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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

790-791

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Walter, Nikolaus

Titel/Untertitel:

Der jüdisch-hellenistische Thoraausleger Aristobulos 1962

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

790

Um mit der Schrift „De Spiritu Sancto" in der rechten Weise
arbeiten und umgehen zu können, war es nötig, zuerst einige wichtige
philosophische Begriffe, ihre Verwendung und ihren Inhalt in den
griechischen Schriften de6 Didymus und in der lateinischen Übersetzung
, zu klären. Einige Termini wurden besonders herausgehoben, so:
natura, substantia, subsistere sowie die Gemeinschaftsbegriffe: com-
municatio, communio, coniunetio, consensus, consortium, copula,
familiaritas, partieipatio, partieeps und societas.

Außerdem wurde der Versuch unternommen, die griechischen Vorlagen
wieder herzustellen, was mit letzter Präzision natürlich nicht
möglich war.

Betrachtungen über Stilistik, Schriftzitation und Exegese in ,,De
Spiritu Sancto" (SpS) sowie eine kurze Inhaltsangabc runden die
Voruntersuchungen und damit den ersten Teil ab und leiten über zu
den dogmatischen und dogmcngeschichtlichcn Hauptteilen.

In der dogmatischen Auswertung werden vor allem die Aussagen
von SpS über die drei göttlichen Personen, das Verhältnis des Heiligen
Geistes zu Vater, Sohn und Schöpfung, die Gemeinsamkeiten und Proprietäten
der drei göttlichen Personen und die didymiani6chen Lösungsversuche
aus dem Dilemma: Wesenseinheit — Proprietäten untersucht.
Sie kommt zu folgenden Ergebnissen: In SpS liegen bereits Anfänge
von gedanklicher und schulischer Verarbeitung der Schriftgegebenheiten
vor. Trotzdem ist die Stufe der Verbegrifflichung noch nicht
Weit fortgeschritten. Es ist ein pneumatologisches Werk, das einerseits
dogmatisch unausgereift ist, andererseits kühn über alles bis dahin
Herkömmliche hinaus verstößt, das viele Probleme aufwirft bzw.
von den Gegnern aufgeworfene Probleme erwähnt und nur wenige
löst. Dies ist erklärlich, wenn man SpS an den Beginn der pneumato-
logischen Kämpfe stellt, vor De Trinitate und Adversus Eunomium,
das heißt vor die mehr oder weniger ausgeformte neunizänische
Trinitätslchre in der besonderen Art, wie sie Didymus eigen ist.
Hätten dem Verfasser die Lösungen, die später die Trinitätstheologie
bestimmten, zur Verfügung gestanden, so wäre es ihm sicher möglich
gewesen, seinen Gegnern viel bestimmter und eindeutiger zu antworten
. So aber kämpft er mühsam mit ihnen, und anstelle klarer, präziser
Formeln plagt er sich stellenweise mit langatmigen oder ungeschickten
Beweisgängen, mit Ansätzen zu Formulierungen, ja, sogar
mit eigenen Widersprüchen.

Neben diesen Schwierigkeiten lassen sich große Leistungen aus
■dem dogmatischen Befund von SpS erheben. Die logische Regel:
••gleiche Tätigkeiten — gleiches Wesen" wird auf alle drei Personen
gemeinsam ausgedehnt und deren gleiches Wesen zu erschließen gesucht
. Dies ist teilweise durch Gleichstellung der Tätigkeiten des
Hl. Geistes mit denen des Sohnes, teilweise durch Gleichstellung mit
denen des Vaters gelungen. So bildet die spätere Formel: „ein Wesen
— drei Personen", die sachlich, wenn auch nicht formell, den Grundgedanken
des Buches darstellt, einen neunizänischen Anfang. Weiterhin
wird die Gleichstellung von Sohn und Geist unbedenklich im bloßen
Vertrauen auf die Macht der von Gott inspirierten Bibelworte
durchgeführt. Folgerichtig entspricht schließlich die Ausrichtung des
Joffes dem späteren Grundsatz: „Die Werke der Dreifaltigkeit nach
at'ßcn sind gemeinsam".

