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Ausgabe:

1962 Nr. 11

Spalte:

852-854

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Autor/Hrsg.:

Höffner, Joseph

Titel/Untertitel:

Industrielle Revolution und religiöse Krise 1962

Rezensent:

Karrenberg, Friedrich

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851

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 11

852

OV'Carrillo de Albornoz, A. F., Dr.: Roman Catholicism and Reli-
gious Liberty. Genf: The World Council of Churches 1959. 95 S.
gr. 8°.

Obwohl diese Veröffentlichung von der Ökumene in Genf
gedruckt worden ist und einen Mitarbeiter des Ökumenischen
Rates zum Verfasser hat, ist es eine „Privatarbeit" ohne offiziellen
Charakter. Sie gehört jedoch unmittelbar in die Vorbereitungen
des Weltkirchenrates für eine ausführliche Behandlung
des Themas Glaubensfreiheit — eines Themas, das in
Neu-Delhi nur angeklungen ist, dessen eigentliche Behandlung
für die Zukunft also noch aussteht.

Dr. Carrillo de Albornoz, ein spanischer Aristokrat, ist
Konvertit. Er war Mitglied der Gesellschaft Jesu und stand
lange Jahre in der Leitung der marianischen Kongregationen
in Rom. Sein Buch ist ein erneuter Beweis für die vornehme
und geradezu liebevolle Art, mit der zum Protestantismus
„abgefallene" Priester über ihre alte Kirche sprechen.

Das Buch ist gewissermaßen eine Sammlung aller römischkatholischen
Stimmen für die Glaubensfreiheit. Das große
Verdienst des Buches ist, darauf hingewiesen zu haben: es gibt
geradezu eine Bewegung „pro libertate" in der römischen Kirche
, in der die Franzosen führend sind, die aber auch in andere
Länder ausstrahlt und auf beiden Seiten des Atlantik gewichtige
Verfechter hat. C. untersucht ihre biblischen, dogmatischen,
politischen und philosophischen Argumente und kommt zu folgenden
Ergebnissen (S. 21):

1) Viele römisch-katholische Theologen in verschiedenen Ländern
vertreten neuerdings eine Theorie der Religionsfreiheit,
die den früheren Anschauungen völlig entgegengesetzt ist.

2) Diese Theorie ist bisher nicht verdammt, sondern im Gegenteil
unterstützt worden durch bedeutende Glieder der römischkatholischen
Hierarchie.

3) Es handelt sich bei alledem nicht um eine Spielart der alten
opportunistischen Haltung.

Nach dieser Bestandsaufnahme macht uns der Verfasser
mit den Versuchen bekannt, die nachweisen wollen, daß diese
Anschauung nicht „neu" ist, sondern sich tief in der katholischen
Tradition verankert findet (58 ff.). Dieses Kapitel zeigt
aufs eindrücklichste die im römischen Katholizismus geübte
Kunst der „Interpretation" päpstlicher Dokumente. Aber eben
über diese Interpretation läßt sich streiten. So erklärte beispielsweise
der spanische Episkopat 1948 die völlige Unvereinbarkeit
der neuen Ideen mit dem Syllabus Pius' IX. und der
Enzyklika „Libertas" Leos XIII. Die Gegenerklärung lautet:
es gibt hier keine „definitio ex cathedra", die uns im Gewissen
binden könnte — die angeführten Franzosen zumal erklären die
Enzykliken letztlich für nicht bindend (trotz des energischen
Hinweises auf die lehramtliche Qualität auch solcher Lehrschreiben
in der Enzyklika „Humani Generis" Pius' XII. ist
auch in Deutschland diese Frage keineswegs über jede Diskussion
erhaben). Daneben läßt sich noch unterscheiden zwischen
überzeitlichen und zeitbedingten lehramtlichen Äußerungen (61).
An der Frage der „Interpretation" unzähliger lehramtlicher Dokumente
wird die ganze Schwierigkeit deutlich, in der sich die
katholische Theologie ständig befindet.

Obwohl man die Sympathie des Verfassers für die Inter-
pretatoren zu spüren vermeint, steht auch für C. fest: trotz
vorsichtiger Äußerungen der letzten Päpste durch ihr magistc-
rium ordinarium (also Enzykliken u. ä.), die sich für eine
(bedingte) religiöse Freiheit auslegen lassen, ist noch keine
wirklich autoritative Entscheidung zugunsten der Religionsfreiheit
gefallen.

Obwohl auch „Limits of Religious Freedom" angedeutet
werden (83 ff.), bietet diese Studie doch nur einen begrenzten
(und damit zu optimistisch erscheinenden) Ausschnitt aus dem
' römisch-katholischen Denken. Die traditionelle Haltung, repräsentiert
etwa durch den Leiter des Hl. Offiziums (also der obersten
römischen Glaubensbehörde) Kardinal Ottaviani, kommt
fast gar nicht in Blick. Dabei ist es sicher, daß diese Kräfte in
Zukunft noch bestimmend sein werden und vermutlich auch
das kommende Konzil weithin lenken werden. Kanonisches
Recht und die Konkordatspolitik des Vatikans, die in der Frage

der Religionsfreiheit eine entscheidende Rolle spielen, werden
von C. praktisch überhaupt nicht berührt.

