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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

781-783

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Nowak, Herbert

Titel/Untertitel:

Zur Entwicklungsgeschichte des Begriffes Daimon 1962

Rezensent:

Nowak, Herbert

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

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(wie oft behauptet wurde) den Zwang, sondern die davon zu unterscheidende
Befugnis zu zwingen als konstitutiv für den Begriff des
Rechts ansieht. Das Verhältnis von Recht und Ethik bei Kant ist
doppelt bestimmt: Erstens sind Recht und Ethik im moralischen Imperativ
begründet, der für beide in gleicher Weise gebietet, die jeweilige
Maxime müsse als allgemeines Gesetz denkbar sein. Darüber
hinaus gehören nach Kant die Rechtspflichten indirekt mit zur
Ethik, weil die Ethik fordert, daß ich es mir zur Maxime mache,
rechtlich zu handeln. In Analogie zur Rechtsbegründung im moralischen
Imperativ Kants könnte man wohl eine Rechtsbegründung im Imperativ
der Liebe verstehen, wenngleich beide Begründungen das Recht
nur formal bestimmen und die stillschweigend vorausgesetzte objektive
und materiale Ordnung der Dinge übersehen. Geht man aber,
wie es Erik Wolf anscheinend will, nicht vom Liebes g e b o t, sondern
von der Tatsächlichkeit der Liebe aus, ist überhaupt keine Rechts-
hegründung möglich. Die Liebe muß sich sagen lassen, was Recht ist;
selbst kann sie es nicht objektiv begründen. Eine Parallele zu Kant
zeigt sich aber auch hier, nämlich darin, daß die Liebe die Rcchts-
pflichten nicht übergeht, sondern sie aufnimmt und das Motiv zu
ihrer Erfüllung ist. Deshalb müßte es sich der Christ immer zur
Maxime machen, rechtlich zu handeln.

Nowak, Herbert: Zur Entwicklungsgeschichte des Begriffes Daimon.
Eine Untersuchung epigraphischer Zeugnisse vom 5. Jh. v. Chr. bis
zum 5. Jh. n. Chr. Phil. Diss. Bonn 1960. III, 71 S.

Diese Dissertation gehört zu den Untersuchungen, die zum Verständnis
des Begriffes Daimon durch eine historische Behandlung
beitragen wollen. Sie verfolgt an mehr als 400 epigraphischen Zeugnissen
die Entwicklung des Daimon - Begriffes vom 5. Jhdt. v.Chr. bis
zum 5. Jhdt. n. Chr.

Ein kurzer Abriß über die homerische Auffassung vom Daimon
'S. 9 f.) soll verdeutlichen, wie diese bis tief in die Spätzeit lebendig
geblieben ist. Denn der Grieche z.Zt. Homers bezeichnet mit Daimon
im wesentlichen jedes beliebige Wirken eines Gottes, den er im
Augenblick nicht näher bestimmen will oder kann. Die so oft beobachtete
feindliche Tendenz des Daimon beruht auf der Doppelmacht
der olympischen Götter, auf ihrer Macht zu helfen und zu schaden.
Die Begriffe Theos und Daimon stehen bei Homer unterschiedslos
nebeneinander. Trotz der Übereinstimmungen sind in der Folgezeit,
Wenn auch nicht in der Auffassung vom Daimon selber, Unterschiede
sPürbar. Die sog. Olympier treten hinter Heils- und Segensgöttern
zurück, die der damaligen Zeit näherstehen. Daneben nimmt das
Volk fremdländische Gottheiten auf und glaubt mehr und mehr an
'og. Personifikationen. Wer jedoch der Meinung war, die Bezeichnung
Daimon stehe generell für Götter niederen Ranges oder für solche
ohne jeden Kult, sieht sich in den Aufschriften darin getäuscht. Denn
n'*r finden wir die als Daimon bezeichneten Gottheiten anderswo
ebenso kultisch verehrt wie auch Theos genannt (S. 11 ff.). Dasselbe
Wt für die dithonischcn Gottheiten, bald Theoi, bald Daimones
genannt (S. 17 ff.). Wo allerdings in klassischer Zeit von Theoi
Daimones die Rede ist, handelt es sich nicht um „echte" Götter,
s°ndcrn um Menschen, die nach ihrem Tode erhöht wurden (S. 18 f.;
s- a. S. 44 ff.).

