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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

791-792

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Winkler, Eberhard

Titel/Untertitel:

Exegetische Methoden bei Meister Eckhart 1962

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

792

Ptolemäerzeit) völlig einfügt. Der ausführliche Vergleich mit Philon
(S. 3 5—56) zeigt eindeutig, daß A. keinesfalls später als dieser angesetzt
werden darf; vielmehr gehört die Art seines Denkens einem
weit vor Philon liegenden Anfangsstadium der Begegnung zwischen
jüdischem und griechischem Geist an. Auch später als Pseudo-Aristeas
ist A. nicht anzusetzen; die Septuaginta - Legende ist älter als ihre
Benutzung durch Pseudo-Aristeas, wörtliche Berührungen sind nicht
im Sinne der Abhängigkeit des A. aufzufassen. Ebenso wei6t 6eine
Art der Thora-Auslegung eindeutig in die Zeit vor Pseudo-Aristeas
und erst recht vor Philon (vgl. S. 97—102). Mit Pseudo-Hekataios
und dem Gnomologion gefälschter Verse (Pseudo-Sophokles usw.) hat
A. nichts zu tun (auf die von ihm zitierten Siebenerverse geht eine
Beilage, S. 105—118, ein); die Spätfassung des jüdisch - orphischen Gedichts
, die Eusebios im Rahmen eines Aristobulosfragments bietet,
kann dort ursprünglich und noch zur Zeit des Clemens nicht gestanden
haben.

Der 4. Abschnitt (S. 84—102) wendet sich der Methode der
Thoraauslegung des A. zu. A. hat noch nicht die Thora im ganzen
nach Analogie der stoischen Homerdeutung allegorisch ausgelegt (das
geschieht erst später, bei Pseudo-Aristeas und vor allem bei Philon);
«eine Auslegungsweise läßt sich umfassend nicht als Allegoristik,
sondern eher mit dem Stichwort „hellenistischer Midrasch" (Freudenthal
) charakterisieren. Nur anthropomorphische Züge im alttestament-
lichen Gottesbild erklärt er allegorisch, weil sie sonst philosophischen
Anstoß erregen. Dabei geht es ihm um den einen, von Mose gemeinten
Sinn des Textes; der Gedanke an einen zweifachen Schriftsinn
oder an eine Totalallegorese ganzer Geschichten oder Gestalten der
Thora liegt ihm noch gänzlich fern. Selbst die vorsichtigen allegorischen
Deutungen jener Einzelzüge meint er erst umständlich rechtfertigen
zu müssen; er kann also noch keineswegs an eine Tradition
jüdisch - alexandrinischer Thoraallegoristik anknüpfen. Daß er zwischen
der Auslegung der Thora und der griechischer Texte einen grundsätzlichen
Unterschied empfindet, geht aus der Freiheit hervor, mit
der er einen Homervers als ganzen allegorisiert, ohne dieses Vorgehen
erst zu begründen, und in Aratosversen philosophische Anstöße
durch Textänderung beseitigt. A. kennt also die verschiedenen Methoden
der zeitgenössischen Philologie; daß er sich gegenüber der
Thora vorsichtiger verhält, zeigt, daß sie ihm in ganz anderer Weise
als Homer und Aratos verbindlicher Text, weil Glaubensautorität ist.

Die Arbeit soll zusammen mit zwei weiteren, durch sie veran-
laßten Untersuchungen (über Pseudo-Hekataios und das Gnomologion
gefälschter Verse sowie über die Entwicklungsgeschichte des jüdisch-
orphischen Gedichts) in den „Texten und Untersuchungen" (Akademie-
Verlag, Berlin) gedruckt werden. i

Winkler, Eberhard: Exegetische Methoden bei Meister Eckhart,
dargestellt im Rahmen der Geschichte der Hermeneutik. Diss.
Rostock 1961. 219 S.

Meister Eckharts Schriftauslegungen erweisen sich als weitgehend
unabhängig von der scholastischen Hermeneutik. So fehlt bei Eckhart
das Schema vom vierfachen Schriftsinn, das von den Scholastikern in
der Regel akzeptiert wurde. In der Durchführung seiner Exegese läßt
Eckhart die Literalexegese zugunsten der Allegorese stark in den
Hintergrund treten. Oft hat die Auslegung so wenig Beziehung zum
Literalsinn, oft weicht die Methodik so stark vom traditionellen Stil
ab, daß die Frage entsteht, ob hier noch von Exegese gesprochen
werden kann, oder ob Eckhart den Kommentar nur als Darstellungsform
für sein philosophisch-theologisches Werk benutzt.

Um diese Frage beantworten zu können und gleichzeitig eine
Einordnung des Meisters in die Geschichte der Hermeneutik zu ermöglichen
, werden im 1. Teil (S. 1—60) „Gmndzüge der patristischen
und scholastischen Hermeneutik" skizziert. Dieser Teil mußte notgedrungen
auf einer fragmentarischen Kenntnis des umfangreichen
Qucllenmaterials beruhen. Wertvolle Hilfe bot H. de Lubac, Exegese
mcdievale, Paris 19 59.

