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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

765-767

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Brown, Ford K.

Titel/Untertitel:

Fathers of the Victorians 1962

Rezensent:

Delius, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

766

Hörten, Heinz: Gregor der Große und der mittelalterliche Episkopat
.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXXI1I, 1962 S. 16—41.
K n o w 1 e s, David, Prof.: Saints and Scholars. Twenty-five medieval
Portrait«, London: Cambridge University Press 1962. XI, 208 S.,
8 Taf. 8". Lw. 22 6. 6 d.

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Brown, Ford K.: Fathers of the Victorians. The Age of Wilber-
force. Cambridge: University Press 1961. VI, 569 S. gr. 8°. Lw. 55 s.

Das Buch schildert die Geschichte der Reformbewegung in
England vom Jahre 1780 an. Es war die Zeit, in der einige
wenige Männer und Frauen beunruhigt über den Niedergang
der Religion und Moral in England sich zur Abwehr zusammen'
fanden. Ihre Tätigkeit führte im Verlauf von dreißig Jahren zu
zahlreichen Vereinigungen, deren führende Persönlichkeiten
auch außerhalb Englands als Vorkämpfer für Sittlichkeit und
Moral Ansehen hatten. Sie sahen ihre Zeit „The Age of Ele-
gance" als eine Zeit der Finsternis und Sünde an. Obwohl es
damals in England undenkbar war, daß Neuerungen und Reformen
nur unter der Führerschaft der herrschenden Klasse und
der Staatskirche für möglich gehalten wurden, wagten diese
Kreise, chokiert durch die Französische Revolution, keine Reformen
, da sie durch sie revolutionäre Wirkungen fürchteten.
In dieser Lage trat William Wilberforce in die Bresche, ein begüterter
Mann, Liebling der Londoner Gesellschaft, Parlaments-
abgeordnetcr von Hull und seit 1787 hervorragender Redner
iffl Unterhaus, der schließlich Freund des Premierministers Pitt
Wurde. Wilberforce stellte im Jahre 178 5 die „despair of repu-
blic" fest, verursacht durch die allgemein herrschende Korruption
und Verworfenheit seiner Zeit. Im gleichen Jahr bildete
sich auch eine kleine Vereinigung um den ehemaligen Sklavenhändler
John Newton, welche den Namen „Evangelical" oder
..Evangelical Party" erhielt. Diese Gruppe hätte kaum Bedeutung
gewonnen, wenn nicht Wilberforce ihre Leitung übernommen
hätte.

In drei Teilen behandelt nun der Verfasser den Kampf der
Evangelicals, den Widerstand, den sie gefunden haben und die
geistigen Wirkungen derselben.

Das Buch macht deutlich, wie der Evangclikalismus 6ehr
bald die heftige Gegnerschaft der hochkirchlichen Anti-Jacobin
Review and Magazine fand, einer Zeitschrift, die bereits in ihrem
Titel zum Ausdruck brachte, daß sie den Einfluß der Französischen
Revolution in England zu bekämpfen beabsichtigte. Sie
s*h in den unbestreitbar üblen Zuständen in England eine
Folge der Französischen Revolution. Der Bischof von Derry bezeichnete
damals die Franzosen als „Nation von Pavianen".
Das Buch zeigt nun, wie vereinfachend es ist, so die englische
Situation zu analysieren. Demgegenüber zeigten nun die Evangelikaien
, daß die Ursache des Niederganges die mangelnde
Religion sei. Aus der Literatur jener Zeit macht der Verfasser
deutlich, wie viele Persönlichkeiten, aber auch soziale Einrich-
tur>gen kein Verständnis für die evangelikalen Reformbestrebungen
hatten. Nur einzelne Pfarrer der Staatskirche stießen zu
'hf. das Gros derselben, besonders die führenden Geistlichen,
blieben den Evangelicals fern. Das Bild, welches das Buch von
den Pfarrern der Staatskirche entwirft, unterscheidet sich weitbin
nicht von dem der evangelischen Pfarrercchaft der Auf-
k'ärungszeit in Deutschland. Es zeigt die mittelmäßige Bildung
und Interessen der Pfarrerschaft, zum Teil aber auch hohe Begabung
, die sich auf allen möglichen Gebieten der Wissenschaft
und Technik, nur nicht auf ihrem eigenen Gebiet auswirkt. Im
Y°lk selbst ist viel soziales Elend, das nicht zuletzt durch den
Riefen Graben zwischen den Klassen hervorgerufen worden war.
Yer Verfasser meint, daß Wesleys Mission gegenüber den
Armen hier keinen Erfolg gehabt habe, weil ihm das psycho-
'ogische Verständnis fehlte und er es unterließ, einen Appell
an die herrschende Klasse zur Überwindung der sezialen Mißstände
zu richten. Gleichwohl hatte der Methodismus zu Beginn
^cs 19. Jahrhunderts eine große Gefolgschaft, wenn auch ein-
nußreiche Persönlichkeiten nur in geringer Anzahl bei den
Methodisten zu finden waren. Die methodistische Opposition

gegenüber der Staatskirche war nach Wilberforce keine Mitarbeit
an der Reform. Er dankte darum Gott, daß ihn Gott vom
Methodismus ferngehalten hatte, obwohl die Frühzeit des
Evangelikaiismus auch unter dem Einfluß Whitefields und damit
auch unter dem Wesleys gestanden hatte.

