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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

786-787

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Schicketanz, Peter

Titel/Untertitel:

Carl Hildebrand von Cansteins Beziehungen zu Philipp Jacob Spener 1962

Rezensent:

Schicketanz, Peter

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

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und Symmachus) und dem in ihnen enthaltenen Textverständnis. Im
dritten Hauptteil sind die einzelnen Zeugnisse der literarischen Verwendung
von Gen. I. 2 (von Jesus Sirach bis hin zur midraschischen
und talmudischen Literatur) zusammengestellt und auf die hinter
ihnen stehenden Deutungstraditionen befragt. Der vierte Hauptteil
behandelt die liturgische Verwendung der Schöpfungsgeschichte im
Tempelkult, im Synagogengottesdienst und in einzelnen Gebetsliturgien
.

Das Bild, das sich aus diesen verstreuten Zeugnissen von der
Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte im antiken Judentum
ergibt, ist das einer großen Vielfalt, in der jedoch bestimmte Grundlinien
der Auslegung sichtbar werden.

Zwischen den Überlieferungen des palästinensischen und des
hellenistischen Judentums ist ein deutlicher Unterschied in der Methode
der Auslegung festzustellen. Für das hellenistische Judentum
kennzeichnend ist vornehmlich eine allegorische Auslegung ethischer
oder physikalischer Art, für das palästinensische Judentum halachische
und haggadischc Auslegungen mit teilweise typologischer Ausprägung
und vereinzelt geschichtliche Allegoresen. Von einer in sich geschlossenen
hellenistischen oder palästinensischen Auslegung kann
jedoch nicht gesprochen werden. Zwischen beiden Seiten bestehen
zahlreiche Querverbindungen, die auf eine gegenseitige Beeinflussung
hinweisen, und jede Seite hat wiederum kein einheitliches Gepräge.
Der hellenistische Einfluß auf die palästinensischen Deutungen wird
besonders greifbar in Auslegungen spekulativer Art, die wiederum
enge Beziehungen zu gnostischen Vorstellungen aufweisen. Auf gno-
stische Einflüsse ist daraus jedoch nicht zu schließen; im Gegenteil,
die gnostischen Vorstellungen dürften weitgehend aus der jüdischen
Gencsisauslegung hervorgegangen sein. Eindeutig konnte dies z. B.
für die gnostische Vorstellung vom urzeitlichen Schweigen nachgewiesen
werden, die der rabbinischen Auslegung von Gen. 1,1—3 entstammt
(vgl. z.B. Ps. Philo, Liber antiquitatum 60,2). Vermutlich
hat die Verwendung durch häretische (gnostische?) Kreise zu einer
einschneidenden Beschränkung gerade dieser Überlieferungen innerhalb
des rabbinischen Judentums geführt, die sich in dem Gegensatz
von exoterischer und esoterischer Deutung niedergeschlagen hat.

Aus der Vielzahl der Einzelauslegungen heben 6ich einige für das
Verständnis von Gen. 1.2 im antiken Judentum kennzeichnende
Grundarten der Auslegung heraus: 1) protologische, 2) halachische,
3) soteriologische und 4) cschatologischc.

1) Die protologischen Deutungen sind dadurch gekennzeichnet,
daß in ihnen Gen. 1.2 al6 Bericht über das Geschehen der Urzeit verstanden
ist. Man wird dabei zwischen einer „historischen" und einer
••spekulativen" Form der Auslegung unterscheiden müssen. Zur historischen
gehören z. B. die haggadischen Erläuterungen über die Erschaffung
der Engel, des Gan Eden, Adams und Evas, die Angaben
über die Schöpfungswerke eines jeden Tages. Zu den spekulativen
s'nd zu rechnen z. B. die Erörterungen über die Schöpfungsmittlung,
<"e Vorstellung von der kosmischen Größe des ersten Menschen,
seiner Unsterblichkeit und seiner Mannweiblichkeit.

