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Ausgabe:

1962 Nr. 12

Spalte:

911-913

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Gemeinde Gottes in dieser Welt 1962

Rezensent:

Voigt, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 12

912

Modernismus geübt wird (in bezug auf diesen lesen wir den
Satz: „Bei der Polemik gegen den Modernismus, der verkehrte
Lösungen auf manche richtig gesehenen Probleme bot, wurden
viele Anhänger des M. durch klerikale Intrigen verbittert und
aus der kirchlichen Gemeinschaft getrieben. ,M.' blieb bedauerlicherweise
bis heute ein liebloses, gehässiges Schimpfwort der
innerkirchlichen, von der Schwierigkeit des Glaubens in der
heutigen Welt nicht angefochtenen Arroganz.").

Ferner ißt zu sagen, daß hier oft und oft einer immer noch
antreffbaren, massiv antikatholischen Polemik die Spitze abgebrochen
wird; ja, angesichts vieler Explikationen (meist in
ganz unscholaßtischen termini) fragt man sich immer wieder:
Was ist nun eigentlich noch zentral kontrovers zwischen den
beiden „Konfessionen"? Ist es nicht erstaunlich zu lesen, daß
„sola gTatia" oder „Imputationsgerechtigkeit" keine Differenz-
Punkte mehr seien oder daß die Bibel als „das bleibende
Kriterium der (notwendigen) Entfaltung und stets neuen
Aktualisierung der Botschaft" bezeichnet wird? Klingt es nicht
überzeugend, wenn Rahner (und seine Verfasserschaft ist unverkennbar
für den, der seine vierbändigen Schriften zur Theologie
und seine Artikel im „Lexikon für Theologie und Kirche"
gelesen hat) die üblichen protestantischen Vorwürfe (Verding-
lichung, Vergesetzlichung der Gnade, doppelte Ethik usw.)
zurückweist? Und so wäre noch viel zu fragen und zu 6agen.

Störend mag für viele Leser sein, daß sich in manchen
Artikeln eine so große Abhängigkeit von Heidegger zeigt
(cf. besonders „Sein" und „Dasein"); man erinnere sich an
Links Untersuchung über die Umklammerung der Theologie
durch die Philosophie. Andererseits findet man gerade in dem
Artikel „Gott" wieder rein gar nichts von solcher Umklammerung
.

Zum Schluß gestattet sich der Rezensent, ein prinzipielles
Bedenken zu äußern: Ob hier nicht trotz aller hochmodernen,
existenzphilosophischen Terminologie etwas ganz Unmodernes,
Antiquiertes etabliert wird: nämlich ein dem Geiste neuzeitlicher
Wissenschaft stracks widersprechendes, ungeschichtlich sich
als definitiv gebendes Totalwissen von übersinnlichen Gegenständen
, also das, was wir etwa bei Schelling, der in solchen
Abgleitungen exzellierte, selbstverständlich und ohne Zögern
verwerfen.

Berlin Helmuth B u r ge r t

[Krummacher, F.-W.:] Gemeinde Gottes in dieser Welt. Festgabe
für Friedrich-Wilhelm Krummacher zum sechzigsten Geburtstag.
Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1961]. 345 S., 1 Taf. gr. 8°. Lw.
DM 18.50.

Was eine Festschrift zusammenschließt, ist zunächst die
persönliche Verbundenheit derer, die darin zu Worte kommen,
mit dem Jubilar. Es ist darum kein sehr ergiebiges Bemühen, in
einer Besprechung um jeden Preis eine thematische Einheit eines
solchen Bandes herauszuvexieren. Im innersten Kreis der Gratulanten
stehen drei Söhne des Jubilars: Bernd-Dietrich K. mit
einer gekonnten und locker aus dem Pinsel geflossenen Zeichnung
des Greifswalder Domturms; Hans-Henrik K. mit einer
feinsinnigen Arbeit über Rilkes „Stundenbuch" und Friedhelm K.
mit einem materialreichen musikwissenschaftlichen Aufsatz: „Zur
Quellenlage von Matthias Weckmanns geistlichen Vokalwerken
". Aus dem Kreis der engeren Mitarbeiter kommen die
Arbeiten von Hans Faißt („Der Werdegang des Bischofs" und
das Gedicht „Weihnachten in St. Nicolai, Stralsund"), Werner
Rautenberg („Haushalterschaft ... als ökumenischer Auftrag")
und Hellmuth Heyden („Zur Geschichte der ältesten pommer-
schen Agende"). Fritz Führ, der Nachfolger im Amt des
Generalsuperintendenten von Berlin, stellt aufgrund eigener
Erfahrungen die Frage: „Kann auch die Predigtverkündigung
der Orthodoxen Kirche in der UdSSR einen Beitrag zur Überwindung
unserer Predigtnot leisten?" Berliner Mitarbeiter des
Jubilars steuern Arbeiten aus ihrem besonderen Wirkungsbereich
bei, ßo Oskar Söhngen („Die Musikauffassung des jungen
Luther"), Christian Berg („Brot für die Welt"), Herwig
Hafa („Der katechetische Dienst der Kirche") und Friedrich
Bartsch („Das Amt des Buches in der Gemeinde"); auch Freunde
und Mitarbeiter aus dem weiteren deutschen Bereich: Robert

