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1962 Nr. 10

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

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Luther zurückzugehen, faktisch aber im melanchthonischen in-
tellektualisierten Begriffsbild stecken bleibt, das zwischen Grund
und Ordnung des Heils unterscheidet und damit Rechtfertigung
und Heiligung zu weit auseinanderzieht. Die unaufhebbare
Zusammengehörigkeit zwischen Rechtfertigung und Heiligung,
die bei Luther unmittelbar aus Freude und Dankbarkeit erwächst
, vermag Löscher nicht mehr sachgemäß auszusprechen in
der Kontroverse, während der Pietismus unmittelbarer als die
Orthodoxie um die im Akt der Rechtfertigung entbundene
Lebendigkeit des Glaubens wußte und sich hier mit Recht auf
Luther gegen Löscher berufen konnte.

Unglücklich mutet auch Löschers Verteidigung der „Amtsgnade
" des ordinierten Geistlichen an, zumal sie zugleich mit
dem Anspruch verbunden wird, daß der Beruf, Mißstände in der
Kirche zu bessern und zu reformieren, allein dem Geistlichen,
dem Theologen zustehe. Damit hat die Orthodoxie nicht mehr
die neutestamenthehe Spannung zwischen Amt und Gemeinde,
jene fruchtbare Polarität zwischen Amtsträger und der durch
charismatische Gaben ausgestatteten und mündigen Gemeinde
festgehalten. Dieses Problem ist einfach nicht mehr sichtbar. Der
Verfasser unterstreicht noch ausdrücklich, daß Löscher die
Bekchrungs- und Bußpredigt Franckcs nicht angegriffen habe,
Weiß hier aber keine Erklärung, gehemmt durch eine falsche
Ausdeutung und Verzerrung des Franckcschen Bekehrungserlebnisses
. Wie sollte aber dem Dresdner Superintendenten entgangen
sein, daß die Wiedcrgcburtslehre ein entscheidendes
Merkmal seit Spener im ganzen Pietismus darstellte?

Die Lösung kann doch nur in der Richtung liegen, daß
Löscher die orthodoxe Lehre von der unio mystica, welche die
johanncischen Aussagen verarbeitet hat, also sowohl durch die
orthodoxe Lehre wie durch das Neue Testament gesichert war,
für 6jch als bindend ansah und darum 6chwieg, um so mehr als
die Predigt Franckes, wo 6ie auf die Bekehrung zu sprechen kam,
keine gesetzlichen Züge trug. Davon hat sich Löscher überzeugt
.

Es ist verdienstlich, daß der Verfasser diese und andere
Hemmungen in Löschers Polemik deutlich gemacht hat. Wir
"Hissen aber doch einige Fragen stellen. Ist der Pietismus wirklich
nur als Negation bzw. Reaktionserscheinung auf eine einstige
orthodoxe Kontrovcrstheologic aufgekommen? Wie vermag
er dann für mehr als ein Menschenalter so starke Impulse
Positiver Art auf das gesamte deutsche Geistesleben auszustrahlen
? Hat nicht doch Älbrccht Ritsehl schärfer gesehen, wenn er
festzustellen glaubte, daß Löscher den Pietismus historisch nicht
richtig gesehen hat, 60 sehr auch der Verfasser das Gewicht die-
ser Feststellung abzuschwächen sucht? Der Verfasser übernimmt
die These Löschers, daß der kirchliche und der schwärmerische
p'etismus Geist von einem Geist gewesen sind, ohne sie kirchen-
Eeschichtlich wie aus systematischen Untersuchungen zu belegen,
daß sie überzeugen könnte. Kann man die Zerstörung der
"rivatbeichte noch dem Pietismus zuschieben, wenn Forschungen
erRcbcn haben, daß die Privatbeichte schon in der Reformations-
j*H nicht richtig theologisch durchdacht, früh zum intellcktua-
l'siertcn Lehrverhör eingeengt und im kirchlichen Massen-
Betrieb des 17. Jahrhunderts mechanisiert und entleert worden
'st> ehe der Pietismus aufkam? So könnte man noch andere
£ragen bei ausgesprochenen Werturteilen des Verfassers stellen.
?* heben aber nicht auf, daß die umsichtige und weithin aus-
8ew0genc Arbeit uns Valentin Ernst Löscher nach einer be-
•jinurtten Seite hin lebendig macht und die Größe und Grenze
e'ner Orthodoxie vor ihrer Selbstauflösung skizziert, die gegenüber
dem Pietismus mit seinen schwärmerischen Randerschei-
nungen nicht mehr die Kraft besitzt, unmittelbar auf Luther
""d auf das Neue Testament zurückzustoßen, um gefährliche
'endenzen im Pietismus, bevollmächtigt durch das neutesta-
"Tentliche und reformatorische Zeugnis, wirksam zu korrigieren.
rst in der Erweckungsbewegung haben 6ich beide Grundsrrö-
munSen gefunden.

