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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

777

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Massner, Joachim

Titel/Untertitel:

Kirchliche Überlieferung und Autorität im Flaciuskreis 1962

Rezensent:

Massner, Joachim

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777

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

778

Referate über theologische Dissertationen in Maschinenschrift

Maßner, Joachim: Kirchliche Überlieferung und Autorität im
Flaciuskrcis. Studien zu den Magdeburger Zenturien. Diss. Göttingen
1961. 220 S.

In einer Reihe von Aufsätzen wird das Problem der Autorität
der kirchlichen Überlieferung, wie es sich bei Flacius und seinen Mitarbeitern
darstellt, in den Grundlinien nachgezogen. Als Quelle dienen
vor allem die Vorreden zu den Magdeburger Zenturien, dem kirchengeschichtlichen
Hauptwerk de6 Flaciuskreises, die bislang noch kaum
bearbeitet worden sind. Einleitend wird das Traditionsverständnis in
der Reformation Luthers dargelegt. Das Verhältnis von Schrift und
Tradition und die Stellung zum altkirchlichen Dogma werden nacheinander
für Luther, Melanchthon und Flacius abgehandelt. Während
«ich Melanchthons Intere6se mehr auf den systematisch geordneten
Zusammenhang der Kirchenlehre richtet, betont Flacius ähnlich wie
Luther den geschichtlichen Charakter der kirchlichen Überlieferung.
Lathen Vorstellung vom Cursus Verbi in der Geschichte findet sich
hei ihm wieder. Flacius und die Magdeburger Zenturien haben ein
durchaus positives Verständnis der Tradition. Das Traditionsproblem
stellt sich ihnen nicht dar als das Gegenüber und Gegeneinander von
Schriftprinzip und Traditionsprinzip wie später in der Orthodoxie,
sondern als die Frage nach der echten und falschen, nach evangeliumsgemäßer
und evangeliumsfremder Überlieferung. Erstere weist über
sich hinaus auf die den Glauben fordernde persönliche Anrede des
Wortes Gottes, in der die evangelische Lösung des Problems der
Autorität der Tradition begründet ist. Des weiteren wird die Bedeutung
dieser Lösung des Autoritätenproblcms für die Kirchengeschichts-
schreibung und für das Verhältnis von Staat und Kirche veranschaulicht
. Die Zenturien schauen die gesamte Kirchenge6chichte als die
Geschichte des Autoritätenproblems. Im Verhältnis von Staat und
Kirche wird die zunächst melanchthonische Bestimmung seit 1560 im
Sinne Luthers korrigiert. Schließlich werden noch einmal Ursprung und
Entstehung der wichtigsten kirchengcschichtlichen Werke von Flacius
nachgezeichnet und verschiedene literargeschichtliche Einzelheiten mitgeteilt
, die die These erhärten, daß die Vorreden zu den Zenturien
unabtrennbar in das theologische Gesamtwerk von Flacius hineingehören
. Damit ist erwiesen, daß die Stellung von Flacius zur Tradition
mit dem Begriff des „Antitraditionalismus" (Otto Ritsehl) nicht
zureichend gekennzeichnet werden kann.

Meyer zu Uptrup, Klaus: Die anthropologischen Begriffe im
exegetischen Werk des Ambrosiaster. Diss. Heidelberg 1960. 156 S.

Die Arbeit versucht, jenen unbekannten Ausleger der Paulus-
Wlefe, der seit Erasmus unter dem Namen ,, A m b r o s i a s t e r"
(falscher Ambrosius, abgek. „Amst.") durch die Literatur geistert, als
Exegcten zu würdigen, wobei sich die Untersuchung auf die anthropologischen
Begriffe beschränkt. Die Aufgabe besteht darin, die Begriffe
des Vorverständni6ses herauszulösen aus den Sätzen des Kommentars
und für sich in ihren Grundstrukturen darzustellen, damit
Von dort her der Vorgang der Auslegung nachvollzogen werden kann
Und sichtbar wird, wo Amst. seine mitgebrachten Begriffe zurechtlegen
muß, um die ganz andere Denkwelt des Paulus zu erfassen,
und wo er von seinem Vorverständnis her die Aussagen des Apostels
gewaltsam verdreht. So gliedert sich die Arbeit in zwei Teile:

L Die anthropologischen Grundbegriffe,

IL Ambrosiasters Grundbegriffe in seiner Bibelauslegung und in
^'nem theologischen Denken.

