen versucht werden
, an Hand von einzelnen Ausführungen ein Bild davon zu
vermitteln, was diesen Kongreß im wesentlichen beschäftigt hat.

Die grundsätzlichen Referate des 1. Teils (S. 65—215) wurden
von kirchlichen Würdenträgern gehalten: Bischof B. Alfrink
(S. 65—75) und Bischof A.-M. Charue (S. 76—85), die sich mit
praktisch - theologischen und kirchlich-dogmatischen Fragen aus-