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Ausgabe:

1962 Nr. 11

Spalte:

862-863

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Sacramentarium Veronense 1962

Rezensent:

Hennig, John

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861

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 11

862

bedeutete für Sal eine Angleichung an P, um so mehr, als jetzt alle
gelasianisdien Formeln dann zu Gunsten gregorianischer eliminiert
wurden, sofern sie sidi im Gregorianum vorfanden (S. 24 f.). Als bezeichnend
für oberitalicnisch-aquileji6che Meßbücher wird u.a. der
Sakramcntaranfang mit Septuagesima und die ,,Drei-Tagc-Praxis" des
Fastens, für die übrigens J. Schümmer, Die altchristliche Fastenpraxis,
1933 noch reichliches Material enthält, herausgestellt (S. 27—30). Abschnitt
IV bringt die nun sehr bedeutsamen Ausführungen über „das
Sakramentar von Padua in seinem Verhältnis zu Sal und weiteren
Typen" (S. 30—48). Als Heimat des Sakramentars von P, das bekanntlich
K. Mohlberg und A. Baumstark als „die älteste erreichbare
Gestalt des Liber sacramentorum anni circuli der römischen Kirche"
(Münster 1927) angesehen haben, wird Verona angenommen, für ßeine
Vorlage Padua, „oder sogar unmittelbar das Zentrum des Patriarchats,
Aquilcja selbst" (S. 3 3). In den weiteren Erwägungen spielt, wie bereits
erwähnt, die Stellung von P und Sal zu M eine besondere Rolle.
Aus der Fülle der Einzelargumente sei hier nur noch auf folgendes
hingewiesen: Während Mohlberg für die Datierung von P den 3. IV.
59 5 als Ostcrtermin namhaft machte, um so P direkt auf Gregor
d. Gr. zurückführen zu können, wird jetzt auf Grund kalendarischer
Untersuchungen das Jahr 796/797 angesetzt, d. h. der aquilejische
Patriarch Paulinus als Redaktor von P genannt (S. 37—3 8). Aus den
Fragen und Lösungen hinsichtlich der 1. und 2. Grcgorianisierung,
sowie aus kalendarischen und heortologischen Erwägungen kommen
die Vcrff. zum Ergebnis, daß P aus Sal hervorgegangen sei. Das
Gesamtbild ist nun folgendes: Um 592 verfaßte Gregor d. Gr. ein
Jahrcssakramcntar für den päpstlichen Stationsgottesdienst mit einem
Libellus, der die Sonntags- und Votivmessen enthielt. Diese beiden
Kultusbüchcr kommen, möglicherweise noch zu Lebzeiten Gregors,
nach Ravenna und werden dort in ein „Gelasianum" eingebaut. Einzel-
problcme ergeben sich aus der Tatsache, daß die römischen Stationsgottesdienste
in Ravenna nicht abgehalten werden konnten, und dort
auch sonst eine von Rom abweichende liturgische Praxi6 bestand. In
Ravenna also entstand das neue junggelasianische Sakramentar und
verbreitete sich in Oberitalien mit seinem noch im 7./8. Jhdt. übli-
<hen gallikanischen Ritus. Um 700 setzte im Patriarchat Aquileja-
Grado eine neuerliche Redaktion des ravennatischen Junggelasianum
ein, die 2. Gregorianisierung. Zeugen dieser Redaktion sind Sal und P.
Im westlichen Teil des Patriarchates blieb das ältere Junggelasianum
«rhalten und wirkte auf die verschiedensten fränkischen Sakramentar-
typen weiter (S. 44 ff., mit Übersichtsskizze S. 45 und wieder S. 86*
— 87"). S. 46—48 folgt eine sehr kritische Auseinandersetzung mit
Chavasse, bei der man den Eindruck hat, daß sie nicht nur ihm gilt.
In Abschnitt V werden Edition und Rekonstruktion mit den Siglen
der Hss behandelt, die dann [B.] im zweiten Großabschnitt „Texte"
Praktiziert werden (S. 49—56, 1*— 58*). Diese Formulartexte bieten
neben einem Hss-Apparat auch einen kritischen Text-Apparat, genügen
also allen wissenschaftlichen Ansprüchen in hohem Maße. Anmerkungen
zu den einzelnen Formularen (S. 48*—58') bringen eine Fülle
von wertvollen Einzelcrklärungen. Anhang I (S. 59*—71') bringt den
Sonntagsmessen-Libellus des Cod. Veronensis 91, wobei Lietzmanns
Annahme, daß dieses Gregorianum auf das Aachener Hadrianum
zurückgehe, als fraglich beurteilt wird. Anhang II (S. 72*—77') führt
ein Vorsatzblatt im Cod. Vercellcnsis CXXVI, das ein Sakramentar-
fragment darstellt und für die Beurteilung des P-Typus wichtig ist.
Anhang III (S. 78*—85') schließlich geht auf Fragmente von Gießen,
Trier und Marburg ein, die ebenfalls zum Sal-, bzw. P-Typus gehören.
S. 86' — 87', auf die wir bereits mehrmals hinweisen, faßt die wichtigsten
Ergebnisse der Untersuchung zusammen. S. 88' —94* führt das
Orationcn-Verzeichnis und S. 94*—95* endlich ein Personen-Verzeichnis
.

