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Ausgabe:

1962 Nr. 11

Spalte:

849-850

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Gründler, Johannes

Titel/Untertitel:

Lexikon der Christlichen Kirchen und Sekten 1962

Rezensent:

Köberle, Adolf

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849

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 11

850

Martin Luthers Person und Denkart wurden zum Schicksal
Johann Agricolas. Ohne die Theologie des großen Reformators
kann Agricolas eigene Theologie nicht verstanden werden,
behauptet Rogge. Agricola konnte — trotz seiner bitteren Erfahrungen
— sich auch nie von Luther befreien. Er blieb das
ganze Leben hindurch konsequent in seiner Denkart — wie auch
Luther selbst; seine Theologie war aber die ganze Zeit eine
Mißdeutung der Betrachtungsweise seines Lehrmeisters.

Beim Lesen der Roggeschen Darstellung fragt man sich
manchmal, wie es möglich sein konnte, daß Agricola trotz
seiner nahen Bekanntschaft und seinem steten Verkehr mit
Luther dessen Theologie doch so völlig mißverstanden hat.
Denn obgleich Agricola in seinen Aussagen über Christi Wunden
als Grund der wahren Buße und über da6 Gesetz als Antreiber
zu knechtischer Furcht sich durchgehend auf Luthers
Aussprüche beziehen konnte, so muß man leider feststellen, daß
er sachlich gesehen Luthers Intentionen gar nicht verstanden
hat. Luthers „Gesetz und Evangelium"-Dialektik war ihm
grundsätzlich fremd, auch wenn er persönlich vom Gegenteil
überzeugt war.

Luthers anfängliche Unwissenheit der richtigen Sachlage
kann psychologisch dadurch erklärt werden, daß er Agricolas
Schriften kaum gelesen hatte. Luther war wie gewöhnlich arglos
in seinem Verhalten zu den Freunden und hatte keine Lust,
ihre Schriften zensurisch zu prüfen. Um so besser versteht man
6eine Wut und sein Mißtrauen, als er die wirkliche Bedeutung
der Willfährigkeit Agricolas entdeckte. In Luthers Unversöhn-
Iichkeit gegen Agricola nach der Entdeckung seiner Häresie
kommen aber gewisse weniger schöne Züge in der Persönlichkeit
des Reformators zum Vorschein.

Rogge hat in seiner gründlichen LIntersuchung die notwendige
theologische Vorarbeit geleistet zum Verständnis der endgültigen
reformatorischen Bußlehre. Die Durchführung dieser
Aufgabe, die in der Forschung lange genug versäumt worden
16t, erfordert eine systematische Konfrontation von Luthers,
Melanchthons und Agricolas Aussagen über die Buße. Rogge
macht Ansätze in dieser systematischen Richtung, er führt aber
die Aufgabe nicht ganz durch. Wer immer diese systematische
Konfrontation ausführen will, hat einen fruchtbaren Ausgangs-
Punkt in Rogges sorgfältigen Ausführungen. Keiner, der mit
Ernst die Theologie der Reformation studieren will, kann es
unterlassen, Rogges Untersuchungen zu berücksichtigen. Einige
Druckfehler, besonders bei Wiedergabe lateinischer Texte, kommen
aber vor in Rogges sonst 60 schöner Arbeit.

Helsinki Lauri Haikola

Althirn, Paul: Autorität und Freiheit in Luthers Stellung zur
Heiligen Schrift.

Grundier, Johannes: Lexikon der christlichen Kirchen und Sekten

»ntcr Berücksichtigung der Missionsgescllschaften und zwischen-
kirchlichcn Organisationen. Bd. I u. II. Wien - Freiburg - Basel:
Herder [1961]. XV u. V S., 1 378 Sp., 221* S. gr. 8°. Lw. DM 78.-.
Das mit staunenswertem Fleiß gearbeitete Lexikon ist als
Frucht einer zwölfjährigen Bemühung entstanden. Wenn man
sich vor Augen hält, wie die Gegenwartslage durch einen steigenden
religiösen Indifferentismus gekennzeichnet ist, dann
wirkt dieses Gesamtwerk imponierend durch das Aufzeigen all
der christlichen Konfessionen, Gruppen und Gemeinschaftsverbände
, die sich dem Evangelium verantwortlich wissen. Auf
der anderen Seite kann einen die vorliegende Zusammenstellung
auch nachdenklich stimmen, indem all die aufgeführten
zahllosen Zersplitterungen so recht deutlich machen, wie zerrissen
sich der Leib Christi einstweilen noch immer darstellt und
wie unendlich weit wir von der wiederzugewinnenden Einheit
entfernt sind.