Frick („Diakonie unter der Weisung der Zehn Gebote"), Heinz
Wagner („Die Chance der Rundfunkpredigt") und Robert
Stupperich („Der Theologe, das Buch und die Rezension. Betrachtungen
anhand bisher unveröffentlichter Briefe Martin
Kählers und Hermann Cremers an Hermann Meßner"). Von
der Gemeinschaft der EKiD zeugen die Beiträge von Kurt Scharf
(„Grußwort") und Heinz BTunotte („Geschichte und Tradition
als gestaltende Kräfte in der evangelischen Kirche"), von der
Zusammenarbeit besonders im Lutherischen Weltbund der Aufsatz
von Ernst Sommerlath („Der Katholizismus als Frage an
uns"). In die Weite der ökumenischen Beziehungen des Jubilars
führen uns die Arbeiten von Joan Kiivit („Über das Verhältnis
der deutschen Geistlichen und des Adels in Estland, insbesondere
im 17. Jahrhundert"), John Cullberg („Biblische
Grundlage der evangelischen Abendmahlslehre") und Georges
Casalis („Die Zukunftsaufgaben der Protestantischen Kirchen
Frankreichs"). Die hier gegebene Bestandsaufnahme soll nicht
nur zeigen, was man in dem anzuzeigenden Bande zu suchen
hat; an ihr wird deutlich, wie groß die Gemeinschaft derer ist,
die — als Sprecher für ungezählte andere — dem Sechzigjährigen
ihre Verbundenheit, Dankbarkeit und Verehrung bekunden.
Der Mann, dem dieser schöne Band gewidmet ist, hat ja auch
von Amts wegen eine besondere Bedeutung für alle evangelischen
Kirchen in der DDR; die Beweise des Zusammenhalts und
der herzlichen Gemeinsamkeit (vgl. etwa S. 133) sind darum
mehr als eine persönliche Geburtstagsgratulation.

Persönliche Beziehungen schließen freilich immer auch bestimmte
Sachbeziehungen ein. Darum ist die Lektüre einer solchen
Festschrift auch ein (an Teilbildern und Beispielen zu gewinnender
) Überblick über ein Ganzes: über die Wirksamkeit
des Jubilars, aber auch über die Probleme und Lebensäußerungen
der Kirchen, denen er dient und mit denen er Gemeinschaft
pflegt. Wir können nur weniges nennen; niemand meine, die
Auswahl bedeute ein Wert- bzw. Unwerturteil.

Die von Ernst Sommerlath angefaßten Fragen sind, vor
dem Vaticanum II, besonders dringlich geworden. Es geht in
dem Aufsatz nicht um einen kontroverstheologischen Vergleich,
sondern um die (diesmal bewußt einseitig gestellte) Bußfrage an
unsere Kirche, ob bei unß nicht Schwächen und Mangelerscheinungen
vorhanden 6ind, deren wir uns gerade in der Begegnung
mit der (reformwilligen!) römischen Kirche bewußt werden.
Hinsichtlich der Lehren von Schrift und Tradition und von den
Sakramenten laufen die Fronten jetzt anders als früher. Der
Gegensatz in der Rechtfertigungslehre ist an mancher Stelle
aufgelockert (welchen Ort hat die „reale Erneuerung", unsere
Einleibung in Christus? ist Gnade als favor Dei nicht zu eng
verstanden?). Die Frage nach der objektiven Seinsgrundlage der
Glaubenserfahrung muß wachbleiben. Die Kirche muß als Leib
Christi ernster genommen, enger auf Christus bezogen werden.
In ihr liegt immer auch ein anstaltliches, „institutionelles" Moment
. „Es geht darum, ob wir aus den neuen Wegen und
Reformbemühungen der katholischen Kirche einige Fragen
heraushören, die auch uns zur Erneuerung dienen können"
(S. 69).

Der Jubilar hat lange /.eit in Rundfunkgottesdiensten gepredigt
. Heinz Wagner erörtert die Möglichkeiten, Erfordernisse
und Grenzen der Rundfunkpredigt. Ihre universale
Ausstrahlungsweite („Verschwendungstendenz des Evangeliums")
und die intime Empfangsbereitschaft (Hörerbriefe!) stehen zueinander
nicht im Widerspruch. Das Mikrophon erzieht zum
redlichen Wort. „Oft überredet die Predigt erst die Hörenden
zum Hören." Sie ist Akt der Verbundenheit der Kirche mit
denen draußen. Sie ist freilich vorläufig, denn sie führt nicht
geradlinig zum Sakrament. Sie könnte zu einem Christentum
,,ohne Engagement" verführen. Aber sie hat für sich, daß sie
gerade in ihrer Wehrlosigkeit (man kann jederzeit abschalten)
die Freiheit der Entscheidung wahrt und damit einer skeptischen
Generation dient.

Neue Wege weist auch der Beitrag von Herwig Hafa.
Der kirchliche Unterricht hat dem grundlegenden Umbruch der
sozialen und politischen Verhältnisse Rechnung zu tragen: da«
ergibt ganz neue Dolmetschcraufgaben. Die Bezogenheit des
Katechumenats auf Wort und Sakrament muß noch stärker