Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1962

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 1

60

Dockes, L., Prof. Dr.: Der Heilige. Quado? und Hagios in der re-
• formierten Theologie des 17. u. 18. Jahrhunderts. Franeker: Wever
- 1960. 247 S. gr. 8°. Kart. hfl. 9.50.

Die fleißige Arbeit, die ihre Quellen dankenswerterweise
durchweg im ausführlichen Urtext darbietet, beginnt mit einer gerafften
Einleitung über die Deformation der Heiligkeitsauffassung
in der vorreformatorischen Kirche (Origenes, Pseudo-Dionysius,
Tertullian, Augustin, Alexander v. Haies [dieser relativ ausführlich
dargestellt], Thomas von Aquin). Sie wendet sich dann der
reformierten Theologie des 16. Jahrhunderts, insbesondere Calvin
, zu. Indem der Reformator sich gegen die römische Auffassung
wendet, sucht er nach rechter Wiedergabe der offenbar
auseinanderstrebenden Bedeutungen von qadoS und hagios, die
„varie et multipliciter" gebraucht werden. Die Variationen seiner
Begrifflichkeit vererben sich an das 17./18. Jahrhundert.

In diesen beiden Jahrhunderten selbst zeigt sich die Tatsache
, daß die reformierte Theologie sich dem paganen, antik-
heidnischen Verständnis dessen, was „Heiligkeit" bedeutet, nicht
entziehen konnte (wie auch Calvin teilweise unter diesem Einfluß
steht). Man machte nahezu keinen Unterschied zwischen den
Begriffen qadoä, chasid, hagios, hosios, teleios, eusebes u. a.
Insbesondere wirkte sich die einlinige Gleichsetzung von „Heiligkeit
" mit „Absonderung" oder mit „Reinheit" oder mit „Vollkommenheit
" verhängnisvoll aus. Die etymologische Frage blieb
im 17./18. Jahrhundert ungelöst; das in diesem Bereich tradierte
pagane Gut (z.B. hagios = a-geios — unirdisch) wirkte zähflüssig
nach. Der Begriffsinhalt von „Heiligkeit" entwickelte 6ich schließlich
auf den rationalistischen (sozinianischen) Vorstellungskreis
einer Besserung der Sitten hin. Die „Heiligkeit Gottes" wurde
zunehmend Gegenstand philosophischer Spekulation. Im Hinblick
auf die Heiligkeit Israels im AT hin, hatte im Denken des 18.
Jahrhunderts schließlich die föderale Heiligkeit keinen Platz
mehr gegenüber der Heiligkeit als einer Qualität des wiedergeborenen
Individuums. Ähnlich verwandelte sich die Betrachtung
des Volkes des Neuen Bundes in NT. Ekklesiologisch wurde das
Thema „Heiligkeit der Kirche" mit dem Thema „Heiligkeit des
Christen" identifiziert oder durch das zweite verdrängt. In der
Frage nach der Heiligkeit der Kinder der Gläubigen wurde in
komplexer Entwicklung die Heiligkeit der Kinder am Ende unlöslich
mit ihrer Wiedergeburt verbunden — an Stelle der föderalen
Heiligkeit, die allen Kindern der Heiligen in der Taufe versiegelt
wird. Angesichts der auch heute noch nicht abgeschlossenen
Debatte um qadoS und hagios möchte der Verfasser den
besonderen Zusammenhang zwischen der Heiligkeit Gottes und
seiner Herrlichkeit (qabod) betonen: „Von daher muß diese
Heiligkeit verstanden werden als die Eigenschaft Gottes, durch
welche Er in allem sich selber sucht und alles auf seine Verherrlichung
richtet. Auf diese Weise erzeigt er sich als den Heiligen."
Heiligung des Geschöpfes bedeutet entsprechend, daß es „der
Verherrlichung des Namen* Gottes dienstbar gemacht wird. Dies
kann auf verschiedene Weise geschehen in Übereinstimmung mit
der verschiedenen Bestimmung, die Gott vom Anfang der Welt an
einem jeden Geschöpf gegeben hat, oder zu einem bestimmten
Zeitpunkt der Geschichte gibt" (233).

Sehr erwünscht erscheint eine Fortsetzung der verdienstvollen
Arbeit, in der das gesammelte Material in den Rahmen
der Theologiegeschichte des 17./18. Jahrhunderts gestellt wird.
Vor dem Hintergrund der typischen Situation der hochbarocken
Orthodoxie, des umfassenden Einflusses der 6panisch-jesuitischen
Barockscholastik auf die gesamte protestantische Dogmatik, des
ab 1680 beginnenden doxologischen Durchbruchs der britisch-
niederländisch-deutschen-skandinavischen Frühaufklärung, in der
„Heiligkeit" und „Herrlichkeit" sich wechselseitig interpretieren,
dürften sich wohl auch für den dargestellten begriffsgeschichtlichen
Verlauf interessante Differenzierungen ergeben. Die dargestellte
„Entwicklung" beschränkt sich vielleicht zu sehr auf
eine Registrierung theologischer Synonyme zum Begriff „Heiligkeit
", denen dann die Definitionen der dezidierten Wolffianer
J F. Stapfer und D. Wyttenbach gleichsam als Endpunkt einer
Evolution gegenüberstehen (100, 120f.). Das 18. Jahrhundert aber
ist keineswegs mit Christian (v.) Wolff gleichzusetzen, und die
Gefahr einer Postulierung von geistes- und thcologiegeschicht-

j liehen „Gefällen" durch die offene oder latente Ausrichtung nach
| „Epochengestalten" muß wohl bewußt vermieden werden.