Nachdem der Verfasser kurze biographische Mitteilungen
über Wilberforce gemacht hat, zeigt er, wie dieser in seiner
178 8 beginnenden Aktion zur Abschaffung des Sklavenhandels
von den führenden Kirchenmännern allein gelassen wurde. Auch
der König war über Wilberforces Vorgehen beunruhigt.

Das Buch macht dann deutlich, daß Wilberforce über die
kgl. Proklamation Society und ihre praktische Auswirkung
nicht befriedigt war. Immerhin war ihr großer Erfolg die Abwehr
der Publikation von Thomas Paine: The Age of Reason,
welche dem radikalsten Deismus Ausdruck gab. Der Verfasser
gibt dann einen Überblick über die verschiedenen kirchlichen
Societies des endenden 18. Jahrhunderts. Für Wilberforces Tätigkeit
war seine Verbindung mit anderen Parlamentsmitgliedern
wichtig. Mit ihnen bildete er eine Gruppe, „die Heiligen" genannt
. Am Ende des 18. Jahrhunderts war Wilberforce in vielen
Societies organisiert. Zur evangelikalen Bewegung waren im
letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts Adlige, Mitglieder des
Parlaments, der Regierung und der Hochkirchc, einflußreiche
Kaufleute, Bankiers und Industrielle gekommen, ohne daß damit
der Widerstand gegen Wilberforce seitens der herrschenden
Klasse und der Staatskirche aufgehört hatte.

Das Buch schildert dann, wie neben Wilberforce vor allem
Hannah More, welche der Verfasser „die hochgeachtete Frau
der christlichen Welt" nennt, Wilberforce in der Frage der
Sklavenbefreiung bestärkt und andere Persönlichkeiten der englischen
Öffentlichkeit durch ihre reiche publizistische Tätigkeit
mobil gemacht hat und so wesentlich an der Vorbereitung der
Parlamentsinterpellationen von Wilberforce in der ßklavanfrage
beteiligt war.

Der Verfasser weist dann auf die Gegensätze zwischen
Hochkirche und Evangelikaiismus in den Fragen der guten
Werke und der Sonntagsschulen hin, die von der Anti Jacobin
Review and Magazine „Pflanzstätten des Fanatismus" (1799)
genannt werden. Auch die evangelikale Predigt wurde als „puritanischer
Fanatismus" (1798) bezeichnet. Besonders heftig waren
die Auseinandersetzungen in der sog. Calvinisten Kontroverse
(1798-1812).

Auch die Kämpfe der Hannah More besonders mit dem
Pfarrer von Blagdon, wobei sie die Unterstützung Wilberforces
findet, werden geschildert. Die missionarische Tätigkeit der
Evangelikalen besonders durch die Britische und Ausländische
Bibelgesellschaft, die Tätigkeit der kirchlichen Missionsgesellschaft
zeigen ihre Wirksamkeit in den beiden ersten Jahrzehnten
des 19. Jahrhunderts. Um das Jahr 1820 bestimmte die
Vielzahl der sozialen und religiösen Einrichtungen und Gesellschaften
das kirchliche Leben Englands. Der Verfasser gibt eine
Liste derselben von 15 39—1844, von denen noch manche heute
bestehen.

Der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert ging nicht
ohne Kampf in England vorüber. Die Gegner des Evangelikalis-
mus blieben weiter der Kapitalismus und der Zwang der Staatskirche
. Die herrschenden Klassen meinten aus rechtlich begründeten
Interessen, Wächter über Moral und Sittlichkeit der breiten
Volksmassen sein zu müssen. Die evangelikale Bewegung
aber konnte nur erfolgreich 6ein im Gegensatz zum Status quo
und den Privilegien der oberen Schichten. Der Verfasser hat
daher als Überschrift des 3. Teiles seines Buches gewählt:
„England in Gefahr". Wilberforce sah diese Gefahr einmal darin
, daß nach der Besiegung Napoleons im Friedensvertrag die
Möglichkeit einer Wiederbelebung des Sklavenhandels gegeben
wurde, daß der Einfluß der Evangelikalen auf die Welt zur Versuchung
für dieselben werde, sich im Säkularismus zu verlieren.
So war es für Wilberforce ein Schlag, als sein eigner Sohn sich
an einem Unternehmen finanziell beteiligte und andere Evangelikalen
ähnlich handelten.

Es ist unmöglich, die Fülle der Einzelheiten des Buches in
einer Besprechung wiederzugeben. Besonders wertvoll an dem