2) In den halachischen Auslegungen werden einzelne Aussagen
über das Geschehen der Schöpfung zur Begründung bestimmter Gesetze
herangezogen (u.a. Sabbatruhc, Ehegebot, Zahl der Kinder). In
"hnen ist die Schöpfungsgeschichte Hinweis auf die Schöpfungsordnung
a's Lebensordnung.

3) Ein soteriologisches Verständnis der Schöpfungsgeschichte begegnet
in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Stets aber handelt es
Slcn um Auslegungen, die die Schöpfungsgeschichte in Zusammenhang
j?'t der Geschichte des Volkes Israel bringen (Entsprechung von
Schöpfung und Erwählung bzw. Erlösung Israels, Entsprechung von
-"chöpfungszeit und Zeit der Wüstenwanderung. Bemerkenswert ist
i,'ne für die Auslegung von Eph. 5.30 bisher unbeachtete Deutung von
yen- 2, 18 ff., nach der Israel aus der Rippe Adams hervorgegangen
Ist= Liber antiquitatum 32, 5).

4) Nur vereinzelt anzutreffen sind eschatologische Deutungen.
le liegen in drei Formen vor: a) in der Typologie alte Schöpfung —

"euc Schöpfung, b) in der Typologie Schöpfungszeit — Messiaszeit.
£J in allegorischen Deutungen von Gen. 1,2—5, in denen der Geist
Rottes, die Erschaffung des Lichtes und die Wendung ,.ein Tag" auf
,le messianischc Zeit oder den Messias bezogen werden. Von einer
e,Sentlich messianologischen Deutung der Schöpfungsgeschichte, die
w'e vielfach angenommen das Vorbild der christoloeischcn Schöpfungs-
'ussagen im Neuen Testament darstellt, kann jedoch in den genann-
en Texten nicht die Rede sein. Wo der Messias in Zusammenhang
5j| der Schöpfungsgeschichte gebracht wird, handelt es sich um reine
a]"cRorescn. Und auch die typologischen Deutungen der Messiaszeit
I s Wiederherstellung der Schöpfungszeit lassen sich mit den diristo-
°Rischen Schöpfungsaussagen des Neuen Testaments nicht vergleichen,
'e sind eine Form der heilsgeschichtlichen auf Israel bezogenen Deu-
UnK von Gen. 1.2. Eine Typologie Adam - Messias, die Vorstellung
0,n Messias als Urheber der neuen Schöpfung fehlt vollkommen, wie

überhaupt der Gedanke der neuen Schöpfung im Zusammenhang mit
Gen. 1.2 sehr selten auftaucht. Abgesehen vom Aufweis bestimmter,
teilweise bisher nicht bekannter Einzeldcutungen gehört dieses negative
Ergebnis im Hinblick auf das Neue Testament mit zu dem wichtigsten
Ertrag der vorliegenden Arbeit.

Schicketanz, Peter: Carl Hildebrand von Cansteins Beziehungen
zu Philipp Jacob Spcner. Diss. der Kirchl. Hochschule Berlin 1960.
183 S.

Während die quellenmäßige Erforschung Philipp Jacob Speners
durch Paul Grünberg und auch Kurt Aland weit fortgeschritten ist,
kann dies vom Hallischen Pietismus noch nicht gesagt werden. Insonderheit
die Briefe, Konzepte und Akten des Freiherrn Carl Hildebrand
von Canstein (1667—1719) sind vor allem wegen ihrer schlechten
Lesbarkeit bisher noch nie gründlich untersucht worden. Lediglich
Carl Heinrich Christian Plath hat mit seiner Biographie des Freiherrn
(1860) einen verdienstvollen, aber unzureichenden Anfang gemacht.
Die vorliegende Arbeit stellt eine erste Auswertung eines Teiles dieses
Quellenmaterials aus dem Archiv der Franckeschen Stiftungen zu
Halle/S. dar.

