Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1962 Nr. 10

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

763

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

764

(Balliol College 157, Oxford) hatte er seine Meinung geändert und in
seinem 3 bändigen Werk „Pelagius's Expositions of Thirteen Epistles
of St. Paul" (1922—31) einen besonderen irischen Paulustext angenommen
. Frede will also die ursprüngliche Meinung Souters als die richtige
erweisen: Die Hs. A bietet die beste Überlieferung (S. 9), Text B bietet
„keineswegs einen grundlegend andersartigen Textcharakter gegenüber
den anderen Pelagiushandschriften ... die Färbung mit altlateinischem
Gut ist in B nur kräftiger als in ihren Schwestern" (S. 27). Eine wichtige
Rolle spielt für Frede der Texttyp I. Von ihm formuliert er:
„I ist so weithin und allgemein verbreitet, daß von ihm als einer „Vul-
gata" im eigentlichen Sinne zu sprechen ist, die der jetzt so genannten
Textform vorausging" (S. 3 8). Wegen näherer Erläuterungen über
diesen I-Text verweist Frede auf seine Arbeit „Untersuchungen zur
Geschichte der lateinischen Übersetzung des Epheserbriefes" (Diss.
Bonn 1958). Zu fragen ist, ob die Bezeichnung dieser altlateinischen
Textform mit „I" an die sogenannte Itala erinnern soll, deren Textausgabe
1938 von A. Jülicher inauguriert wurde. Der ebenfalls an der
Beuroner Vetus-Latina-Edition arbeitende W.Thiele forderte: „Der
Name Itala für die altlateinischen Texte sollte vermieden werden"
(RGG I3, Sp. 1196). In diesem Sinne sagt auch Frede: Der Geltungsbereich
von 1 „beschränkt sich nicht auf Italien. Man trifft auf I ebenso
in Afrika, Spanien, Gallien und auf den britischen Inseln" (S. 3 8). Aber
warum nennt er diesen Texttyp gerade I?

Der zweite Teil der Arbeit behandelt das Book of Armagh
(Codex Dublin, Trinity College 52), das um 807 geschrieben
worden sein dürfte. Auf Seite 63—73 stellt Frede 265 Abweichungen
vom Vulgata-Text heraus, — eine für den kleinen
Epheserbrief zweifellos sehr hohe Zahl. Frede sieht eine starke
Verwandtschaft zu den ältesten Vertretern des I-Textes (S. 74)
und betont die häufige Bezeugung der Lesarten des Dubliner
Codex durch alte italienische Handschriften; das Wort Itala vermeidet
er aber auch hier. In der Tat reichen die Beziehungen auch
weit über Italien hinaus: Beziehungen zum ältesten Text Cyprians
sowie nach Spanien werden festgestellt. Die wesentlichste Beziehung
aber weist nach Gallien hinüber. Um 400—440 soll der
vom Book of Armagh vertretene Paulustext seinen Weg von
Gallien auf die Inseln genommen haben (S. 83), wobei die Möglichkeit
erwähnt wird, daß „Patrick auch den Paulustext von
Auxerre auf die Insel" gebracht haben könnte (S. 84). — Der
dritte Teil der Arbeit behandelt den katenenartigen Kommentar
des Sedulius Scotus (S. 87 ff.). Frede kommt zu dem Ergebnis:
„Sedulius steht der Vulgata etwas näher als das Book of Armagh
". Man begegnet den gleichen Besonderheiten, die schon für
den Dubliner Codex festgestellt worden waren: ,,. . . ein wesentliches
Element ist der I-Typ . .. durchsetzt mit Resten aus einem
älteren Stadium . die Berührungen mit spanischen Texten
werden sichtbar, und gemeinsame Lesarten mit gallischen Texten
deuten .. auf die Herkunft" (S. 94). Nach einer ausführlichen
Darstellung der Übcrlieferungsgeschachte (S. 95—105) bietet
Frede abschließend einen kritischen Text des Sedulius-Kommen-
tars zum Epheserbrief (S. 107—155), wobei der bisher ungedruckte
Prolog (S. 107—114) besonders dankbare Aufnahme verdient. —
Das Gesamtergebnis Fredes ist überraschend: Um 400 kannte
der Ire Pelagius die Vulgata, im 9. Jhdt. hielt man sich in Irland
stärker an altlateinische Textformen! Das ist zweifellos ein Vorgang
, der neue Fragen aufwirft. Die zu erwartenden Untersuchungen
über die lateinische Übersetzung anderer paulinischer
Briefe in jenem Zeitraum werden zeigen, ob sich Fredes Ergebnisse
verallgemeinern lassen oder revidiert werden müssen.

Rostock GertHaendler

Ziegler, Josef Georg, Dr.: Die Ehelehre der Pönitentialsummen
von 1200—1350. Eine Untersuchung zur Geschichte der Moral- und
Pastoraltheologie. Regensburg: Pustet 1956. XXIV, 320 S. 8°.
DM 19.50.

