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Ausgabe:

1962 Nr. 11

Spalte:

829-830

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fascher, Erich

Titel/Untertitel:

Vom Anfang der Welt und vom Ursprung des Menschengeschlechts 1962

Rezensent:

Leipoldt, Johannes

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Seite 1

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829

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 11

830

der Dank der Leser, daß wenigstens die vorhandenen Aufzeichnungen
einem größeren Kreis durch den Druck zugänglich gemacht
worden sind.

G. Merz war ein begnadeter Erzähler, der mit Erriet und
Humor Situationen und Menschen schildern konnte. Einzelne
Kapitel aus der Kindheit in Schirnding und der Schülerzeit in
Bayreuth eignen sich gut zum Vorlesen. Sie sind z. T. eigene
Aufzeichnungen mündlicher Berichte, die G. Merz im Kreise von
Freunden und Schülern gegeben hat.

Von besonderem theologischen Interesse — auch über den
großen und sehr vielgestaltigen Kreis von Freunden und Bekannten
hinaus — sind die Kapitel Nürnberg (IV), Studienjahre
(V) und München (VI), in denen Merz Einblick gibt in
«einen eigenen Werdegang, in die Zweifel und Sehnsüchte der
geistig wachen Generation vor dem ersten Weltkrieg, in seine
Begegnung mit dem Liberalismus und da6 Studium in Leipzig
und Erlangen. Mit großer Liebe zeichnet er das Bild seines
Lehrers Albert Hauck. Die Berichte über seine Begegnungen mit
Fr. Rittelmeyer, R. Steiner, Chr. Geyer, Johs. Müller und schließlich
mit dem jüngeren Blumhardt lassen etwas spüren von den
menschlichen und theologischen Auseinandersetzungen, die seinen
Weg bestimmten. Von kirchen- und theologiegeschichtlicher
Bedeutung sind die spannungsgeladenen Kapitel, in denen er
über den Neuaufbruch in Kirche und Theologie nach dem ersten
Weltkriege spricht. Sie sind überschrieben „Christian Kaiser —
Römerbrief" und „Zwischen den Zeiten", und halten die Erinnerung
daran lebendig, wie K. Barths Römerbrief an den
Kaiserverlag und damit zu einem großen deutschen Leserkreis
kam und wie mit der Gründung der Zeitschrift Zwischen den
Zeiten (1922) ein neues Kapitel in der evangelischen Theologie
aufgeschlagen wurde.

Diese Ausführungen über den letzten Zeitabschnitt der
Erinnerungen bekommen Anschaulichkeit und Farbe durch einige
Briefe aus dieser Zeit, die G. Merz an Karl Barth und Eduard
Thurncysen geschrieben hat und die die Empfänger freundlicherweise
für den Druck zur Verfügung gestellt haben. Diese Briefe
fügen sich den aus dem Rückblick zitierten Erinnerungen nicht
glatt ein. Das ist nur zu verständlich. Das aber macht gerade
die Besonderheit dieser Kapitel aus. Die Zeiten schieben sich
ineinander, die Vergangenheit wird offen zur Gegenwart hin.
Die leider nur spärlichen Notizen über die Zeit des Neuaufbruchs
in den zwanziger Jahren enthalten keine Ansätze zur
Verherrlichung von Menschen oder ihrer Entscheidungen. Das
Kapitel „Zwischen den Zeiten" schließt mit folgenden Sätzen:
• •Bei allen Erwägungen galt, den kirchlichen und theologischen,
"•cht zuletzt bei dem Blick auf die Welt: „Veni, creator Spiritus
! Komm Schöpfer Gei6t". Eine Bitte, die in diesen Anfangsjahren
oft an entscheidender Stelle aufklang und von der dieses
ganze Unternehmen bestimmt war" (S. 257).

G. Merz hat das Kapitel der Thcologicgcschichte, das mit
der Herausgabc von Zwischen den Zeiten begann, deren
Schrift! eiter er war, nicht mehr selber abschließend behandeln
können. Das Buch bringt in einem Anhang nur noch einige
Kurze Bemerkungen über die Zeit in Bethel und Würzburg und
über den Neuanfang nach dem zweiten Weltkriege in Neuen-
dettelsau (Kirchliche Hochschule). Vielleicht dürfen wir das verstehen
als Zeichen dafür: Wir leben kirchlich und theologisch
n"ch zwischen den Zeiten. Im Blick auf Kirche und Theologie
^t diese Bitte nach wie vor notwendiger als alles andere:
"Veni, Creator Spiritus!"

Neuendeltclsou Wilhelm Andersen

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Äscher, Erich: Vom Anfang der Welt und vom Ursprung des

Menschengeschlechts. Eine Studie zur Religions- und Kulturgeschichte.

Berlin: Töpclmann 1961. VI, 75 S. 8° - Aus der Welt der Religion.

Forschungen und Berichte, hrsg. von E. Fa scher, H.-W. Gensichen.

