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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

756-757

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Stelzenberger, Johannes

Titel/Untertitel:

Syneidesis im Neuen Testament 1962

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

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Justin gekommen. So aufschlußreich der durchgehende Hinweis
auf diesen ist, sind doch die tiefgreifenden Unterschiede nicht
zu übersehen. Das Prädikat „frühkatholisch", da6 für Justin zutrifft
, ist m.E. für Lukas geradezu irreführend. Der Sukzessionsgedanke
fehlt völlig, ebenso die frühkatholische Ausbildung
von Amt, Sakrament. Das Verhältnis zur griechischen Geistigkeit
ist bei Justin und Lukas geradezu konträr. Die Auseinandersetzung
mit dieser finden wir in der AG gerade erst in
statu nascendi. Und endlich: Eine Theologie der „AG"
gibt es nicht, sondern nur eine „des Lukas". Für die Interpretation
der AG. gibt das frisch geschriebene Buch freilich
beträchtliche Anregungen. Hinsichtlich der Fragestellungen ist
es völlig auf der Höhe.

Geismar b. Güdingen Hans Conzclmaiin

Haenchen, Ernst: Die Botschaft des Thomas - Evangeliums. Berlin
: Töpelmann 1961. 76 S. gr. 8" = Theol. Bibliothek Töpelmann,
hrsg. v. K. Aland, K. G. Kuhn, C. H. Ratschow u. E. Schlink, 6. H.
DM 7.80.

Die Schrift des Verfs. ist eine der erfreulichsten Arbeiten
über das Thomas-Evangelium. Die einleitenden Fragen sind
kurz behandelt: sie sind bekannt. Ich würde einiges anders fassen
. Ohne Zweifel kann echte Gnosis nur Worte Jesu brauchen
; darum ist hier eine Spruchsammlung besonders begreiflich.
Aber es hat tatsächlich auch sonst Spruchsammlungen gegeben,
im Urchristentum, aber ebenso bei den Griechen. Geht nicht
unser Wissen um Diogenes vor allem auf eine Spruchsammlung
zurück? Es lohnt sich, diesen Zusammenhängen einmal nachzugehen
.

Verf. gibt dann eine Übersetzung des Thomas-Evangeliums,
mit Benutzung der bisherigen Arbeiten. Er übersetzt so, daß er
die Seiten und Zeilen der Faksimile-Ausgabe wahrt und danach
zitiert: das ist im Augenblick, wegen der verschiedenen
Zählung der Sprüche, in der Tat das Sicherste, obwohl so keine
Übersichtlichkeit bewirkt wird. Ich wünschte etwas mehr
Zurückhaltung in der Sache. Auf allerlei Unsicherheiten macht
der Verf. späterhin selbst aufmerksam. Ist es nicht notwendig,
schon die Übersetzung mit Fragezeichen auszustatten? Spruch 111
wird eine Vermutung der koptischen Erstausgabe übernommen
; das mag vor der Hand erlaubt sein; aber die Vermutung
ist m. E. unwahrscheinlich, weil sie zu einem Text führt, in
dem Jesus sich selbst zitiert; man wird also einen viel tiefer
gehenden Schaden voraussetzen müssen. Dann aber ist hier ein
Fragezeichen im Text notwendig. Weiter würde ich, wo irgend
ein Zweifel möglich ist, auf andere Übersetzungsmöglichkeiten
aufmerksam machen. Ich „bestehe" nicht darauf, in Spruch 40
statt „außerhalb des Vaters" zu übersetzen „außerhalb der
Gerste"; aber diese Möglichkeit möchte ich allerdings angegeben
wissen; der Text ist alles eher als sonnenklar. Als wir vor
Jahren die griechischen Papyrusfetzen mit der koptischen Fassung
verglichen, wurde uns klar, wie schwer es ist, auf diesem
Gebiet das zu erraten, was gemeint ist.

Der Glanzpunkt des Buches ist seine Exegese, die Darstellung
der Botschaft des Thomas-Evangeliums. Verf. geht davon
aus, daß es hier keine nichtgnostischen Stücke gibt: die Überschrift
des Evangeliums besagt: „Wer die Bedeutung dieser
Worte findet, wird den Tod nicht schmecken"; das heißt, daß
auch Sprüche, die ganz einfach synoptisch scheinen, einen tieferen
Sinn haben, der erst erarbeitet werden muß. „Wir müssen
von jenen Sprüchen ausgehen, die unverhüllt das gnostische
Antlitz zeigen. Von ihnen aus lassen sich dann auch jene Züge
erkennen, die sich in anderen Sprüchen unter dem synoptischen
Schleier verbergen" (S. 38). Bei dieser Arbeitsweise werden
manche Einzelheiten unsicher oder ungedeutet bleiben. Aber es
entsteht ein richtiges Gesamtbild von der Gedankenwelt des
gnostischen Verfassers. Der Gnostiker ist aus dem Lichte gekommen
und soll dorthin zurückkehren. Unter dem „Königreiche
" versteht Thomas „die jenseits der Welt liegende Lichtsphäre
des Göttlichen . . . und zugleich jenen Teil davon, den
der einzelne Gnostiker verborgen in sich trägt" (S. 44). Im
Gegensatze zum Reiche steht die „Welt", unter der der Gnostiker
leidet. Sie ist vergänglich, ein „Leichnam"; ein asketisches
Leben ist für den Gnostiker selbstverständlich. Das Wort Gott

bezeichnet das ewige Licht; Jesus offenbart diesen Gott in der
Gegenwart. Das alles ist reine Gnosis, nicht in der aus den
Ketzerbestreitern bekannten mythischen Form, sondern entmythologisiert
, aber gerade deshalb im Leben brauchbar. Ich
stelle mir vor, daß in einem gnostischen Wortgottesdienste
(vgl. z.B. Ir. I 13, 3) über einen solchen Spruch gepredigt wird:
der Prediger holt in überraschender Weise aus einem scheinbar
ganz schlichten Spruche tiefe Weisheit hervor. Damit wäre
dann auch ein Sitz im Leben für die Spruchsammlung gefunden.