Die Grundbegriffe lassen sich zusammenfassen in drei Anschau-
Ungskreise:

1. natura als creatura, 2. corpus und anima, 3.voluntas und ratio.
Was sich im Anschauungskreis der natura darstellt als die Auf-
gabe, in Gehorsam gegen den Anspruch von innen (semina legis inser-
ta) das bonum naturac zu verbessern, das erscheint im Feld der Begriffe
anima und corpus als die Aufgabe des ducere corpus. In Amst.s
Sprachgebrauch der Seelenbegriffe läßt sich eine Ordnung beob-
a*ten, die man sich in einem räumlichen Modell vorstellen kann: Der
«nirna-Begriff umschließt das Ganze der „Seele"; ihr läßt sich der
ar"mus so einordnen, daß er infolge seines geringeren Umfanges den
Unteren Teil der anima freiläßt: dort wo sie als das Belebende tief in
2* Leiblichkeit hineinreicht und als das innerste Selbst Ursprung und
-•lel im Jenseits hat. In ihrem oberen Teil deckt sich die anima als
Pars qua sapit mit dem animus, besonders in der Aufgabe des ducere
°rpus. Dem animus läßt sich wieder die mens einfügen, und zwar so,
aß sie den unteren Teil des animus, das „Gemüt" als den Ort der
erühle und Erregungen, freiläßt. Die mens läßt sich bestimmen als
SiJe ••Ebene der Bewußtheit", den besonderen Ort des intellegere und
lre- Hier tritt der Mensch auch seiner eigenen cogitatio P™™f
ge8enüber, so daß die conscientia als Funktion der mens begreiflich

wird, z. B. male sibi conscia mens. Das cor hat seine Eigenheiten:
Nie begegnet es als tätiges Subjekt, — es ist eben nicht die geistige
Person wie animus und auch mens, nicht das eigentliche Selbst wie
die anima, sondern das Innerste als der Grund des Selbst. Ein Vergleich
mit den Bestimmungen der Seelenbegriffe bei Tertullian, Laktanz
, Augustin und Isidor von Sevilla bestätigt die Strukturen, die
aus Amst.s unmittelbarem Sprachgebrauch erhoben werden können.
Aber diese Denker haben sich diese Strukturen ins Bewußtsein gehoben
, indem sie in weiterstoßender Fragestellung die Begriffe ausschmiedeten
. Der Exeget Amst. dagegen denkt wohl nach über das
Verhältnis der Begriffe des Textes zueinander und zu seinen mitgebrachten
Begriffen, aber die Beziehungen der Seelenbegriffe seines
Vorverständnisses zueinander untersucht er nicht. Er folgt in seinem
Denken einfach ihrer sprachgegebenen inneren Ordnung.

Die Untersuchung der geistigen Vermögen, nämlich des Anschauungskreises
von voluntas und ratio, lehrt, daß es von der Grundausrichtung
des Menschen abhängt, ob er seine Bestimmung verwirklicht
. Durch die Grundausrichtung entsteht jeweils eine Lebensganzheit
in Erkennen, Wollen und Tun, da sich diese Tätigkeiten gegenseitig
bedingen: Wollen und Erkennen im „Grundzirkel", den der
sensus-Begriff mit seinen Bedeutungsschichten umgreift (Vernunft, zu
vernehmender Sinn, vernommener Sinn, die den „Sehwinkel" der Vernunft
bedingende Gesinnung) und von dem der „Zirkel" des bloßen
Erkennens nur eine Oberflächenerscheinung ist im Räume der ratio
(objektives, dann begriffenes Sinngefüge, nicht subjektives Vermögen
der Vernunft); Wollen und Tun bedingen sich gegenseitig im
„Zirkel" der consuetudo. Diese Struktur liegt den beiden Möglichkeiten
zugrunde, im agnoscere Creatorem ein homo spiritalis zu sein
oder als homo carnalis in der Abkehr von Gott 6ich nur noch fester
in seine eigenen Kreise zu verstricken, in Blindheit und Zwang zum
Sündigen.