Aufbau und Inhalt der ganzen Arbeit wurden hier deshalb
so ausführlich dargeboten, weil wir, wie bereits eingangs erwähnt
, glauben, daß sich mit ihr die Liturgieforschung beider
Konfessionen wird gründlich auseinandersetzen müssen. Diese
kritische Auseinandersetzung wird bis zu den einzelnen Hss.
reichen. So, wenn die Verff. z. B. den in der bisherigen Forschung
sehr unterschiedlich datierten, aber für den zeitlichen
Ansatz des „Ur-Junggelasianum" und seine Verzweigung wichtigen
Cod. Casinensis 271 um 700 angeben (S. 41 f.). Angenehm
berührt die Zurückhaltung Gambers hinsichtlich Kiew, vgl.
a O. Heiming in ALW 7, 1961, 254, Nr. 220 und Fr. Grivec,
Konstantin und Method. Lehrer der Slaven, Wiesbaden i960,
1*0 ff. Erst jetzt hat sich auch Fr. Zagiba unter Berufung auf
die Arbeiten Ganibers mit Kiew beschäftigt (Jahrbücher f. Gesch.
Osteuropas 9, 1961, 1—56, 247—276, mit einer Fülle von Material
auch gerade hinsichtlich der Bedeutung Salzburgs, Bayerns
und Oberösterreichs für die Slavenmission). Auch Zagibas Annahmen
bleiben abzuwarten (ebendort, S. 35-39). Es ist immer

wieder fraglich, ob man auf Grund der noch immer nicht
völlig geklärten Fragen, die Kiew aufgibt, die Slavenlehrer so
ganz auf die römische Liturgie verhaften darf, wie Zagiba das
tut. Immerhin kann doch nicht übersehen werden, daß sowohl
die Viten der Brüder, wie die gesamte altkirchenslavische
Literatur ausdrücklich bezeugen, daß sie „auch" byzantinische
Kultusbücher übersetzt haben. Neben solchen Detailfragen werden
auch die Ergebnisse der paläographischen und der rein
liturgiewissenschaftlich-hypothetischen Forschung auf Grund der
vorliegenden Untersuchung aufeinander abgestimmt werden
müssen. Alles in allem: Der an neuen Perspektiven reichen
Arbeit von Dold und Gamber ist eine fruchtbare Diskussion zu
wünschen, die nicht nur die Liturgieforschung, sondern auch die
Kirchengeschichte mit ihren Sachgebieten beeinflussen dürfte.

Halle/Saale KooradOnosch

Mohlberg, Leo Cunibert OSB: Rerum Ecclesiasticarum Documenta.