Noch Anfang des 6. Jhdts. v. Chr. etwa macht der Grieche für
"en Tod bestimmte Götter, deren Wirkungsbereich er genau zu ken-
"en glaubte, z.B. Ares bei Gefallenen, verantwortlich. Allmählich
aber begegnen immer häufiger die 6og. Schicksalsmächte, um nur
f^oira, Tyche und Daimon zu nennen (S. 22 ff.). Daß der Grieche das
'Jim verhängte Todcslos bald dieser, bald jener Macht zuschreibt,

legt zweifellos daran, daß er, ohne nunmehr die einzelnen Funktionen
genau abgrenzen zu können, an ein und dieselbe höhere Schik-

Ung glaubt. Er sieht in den einzelnen Schicksalsmächten bisweilen
!*W den Ausfluß der Macht des obersten Gottes. Ein spezieller Todes-
Jjaimon, wie ihn moderne Interpreten im Baskanos Daimon zu ernennen
meinten, ließ sich in den Aufschriften der heidnischen Antike
™«t nachweisen. Denn in den Attributen baskanos, echthros u. ä.
' •26) kommt nur jene Seite zum Ausdruck, die dem Griechen gerade
beim Anblick des Todes immer mehr zum Bewußtsein gelangt.
*jr empfindet das negative Wirken der Gottheit so stark, daß er jene
Attribute fast willkürlich dem Daimon wie der Moira und anderen
^■erkennt. Nach den Perserkriegen etwa, als die Gesamtheit der

ottcr in den Vordergrund tritt, wird auch der Begriff Daimon bzw.
j aimones mehr und mehr zu einem Begriff, der alle Erscheinungs-
^"nen des Göttlichen umfaßt: die Einzelgestalt wie die universale
^a*t. die man bald als Theos, Theoi oder Theion, bald als Daimon,

aimones oder Daimonion bezeichnet. Das Wirken der Gottheit, das
£ Mensch als Segen oder Unheil erfährt, ist und bleibt doppel-
<jCltl8- Doch die Tendenz, den Daimones eine feindlichere Macht als

en Theoi zuzusprechen, wird zunehmend stärker. Diese Einstellung

hat sicher zu der späteren Vorstellung von Dämonen beigetragen. Als
alleinige Voraussetzung dafür darf sie jedoch nicht angesehen werden
. Denn der Dualismus erstreckt sich auf ein und dieselbe göttliche
Macht.

Von einem Dualismus in dem Sinne, daß übernatürliche Mächte
in gute und böse aufgespalten sind, kann allenfalls dann gesprochen
werden, wenn die Götter von anderen Mächten klar geschieden sind.
Solche von den Theoi differente Wesen treffen wir, wie im 2. Kap.
ausführlich dargelegt ist, ebenfalls unter der Bezeichnung Daimones
an. Diese Auffassung geht schon auf Hesiod zurück. Inschriftlich läßt
sie sich erst vom 5. Jhdt. v. Chr. an nachweisen. Wir sehen nämlich
neben den Theoi gleichberechtigt zwar, aber doch in einer gewissen
Reihenfolge und Abstufung Heroes und Daimones. Der Unterschied
zwischen letzteren war sicher unerheblich. Gleicherweise bedient man
sich beider Begriffe, um bevorzugte Menschen nach ihrem Tode zu
erhöhen. Ihre Sterblichkeit ist es, die eine Identität mit den eigentlichen
Göttern ausschließt. Zu ihrer Funktion gehört es, zwischen
Göttern und Menschen zu vermitteln (S. 38 ff.) oder auch im Kampfe
zu helfen (S. 41 ff.). Die Vorstellung vom Daimon bzw. den Daimones
als den Begleitern Lebender und Verstorbener (S. 46 ff.) weisen
inschriftliche Zeugnisse erst vom 4. Jhdt. v. Chr. an auf. Aber auch
durch die Tatsache, daß es von den Göttern deutlich geschiedene
Daimones gab, ist es schwer zu beweisen, daß und warum der
Grieche die Daimones zu generell bösen Mächten stempeln konnte.

