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Ausgabe:

1962 Nr. 12

Spalte:

924-925

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Mayer, Reinhold

Titel/Untertitel:

Christentum und Judentum in der Schau Leo Baecks 1962

Rezensent:

Geis, R. R.

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 12

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tungen und Umdeutungen i«t sehr verschieden, zum Teil ganz
gering. Man hat (noch stärker als beim Lesen der Bände I—VI)
nicht selten den Eindruck, daß er in rein dekorative Embleme
mit einer gewissen Gewaltsamkeit die Symbolik erst hineinliest.
Namentlich dann, wenn jüdische literarische Belege für die behaupteten
Symbolwerte fehlen, wird man gut tun, bei der Annahme
zu bleiben, daß die jüdischen Künstler die heidnischen
Symbole einfach als Ornamente übernahmen, weil sie ihre
Phantasie anregten.

Auch wenn man im Einzelfall den Deutungen des Verfs.
mit Zurückhaltung gegenübersteht, wird man ihm uneingeschränkten
Dank wissen für die umfassende Materialdarbietung,
die dem Leser ein erstaunliches, schlechthin encyclopädisches
archäologisches und religionsgeschichtliches Wissen verfügbar
macht. Die rühmende Anerkennung, die in der eingangs genannten
Besprechung der ersten sedic Bände dem Werk gezollt
wurde, gilt in vollem Umfang auch für Band VII—VIII.
Möchte es dem Verf. vergönnt sein, bald mit den Dura-Bänden
sein monumentales Werk abzuschließen.

Göttingen Joachim J e re m i a s

D itni, Hermann: Das Rätsel des Antisemitismus. München: Kaiser
1960. 28 S. gr. 88 = Theologische Existenz heute. Eine Schriftenreihe
, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz, N. F. Nr. 80. DM 1.80.

Dieses Heft 80 der Sdiriftenreihe „Theologische Existenz
heute" enthält einen Vortrag und zwei Predigten.

Der im Februar 1960 vor der Tübinger Studentenschaft gehaltene
Vortrag sagt: Wenn man dem Rätsel des Antisemitismus
beikommen will, muß man nach dem Mysterium Israel fragen
. Dieses liegt in der göttlichen Erwählung Israels. An ihm
entzündet sich der Antisemitismus, er versucht, durch den Judenhaß
das an Israel geoffenbarte Mysterium der Liebe Gottes zu
vernichten. Mit der Parole „Strafe für Golgotha" hat die Kirche
diesen Judenhaß begründet und durch ihre ganze Geschichte gefördert
.

Angesichts dessen, was dieser Antisemitismus anzurichten imstande
war und ist, müssen wir jeder Form der Diskriminierung
der Juden absolut widerstehen, jedoch nidit mit Hilfe von
Sondergesetzen und -rechten für die Juden und ohne in einen
Philosemitismus zu verfallen. Was wir mit allen Bemühungen
auf der humanen Ebene erreichen können, ist allerdings keine
Lösung der Judenfrage, da jenes Mysterium selbst bestehen
bleibt.

Auch der neue Staat Israel hat den Antisemitismus nicht
entmächtigt. Ist das ungeheuer eindrucksvolle Experiment dieses
Staates nicht auch ein Versuch, das Mysterium Israel zu rationalisieren
und zu säkularisieren?

Die zwischen Kirche und Synagoge stehende Frage ist, ob
das Mysterium Israel und das Mysterium Jesus Christus das
Mysterium eines und desselben Gottes ist. Nur wo das erkannt
und geglaubt wird, jibt es keine Judenfrage, aber auch keinen
unchristlichen oder christlichen Antisemitismus mehr. Die Auseinandersetzung
darüber kann auf die Dauer durch keinen
Friedensschluß zwischen einem aufgeklärten Judentum und einem
aufgeklärten Christentum zur Ruhe gebracht werden, und wenn
sie auch, wie der Apostel meinte, bis zum Jüngsten Tag dauern
sollte. Aber dabei wird alles darauf ankommen, ob wir diese
Auseinandersetzung als Christen so führen, daß wir die Juden
durch unser Christsein, wie Paulus sagt, „zur Nacheiferung
reizen" (Rom. 11, 11).

Diem stellt damit den Antisemitismus richtig und aktuell
in das Licht der Bibel, insbesondere von Rom. 9—11. Der ganze
Vortrag würde hingegen höchst fragwürdig, wenn Rom. 9—11
nur „eine geschichtstheologische Spekulation" wäre, wie Diem
S. 155 behauptet.

Wäre es ihm mit dieser Behauptung ernst und wäre sie richtig
, dann wäre die 1946 in Ebersbach über Rom. 11, 33—36 gehaltene
und im vorliegenden Heft zum zweitenmal abgedruckte
Predigt auch nicht Verkündigung des Evangeliums.