Nach einleitender Übersicht über die bisherige Benutzung Cansteinscher
Briefe — vor allem hinsichtlich ihrer zumeist fehlerhaften
Zitierung in der Literatur — wird geschildert, wie Canstein zunächst
durch eine Schrift Speners, dann durch persönliche Begegnung mit dem
Berli ner Propst Spener in Berührung kam. Canstein wurde der jugendliche
Freund und unentbehrliche Helfer des alternden Patriarchen des
Pietismus. In diese Rolle des engsten Vertrauten wuchs Canstein vornehmlich
dadurch hinein, daß ihn seit 1697 eine sehr enge Freundschaft
mit August Hermann Francke verband. Während Spener nie das
Hallesche Waisenhaus besucht hat, war Canstein sehr oft bei Francke
zu Besuch. Der kontinuierliche Briefwechsel Cansteins mit Francke
vom Jahre 1697 bis 1719 dokumentiert diese enge Verbindung. Der
Briefwechsel Speners mit Francke ging von Jahr zu Jahr mehr auf den
Freiherrn über.

I704'05 sehen wir den Freiherrn am Kranken- und Sterbelager
Speners. Nach Speners Tod verfaßte Canstein die Fortsetzung der
Autobiographie Speners für die Leichenpredigt. Wie eng die väterliche
Zuneigung Spener6 zu dem Freiherrn war, zeigt u. a. der Llm-
stand, daß Canstein der Vormund der beiden jüngsten Söhne Speners
wurde. In Verbindung mit der Theologischen Fakultät Halle wurde
Canstein der Nachlaßverwalter der von Spener hinterlassencn Manuskripte
. Ein großer Teil der posthumen Veröffentlichungen geht eindeutig
auf Cansteins Initiative zurück.

Die wichtigste Veröffentlichung war die Herausgabe der „Letzten
Theologischen Bedcncken" 1711, denen eine ausgedehnte Vorrede
Cansteins vorausgeschickt wurde, die die erete Biographie Speners
darstellt. Eine nähere Untersuchung derselben samt ihrer handschriftlichen
Entwürfe ergab, daß Canstein hier aus seinem persönlichen Verkehr
mit Spener sowie aus dem Besitz des Nachlasses kaum Nutzen
gezogen hat.

Canstein selbst hatte den Plan, später eine umfassendere Biographic
Speners zu schreiben. Plath hat einen diesbezüglichen Brief
Cansteins an die Theologische Fakultät Halle mitgeteilt. Konzepte
oder ähnliche Vorarbeiten dazu blieben jedoch bisher unbekannt.
Dank intensiver Nachforschungen im Archiv der Franckeschen Stiftungen
und dank besserer Hilfsmittel zur Erschließung desselben,
konnte der Verf. ein umfangreiches Manuskript dieser größeren
Spenerbiographie Cansteins entdecken, dazu auch die Reinschrift des
ersten Teiles, in der Speners erste Predigt vom 24. 6. 165 5 im Original
eingeheftet ist. Dazu kommen noch einige Rezensionen Hallescher
Professoren über diese Reinschrift. Canstein hat diese Arbeit vom
Mai 1718 bis zu seinem Tod im August 1719 betrieben. Das Werk
blieb unvollendet und wohl wegen der schlechten Handschrift fand
sich auch kein Bearbeiter.

Die Entstehungsgeschichte und eine eingehende Besprechung dieser
vom Verf. in Maschinenschrift übertragenen Biographie (eine
Durchschrift wurde dem Archiv in Halle übergeben) zeugen davon,
daß hier ein weitaus ausführlicheres und gründlicheres Werk als 1711
im Entstehen war. Allerdings enthält dasselbe aufs Ganze gesehen
keine bisher unbekannt gebliebenen, wichtigeren Einzelheiten. Auch
läßt sich keine neue oder eigenwillige theologische Würdigung Speners
darin nachweisen. Canstein hat das Leben und Werk seines väterlichen
Freundes jedoch nicht nur als „pietät-volles Denkmal" (Grünberg)
gestaltet, sondern als ein Nichttheologe, der sich mit dem vollen
Einsatz seines Denkens und Lebens für Speners theologische Anliegen
engagiert wußte.

Cansteins biographisches Bemühen um seinen väterlichen Freund
gehört in den Raum der kirchengeschichtlichen Selbstdarstellungen
insbesondere des Hallischen Pietismus. Die Aufzeichnung dessen, was