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Ausgabe:

1962 Nr. 11

Spalte:

840-843

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wilckens, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die Missionsreden der Apostelgeschichte 1962

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 11

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Was ist an sicheren Ergebnissen gewonnen? Doch eigentlich
nur dies, daß es im Diasporajudentum Weise gab, die die
himmlische Weisheit suchten und sie anderen lehrten1, und daß
es, vor allem wohl im Raum von Antiochien, Pneumatiker gab,
die ihre religiösen Erlebnisse betonten und zur Schau stellten,
insbesondere wohl Apokalyptiker jüdischer Prägung, die etwa
in Form einer Himmelsreise in die göttlichen Geheimnisse eindrangen
und diese auch in Kreisen, wie sie sich um die Henoch-
schriften sammelten, weitergaben. Mit E. Käsemann2 sähe ich3
sie freilich auch schon in Samarien und Jerusalem, in größerer
Nähe zur Urgemeinde. Daß solche Kreise auch die paulinischen
und überhaupt christlichen Gemeinden mitprägten, sie zum
Teil auch gefährdeten, leugne ich nicht. Es ist auch verdienstlich
, sie in so ausführlicher und detaillierter Weise in Verbindung
mit der späteren Gnosis gestellt zu haben. Nur sähe ich
darin die durch den christlichen Apostolat, vor allem durch
Paulus, mitbestimmte Weiterentwicklung, solange sich dafür
keine frühen Belege finden und solange die späten Quellen
nicht gründlich auf die verschiedenen Schichten hin analysiert
6ind. Denn als außerchristliche Gefahr tauchen ja die Gnostiker
im NT überhaupt nicht auf, und die christlichen Gnostiker, die
vom NT her zu erschließen sind, scheinen mir synkretisierende
Pneumatiker zu sein, die christliche Gedanken hellenisieren.
Jedenfalls findet sich der Ausdruck (Erlöser-) „Leib" m. W. nur
in sicher von Paulus abhängigen Schriften mit der einzig möglichen
Ausnahme von Cl. AI. Exc. Theod. 42 und gewissen
späten manichäischen Aussagen. Wohl aber verrät Kol. 1,15—20
noch eine Interpretation der paulinischen Aussagen aufgrund
des jedem Hellenisten geläufigen Bildes vom göttlichen Kosmosleib
, die der Verfasser dann wieder im Sinne des Paulus
zurechtrückt4. Ich leugne damit nicht, daß ein Interesse am
Menschen, besonders am göttlichen Idealmenschen, also jüdisch
gesprochen am Menschen vor dem Fall, platonisch-philonisch an
der himmlischen Idee „Mensch", damals weitverbreitet war,
und daß die Erkenntnis dieses Menschen erlösende Kraft haben
konnte. Insofern kann man von einem „Denkmodell" sprechen,
das schon in der Luft lag. Aber von da aus ist es ein großer
Schritt bis zur Bildung gnostischer Systeme, die kräftig genug
gewesen wären, eigentliche gnostische Gemeinden hervorzurufen
und gnostische Apostel zu schaffen. Will man aber den christlichen
Apostolat davon ableiten, müßte man zuerst zeigen, daß
es Juden oder Hermesanhänger oder andere gab, die solche
Gedanken missionarisch verkündeten. Eine Sendung eines
irdischen Missionars ist jedenfalls für das alttestamentliche
Prophetentum und in seinem Gefolge für jüdische Apokalyptiker
sehr viel konstitutiver als für gnostische Systeme (von
deren Existenz zu jener Zeit wir außerdem nichts wissen). Da
auch die von Paulus so betonte Völker mission als eschato-
logisches Ereignis und die Tatsache, daß diese nach Paulus zum
eigentlichen Topos des Glaubensbekenntnisses wird6, nur von
jenem Hintergrund her verständlich wird, sehe ich nicht ein,
was die hypothetische Zwischenschaltung von gnostischen Gemeinden
hilft, obwohl ich mir gern sagen lasse, daß allerlei
Apokalyptiker und Pneumatiker Paulus und seine Gemeinden
mitgeprägt haben mögen.

Damit sind die oben gestellten Fragen noch nicht beantwortet
. Ich kann dazu nur noch Folgendes zur Erwägung geben:
Gl. 1,16 zeigt, daß Paulus seinen Apostolat von seiner Berufung
in Damaskus her datiert, und Gl. 1, 17 beweist, daß es
schon vor Paulus Apostel gab, die jedenfalls damals in Jerusalem
waren. Dazu gehörte sicher Petrus. Das muß sehr kurz
nach Jesu Tod gewesen sein, wenn doch das Apostelkonzil 14
(+ 3) Jahre nach der Berufung des Paulus stattfand. Da die
Erscheinung Jesu vor Petrus und den Zwölfen durch l.K. 15,5

*) H.Köster weist in Gnomon 1961, 595 für die Herkunft der
personifizierten jüdischen Sophiagestalt auf die Adiikarlegende der
Elephantinepapyri hin.

2) New Testament Studies 1, 1954/55, 257 f., Z. Th. K. 1960,
162 ff.

3) Th. Wb. VI 402, A. 462; Gemeinde und Gemeindeordnung
21962, Abschnitt 3 o.