Man kann es gar nicht hoch genug veranschlagen, wenn
heute die katholische Moraltheologie mit zunehmender Aufmerksamkeit
und ehrlicher Offenheit 6ich um die Erforschung
ihrer eigenen Tradition bemüht. Dieses Anliegen duldet ja auch
keinen weiteren Aufschub mehr: die Bewältigung der gegenwärtig
anfallenden Probleme des sittlichen Lebens fordert vom
Theologen bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber der Zeit und
ihren Nöten einen doch 6ehr genauen Blick für all das, was an
den überkommenen ethischen Postulaten wesentlich und unwesentlich
, wahre Überlieferung und bloß Tradiertes, zeitlos

Gültiges und geschichtlich Wandelbares ist. Die Lösung all dieser
Fragen ist ohne eine umfassende Kenntnis der geschichtlichen
Voraussetzungen einfach nicht möglich. Daß dabei gerade
die Ehelehre ein besonderes Interesse auf sich zieht, bedarf keiner
langen Erörterung. Manche Teilarbeit wurde auf diesem
Sektor bereits geleistet (z. B. J. Fuchs, Die Sexualethik des hl.
Thomas v. Aquin, M. Müller, Die Lehre des hl. Augustinus von
der Paradie»ehe und ihre Auswirkung in die Sexualethik des
12. und 13. Jahrhunderts bis Thomas v. Aquin). Vieles jedoch
harrt noch weiterer Erforschung. Das vorliegende Werk aus der
Schule des um die moralgeschichtliche Forschung hochverdienten
Prof. M. Müller kann wohl beanspruchen, für eben die historische
Erschließung der katholischen Ehemoral einen außerordentlich
wichtigen Beitrag geleistet zu haben. Sein Verfasser
war in der Tat glücklich beraten, gerade die wenig bekannten
Pönitentialsummen des 13. und 14. Jahrhunderts zum Ausgang
und Gegenstand seiner Untersuchung genommen zu haben.
Spiegeln sich doch in ihnen gewissermaßen gebündelt und ungleich
plastischer als in den eigentlich theoretischen Traktaten
die sittlichen Anschauungen wie auch die seelsorgerliche Praxis
einer ganzen Epoche wider. Die vom Verfasser mit großer Umsicht
und Sachkenntnis vorgelegten Analysen bleiben indes
nicht bei einer nur beschreibenden und zusammenaddierten Darstellung
der damals herrschenden pastoralen Verhältnisse (des
„moralischen Klimas") stehen, sie dringen darüber hinaus auch
vor zu den tieferliegenden Problemen theologisch-spekulativer
Natur, zu den geistigen Grundströmungen. Deren Aufweis und
Wertung rücken die oft sehr ins Detail gehenden Einzeluntersuchungen
immer wieder in den umgreifenden theologischen
Zusammenhang. Dabei kommt dem Verf. eine beeindruckende
sprachliche Gewandtheit zugute, welche die Lektüre des Werkes
ungemein erleichtert. Es ist wirklich erregend, anhand des
gesichteten und ausgebreiteten Materials zu verfolgen, welch
einen Wandel die PS gegenüber dem traditionellen, von Augustinus
her inspirierten Sexualpessimismus mit seiner unsachlichen
Abwertung der naturhaften Geschlechtslust anzeigen: mögen
sich auch die PS der ersten Periode (ca. 1208—1274) noch ganz
auf der Linie der herkömmlichen Anschauungen bewegen, so
setzte sich doch in den nachfolgenden Epochen eine mehr unvoreingenommene
, den natürlichen Gegebenheiten stärker Rechnung
tragende Wertung der Sexualfunktionen und damit auch der
ehelichen Liebes- und Leibesgemeinschaft durch. Freilich zur
Gänze vermochten es auch die als „fortschrittlich" zu kennzeichnenden
PS nicht, sich den latent schwelenden, manichäischen und
gnostischen Motiven zu entziehen: sie blieben Kinder ihrer
Zeit, was vor allem auch in der starken Verhaftung an das Alte
Testament und der geringen Berücksichtigung der neutesta-
mentlichen Heilsbotschaft zum Ausdruck kommt (163). Unangefochten
behauptet sich auch die These von der „Absorbierung
des Geistes" durch die Geschlechtslust, sowie die Annahme,
sexuelle Regungen innerhalb der Ehe besser durch geistliche
Übungen als durch den ehelichen Vollzug überwinden zu können
(288). Es ist fraglos einer der Verdienste des Verfs., sichtbar
gemacht zu haben, daß selbst die Rezeption der aristotelischen
Anthropologie diese Beschränkungen nicht zu beheben
vermochte. Was aber die ganze Untersuchung für unsere Gegenwart
so wertvoll macht: sie zwingt zu der Frage, ob nicht auch
so manche der heutigen, für den Beichtvater und die landläufige
Gewissensbildung zurechtgemachten Anweisungen der Ehemoral
ebenfalls noch mit gewissen geschichtlichen Bedingtheiten belastet
sind, mit Motiven also, die weder von der genuin evangelischen
Ethik noch von einer recht verstandenen Tradition her
gefordert sind. — Schließlich erachtet es der Rezensent nicht für
überflüssig, dem Verf. besondere Anerkennung für das dem
Werk beigegebene Namens- und Sachverzeichnis zu sagen: es
erleichtert die Durchsicht sehr wesentlich.

Rom Bernhard Stoeckle

Fischer, Joseph A.: Bischof Dracholf von Freising (907—926).

Zeitschrift f. bayer. Kirchengeschichte 30 I, 1961 S. 1—32.
Gross, Julius: Ur- und Erbsünde bei Hugo von St. Viktor.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXXIII, 1962 S. 42—61.