Mnrburg/Lahn Wolfpang Phi 1 ipp

Johnson, Alex: Eivlnd Berggrav. Mann der Spannung. Mit einem
Geleitwort von Hanns Lilje. Übers, a. d. Norwegischen von G. Klose.
Göttingen: Vandenhoeck Sc Ruprecht [i960]. 200 S. 8°. Lw. DM 12.80.

Schon knapp ein Jahr nach seinem Hinscheiden liegt über
den norwegischen Bischof Eivind Berggrav eine biographische
Darstellung vor. Sie ist für einen breiteren kirchlichen Leserkreis
gedacht, der sich auch in Deutschland für dieses Buch finden wird.
Denn Berggrav, der politische Widerstandskämpfer, der Mann
der Ökumene, hat nach dem letzten Kriege auch in Deutschland
einen Namen erhalten. Das wird durch das Einleitungswort von
Hanns Lilje unterstrichen. Das Buch ist nach einzelnen Lebenskreisen
gegliedert, durch die der biographische Leitfaden sich
hindurchzieht, ohne daß der Leser eigentlich spürt, daß er einem
Entwicklungsgang folgt und dabei doch das Notwendige erfährt,
bis hin zu den persönlichsten Dingen. Auf diese Weise wird auch
der geistige und theologische Werdegang deutlich gemacht. Der
Pfarrerssohn, der wegen seiner naturwissenschaftlichen und mehr
auf praktische Tätigkeit gerichteten Neigungen eigentlich Ingenieur
werden wollte, entschied sich schließlich doch für die
Theologie, geriet in die christliche Studentenbewegung, deren
Vorsitzender er später wurde. Köstlich die von der Weltbund-
Konferenz in Zeist geschilderte Szene, wo John Mott für die
Gebefreudigkeit der versammelten Studenten betet, die währenddessen
auf einen Zettel die Summe des erwarteten Opfers schreiben
sollen. Berggrav ist zu 1000 Kronen entschlossen. Als er
aber durch ein verstohlenes Blinzeln auf dem Zettel des befreundeten
Nachbarn nur 50 Kronen liest, senkt auch er die Quote
rasch auf die gleiche Summe. Angedeutet 6ind die Zweifel, in die
er bald geriet: die Abkehr von der „liberalen" Theologie, die
Hilfe von der im Grunde zeitlebens festgehaltenen Religions-
Psychologie. Im Hintergrunde stehen die religions-pädagogi6chen
Konzeptionen Grundtvigs, die ihm vom Vaterhause folgten. So
war er einige Jahre nach dem Amtsexamen als Lehrer tätig, gelangte
im langen Ringen von der Seelenkunde zur Christusfrage,
ging nach 11 langen Jahren zum ersten Male wieder zum Abendmahl
, ein Wendepunkt in seinem Leben, der den Reifeprozeß abschloß
und ihm seine künftige Lebensbahn wies. Seine journalistische
und pädagogische Begabung blieb ihm auch jetzt erhalten
, aber die Kirche wurde der Ort seines eigentlichen Wirkens.
Es blieb auch der Spannungsbogen. Unter ihm vollzog sich auch
der von ihm geführte Kirchenkampf in den Jahren der deutschen
Besetzung Norwegens bis hin zur Haftzeit. Dokumentarisch
höchst interessant die Wiedergabe seines Gesprächs mit Himmler
und Terboven und die aus dem Jahre danach stammende bekenntnisartige
Erklärung über den „Grund der Kirche". — So ist das
Buch eine anregende Lektüre und doch noch mehr als das: ein
Anstoß zum Nachsinnen über ein Stück Kirchen- und Theologiegeschichte
, deren Drehpunkte wohl der Vergangenheit angehören,
in der Persönlichkeit des Osloer Bischofs jedoch eine bis an die
Schwelle unserer Tage wirksame Gestalt gewonnen haben.

Berlin Karl K u piscb

Ceyssens, L.: Les dernieres annies de Boonen. Archeväque de
Malines.

Augustiniana 11, 1961 S. 87—120.
C h e v a 11 i e r, Pierre: Les sources de l'histoire des Augustins fran-

cais (Grands Augustins et Augustins reformes) de 1766 ä 1789.

Augustiniana 11, 1961 S. 154—180.
Duval, A.: Lacordaire et Buchez. Idealisme revolutionnaire et reveil

religieux en 1839.

Revue des Sciences Philosophiques et Theologiqucs 45, 1961 S. 422
- 455.

Feurich, Walter: Die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens an der

Wende der Jahre 1933/34.

Evangelische Theologie 21, 1961 S. 368—381.
Härder, Günther: Ist der Kirchenkampf noch aktuell?

Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 347—350.
L u i j k, Benigno van: Padre Giannicola Chiesa, Agostiniano (1695

—1782).

Augustiniana 11, 1961 S. 121—153.