*) ThLZ 1961, 163. 241 ff., Th. Wb. Artikel oü/ta.
6) New Testament Studies 8, 1961/62, 1 ff.

gesichert ist, und da sich die leitende Rolle der Zwölf mindestens
für die Gemeinde von Q in Mt. 19,28 spiegelt, wäre die
Nichterwähnung der Zwölf in Gl. 1,17 f. schwer begreiflich,
wenn sie nicht eben in den „übrigen Aposteln" eingeschlossen
wären. Freilich ist ihr eigentlicher Titel „die Zwölf". Auch der
jüdisch präformierte (lQSal,12) Titel „Säulen" dürfte 6ie oder
einige von ihnen (und Jakobus) bezeichnet haben. Im Zentrum
stand ihre eschatologische Rolle als Regenten des künftigen
Israel (Mt. 19, 28; Lk. 22, 30 Q)e. Ich meine, daß die Wahl der
Zwölf auf den irdischen Jesus zurückgeht; jedenfalls macht aber
die Tatsache, daß sie mit Petrus die Ersterscheinungen hatten,
höchst wahrscheinlich, daß es Jünger des Irdischen waren, auch
wenn die Zwölfzahl samt dem Titel sich erst nachösterlich
herausgebildet hätte. Aber ob sie Jünger des Irdischen waren
oder nur als solche galten, jedenfalls lag es sehr nahe, 6ie als
die „scheluchim", die „Bevollmächtigten" Jesu zu verstehen, die
vom Scheidenden mit der Leitung seiner Gemeinde beauftragt
waren. Ob sie das je alle taten, wissen wir nicht; aber
Mt. 19,28 beweist jedenfalls die entsprechende Vorstellung für
die hinter Q stehende Gemeinde. Sätze wie „Wer euch hört,
hört mich" (Lk. 10,16) wurzeln hier. „Schaliach" hieß auf Griechisch
„apostolos". Erst hier verbindet 6ich damit der Begriff
des Missionars, und erst durch die Konzeption von der escha-
tologischen Weltmission wird der Titel dann bei Paulus theologisch
zentral. Das erklärt, daß er zunächst in der synoptischen
Tradition kaum erscheint, daß später aber die Zwölf als die
von Jesus ausgesandten Juden- (ML 6, 7 ff.; Mt. 10, 5 ff.) und
Heidenmissionare (Mt. 28, 19) angesehen werden. Es erklärt
auch, daß Paulus von Anfang an mit dem Titel Apostel (griechisch
■= Missionar, Bote) den Sinn des Bevollmächtigten verbindet
und diesen Sinn gegen die Galater verteidigt (Gl. 1, 1 ff.).
Vor und neben Paulus sind Gemeindeboten und Missionare
unbetont (2. K. 8, 23; Phil. 2, 25; Jh. 13, 16; event. R. 16, 7)
Apostel genannt worden. Daß Paulus der eigentliche Schöpfer
des Apostolates im strengen Sinn war, spiegelt sich auch in
Stellen wie Kol. 1,23. 25; Eph. 3, 2. 6-8; 1. Tim. 1,11; 3,16;
2. Tim. 1,11; Tit. 1,3; auch R. 16, 25 f., die zeigen, welch
mächtigen Eindruck seine Völkermission hinterließ7. Da Paulus
so den Apostel als eschatologischen „Bevollmächtigten" Jesu
verstand, wurden die Zwölf als Apostel in diesem Vollsinn bezeichnet
, sobald sie im Kampf gegen ein sich in pneumatischen
Erscheinungen auflösendes Christentum zu den von Jesus bevollmächtigten
Garanten der Tradition wurden. Die Wahl des
Wortes mag auf eine relativ unbetonte Bezeichnung der Zwölf
zurückgehen; der Inhalt ist von Paulus aufgrund der apokalyptischen
Schau der Völkermission geprägt worden. Erst nachdem
er dadurch zentral geworden ist, hat ihn die Gemeinde
betont auch für die Zwölf verwendet und zum Teil auf sie
eingeengt.

Zürich Eduard Schweizer

") Vgl. dazu C.K.Barrett (bei Schmithals irrtümlich: Barret), Paul
and the Pillar Apostles, in Studia Paulina in hon. J. de Zwaan, 1953
(fehlt bei Schmithals in seinem 6onst sehr umfassenden Literaturverzeichnis
).

7) ThLZ 1961, 246 ff.

Wilckens, Ulrich: Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Formund
traditionsgeschichtliche Untersuchungen. Neukirchen: Neukir-
chencr Verlag der Buchhandlung des Erzichungsvereins 1961. 238 5.
gr. 8° = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen
Testament, hrsg. v. G. Bornkamm u. G. v. Rad, Bd. 5. DM 25.50;
Lw. DM 27.85.

Der ,Analyse' überschriebene Teil II (56—186), der Haupt'
teil des Werkes, endet mit dem Ergebnis: „Die Apostelreden der
Acta . . . sind nicht als Zeugnisse alter oder gar ältester U'r'
christlicher Theologie, sondern lukanischer Theologie des ausgehenden
ersten Jahrhunderts zu werten" (186, kursiv). Dam'1
polemisiert W. gegen alle Versuche, mit Hilfe der Reden der Ag-
(und anderer Schriften des Neuen Testaments) so etwas wie cine
einheitliche Urverkündigung zu rekonstruieren. Das Vertrauen.
das die Texte in dieser Hinsicht weithin genossen, und das nach
W.s forschungsgeschichtlicher Einleitung (7—31) vor allem durch
M. Dibelius und C. H. Dodd begründet wurde (13-19. I87)'