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1962

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Systematische Theologie: Ethik

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Neuerscheinungen

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im totalen Staat geschieht, einfach als Konsequenz der idealistischen
„Säkularisierung" verstanden werden, wie dies der
Verfasser andeutet, oder nicht eher als Abfall von dieser
Tradition?

Tübingen Heinz-Horst Sch r ey

Picht, Werner: Albert Schweitzer. Wesen und Bedeutung. Hamburg
: Richard Meiner [i960]. 320 S., 16Taf. gr. 8°. Lw. DM 24.—.

Es ist ein erstaunliches Werk, das der um Schweitzer so
verdiente Verleger seinen vielerlei Veröffentlichungen von und
über Schweitzer hinzufügt. Dankenswert ist auch, daß der
hervorragende Tafelschmuck in makelloser und plastischer
Wiedergabe bis in die letzte Zeit den Dargestellten vor Augen
führt. Der Stil ist weithin mitreißend, klar und durchsichtig. Es
handelt sich nicht um eine Biographie, sondern im Sinne der
Titelbezeichnung um den Versuch, das Wesen und die geistige
Gestalt Schweitzers durch neue Akzentsetzungen zu verdeutlichen
. Dabei kann es bei der Vielseitigkeit des Phänomens gar
nicht anders sein, als daß der Leser eine Fülle wissenswerter
Einzelzüge erfährt und dafür dankbar sein wird.

Die „Einführung", geschrieben im Juli 1959, enthält bereits
eine Mehrzahl von grundlegenden Aussagen, die anerkannt
werden müssen: „Die Einordnung Schweitzers in einen geistesgeschichtlichen
Zusammenhang relativiert seine Bedeutung, ohne
sie zu verkleinern. Sie zeigt, daß er auf seinem Gebiet Geschichte
gemacht hat" (S. 10).

Treffend ist auch der Hinweis, daß die „voluntaristisch betonte
Form der Liebesethik" (S. 10) einer der stärksten Impulse
bei Schweitzer ist. Lambarene ist sein sichtbar gewordener Ausdruck
. Daneben steht der Rationalismus. Nun behauptet Picht
allerdings, daß das SOLI DEO GLORIA, das Schweitzer einst
handschriftlich auf das Korrektur-Exemplar seines großen Bachwerkes
setzte, „die Auflösung aller seiner Paradoxien" (S. 13)
bedeute. Dazu wird einiges zu sagen sein.

Der große erste Teil des Buches berichtet über Mann und
Werk, spricht von den Fundamenten, geht auf Kant, Goethe,
die Jesus- und Paulusforschung ein, ebenso auf die Ethik, Musik
und Lambarene. Der Schlußteil bringt „Dokumente" in Gestalt
eines Auszugs des Abrisses des Lebens Jesu aus der 1901 veröffentlichten
Schrift „Das Mcssianitäts- und Leidensgeheimnis",
diesem sehr beachtlichen Auftakt zur Theologie der konsequenten
Eschatologie. Dann folgen zwei Predigten Schweitzers, gehalten
im Jahre 1906 in St. Nicolai zu Straßburg, die zu lesen
um Schweitzers willen fesselnd ist, die aber keineswegs derart
das Herz packen, wie die bislang bekanntgewordenen Bruchstücke
der „Negerpredigten" aus viel späterer Zeit es zu tun
vermögen.

Vielleicht empfindet mancher ähnlich wie der Rezensent,
daß dem Verfasser vor allem auch Dank für seinen „Exkurs"
(S. 208/278) gebührt, der eine Skizze der „Geschichte der Leben-
Jesu-Forschung" bietet. Die bildhafte Ausdrucksform, die besonders
diesem Abschnitt zu eigen ist, vermag sehr stark auch
dem gebildeten Laien zu vermitteln, was Mühsal, Leidenschaft
und zuchtvolles Ringen um den erhabenen Gegenstand vieler
Forschergenerationen geleistet haben. Der deutsche theologische
Leser wird es zu schätzen wissen, daß die kritische Betrachtung
nicht nur bei Schweitzers gleichnamigem Werk verweilt, sondern
bis in die unmittelbare Gegenwart fortgeführt wird, und
zwar dergestalt, daß auch die Forschungsergebnisse ausländischer
Herkunft, erinnert sei an Hoskyns, in der Betrachtung Aufnahme
fanden. Als Kriterium und Ergänzung dieser verdienstvollen
„Skizze" muß freilich das ähnliche, nur viel umfassendere
Unterfangen Ernst Barnikols herangezogen werden in „Das
Leben Jesu der Heilsgeschichte" (Halle, 1958), S. 78/243.