Im dritten, dem dogmengcschichtlichen Teil wird zunächst die
Schrift „De Spiritu Sancto" mit etwa gleichzeitigen Werken und Richtungen
von Orthodoxie und Häresie konfrontiert.

Dabei ergibt sich, daß entwicklungsgeschichtlich gesehen die
Stufe von Cyrill von Jerusalems Katechesen trotz der Masse oder
Reradc wegen der Masse des Materials auf enge zeitliche Nachbarschaft
mit SpS hinweist. Entscheidend hierfür ist die offen eingestandene
Unwissenheit bezüglich des Vcrwandtschaftsproblems in der
Dreifaltigkeit. Diesem schwierigen und gefährlichen Einwand der
Häretiker stehen beide, Cyrill und Didymus, noch ziemlich ungerüstet
gegenüber.

Anderes zeigt sich beim Vergleich mit den Serapionbriefen des
Bischofs Athanasius, die von 3 58 bis 362 verfaßt wurden. Auch er
2'eht das Verwandtschaftsproblem heran. Vom 1. bis zum 4. Brief wird
^eine Argumentation sicherer, besser und durchschlagender, so daß sie
*jber die Möglichkeiten von SpS weit hinausgeht. Der gleiche Befund
Wetet sich gegenüber Adversus Eunomium 5.

t. Auf den 361 veröffentlichten Apologcticus des Eunomius geht
U'dymus nicht ein, er widerlegt andere Thesen. Wären ihm die Kapi-
25 und 26 des Apologcticus bekannt gewesen, so hätte er mindestens
in der Sache darauf Bezug nehmen müssen.

Aus der Auswertung der biographischen Berichte in SpS läßt sich
r°lgcrn:

1. Eine Irrlehre über den Hl. Geist beginnt sich auszubreiten und
^At rasche Fortschritte.

, 2. Man drängt den sich zurückhaltenden zur Stellungnahme; bis
■dahin hat sich niemand in maßgeblicher Weise zu Wort gemeldet.

5- Didymus fühlt sich unsicher und hat Sorge, seiner Aufgabe

nicht gerecht zu werden, denn wirklich Entscheidendes und Bahnbrechendes
auf gewollt dogmatischer Ebene mußte gewagt werden.

4. Neuere ecclesiastici hatten noch nicht gesprochen, sonst hätte
sich Didymus sicher darauf berufen. Er kann nur verweisen auf die
veteres ecclesiastici. So ist es gerechtfertigt, die Schrift vor die anderen
Werke über den Hl. Geist zu verlegen, welche von 3 58—360
ab an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Die letzte Untersuchung galt den Zeugnissen der Kirchenhistoriker
Rufin, Palladius, Sokrates und Sozomenus, ebenso den Nachrichten
des Libanius über Didymus und der Datierung der Berufung zum
Leiter der Katechetenschule.

Diese Quellenberichte gabeln sich in drei wesentliche Teilmomente
: den Antritt des Schnlamtes, den führenden Anteil an den
arianischen Wirren und den Besuch Antonius' des Großen bei Didymus.
Alle Nachrichten aber, die wir darüber besitzen, führen zu der gleichen
Erkenntnis: Didymus war um 3 50 ein angesehener Gelehrter, der entscheidend
in die theologischen Kämpfe eingegriffen hat.

Die Dissertation kommt zu dem Gesamtergebnis, daß die Abfassung
von SpS in die Jahre von 355—358 zu verlegen ist, wenn damit
auch keineswegs Entscheidungen vorgegriffen werden soll, die sich
auf neue und genauere Textfunde, vor allem im Original, stützen
können.

Walter, Nikolaus: Der jüdisch-hellenistische Thoraausleger Aristo-
bulos. Untersuchungen zur Frage der Echtheit der unter seinem Namen
überlieferten Fragmente und zur Methode seiner Thoraausle-
gung. Diss. Halle 1961. XIV, 214 S.