Die andere Predigt wurde 1960 in Tübingen gehalten
über 2. Kor. 3,12—18. Diem fragt: Warum wollte Israel den strahlenden
Glanz, der von der Begegnung mit Gott auf dem Antlitz
des Mose zurückblieb, nicht ansehen? Er gibt die Antwort:
„Sie konnten sich keinen andern Gott vorstellen, und sie wollten
auch keinen andern Gott haben, als einen, mit dem man umgehen
kann nach dem Grundsatz: Wie du mir, so ich dir."
Müßte das nicht etwas anders gesagt werden in Anbetracht
dessen, daß der Apostel schreibt, Mose habe eine Decke auf
sein Gesicht gelegt, damit die Kinder Israel nicht da6 Ende des
Vergehenden ansehen sollten? „Das Ende de6 Vergehenden" ist
doch wohl nach dem in den Versen 7—11 hervorgehobenen
Unterschied zwischen dem vergehenden und dem bleibenden
Hoheitsglanz zu verstehen.

Montpellier Wilhelm Vi s c h e r

Schultz, Hans Jürgen [Hrsg.]: Juden, Christen, Deutsche. Stuttgart:
Kreuz-Verlag; Olten-Freiburg/Br.: Walter-Verlag [1961]. 441 S.
kl. 8». Kart, DM 8.50.

Hier sind 46 am Süddeutschen Rundfunk gehaltene Vorträge
zum Themenkreis in einem Buch versammelt worden, das
viele Perspektiven hat und infolge der Verschiedenartigkeit der
Autoren sehr schillernd ist. Nur einige der 8 — 10 Seiten langen
Vortragsniederschriften, die für die Leser dieser Zeitschrift
besonderes Interesse haben, können hier kurz erwähnt werden:
H. G. Adler (London) sieht im Auszug aus Ägypten das Schicksalssymbol
des Judentums der ersten Stunde, wanderndes
Gottesvolk zu sein. Kurt Wilhelm, Oberrabbiner in Stockholm,
gibt einen interessanten Überblick über die Religionsgeschichte
des deutschen Judentums seit der Emanzipation, indem er die
Streitpunkte zwischen den einzelnen religiösen Richtungen und
Weltanschauungen skizziert. Martin Buber (Jerusalem) beschreibt
erneut seinen Weg zum Chassidismus und dessen rechtem
Verständnis. Eine Reihe von Aufsätzen (H. J. Kraus, Pfisterer
, Brachfeld) geht dem unaus6chöpflichen Phänomen des Antisemitismus
nach. Der theologische Schriftsteller Schalom ben
Chorin (Jerusalem) begründet das jüdische Nein zu Jesus Christus
(„Die Christusfrage an den Juden besteht: sie wird von
außen an ihn herangetragen, aber das Alpha und Omega seiner
jüdischen Existenz ist diese Frage keineswegs, wenn es auch den
Christen so scheinen mag" — 140). Gerhard Ebeling (Zürich)
setzt sich behutsam interpretierend mit M. Bubers bedeutendem
Buch „Zwei Glaubensweisen" (Heidelberg 1950) auseinander.
Eugen Rosenstock (früher Breslau, jetzt USA) meditiert — zuweilen
uferlos — über das Volk Gottes in Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft, wobei Dutzende heterogener Problemstellungen
angetippt werden. Erich Przywara, S. J. (Murnau) berichtet
von Begegnungen mit jüdischen Menschen und ihren Konzeptionen
. Otto Michel (Tübingen) vergleicht jüdischen und christlichen
Erlösungsglauben und Kurt Schubert (Wien) nimmt sich der
zu rehabilitierenden Pharisäer an. In mystische Tiefen reicht
der Beitrag des Jerusalemer Philosophieprofessors Hugo Bergmann
, der in Europa ganz unbekannte Gedanken des verstorbenen
Raw Kuk vermittelt, nach dem der tatsächliche Inhalt der
jüdischen Hoffnung die Aufhebung des Erbtodes als Beginn des
neuen Äons sei. Aus dem Abschnitt „Portraits" ragen hervor
die Vorträge resp. Kapitel über Sigmund Freud (Ernst Simon,
Jerusalem) Franz Rosenzweig (H. L. Goldschmidt, Zürich), Hermann
Cohen (H. von Oyen, Basel), Leo Baeck (K. H. Rengstorf,
Münster), Walter Rathenau (K. Kupisdi, Berlin), und Franz
Kafka (W. Haa6, Hamburg). Der Anhang gibt einen Briefwechsel
zwischen S. Freud und A. Einstein sowie eine Hörfolge
über Kirche und Synagoge im Nationalsozialismus wieder.

Erlangen Hans-Joachim Sc h oe ps

Mayer, Reinhold: Christentum und Judentum in der Schau Leo
Baecks. Stuttgart: Kohlhammer [1961], 145 S. gr. 8° = Studia
Delitzschiana, hrsg. v. K. Rengstorf, 6. Kart. DM 13.50.

Es bedurfte wohl erst der Schrecken des Dritten Reiches,
um in Deutschland eine Theologengeneration heranwachsen zu
lassen, die dem Judentum vorurteilslos begegnen kann. Für die
Wissenschaft vom Alten Testament ist vor allem H.-J. Kraus,
Hamburg, Zeichen des tiefgreifenden Wandels, für das Neue
Testament O. Michel, Tübingen, und seine sehr beachtliche
Schule. Die Arbeit von R. Mayer, Assistent am Institutum
Judaicum der Universität Tübingen, ist ein großartiges Beispiel