Jedenfalls macht diese Schrift eindrucksvoll deutlich, wie
sehr sich der römische Katholizismus immer mehr als Block
auflockert und die verschiedensten Strömungen und Tendenzen
aus seiner „Einheit" hervortreten läßt. Der Katholizismus
praktiziert im Augenblick eine gewisse Vielfalt der Meinungen,
doch macht diese stärkere Aufgliederung, die auch auf anderen
Gebieten sichtbar wird, Verständnis und Beurteilung der römischen
Kirche nur noch schwieriger. Es bleibt die Frage: Geht
es 60 auf die Dauer weiter? Und: Welche der beiden ringenden
Kräfte wird sich als die stärkere erweisen? Schließlich: Ist noch
mit einem neuen Pius X. zu rechnen, der durchaus nicht geneigt
war, das freie Spiel der Kräfte sich auspendeln zu lassen, sondern
scharf und radikal eingriff? So wenig diese Fragen leichthin
zu beantworten sind, 60 können sie doch nicht einfach
ignoriert werden, auch wenn man sich vom Verfasser am
Schluß des Buches zu Liebe und Vertrauen zwischen den Konfessionen
rufen läßt.

Bensheim/Bergstraße Gottfried Maron

Casalis, Georges: Wir Protestanten und das Konzil.
Kirche in der Zeit 17, 1962 S. 241—242.

Keintzel, Raimar: Luthertum in Portugal.
Lutherische Monatshefte 1, 1962 S. 274—277.

Ortmann, Ernst-Albert: Die Christenheit in Erwartung de6 römischen
Konzils.

Kirche in der Zeit 17, 1962 S. 238—241.
Rothermund t, Jörg: Die theologische Vorbereitung für Helsinki
1963.

Lutherische Monatshefte 1, 1962 S. 264—269.
Sergius, Patriarch: Die Bedeutung der apostolischen Sukzession

bei den heterodoxen Glaubensgemeinschaften (I).

Stimme der Orthodoxie Jg. 1962, Heft 6, S. 26—34.
To tri, Karoly: Die Reformierte Kirche in Ungarn.

Junge Kirche 23, 1962 S. 332—335.

REUGIONSSOZIOLOGIE

Öffner, Joseph: Industrielle Revolution und religiöse Krise.

jj Schwund und Wandel des religiösen Verhaltens in der modernen
Gesellschaft. Köln-Opladen: Westdeutscher Verlag [1961]. 65 S. m.
8 Abb. gr. 8° = Arbeitsgemeinschaft f. Forschung d. Landes Nordrhein
-Westfalen, Geisteswissenschaften, H. 97. Kart. DM 7.25.

Bei dieser kleinen Arbeit handelt es sich um einen interessanten
katholischen Beitrag zur Gemeindesoziologie,
die zunächst in Frankreich, aber inzwischen auch in anderen
Ländern weit verbreitet ist.

Der Verf. ist der Leiter des „Instituts für christl. Sozialwissenschaften
" an der Universität Münster. Es geht ihm darum
, die Gründe für den Wandel und für den Verlust des religiösen
Verhaltens in der durch Technik und Industrialismus
geprägten modernen Gesellschaft zu klären.

Der Ausdruck „religiöses Verhalten" meint: Taufe, religiöse
Unterweisung der Kinder, Familiengebet, kirchl. Trauung
, Empfang der Sakramente der Buße und der Eucharistie, Erfüllung
der Osterpflicht, Mitfeier des Meßopfers nicht nur an
den Sonn- und Festtagen, Mitgliedschaft in kirchlichen Vereinen
, Teilnahme an Einkehrtagen und Exerzitien, Empfang der
Sterbesakramente usw. Religiöses Verhalten wird also mit Formen
der Kirchlichkeit gleichgesetzt. Was nicht ausschließt'
schreibt Höffner offensichtlich sehr vorsichtig, daß sie Formen
religiösen Verhaltens sind.

Der Untersuchung liegt eine Erhebung über das religiöse
Verhalten der Katholiken in Mairl-Hüls zugrunde, einer in
ihrer Entwicklung durch Steinkohlenzechen und chemische Industrie
bestimmten Stadt des westfälischen Industriegebiets:
1895: 5600, 1914: 11000, 1926: 34000, 1958: 85000 EinW-,
von denen 48 % katholisch sind. (Ähnliche Untersuchungen für
Essen, Hagen, Bottrop sind zu erwarten.) Die Mobilität der Bevölkerung
ist in dieser Stadt sehr groß. Das Material ist durch
Kirchcnbcsucherzählungen, Interviews, Fragebogenerhebungen bei
sämtlichen katholischen Berufsschulen zustande gekommen. Da«
Ergebnis ist nicht unbedingt neuartig. Eö bestätigt die auch aus