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1962 Nr. 12

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Altes Testament

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 12

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auch die internationale Forschungsgeschichte weithin berücksichtigt
*. Wie in der bereits erwähnten Arbeit über das israelitische
Königtum imponiert auch hier des Verfs. große Belesenheit
, die aüch denjenigen, der seinen Thesen nicht immer mit
Zustimmung zu folgen vermag, für einen schönen Einblick in die
moderne Diskussion dankbar sein läßt. Anzuerkennen ist, daß
F. sich auch um eine philosophische Grundlegung des Begriffes
der „personnalite corporative" müht.

Ausgangspunkt von F.s Untersuchung des biblischen Materials
ist die Erkenntnis, daß Individuum und Gemeinschaft in der
auf einem Bundesverhältnis beruhenden Religion Israels von
vornherein in gleicher Weise angesprochen werden und deshalb
— wie auch sonst weithin im Altertum — nicht Gegensätze sind,
sondern in einer „dialectique fondamentale" zueinander stehen
(S. 15). Einerseits ist der einzelne in sozialen und religiösen Beziehungen
mit der Gemeinschaft, zu der er gehört, identisch,
andererseits kann sich aber auch die Gemeinschaft als Individuum
verstehen und bezeichnen. Für den ersten- Fall, daß ein einzelner
eine Gemeinschaft im Identitätsverhältnis repräsentiert, arbeitet
F. zwei Schemata der „personnalite corporative" heraus: 1. Das
„Schema horizontal", das Schema des ,,pater familias", der eine
mit ihm gleichzeitige Gruppe vertritt. 2. Das „Schema vertical",
das von der Gestalt eines Ahnen ausgeht, der Repräsentant seiner
Nachkommenschaft ist. Für den zweiten Fall, daß eine Gemeinschaft
als Individuum auftritt, also für den „aspect unitif" der
„personnalite corporative", gliedert F. das Belegmaterial in drei
Einzelthemen, welche die Identität von Sippennamen und Indivi-
dualnamen, die Konkretisierung des Volkes in einer einzelnen
Persönlichkeit und das auf die Gesamtheit des Volkes Israel zu
beziehende ,Du' in Gesetzesbestimmungen zum Gegenstand
haben.

Nach den genannten drei Schemata wird von S. 46 bis S. 112
in großer Ausführlichkeit das biblische Material geordnet und
meist in wörtlichen Zitaten der Belegstellen mitgeteilt, wobei
für die ersten beiden Schemata Belege im Hinblick auf den weitergreifenden
Einfluß des Repräsentanten oder Ahnen nach positiver
(Heil) oder negativer (Sühne, Rache) Wirkung gesondert
aufgeführt werden. Im übrigen folgt F. bei der Mitteilung seines
Materials der Reihenfolge der alttestamentlichen Bücher nach
der kanonischen Einteilung.

Bei der Fülle des vorliegenden Materials mag dieses vereinfachende
Verfahren, das die Belege ohne weitere Durcharbeitung und ohne Berücksichtigung
ihres Altere und Überlieferungszustandes schlicht aneinanderreiht
, berechtigt sein, so gewiß es eben schon wichtig ist, das
Material in möglichst vollständiger Sammlung vor Augen zu haben.
Bedenklich aber ist, daß die Erkenntnisse der Literarkritik weithin
unberücksichtigt bleiben. Besonders fällt dies auf bei der Erörterung
über das Nebeneinander der 2. sing, und der 2. plur. in Gesetzesbestimmungen
(S. 108 ff.).

Der folgende größere Abschnitt bietet sechs Beispiele für
spezielle Typen der „personnalite corporative" im Alten Testament
. Zunächst wird Adam als ein Typ nach dem vertikalen
Schema des „ancetre", der zugleich mit der von ihm abgeleiteten
Menschheit identisch i6t, dargestellt, wobei aüch außerbiblisches
Material zur Verwendung gelangt (S. 113 ff.). Eingeschaltet ist ein
Exkurs über jn|, tV< und -|3, der aber wenig Neues bietet.