Als Kernpunkt der Darstellung wurde die Lehre vom vierfachen
Schriftsinn gewählt. In einem ersten Abschnitt werden in systematischer
Form Grundlagen und Voraussetzungen dieser Lehre gezeigt.
Der folgende Abschnitt stellt die Entwicklung vom zweifachen zum
vierfachen Schriftsinn dar und zeichnet damit in großen Zügen die
Geschichte der mehrfachen Schriftauslegung vom Barnabasbrief bis zu
Thomas von Aquino. In der Entfaltung der Lehre vom vierfachen
Schriftsinn wird wiederum die systematische Form der chronologischen
vorgezogen. Dabei ergab sich, daß die Dreiteilung des sensus mysticus
sive spiritualis nicht als dessen notwendige Entfaltung zu verstehen
ist. Sie ist vielmehr einerseits praktisch -paränetisch motiviert, andererseits
historisch aus dem „Zusammenfließen zweier origgnistischer
Schemata" (v. Dobschütz) erklärbar. In der exegetischen Praxis spielt
das viergliedrige Schema keineswegs die Rolle, die ihm in der scholastischen
Hermeneutik zugeschrieben wird. Unaufgebbar ist für die
scholastische wie für die altkirchlichc Exegese lediglich die Behauptung
eines geistlichen Schriftsinncs neben dem Literalsinn.

Meister Eckhart spricht nur von einem duplex sensus scripturae.
Das Verhältnis des geistlichen Schriftsinncs zum Literalsinn ist ein
Hauptproblem des zweiten Teils. Eckhart bezeichnet seine Allegorese
im Anschluß an Maimonidcs oft als „parabolisch". Damit weicht er
von Thomas ab. der den sensus parabolicus dem sensus littcralis sive
historicus zuordnete. Hier liegt ein Beispiel dafür vor, daß Eckhart
sich nicht an hermeneutischc Regeln gebunden fühlte. Diese Tatsache
wird deutlich, wenn man die Darstellung der eckhartschen Hermeneutik
mit deren Durchführung in der Exegese vergleicht. Eckhart wendet

j die Regeln so an, wie es dem Ziel seiner Exegese dienlich scheint.
Eckharts Exegese erscheint weithin stark spekulativ und philosophisch-

| abstrakt, dient aber doch in erster Linie dem praktisch - geistlichen
Ziel: der unio mystica. Die allegorische Methode, in der Eckhart besonders
von Augustin und Maimonides abhängt, ist zu diesem Ziel
unentbehrlich. Die zahlreichen Beispiele von Literalexegese, die
Eckhart keineswegs ignorieren will, sind für seine Theologie von
geringerer Bedeutung.

In der allegorischen Methode findet Eckhart die Möglichkeit,
sein gesamtes System im Rahmen der Exegese zu entfalten. Mit ihrer
Hilfe unternimmt er es, die Schrift in Übereinstimmung mit der
Philosophie zu erklären. Philosophie und Exegese werden ebenso wie
Systematik und Exegese in formaler und inhaltlicher Hinsicht zu einer
Einheit verbunden. Alles ist in der Bibel begründet und wird aus ihr
entfaltet. So sind Eckharts Schriftkommentarc trotz aller Abnormitä-

j ten doch nicht nur als Rahmen seines Systems zu verstehen, sondern
als Auslegung.

In methodischer Hinsicht bleibt Eckharts Exegese hinter der
1 seines Ordenslehrcrs Thomas zurück. Wahrscheinlich vollzieht Eckhart
' eine bewußte Rückwendung zu Augustin. Er zeigt somit auch in der
Hermeneutik, daß er dem augustinisch - neuplatonischen System näher
steht als dem thomistisch- aristotelischen. Meister Eckharts Bedeutung
[ liegt nicht in seiner exegetischen Methodik, sondern in der Größe
I seiner religiösen Persönlichkeit, der jede Methodik nur als Weg dient
zum Ziel der Vereinigung mit Gott.

VON PERSONEN

D. Rudolf Hermann f1

Ansprache bei der akademischen Trauerfeier in der Domgruftkirche in Berlin am 15. Juni 1962.

an Rudolf Hermann gebunden waren, reichte in Tiefen hinunter, die
unser ganzes Wesen vom Zentrum her bestimmen; die Eindrücke, die
wir bei ihm empfingen, blieben fürs Leben trotz aller Wandlungen,
denen jeder von uns unterliegt.

Am heutigen Tage soll ein Wort des Dankes auch im Namen
der vielen gesprochen werden, für die der Heimgegangene der verehrte
Universitätslehrer und darüber hinaus der väterliche Freund
gewesen ist. Die Schar derer, an die hier zu denken wäre, ist sehr

groß und vor allem sehr mannigfaltig. Sie ist alles andere als eine Was war es nun. was uns so stark an ihn band? Warum w»r

Schule, die auf bestimmte Programmpunkte oder Thesen oder auch | "ns an seinem Wort so viel gelegen? Es war nicht sein System, nicht

nur eine bestimmte Methode eingeschworen ist. Eine Schule war nicht
im Sinn des hochverehrten Lehrers. Seine Schüler blieben eigengeprägt
und gingen sehr verschiedene Wege, — manchmal auch solche,
die der Heimgegangene nicht gut hieß und die ihn schmerzten, ohne
daß es darüber zum Bruch gekommen wäre. Das Band, durch das wir

4) Ein Nachtrag zur Bibliographie Rudolf Hennann erscheint im
nächsten Heft der ThLZ.

ein geschlossenes Bild von der Dogmatik und Ethik. Seine Gedanken
waren durch und durch systematisch, aber ein System auszuführen
war nicht sein Anliegen. Ja, die Generation, der ich selber angehöre/
hat bei ihm überhaupt keine Hauptkollegs gehört, weil er sie da'
mals in Breslau noch nicht las. Er war Privatdozent und KonviktS'
inspektor und wirkte auf uns in den Übungen und Andachten i"1
Konvikt sowie in kleinen Kollegs und Übungen in der Universität.
Von da her sind starke Wirkungen auf die Studentengeneration der
Jahre nach dem ersten Weltkrieg ausgegangen. Hans-Joachim lwand