Die Frage der Echtheit der bei Clemens von Alexandrien und
Eusebios von Caesarea überlieferten Fragmente des Aristobulos (= A.)
ist in der Forschung nach 1900 durchaus nicht eindeutig geklärt worden
; neben Schürers Verteidigung der Echtheit steht noch immer
Boussets Annahme eines kurz vor Philon pseudonym schreibenden
jüdischen Verfassers sowie die Ansicht, die Schrift sei das Produkt
eines christlichen Philon-Nachahmers aus dem 2. oder 3. Jhdt. n.Chr.
(so z.B. noch I. Heinemann). Vor allem sind die von A.Eiter und
P. Wendland für die zuletzt genannte Auffassung vorgetragenen Argumente
nicht genügend geprüft worden (auch nicht in der letzten
monographischen Behandlung der Fragmente durch R. Keller, Diss.
Bonn 1948); außerdem verspricht die Untersuchung der von Wcnd-
land beigebrachten Philon-Parallelen, zu einem genaueren Verständnis
der Fragmente beizutragen.

In der Arbeit wird zunächst (1. Abschnitt, S. 6—15) die Überlieferung
der Kirchenväter über A. untersucht. Der auch in die moderne
Literatur vielfach übernommene Beiname „der Pcripatetiker" erweist
sidi als Prägung des Clemens, die für die Bestimmung des philosophischen
Standortes des A. keinen Wert hat. Die Überlieferung über
die Zeit des A. beruht ebenfalls auf einer Kombination des Clemens
(die abweichenden Angaben des Anatolios verraten nur das gänzliche
Fehlen einer eigentlichen Tradition); Clemens erschloß aus 2. Makk.
1. 10. daß das ihm bekannte Werk des A. in der Regierungszeit des
Ptolemaios (VI.) Philometor (ca. 181—145 v.Chr.) verfaßt wurde. Die
Exemplare, die den Kirchenvätern vorlagen, trugen selbst offenbar
weder nähere Angaben über den Verfasser noch auch einen Titel, sondern
außer dem Namen A. nur eine Widmung an „den König
Ptolemaios".

Inhalt und Tendenz des Werkes (2. Abschnitt, S. 15—21) dürfen
nicht nach den Motiven der Zitatenauswahl bei den Kirchenvätern
bestimmt werden; A. will nicht Propaganda für die Priorität der jüdischen
gegenüber der griechischen Kultur treiben und fälscht auch nicht
Dichterzitate zu diesem Zwecke. Er ist vielmehr Thoraausleger und
möchte als solcher seinen griechischen Zeitgenossen zeigen, daß die
Bücher des Mose auch für hellenistisch-philosophisch Gebildete annehmbare
, tiefe Weisheit enthalten, während er andererseits seinen
Glaubensgenossen wohl auch die Berechtigung griechischen Denkens in
der Anwendung auf die Thoraauslegung nahebringen möchte (vgl.
S. 89-92).

Im 3. Abschnitt (S. 21—83) werden die verschiedenen Einwände
gegen die Echtheit der Fragmente geprüft. Trotz der Kritik an der
Überlieferung über A. erweist 6ich die Zeit des Ptolemaios Philometor,
also etwa die Mitte des 2. Jhdts. v. Chr., immer noch als diejenige, in
der man einen jüdischen Hellenisten wie A. am ehesten ansetzen
kann. Die politischen und geistesgeschichtlichen Gegebenheiten entsprechen
dem; hellenistische Bildung, wie A. sie zeigt, ist in jener
Zeit für Diasporajuden belegt; die Theorie von der Abhängigkeit
griechischer von jüdischer Weisheit, die A. 6chon voraussetzt, ist älter,
als meist angenommen wird. Die Unbezeugtheit seines Werkes vor
Clemens entspricht dem gleichen Tatbestand bei anderen jüdischen und
nichtjüdischen Autoren aus jener frühhellenistischen Zeit, in die sich
auch der von Keller untersuchte Stil der Fragmente (Koine der