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Ausgabe:

1962 Nr. 12

Spalte:

931-937

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Rolf

Titel/Untertitel:

Christologie und Sittlichkeit in Melanchthons frühen Loci 1962

Rezensent:

Haendler, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 12

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Sc heikle, Karl Hermann: „Was ihr nicht kennt, das verkünde ich
euch" (Apg 17, 23). Die Botschaft vom Messias vor den Heiden.
Bibel und Kirche 17, 1962 S. 47—49.

Schenke, Hans-Martin: Nag-Hamadi Studien II. Das System der
Sophia Jesu Christi.

Zeitschrift f. Religions- u. Geistesgeschichte XIV, 1962 S. 263—278.
Schick, Eduard: Die Bemühungen in der neueren protestantischen

Theologie um den Zugang zu dem Jesus der Geschichte, insbesondere
zum Faktum seiner Auferstehung.

Biblische Zeitschrift 6, 1962 S. 256—268.
S c h m i d, Josef: „Selig, wer sich nicht an mir ärgert" (Mtll,6).

Jesus, der verheißene Messias im Neuen Testament.

Bibel und Kirche 17, 1962 S. 42—46.
Smith, Charles W. F.: Is Jesus dispensable?

Anglican Theological Review 44, 1962 S. 263—280.
Schubert, Kurt: „Einmal wird der Schleier weggenommen" (2. Kor

3, 16). Die messianischen Erwartungen im Judentum.

Bibel und Kirche 17, 1962 S. 50-53.
S i n t, Josef: Die Auferstehung Jesu in der Verkündigung der Ur-

gemcinde. Ein Durchblick.

Zeitschrift für katholische Theologie 84, 1962 S. 129—151.
Temple, Sydney: The Two Signs in the Fourth Gospel.

Journal of Biblical Literature LXXXI, 1962 S. 169—174.
Valori, Paolo: Un Convegno sulla „Demitizzazione" bultmanniana.

Gregorianum XLIII, 1962 S. 527—535.
V elimer, Erich: Die Geschichte von Jesu Himmelfahrt und der

moderne Mensch.

Deutsches Pfarrerblatt 62, 1962 S. 291—293.
Z a n d e e, J.: De opstanding in de brief aan Rheginos en in het
evangelie van Phillippus.

Nederlands Theologisch Tijdschrift 16, 1962 S. 361—377.

KIRCHEN GESCHICHTE: REFORM A TIONSZEIT

Schäfer, Rolf: Christologie und Sittlichkeit in Melanchthons frühen
Loci. Tübingen: Mohr 1961. VIII, 171 S. gr. 8° — Beiträge z.
historischen Theologie, hrsg. v. G. Ebeling, 29. Kart. DM 21.—.

Die vorliegende Arbeit, eine von Gerhard Ebeling (dessen
Einfluß sie in methodischer wie sachlicher Hinsicht deutlich erkennen
läßt) betreute Zürcher Dissertation von 1959, behandelt
die für Melanchthon, den „Ethiker der Reformation", wichtige
Frage nach der Begründung und Norm christlichen Handelns.
Sch. greift die bereits vor einem Menschenalter zwischen
H. Engelland (Melanchthon, Glauben und Handeln, 1931) und
R. Bring (Förhällandet mellan tro och gärningar inom lutersk
teologi, 1933; dt.: Das Verhältnis von Glauben und Werken in
der lutherischen Theologie, 195 5) verhandelte Frage nach dem
Verhältnis von Glauben und Handeln von neuem auf und stellt
sie speziell für die frühen Loci von 1521. Diese quellenmäßige
Begrenzung auf das wesentlichste und umfangreichste Zeugnis
der melandithonschen Frühtheologie ermöglicht eine intensive
und sorgfältige Analyse des Materials. (Sie ist allerdings, worauf
noch einzugehen ist, nicht ohne Problematik.) Sachgemäß
stellt Sch. das Thema in den größeren systematischen Zusammenhang
von „Christologie und Sittlichkeit", wird doch die Struktur
des Glaubens - als des „Ortes" des Handelns — wesentlich
durch das vorausgesetzte Bild Christi und die Struktur der
christologischen Aussagen bestimmt. (Der Begriff der „Sittlichkeit
", der auf den ersten Blick ungewohnt, da nicht eigentlich
reformatorisch, erscheint, dürfte für den späteren Melanchthon,
bei dem die humanistische Komponente in Denkweise wie
Sprachgebrauch unübersehbar ist, angemessener sein als für den
von 1521.)