Dann folgen als Beispiele für das horizontale Schema der König
(S. 134ff.)und die Propheten als Repräsentanten Israels (S. 148 ff.).
Als vierter Typ der „personnalite corporative" in Israel wird der
Knecht Jahwes behandelt (S. 158 ff.). Von seinem Ansatz aus
wird F. leicht mit dem Problem der Individualität oder Kollektivität
des Ebed fertig. Als „personnalite corporative" ist der
Ebed beides zugleich: „Le Serviteur serait un individu de choix,
qui influence en bien le groupe, qu'en meme temps il represente"
(S. 158). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt F. auch beim
fünften Beispiel, dem Menschensohn als „une figure, qui represente
Israel ou le peuple de Dieu, mais qui 6era de plus en plus
individualisee" (S. 175). Als letzter alttestamentlicher Typ der
„personnalite corporative" wird das ,Ich' in den Psalmen behandelt
(S. 178 ff.). Ausführlich wird zunächst der alte Gegensatz

*) Auf seine gründlichen Vorstudien in der ,Revue Biblique' «ei
verwiesen: Individu et 60ci£te dans la religion de l'Ancien Testament,
RB 33, 1952, S. 324—355. 445—475.

zwischen der Auffassung von Smend (1888) und Balla (1912) dargestellt
und dann als Lösung der Mittelweg angeboten, wonach
sich hinter dem ,Ich' ein Individuum (König, Priester oder hervorragender
Laie) verbirgt, das als „personnalite corporative" die
Gemeinschaft Israels vor Gott vertritt (S. 192).

In einem letzten großen Abschnitt (S. 193 ff.) vereinigt der
Verf. Belege für die „personnalite corporative" aus dem Neuen
Testament, die dem alttestamentlichen Material entsprechen.
Dann geht F. über zur Interpretation der Gestalt Christi, in der
er gleichfalls — unter Rückgriff auf den nco/na Xgiatov»Gedanken
(S. 205 ff.) — eine „personnalite corporative" erkennt. Es
zeigt sich, daß im Neuen Testament gerade die sechs alttestamentlichen
Typen der „personnalite corporative" — Adam, König,
Prophet, leidender Knecht, Menschensohn und Priester — auf
Christus bezogen werden (S. 224). In besonderer Weise aber
steht Christus in Parallele zu Adam. Adam ist einerseits als Ahnvater
der Menschheit ein Individuum, andererseits identisch mit
der gefallenen Menschheit. Christus als der zweite Adam ist entsprechend
einerseits Individuum, andererseits aber identisch mit
seinem Volk, der Kirche, der „communaute des appeles" (S. 222).
Der Verf. betont, daß sich mit Hilfe der biblischen Kategorie der
„personnalite corporative" die Dogmen der Erbsünde und der
Erlösung „incontestablement" sichern lassen (S. 223). Es ist
interessant, daß er abschließend noch darauf hinweist, daß von
dieser Erkenntnis Christi als „personnalite corporative" Licht auf
die „theologie du sacerdoce" fällt, nach der die menschlichen
Priester eingeschlossen sind in die „personnalite unique du Grand-
pretre" (S. 224).

Fragt man nach der Lektüre von F.s Buch nach seinem Wert
für die Bibelwissenschaft, 60 wird man ihn vom protestantischen
Standpunkt aus lediglich in den schon oben hervorgehobenen
Vorzügen erblicken können. Wesentlich hätte die Arbeit an
Gewicht gewonnen, wenn der Verf. altorientalisches Material
berücksichtigt hätte. Eine isoliert biblische Bearbeitung solcher
Probleme wie der „personnalite corporative" kann heutzutage
nicht mehr genügen. Auch was F. über die 6echs alttestamentlichen
Spezialtypen der „personnalite corporative" ausführt, ist
letztlich nicht neu. F. beruft sich ja auch jeweils meist auf entsprechende
Gewährsmänner. Für katholische Bibelwissenschaftler
dürfte jedoch F.s Werk in einer anderen Hinsicht wichtig sein,
und diesen Gesichtspunkt darf man nicht übersehen, wenn man
F.6 Leistung gerecht werden will. Wenn nämlich der Verf. so
nachdrücklich die Übereinstimmung 6einer These von Christus als
„personnalite corporative" mit der kirchlichen Dogmatik hervorhebt
, dann wird zugleidi auch Raum geschaffen für mancherlei
mit dieser The6e notwendig verbundene kritisch-exegetische
Erkenntnisse (z.B. die kollektiven Züge im Ebed-Jahwe und im
Menschensohn, Einfluß der israelitischen Königsideologie auf das
neutestamentliche Christusbild), die sonst mit der kirchlichen
Lehre kaum in Einklang zu bringen sind.

Rostock Karl-Heinz Bernha rdt

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