Series Maior. Fontes V: Missale Gothicum (Vat. Reg. lat.
317). Rom: Herder 1961. XXXII, 141 S., 6 Taf. gr. 8°.
— Series minor. Subsidia Studiorum VI: Konkordanztabellen zu
den lateinischen Sakramentarien. III: Missale Gothicum (Vat. Reg.
lat. 317). Dargeboten v. P. Siffrin OSB. Ebda 1961. VIII, 175 S. 8°.

Das Missale Gothicum wurde 1902 von Kuypers und Bishop
als the most important and considerable of Gallican mass-bookß
bezeichnet, und 1945 sagte Wilmart von ihm: Nullus ad patrium
Gallorum ordinem existimandum praestantior.

Bedenkt man, daß die erste kritische Textausgabe vor 45
und Monibergs Tafelband und Einleitung vor 33 Jahren erschienen
waren, so wagte man kaum zu hoffen, daß so bald nach
Band II und III der Fontes (hier 1958, Sp. 855-857 besprochen)
nun auch das dritte der großen gallikanischen Sakramentarien
in ebenso mustergültiger Textausgabe folgen würde. Sollte sich
die Ankündigung bewahrheiten, daß Ambrosianum und Triplex
in Kürze erscheinen werden, so würde diese Serie einen Rekord
in der Geschichte der Veröffentlichung kritischer Ausgaben
liturgischer Texte aufstellen.

Die Einleitung zu der gegenwärtigen, Guardini gewidmeten
Ausgabe ist eine Kurzfassung der von Ehrle als brilliant bezeichneten
Einleitung von 1929, gelegentlich durch Hinweise auf
neuere Literatur ergänzt, von der Wilmarts Codices Reg. lat. 2,
Bourques Etudes sur les 6acramentaircs Romains, Chavassei
Sacramentaire Gelasien, Gambers Sakramentartypen und Morins
Aufsatz über die Herkunft von Gothicum zu nennen sind. Vor
allem die paläographischen Einzelheiten der Einleitung von 1929
wurden zusammengestrichen, die Handschriftenliste (dort S.
151 ff.) entfiel; statt dessen wurde (auch gegenüber den bisherigen
Bänden der Fontes) ein Verzeichnis der (in der Einleitung
erwähnten) Namen und Sachen eingefügt, welches angesichts der
Kürzung der Einleitung wenig Nutzen hat. Die Verzeichnisse
der liturgischen Formeln und der Messen, Heiligen und Textstücke
wurden beibehalten. Es werden die Handschrift und ihr
Erhaltungszustand, sowie ihre Geschichte (einschl. der des merkwürdigen
Namens die6e6 Werkes, welches ja weder ein Missale
noch gotisch ist) behandelt. Die Nachweisung, daß dieses Werk
zwischen 690 und 710 in der Gegend von Autun entstanden zu
sein scheint, wird praktisch unverkürzt wiedergegeben. Abschnitte
über bisherige Ausgaben und Reproduktionen sowie
eine ausgewählte Liste der Literatur beschließen die Einleitung.

Als Unterlage für die Ausgabe diente Bannisters Text, der
mit moderner Interpunktion versehen und mit neuen Beobachtungen
durchkollationiert wurde. Lokalisierung und Datierung
von Gothicum beruhen weitgehend auf den Eigenformularen für
Ferreolus und Ferruccio, deren Verehrung auf Burgund beschränkt
gewesen zu sein scheint, Andochius und Benignus
sowie Symphorianus, für deren Verehrung Autun der Mittelpunkt
war, und Leodegar, Bischof von Autun. Die Messen für
Martinus und Mauritius scheinen als separate libelli eingeschoben
zu sein, letztere in ähnlicher Weise wie die Hilariusmesse
im Missale Francorum und die Germanusmesse im Gallicanum
Vetus.

Die Konkordanztabellen von Siffrin (die Serie ist jetzt richtiger
„Konkordanztabellen zu den lateinischen Sakramentarien
" genannt worden) haben die „Zusammenfassung" aus