Die ersten Spuren einer wirklich dualistischen Entwicklung des
Verhältnisses von Theoi und ihnen sich widersetzenden Mächten
zeichnen sich bereits im 5. Jhdt. v. Chr. ab, als man für eine verlorene
Schlacht einen Hemitheos verantwortlich machte (S. 52 ff.).
Dieser, ein Äquivalent für Daimon, ist sicherlich einer niederen Gattung
zuzuordnen. In dieser Einstufung liegt m. E. der Versuch, alles
Negative von den Göttern auf niedere Mächte abzuwälzen. Anzeichen
einer solchen Ethisierung reichen ja bis auf Homer zurück. Unter
demselben Aspekt darf wohl auch ein Epigramm Piatons gesehen
werden, wenn er die Daimones als Widersacher der Moiren, der
Vollstrecker göttlichen Willens, heraushebt. Doch auch hier liegt
möglicherweise nur ein spekulativer Vorgriff auf eine Anschauung
vor, die der Volksglaube erst sehr viel später akzeptiert hat.

Klar erwiesen ist also die Existenz widergöttlicher Mächte z. Zt.
Piatons nicht. Man erkennt jedoch, wie der Begriff Daimones immer
weniger faßbar ist und beinahe zu einer Kategorie wird, in der es
auf Individualnamen nicht mehr ankam. Deutlich tritt dieser
Gattungsbegriff erst im 2. Jhdt. v. Chr. hervor. Jetzt zeigen sich die
entscheidenden Merkmale, die dazu geführt haben: die feindliche
Tendenz, die man den Daimones zugeschrieben hatte, die Differenzierung
von Theoi und Daimones und die zunehmende Kategorisie-
rung der Daimones. Schließlich müssen auch Frcmdcinflüssc, insbesondere
römisch-orientalische, berücksichtigt werden. Ihre Entwicklung
wurde am Anruf von Daimones zum Schutz von Grabmalen aufgezeigt
. Gerade im scpulkralen Bereich kann man von einer Gattung
von Mächten sprechen, die der Grieche generell als ihm feindlich betrachtet
. Eine Antinomie freilich zwischen Göttern und widergöttli-
dien Mächten tritt erst in christlicher Zeit eindeutig zutage.

Die christliche Daimon-Auffassung vom Daimon konnte, obwohl
relativ wenige Zeugnisse zur Verfügung standen, aus Epigrammen
und Inschriften ebenfalls klar herausgearbeitet werden.
Leider war es nicht immer leicht, christliche Zeugnisse von denen der
heidnischen Griechen zu unterscheiden. Denn beide religiöse Anschauungen
gehen ja oft auf denselben Ursprung zurück. Zudem war
die Dämonologie der Spätantike der christlichen Ansicht über Dämonen
unbeabsichtigt weit entgegengekommen (S. 63 ff.).

In einer Inschrift des 4. oder 5. Jhdts. n.Chr. (MAMA III 556)
erkennen wir ohne weiteres jene antike Tendenz wieder, von Gott
alles Negative fernzuhalten. Der Tod wird in diesem Zeugnis einer
speziellen Macht, dem Baskanos Daimon, zugeschrieben. Man ist geneigt
, dahinter jene todbringende Macht zu vermuten, für die man
schon damals Selbständigkeit angenommen hatte. Doch was wir für
die damalige Zeit als unzutreffend zurückweisen mußten, dürfte für
die christliche Zeit nicht mehr zweifelhaft sein. Denn hier handelt es
sich tatsächlich um einen menschenfeindlichen Dämon, den Teufel.
Dafür spricht der für diesen Verstorbenen angenommene gewaltsame
Tod. Ihn sieht man vielfach als ein Werk de6 Teufels an, was auch
aus dessen Attributen baskanos, androphonos oder theomises hervorzugehen
scheint. Die Identität von Daimon und Satan ist aber auch
sonst vielfach belegt.

Fast die gleiche Stellung, die Hades seit der Frühzeit einnimmt,
bekleidet bei den Christen der Teufel. Er erscheint als Archeget von
Dämonen, unter denen wir uns vor allem Seelen von Übeltätern zu
denken haben. Ihre Funktion besteht darin, Grabschänder abzuschrek-
ken, und gleicht somit der der heidnischen Daimones. Ihr Aufenthalt
ist, um die Toten schützen zu können, mit Vorliebe das Grab (z. B