G. Mensching u. G. Widcngrcn, N. F. 3. DM 8.—.

Der Verf. behandelt eine Vorstcllungswelt, die in der
Religionswissenschaft unserer Tage wohl zu kurz 'kam. Mit
Lessings Gedanken übeT den Anfang aller Dinge beginnt er; 6ie
Scheinen uns heute besonders überlebt. Daran schließt sich

eine ausführliche Darlegung der Gedanken, die die Kirchenväter
über die Entstehung von Welt und Menschheit äußerten; dabei
wird das Verdienst dieser Männer um eine Einteilung des gesamten
Geschichtsvcrlaufs anschaulich. Ein zweiter Teil stellt
dieselben Gedanken heraus, wie sie im Alten und Neuen Testamente
und im verwandten Schrifttume hörbar werden. Ein dritter
Teil untersucht die griechische Lehre von der Mutter Erde
und den Autochthonen. Ein Anhang unterrichtet über die Bedeutung
der Gestalt Adams.

Eine bewundernswürdige Gelehrsamkeit wird vor uns ausgebreitet
. Das soll nicht heißen, daß Vollständigkeit erstrebt
würde. Das ist auf begrenztem Räume nicht möglich. Es wäre
aber an verschiedenen Stellen lehrreich, die Forschung fortzusetzen
. So bietet das alte Morgenland noch manchen lehrreichen
Tatbestand. Im Altägyptischen ist das Wort für „Land, Erde"
männlichen Geschlechts: was wird da mit der Vorstellung von
der Mutter Erde? Es kommt aber gelegentlich vor, daß Isis und
Osiris als Schlangen vorgestellt werden, also als Wesen, die
ihrer Natur nach zur Erde gehören. Bezeichnend ist für Ägypten
die Vorstellung, daß ein Gott die Menschen auf der Töpferscheibe
formt. Das hat wohl auf gewisse Bilder des biblischen
Sprachgebrauchs eingewirkt, noch auf Stellen wie Rom. 9, 20 f.,
die natürlich zunächst etwa von Weish. 15,7 abhängen mögen.
In der griechisch-römischen Welt geben gelegentlich Grabschriften
Rätsel auf. In einer Grabschrift (Dess. Nr. 8168) erklärt
eine virgo: mortua heic ego sum et sum cinis, is cinis terrast,
sein est terra dea, ego 6um dea, mortua non sum. Ist dieser
Glaube an die Mutter Erde ernst gemeint oder enthält er eine
(volkstümliche) Kritik?

Ich will damit nicht sagen, daß ich in der Darstellung des
Verfs. etwas vermisse. Er hat aus einem reichen Befunde
Wesentliches herausgeholt. Es ist natürlich unmöglich, hier ein
System zu finden. Dazu ist der Stoff, der hier ausgebreitet wird,
zu volkstümlich. Dennodi ist das Vergleichen von besonderem
Werte. Es ist nur selten möglich, einen Stammbaum der Überlieferung
zu finden, also ihre Geschidite festzulegen. Aber viele
feine Beobachtungen, die die Darstellung bringt, führen uns
mit Hilfe von Vergleichungen in den Geist der mitgeteilten Geschichten
ein. Man wird nicht leicht den Unterschied der beiden
Schöpfungsberidite Gen. 1 f. irgendwo anschaulicher gefaßt finden
als bei unserem Verf. Ebenso wird die Besonderheit des
jüdischen Glaubens gegenüber dem griechischen jedermann deutlich
, der die Sammlungen und Urteile des dritten Abschnitts an
sich vorüberziehen läßt. So werden wertvolle Unterlagen für
allgemein religionsgeschichtliche Betrachtungen gewonnen.

Wir danken dem Verf. für seine reiche Gabe und würden
uns freuen, wenn er auf dem Gebiete weiter arbeitete. Diese
Fragen sind durdiaus gegenwartsnah: es ist ganz in Ordnung,
daß öfters des Naturwissenschaftlers v. Weizsäcker gedacht wird.

Ahrenshoop Johannes Leipo 1 (11

Kri»s, Rudolf, u. Hubert Kriss-Heinrich: Volksglaube im
Bereich des Islam. Bd. I: Wallfahrtswesen und Heiligenverchnmg.
Wiesbaden: Harrassowitz 1960. XXIV, 359 S., 183 Abb. a. 105 Taf.
gr- 8". DM 62.-.
Die Verfasser des vorliegenden Werkes sind Volkskundler,
die sich seit langem mit der Erforschung des europäischen
Volksglaubens, insbesondere auf dem Gebiet des Wallfahrtswesens
und der Heiligenverehrung, der Amulette und Zauberformeln
beschäftigen. Beim Studium des neugriechischen Wallfahrtswesens
, dem ihr Buch „Peregrinatio neohellenika", Wien
1955, gewidmet ist, gab ihnen ein Aufenthalt in Istanbul die
Anregung, 6ich näher mit verwandten Erscheinungen im Bereich
des Islams zu beschäftigen, und das reiche Material, das sie
1954—59 auf fünf Reisen in Ägypten und dem Sudan, in Jordanien
, Syrien, dem Libanon, ßowie in der Türkei und in
Jugoslawien sammelten, bildet die Grundlage für das vorliegende
Werk, das nicht den Volksglauben im gesamten Islambereich
systematisch darstellen will, sondern nur als vorläufiger
Überblick über Wallfahrtswesen und Heiligenverehrung in den
Ländern rings um das östliche Mittelmeer gedacht ist. Der
zweite Band soll dann Amulette, Zauberformeln und Beschwö-