Nach der Klärung mehr allgemeinerer Vorfragen (8—27. —
8—12: „Die Frage nach der Verknüpfung von Glauben und
Handeln bei Melanchthon"; 12—19: „Vorbereitender Blick auf
Luther" — eine in ihrer scharfsinnigen und prägnanten Einseitigkeit
gleichermaßen bestrickende wie fragwürdige Skizze; 19—27:
„Der Mangel an systematischer Einheit in der Theologie des
jungen Melanchthon") wird als erstes „Melanchthons Christologie
" behandelt (28—81). Diese stellt sich nach Sch. in zwei
Aussagereihen dar, entsprechend ihrer doppelten systematischen
Aufgabe: in der („subjektiven") „Erfahrungsreihe" (28—30) und
in der („objektiven") „heilsgeschichtlichen Reihe" (30—59). Die
erste interpretiert Christus als „pignus" und „Signum" der göttlichen
Barmherzigkeit und zeigt damit deutlich ihre systematische
Funktion an: „Alles, was mit Christus, seiner Person,
Rede und Tat zusammenhängt, wird. . . nur unter dem Gesichtspunkt
wichtig, daß die Menschen hierdurch der göttlichen Gesinnung
gegen sie als durch ein Pfand sicher sein können" (30),
d. h.: sie ist ein Element der Lehre vom Evangelium unter
anderen, dazu bestimmt, die Gewißheit der göttlichen Barmherzigkeit
zu stützen. Die zweite, heilsgeschichtliche Reihe hat
in bezug auf die Erfahrungsreihe die Aufgabe, diese durch die
„Anschauung eines zwischen Christus und Gott stattfindenden
Geschehens" (30) abzustützen. Indem sie Christus (neben seiner
pignus- und Signum-Funktion) als „auetor iustitiae" bestimmt
(30), kann die subjektive Reihe auf ihr gründen. Bei der Durchmusterung
der objektiven Christologie kommt Sch. zu dem
Resultat, daß Melanchthon „bei sämtlichen Punkten, die zur
Christologie gehören, fast ausschließlich daran interessiert ist,
für die Sündenvergebung den objektiven Grund zu erhellen"
(58 f.). Das bedeutet aber, daß allein das systematische Interesse
an der Tröstung und Vergewisserung des Glaubens die
Theologie bestimmt. Darum wird das ganze Geschehen Jesu,
vorweg sein Leiden und Sterben, mit Hilfe der herkömmlichen
Satisfaktionslehre gedeutet, da nur so Trost begründet werden
kann. Das Bild der „historischen Persönlichkeit" Jesu bei Melanchthon
ist durch seine „Dürftigkeit" ausgezeichnet (3 8). Die
,.Verknüpfung der beiden Reihen" (59-70) geschieht so, daß
die objektive, in der Satisfaktion gipfelnde Reihe „ohne Überhang
" in die subjektive Reihe einmündet, wobei eben das
(subjektiv-) christologische Prädikat „pignus misericerdiae"
die „theologische Reduktion der Christologie" deutlich unterstreicht
(59). (Hier ist der Hinweis wichtig, daß die für Luthers
Christus- und Glaubensverständnis wesentliche Formel „in
Christo" bei Melanchthon nichts anderes besagt als die beiden
anderen „per Christum" und „propter Christum", nämlich die
auetor- und pignus-Funktion Christi [67 f.].)

Gegenüber dieser Darstellung erheben sich eine Reihe kritischer
Bedenken:

Der erste, mehr äußerliche Einwand hat das zugrunde gelegte
Qucllenmaterial im Auge. Indem sich Sch. nur auf die Loci stützt und
die frühen Kommentare, vor allem den Matthäus-Kommentar von
1519/20 und den Johannes-Kommentar von 1523, bewußt ausschaltet,
verkürzt er das Material in einer Weise, die eine nur oder vornehmlich
statistische Erhebung als nicht beweiskräftig erscheinen lassen
muß. Mögen auch die Loci, was nicht geleugnet werden kann, in vieler
Hinsicht exemplarisch für Melanchthons frühe Theologie stehen,
so darf doch nicht übersehen werden, daß sie, als paraphrasierender
Kommentar zum Römerbrief, als systematischer Entwurf anhand
dieser nt.lichen Schrift, das Thema des „historischen Jesus" gar
nicht in der Breite enthalten können, die von Luther her zu erwarten
wäre. Die geringe Rolle, die der „historische Jesus" in den Loci spielt,
ist nicht zuletzt durch die Rolle, die er im Römerbrief spielt, bedingt
.

Der zweite Einwand gilt der Bezeichnung der melanchthonschen
Interpretation der objektiven Christologie auf die Sündenvergebung
hin als „theologische Reduktion" (59). Das Gegenteil ist der Fall:
Es geht dabei eben um die einzige angemessene, nämlich die soterio-
logische Interpretation der Person und Geschichte Jesu. Diese Interpretation
steht zudem deutlich im Zusammenhang der Polemik gegen
eine herkömmliche Christusinterpretation, die ihn etwa als Gesetzgeber
versteht (vgl. Studienausgabe ed. Stupperich [SA], II/l, 106,
28 ff.).

Der dritte Einwand ist zu der Art, wie Sch. die „Verknüpfung"
der beiden christologischen Reihen darstellt und beurteilt, zu machen.
Es trifft nicht zu, daß die heilsgeschichtlichc Reihe nur darum „entworfen
" wird, um die subjektive Heilsgewißheit durch einen „vom
Glauben unabhängigen Vorgang" zu „begründen" (77). Auch kann
nicht davon die Rede sein, daß objektive und subjektive Reihe erst
nachträglich zum Koinzidieren gebracht würden. Vielmehr ist das objektiv
und auch subjektiv, d. h. dem glaubenden Subjekt und dem
Glauben Vorgegebene und Vorgehende die in der Verkündigung dargebotene
heilsgeschichtliche Reihe, d. h. die Verkündigung von Gottes
Heilshandeln in Christus. Dieser antwortet dann die Erfahrungsreihe.
Erstere aber ist das realontologisch und noetisdi Vorgehende, das
zweite ist folgende Entsprechung. Auch die Darstellung Sch.s, nach
der die heilsgeschichtliche Reihe nachträglich oder gar unabhängig vom
Glauben „entworfen" wird, verzeichnet den Sachverhalt. Zum ersten
entnimmt Melanchthon diese Reihe der Schrift als dem matcrialen
Prinzip von Verkündigung und theologischer Aussage. Das hat seinen