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Ausgabe:

1962

Spalte:

103-106

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Drower, Ethel S.

Titel/Untertitel:

The secret Adam 1962

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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Theologische Literaturzeitving 1962 Nr. 2

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RELIGIONSWISSENSCHAFT

D r o w e r, E. S., Hon. D. Litt.: The Secret Adam. A Study of Nasoraean
Gnosis. Oxford: Clarendon Press 1960. XVII, 123 S. 8°. 25 s.

Fast gleichzeitig mit der Veröffentlichung der ersten mandä-
isehen „Secret Scroll", nämlich der Alf Trisär Sualjä („1012 Fragen
"; abk. AT5)1, hat Lady E. S. Drower in der vorliegenden Arbeit
ihre Auffassung von der mandäischen, oder wie exakter gesagt
werden muß „nasöräischen" Gnosis2 niedergelegt. Sie legt
dabei neben ATS noch unpublizierte Rollen und Kommentare
(sog. Sarh's, d.i. ,,a composition intended solely to instruet priest
in the correct Performance of ritual", S. X) zugrunde; besonders
Almä Risäiä R (ab) bä (Bodl. Libr. MS D. C. 41; abk. ARR) und
Alma Risäiä Zotä (ib. D. C. 48; abk. ARZ). -

Die Hauptthese des neuen Buches ist, "that the secret teach-
ing„ based upon the Mystic Adam, goes back to the first or
second centuries" (S. XV). In dieser Lehre vom „verborgenen
Adam" (Adam ka6iä) erkennt Dr. das Kernstück einer Art
nasöräischen Geheimtradition, die nur in den genannten Texten
richtig greifbar ist, während in den übrigen, offiziellen Texten
nur Anspielungen darüber zu finden sind. Ihre Wurzel reicht in
häretisch-jüdische KTeise des Jordantales zurück (XI).

"To a Nasoraean the human body is a replica of the glorious
cosmic Body; the höhest of Mysteries, and every organ in it, including
those necessary to digestion, reproduetion, and evacuation, has for
him deep symbolical significance and is revered as an expression of the
Divine chemistry of genesis, purification, and catharsis" (S. XVII).

Als weitere Hauptelemente der Nasirüthä zählt Dr. folgende
neun Vorstellungen auf (S. XVI): 1. Eine höchste, formlose Wesenheit
, deren raum-zeitlicher Ausdruck die Schöpfung der geistigen
und materiellen Welten und Wesen ist. Der Kosmos wurde
durch den „Archetypal Man" nach seiner eigenen Gestalt geschaffen
. 2. Ein mikro- und makrokosmiecher Dualismus (Vater - Mutter
, Licht - Finsternis, Rechts - Links). 3. Eine (himmlische) Abbild
- (Entsprechungs-) Lehre (Welt der Ideen). 4. Exil und Heimkehr
der Seele (als Teil des höchsten Wesens). 5. Der böse Einfluß
der Planeten und Gestirne. 6. "A saviour spirit or saviour
spirits", die die Seele bei ihrer Reise begleiten. 7. Eine symbolische
und metaphysische Kultsprache. 8. „Mysterien", d.h. verschiedene
Sakramente, die der Seele zur Hilfe und Reinigung dienen
, wobei oft jahreszeitliche Feste zugrunde liegen, die neu
(bes. durch den Adam-Mythos) interpretiert werden. 9. Geheimhaltung
(Arkandisciplin).

Diese Züge versucht nun Dr. in 10 Kapiteln näher zu begründen
und zu erklären. Kap. 1 "In the Beginnings"
(S. 1—11) bringt (jüngere) Theogonien zur Kenntnis und beschäftigt
sich mit den Syzygien Licht und Glanz, Palme (6indirkä) und
Quelle. — II "The Father and Mother; the Alphabet
h" (12—20) beschreibt die Kosmologie nach ATS-Belegen;
die dualen kosmischen Prinzipien „Vater" ( = Rechte, Himmel,
Seele, Äther) und „Mutter" (= Linke, Erde, Körper, Rühä) spielen
dabei ihre große Rolle; ferner auch Spekulationen über das
mandäische Alfabet (S. 17 ff.) — III "Adam K a s i a, the
Secret or Hidden Adam" (21—33) bringt die (esoterische
?) Urmensch-Anthropos-Lehre (Adam qadmäiä = Adäm
kasiä als Makro- und Mikrokosmos) aufgrund der gen. Quellen.
Bemerkenswert ist der Hinweis auf einen event. Zusammenhang
zwischen der manichäischen „Säule des Glanzes" (parth. b'm
'stwn), die als „vollkommener Mann" (= Urmensch) beschrieben
wird'1 und dem mand. Estünä (Rumpf, Körper Adams =
Tibil). "The Manichaean doctrine is evidently a development of
the Nasoraean coneept of the cosmic Man" (21 Anm. 1; auch

') Vgl. demnächst meine Rezension in der OLZ.

*) Nasöräer (nasüräia) bezeichnet heute jeden in die geheimen
Lehren (Nasirüthä) eingeweihten Mandäer, praktisch sind es nur Priester
(tarmidö). Ursprünglich ist der Name die alte Selbstbezeichnung der
Sekte gewesen, wie auch (später) Mandäer (mandäie). dessen Übersetzung
mit „Gnostiker" Dr. jetzt akzeptiert (S. IX). Vgl. dazu meine
Mandäer, Band 1, Göttingen 1960. S. 112 ff.

*) G. Widengren, The Great Vohu Manah and the Apostle of God,
Uppsala-Leipzig 1945, S. I4f.; C. Colpe. in: Der Islam 32, 1956, S. 208;
RGG3, Band IV, Sp. 717.