Damit ist das „Vorverständnis" von den menschlichen Grundmöglichkeiten
herausgearbeitet, aus dem heraus Amst. in der Auslegung
der Paulusbriefe den homo carnalis und den homo spiritalis zeichnet.
Seine Schriftauslegung vollzieht sich aber in dem Räume, den die
Begriffe sensus und ratio umschließen und der in diesem Fall gegliedert
wird durch den „exegetischen Zirkel" von dem schon Verstandenen
(sensus und ratio) zu dem noch unbekannten Sinngefüge der
Sache, die erklärt werden soll (causae ratio), und durch den tieferliegenden
„dogmatischen Zirkel" von dem vorausgehenden Sachverständnis
(ratio religionis) zum sensus collectus ex verbis, der mit
dem ersten übereinstimmen muß.

Zwischen den Bahnen, in denen sich das Denken des Paulus bewegt
, und den Vorstellungen in Amst.s Vorverständnis, besteht, besonders
in den Anschauungskreisen der natura und des corpus-anima-
Schemas, eine erhebliche Spannung. Hier läßt sich beobachten, wie
Amst. schrittweise diesen Abstand überbrückt: zuerst eine merkwürdige
Schicht von Aussagen, nicht mehr ganz Paulus, nicht mehr ganz
die mitgebrachten Anschauungen, sondern Amst.s Versuch, in pau-
linischen Bahnen weiterzudenken, — der „exegetische Zirkel". Hier
finden sich Wendungen wie quasi natura, quasi in ma6Sa, die Rede
vom corpus corruptum, von der Erbsünde, öfter auch der Gebrauch
der Begriffe „mens" (NOYC) und „cor" im paulinischen Sinn, die
Amst. sonst durch animus erklärt. Der „dogmatische Zirkel" vom
Sachwissen her erscheint dann in einem zweiten Schritt der Auslegung,
markiert durch enim oder per id quod, wo jene uneigentlichen Aussagen
wiederum ausgelegt werden. So wird z. B. das Verständnis des
erbsündlichen corpus corruptum als verderbter natura (gegen Buonaiuti
und Mundle) dadurch vermieden, daß der Schaden in den „metaphysischen
Rahmen" hinausverlegt wird als Zutrittsrecht des Teufels,
dann psychologisch erklärt wird durch consuetudo und desiderium.

Von hier aus werden die widersprechenden Urteile über Amst. in
der Literatur verständlich als je einseitige Hervorhebungen einer bestimmten
Aussageschicht (Nähe zu Pelagius: Kihn, de Plinval, Mundle;
Nähe zu Augustin: Buonaiuti, Jäntsch). Zieht man alle Aussagen über
das corpus corruptum zusammen, wie Jäntsch es beispielsweise tut,
so kann man freilich eine Lehre von der „Sündhaftigkeit durch Abstammung
" daraus zusammenbauen und den Amst. zum Vorkämpfer
Augustins machen. Wollte man dasselbe mit seinen Aussagen über die
consuetudo anstellen, so könnte ein „Pelagius ante Pelagium" dabei
herauskommen. Amst.s Verständnis aber ist ein komplexes Gebilde.

Mildenberge r, Friedrich: Die vordeuteronomistische Saul-Davidüberlieferung
. Diss. Tübingen 1962. 201 S.

Die Arbeit führt eine literarkritische Analyse der Saul-Davidüberlieferung
in ISa9 — IKö2, abgesehen von den deuteronomistischen
Bildungen ISalO, 17 —27; 12, durch. Ausgangspunkt ist die von