Die Bestandsaufnahme umfaßt nicht nur die christlichen
Kirchen, Sekten und Missionsgesellschaften der Gegenwart, es
sind auch alle christlichen Gemeinschaftsbildungen mit aufgenommen
, die im Lauf der Jahrhunderte aufgetaucht und wieder
verschwunden sind. Jeder Artikel beginnt mit der Anschrift,
unter der die jeweilige Kirche, Sekte oder Gemeinschaft in ihrer
Leitung heute erreichbar ist. Es folgt ein kurzer Abschnitt der
Geschichte, eine knappe Darstellung von Lehre und Verfassung
und zuletzt der Hinweis auf die größere Organisation, deren
Mitglied die betreffende Gruppe ist. Das statistische Material
gibt Anhaltspunkte über die Größenverhältnisse, soweit darüber
Auskunft zu gewinnen war. Der Verfasser verleugnet
nicht 6eine katholische Herkunft. Doch ist anzuerkennen, daß
er sich um Objektivität der Berichterstattung allenthalben ehrlich
bemüht hat. Die Fülle des immensen Materials hat weithin
einen Kleindruck nötig gemacht, der selbst für gesunde Augen
angreifend zu lesen ist.

Tübingen Adolf Köbe rle

Persson, Per Erik: Evangelisch und Römisch-katholisch. Kernfragen
ly^der heutigen Diskussion. Berecht. Übers, a. d. Schwedischen v. H.-D.

Fischer. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1961]. 72 S. 8°.

Kart. DM 3.80.

P. möchte an einigen entscheidenden Motiven und Gedankenlinien
aufzeigen, wie in der heutigen Situation die Abgrenzung
zwischen der römisch-katholischen und der evangelischen
Position zu bestimmen ist. In den Mittelpunkt stellt er dabei
das Thema: Wort und Kirche, das er in drei Abschnitten behandelt
: Der Inhalt der kirchlichen Botschaft — das lebendige Wort
— die Gegenwart Christi in der Kirche.

Der Inhalt der kirchlichen Botschaft ist nach evangelischem
Verständnis „Gottes Erlösungstat durch Christus", „von der die
ganze Bibel Zeugnis gibt" (15). Nun redet die römische Theologie
keineswegs geringschätzig von der Bibel; diese ist für sie
durchaus Gottes Wort, aber ein dem kirchlichen Lehramt, das
zu höchst vom Papst wahrgenommen wird, zur autoritativen
Auslegung übergebenes Gotteswort. Die primäre Glaubensregel
ist daher für römische Christen das Lehramt selbst (regula fidei
proxima), „während Schrift und Tradition als .regula fidei
remota' erst in zweiter Linie für den Glaubensinhalt maßgebend
sind" (22). P. zitiert Schmaus: „In der Faktizität einer
kirchlichen Lehrentscheidung liegt ihre Legitimität" (21). Daher
dann solche Dogmen wie das von Mariä Himmelfahrt, die sich
weder aus der Schrift noch aus der ältesten Tradition erheben
lassen.

Lebendiges und lebenschaffendes Wort ist die kirchliche
Verkündigung nach evangelischem Verständnis deshalb, „weil
und insofern als sie den Menschen das Wort des Lebens
darreicht, das in der heiligen Schrift gegeben ist" (33). Nun ist
auch nach katholischer Lehre die Schrift vom Geist Gottes
inspiriert. Aber wenn ich heute dem Geist Gottes begegnen
will, muß ich mich an das kirchliche Amt halten; denn derselbe
Geist, der die Schrift einst inspiriert hat, assistiert heute dem
kirchlichen Lehramt — bis hin zur Gewährleistung der Unfehlbarkeit
. An die Stelle der viva vox evangclii tritt hier die viva
vox magisterii. „Die Gewißheit dafür, daß die Kirche . .. genau
das wiedergibt, was der Geist gesagt haben will, wird nicht aus
einer nachweisbaren Übereinstimmung der Verkündigung mit
der Schrift gewonnen, sondern diese Gewißheit schöpft die
Kirche aus sich selbst" (39). Sie gründet sich auf ihre eigene
Unfehlbarkeit.

Die Gegenwart Christi in der Kirche ist nach evangelischem
Verständnis primär 6eine Gegenwart im Evangelium, nach katholischem
seine Gegenwart im Amtsträger. Je nachdem ist entweder
das Amt zu sehen als Dienst am Evangelium, der Amtsträger
als Herold des Evangeliums oder umgekehrt die Evangeliumsverkündigung
als kirchliches Amtsprivileg.

P.s Schrift kann auch gebildeten Nichttheologen empfohlen
werden.

Halle/Saale Erdmann S c h o t (

Luther — Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 33, 1962 S. 41—51.
" a r t o S, F. M.: Cusanus and the Hussite Bisliop M. Lupäi.

Communio Viatorum 5, 1962 S. 35—46.
Ebnet er, Albert: Luther und das Konzil.

Zcitsdirift für katholische Theologie 84, 1962 S. 1—48.
L u d o I p h y. Ingetraut: Luther über Astrologie.

Luther — Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 33, 1962 S. 65—76.
• o 1 n ä r, Amedco: Voyage d'ltalie.

Communio Viatorum 5, 1962 S. 28—34.

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