Hat aber, wie er glaubt, der Verfasser wirklich erstmalig
das Schweitzer-Bild au6 seiner Mitte her verstanden und gedeutet
? Der kennzeichnendste Satz steht am Schluß der eigentlichen
Deutung (S. 208): „Sein Dasein steht am Ende unter dem
Zeichen allein der Liebe, nicht der Erkenntnis." Stimmt das in

dieser Ausschließlichkeit? Daß die hier einsetzende Kritik dem
Werke Pichts nicht in kleinlicher Weise oder im Sinne schulmeisterlicher
Akribie etwas anhaben will, ist wohl durch die
würdigenden Ausführungen hervorgetreten. Aber um der Klarheit
willen, in der das Bild Schweitzers der Nachwelt zu überliefern
ist, muß doch grundsätzlich einiges eingewandt werden,
was tiefgreifender Art ist.

Auf ein Dreifaches sei hingewiesen:

1. ) Die Rede, die Schweitzer am 20. Oktober 1952 in
Paris vor der Academie des Sciences Morales et Politiques gehalten
hat, ist der überzeugendste Nachweis, daß der eigentliche
Schwerpunkt des geistigen Wesens Albert Schweitzers nach
seinem Eigenverständnis philosophisch-ethischer Natur ist.

2. ) Picht selbst gesteht mir zu, daß ich in meinem Buche
„A- Schw. — Denker aus Christentum" (Halle, 1958) „unter
Berufung auf Oskar Kraus" den betonten Agnostizismus Schw.s.
treffend dahingehend modifiziert habe, daß dieser nicht ein
skeptischer, sondern ein demütiger sei (S. 74). Hierbei handelt
es sich um docta ignorantia im Sinne Schweitzers, also wesenhaft
um Erkenntnis. An einer sich darauf gründenden
Weltanschauung und Lebenslehre ist aber Schw. um der intellektuellen
Redlichkeit willen entscheidend viel gelegen! Nidit
deutlich genug ist diese docta ignorantia von jedem bloßen
Skeptizismus abzusetzen!

3. ) In dem bekannten Briefe an Oskar Kraus nach Prag
vom 2. Januar 1924 ist das unumstößliche Zeugnis zu erblicken,
daß Schw. bis in die innerste Faser seines Wesens philosophisch-
leligiöser Ethiker ist, daß bei ihm um der zuvor vermerkten
intellektuellen Redlichkeit willen da6 lebenslange Ringen um
Gotterkenntnis im Schwebezustand zwischen Theismus und
Pantheismus verbleibt, und zwar unentwegt seit seinem fünfzehnten
Lebensjahr!

In alldem handelt es sich nicht um vereinzelte Äußerungen.
(Die erwähnten Aussagen sind in zusammengeballter Dichte z. B.
auch enthalten in dem zu wenig bekannten Aufsatz, der zuerst
am 21. und 28. November 1934 englisch in „The Christian
Century" über „Die Religion in der modernen Kultur" erschien
.)

Abschließend muß festgestellt werden, daß der Eigenart des
Denkers Schweitzer Eintrag geschieht, wenn in noch so gutgemeinter
und ehrender Absicht „die Auflösung aller seiner
Paradoxien" demonstriert werden soll.

Leipzig IUitlolf Grab!"

Beckmann, Joachim: Evangelische Stellungnahme zur Frage der
Geburtenregelung.

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Gollwitzer, Helmut: Die Kirche in der deutschen Situation.
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Ekklesia — Festschrift für Bischof Dr. Matthias Wehr, Trier 1962

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