Mtlndion Erich Beyreuther

arnikoI, Ernst: Der Bricfwcdisel zwischen Strauß und Baur.
Wcllcnmäßigcr Beitrag zur Strauß-Baur-Forschung.
^'tschrift für Kirchcngcschichte LXX11I, 1962 S. 74-125.

Baur, Jörg: Die Pflicht geschichtlichen Denkens — Anläßlich des

3 50. Geburtstages von Abraham Calov.

Lutherische Monatshefte 1, 1962 S. 230—232.
Kanus-Crede, Helmhart: Lars Levi Lacstadius, ein Erweckungs-

prediger des Nordens.

Junge Kirche 23, 1962 S. 317-322.

L e 11, J.: 75 Jahre Evangelischer Bund.

Im Lichte der Reformation — Jahrbuch des Evangelischen Bundes

V/1962 S. 73—84.
S a u t e r, Gerhard: Johann Christoph Blumhardt als Deuter der modernen
Gesellschaft.

Zeitwende XXXIII, 1962 S. 98—106.
Schenke, Friedrich: Luther und der Humanismus.

Luther — Zeitschrift der Luther-Gesellschaft 33, 1962 S. 77—85.
S t e e n, Adolf: Prost Lars Levi Laestadius og hans dorn over kolleger.

Norsk Tcologisk Tidsskrift 63, 1962 S. 111—123.
Wolf, Ernst: Zur Geschichte der kirchlichen Bruderschaften.

Communio Viatorum 5, 1962 S. 47—56.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Schlink, Edmund: Der kommende Christus und die kirchlichen
Traditionen. Beiträge zum Gespräch zwischen den getrennten Kirchen
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht |l96l], 276 S. gr. 8°.
Kart. DM 14.80: Lw. DM 16.50.

Die meisten der theologischen Veröffentlichungen Schlinks
im Laufe des letzten Jahrzehnts, eben die, die er in diesem
Bande gesammelt vorlegt, verfolgten bei aller äußerlichen Verschiedenheit
ihrer Thematik doch die gemeinsame Absicht,
Beiträge zum gegenwärtigen ökumenischen Ringen zu geben.
Dies gibt dem vorliegenden Sammelbande seine innere Geschlossenheit
und Zielgerichtetheit. In der den verschiedenen
Arbeiten vorangestellten und sie innerlich zusammenordnenden
Einleitung zeigt Seh., worin er in dem heutigen Ringen
der getrennten Kirchen um die Sichtbarwerdung des wesenhaften
Einsseins der Kirche Christi die eigentlich theologische
Aufgabe 6ieht: Es gilt in dem jetzigen Stadium der Entdeckung
der einen Kirche auch in den anderen Kirchen, ,,mit dem Blick
der Hoffnung und der Liebe nach den Zeichen und der Wirklichkeit
eben derselben einen Kirche in den von uns getrennten
Teilen der Christenheit zu suchen. Erst wenn die eine Kirche
dort in Klarheit wieder erkannt ist, ist der Weg frei für den
zweiten Schritt, nämlich für das Gespräch über die Einigung".
Zunächst bedarf ,,das die Trennung durchbrechende Erlebnis der
Einheit ... der theologischen Klärung" (10). Das heißt, wir
haben zu versuchen, ,,die fremden Traditionen . . . soweit als
irgend möglich als Überlieferung und Entfaltung des apostolischen
Christuszeugnieses ... zu verstehen" und so von der gemeinsamen
Grund - „Sache" her „die getrennten Teile der
Christenheit füreinander zu erschließen" (11). (Hier ist die
Zwischenfrage zu stellen, was es denn mit den Elementen in
den kirchlichen Traditionen ist, die, manchmal an bestimmender
Stelle, der apostolischen Christusübcrliefcrung widerstreiten.
Diese in den ökumenischen Auseinandersetzungen oft so bedrängende
Frage findet in den Beiträgen dieses Bandes keine
rechte Beantwortung. Sch.s Konzeption scheint an diesem Punkte
zu „harmlos" zu sein.)

Doch folgen wir ihm weiter: Die gebotene „wechselseitige
Erschließung der faktischen Traditionen der getrennten
Teile der Christenheit füreinander" (12) von ihrem gemeinsamen
Bezugspunkt her kann nicht nur im geschichtlichen Rückgang
geschehen, sondern vor allem im Vorausblick und in der Entgegenstreckung
auf den kommenden Christus, der der Richter
nicht nur der Welt, sondern zumal der Kirche sein wird (11;
6. auch S. 269f). Die verschiedenen Traditionen der getrennten
Kirchen „werden nur da füreinander erschlossen, wo ihre Vorläufigkeit
, ja, wo die Vorläufigkeit der Kirche erkannt wird"
(11). Es ist eins der Hauptverdienste Sch.s, daß er kraftvoll auf
diese eschatologische Dimension der Kirchenfragen
aufmerksam macht und sie für die ganze ekklesiolo-
gische und ökumenische Problematik fruchtbar macht. In diesem
Sinne ist der Titel der Aufsatzsammlung zu verstehen, und dieser
Aspekt zieht sich in der Tat durch fast alle Beiträge. Beson-