S. 83 f.). - IV "Adam and his Sons" (34-38): Dr. belehrt
uns hier auch über Adakas,

„the metaphysical Adam, the wholly Spiritual humanity. He is the
macrocosm coneeived not only as an Idea but as an Ideal. Adakas is
Adam the microcosm'6 guardian, his soul, his mana, a messenger sent
to him ..." (vgl. Ginzä rect. B. XI)*. —

V "Msunnia Kusta: The World of Ideal
C o u n t e r p a r ts" (39—46). "The entire theology of Nasirüthä
rests upon the twin motifs of archetypes and syzygies"
(S. 45)5. — VI "The Soul" (47-65) belegt mit zahlreichen
Beispielen aus älteren und jüngeren Texten die Lehre vom „gno-
stischen Selbst". — VII "Personfied Emanations and
'Uthras" (56—65) untersucht verschiedene Lichtwesen; an
Hand der Schilderung von Hibils- Höllenfahrt in Ginzä rect. V, 1
und den Rollen wird deren Unterschied sehr deutlich: in ersterem
überwiegt das mythologische, in letzteren das rituelle Detail.
Wichtig ist die Feststellung, daß die Genien oft einander gleichgesetzt
werden "when their respective funetion overlap" (63). —
VIII "Mysteries and the Great Mystery" (66—80).
In diesem Kap. faßt Lady Dr. noch einmal Sinn und Gestalt der
zahlreichen mand. Toten- (besser „Seelen"-) Zeremonien zusammen
(lofäni, zidqä-brikä, dukränä, masiqtä), wobei sie größere
Abschnitte, bes. aus ARR zitiert. Entsprechend ihrer These, sieht
sie im Massiqtä-Ritus eine symbolische Neuschöpfung des verborgenen
, kosmischen Adam (die dabei verwendeten fatiri sollen den
„Körper Adams" repräsentieren, von dem die Seele ein Teil ist).
Dr. kann sich aber dafür nur auf die jüngere Interpretation berufen
, die noch dazu uneinheitlich und verworren ist (was Dr. 6elbst
zugibt, s. S. 74 f., 79 f.). Wenn der Massiqtä in ARR „im Namen
des Adam Shaq bar Himat-Razia" (eine junge Bildung) rezitiert
wird, 60 bedeutet dies, daß man sich den archetypischen Vollzug
des Ritus an einem Licht- oder Urzeitwesen (Adam!) vorstellt
(wie auch bei anderen Zeremonien)0. Die späteren Kommentare
sind der Auffassung, daß Seele (nisimtä) und Geist (rühä) nach
ihrem Abscheiden einen (geistigen) Körper (estünä) brauchen, zu »
dem ihnen der Ritus verhilft. — IX"TheLanguageand
Idiom of Nasirüthä" (81—87), beschreibt einige Züge
der mandäischen „Kunst- oder Symbolsprache"', die die
Nasirüthä "even in its most extravagant expression" zur religiösen
Dichtung (poetry of religion) macht (87). — X "The
Baptizers and the Secret Adam" (88—106) bildet
den Schwerpunkt der Arbeit, nämlich durch den versuchten Nachweis
, daß die Nasirüthä in den häretischen Kreisen Samariens
wurzelt (s. bes. S. 100 f.). Damit gibt Dr. ihre frühere Ansicht
vom iranischen Ursprung der Sekte auf, und schließt sich der
neueren Forschung an. Als Zeugnis dafür führt sie an: Simon Ma-
gus, Pseudoklementinen (Horn.), Eichasaiten (92 ff.; El-Kasia sei
Adam-Ka6ia?), Nasaräer (n. Epiphan.). "It might be in Galilee
that our original Nasoraeans (M) are to be sought... It may
have been a form of 'Elkasaism', i.e. mysticism centred about the
figure of Divine Man" (101). Johannes der Täufer ist für Dr. ein
späteres Element im Mandäischen". Für die Urmenschlehre der
„Magier" bringt Dr. nur ein Zeugnis von Sahrastänl (103). Die
Verknüpfung von Urmenschmythos und Taufe stellt sich Dr. nun
so vor, daß die Nasöräer (aus Harän und Medien?!)10 eine Taufsekte
in Südbabylonien überlagerten (so schon Brandt). Taufe
und Massiqtä schaffen den verborgenen Licht-Adam wieder, den
nasöräischen „Messias" (Gesalbten), die erfüllte Menschheit (?). —

*) Vgl. bereits H. Odeberg. Die mandäische Religionsanschauung,
Uppsala 1930 (UUA. teol. 2), S. 9.
") Vgl. meine Mandäer I. S. 127.

") Dazu und zum ganzen Problem 6. meine Mandäer. Band II.
Der Kult. Göttingen 1961, S. 274 ff.

*) Die Etymologie von Hawwä auf S. 82, Anm. 1 ist abwegig
8) Vgl. Mandäer I, S. 132 ff.

•) "John is never the mouthpiece of Nasoraean doctrine as it
appears in the secret scrolls" (101). Der andere Grund, daß Jahjä arabisch
ist, schlägt nicht durch, da die ältere aram. Form Jühäna bekannt
ist (s. Mandäer I, S. 66 ff.).

'") Aufgrund der Haran-Gawaithä-Legende (s. Mandäer I, S. 99 ff.,
134 ff.). Wo sucht Dr. Nabataea, wenn die Nasöräer von Nordosten
(?) nach Babylonien eingewandert seien? (105 Änm. 2). Die iranisch-
parthischen Elemente lassen sich auch anders erklären; vgl. jetzt dazu
Widengren, Iranisch-semitische Kulturbegegnung in parthischer Zeit,
Köln-Opladen 1960.