Bei der Schlußbetrachtung des Verfs. komme ich nicht in
allen Einzelfragen mit. Das wird wohl jeder Leser zugeben, daß
hier kaum Anzeichen von Judenchristentum vorliegen. Aber
die Beziehungen zu neutestamentlichen Texten sehe ich nicht
so eng, wie unser Verf. Das gilt vor allem von 1. Kor. 4,8:
mir scheinen die hier geschilderten korinthischen Christen nicht
gnostisch bestimmt, sondern kynisch-stoisch: der ganze Zusammenhang
(das Theater 4, 9, der Katalog der Apostelleiden
4, 10 f., vor allem die vorausgesetzte Heimatlosigkeit 4,11)
weist auf die griechische Philosophie. So kann ich auch an anderen
Stellen die Auffassung des Verfs. vom 1. Kor. nicht teilen
. Ich will eine vorchristliche Gnosis nicht leugnen, möchte
aber meinerseits nicht zu einer Inflation des Begriffes Gnosis
beitragen. Harald Hegermann formuliert eben den klugen Satz:
„Als Kriterium (bei der Unterscheidung von Gnosis und Mysterien
) kann gelten, daß es in den Mysterien keine physei
sozomenoi und in der Gnosis keine Verwandlung gibt" (Die
Vorstellung vom Schöpfungsmittler usw.: TU 82, 1961, S. 4).
Ich bitte, diese nützliche Faustregel auf den 1. Kor. anzuwenden
. Aber ich betone nochmals, daß der Verf. für die Deutung
der Thomasschrift m. E. Entscheidendes leistete.

Ahrenshoop Johannes Le i pol d t

Stelzenberger, Johannes: Syncidcsis im Neuen Testament.

Paderborn: Schöningh 1961. 98 S. gr. 8° = Abhandlungen z. Moraltheologie
, hrsg. v. J. Stelzenberger, I. DM 9.80.

St. wendet sich bewußt an den Fachexcgeten (5). Es ist für diesen
in der Tat lehrreich zu sehen, wie der Systematiker (5) hier die Spezialuntersuchungen
und Kommentare (Forschungsbericht: 11—27) abhorcht
, ihre Ergebnisse verarbeitet und sich mit ihnen auseinandersetzt
. Das geschieht jeweils innerhalb der Erörterung der einzelnen
Stellen (42—94). Der neue Deutungsversuch geht sehr betont davon
aus, daß das deutsche .Gewissen' eine in der Mehrzahl der Fälle unsachgemäße
Wiedergabe des neutestamentlichen 6yncidesis ist (übrigens
ist dieses nach St. im Vergleich zum hellenistischen Gebrauch des
Wortes völlig neu geprägt, 94 vgl. 84 f.; zur Antike: 27—36; zum
Alten Testament: 37 f.). Dem gegenüber dringt St. darauf, daß für die
Interpretation von s. im Neuen Testament präzise Begriffe verwendet
werden, die er unter Hinweis auf sein Lehrbuch der Moraltheologie
festlegt: „Gewissen im eigentlichen Sinne ist die aktuelle Funktion
einer personalen sittlichen Entscheidung". „Die Bildung und Anerkennung
von sittlichen Werten darf nicht mit Gewissen gleichgesetzt
werden", „das sittliche Wertgefühl" (und „das Verpflichtungsempfinden
", die dem „weiten scholastischen conscientia- Begriff" zugehören.
71'f.) „oder eine subjektive Wertetafel" sind vielmehr „die Voraussetzung
" für die „Funktion des Gewissens", das „nur in Krisen in
Tätigkeit" tritt (78 usw.).

Zu 1. Petr. 2,19: Ag. 23, 1: 24,16; Rom. 9,1; 2. Kor. 1,12
faßt St. s. als „Bewußtheit", d. h. im Verständnis der „neuesten
Psychologie" als „Instanz einer Stellungnahme" (47). — In Rom. 13, 5
ist s. die „innere Verpflichtung". — Im Hebr. wird s. von St. durchweg
als „das Innere" interpretiert, außerdem in 1. Petr. 3,21; 2. Tim.
1,3. In Hebr. dürfte indessen — nach dem jeweiligen Zusammenhang
— wohl zumindest das „Innere" gemeint sein, in dem der Mensch um
seine Sünde weiß (deshalb wird gerade s. gebraucht; die meisten Stellen
des Hebr. werden denn auch dort nochmals aufgeführt, wo von
„qualitativ verschiedener Verfassung" des Gewissens die Rede
ist, 82). In 1. Petr. 3,21 handelt es sich gewiß um die „objektive
Gegebenheit eines reinen Inneren" (67), aber s. drückt dabei m. E. das
Wissen um „die Hinwegnahme der Schuld" (die letzte Wendung ebd.)
aus. — „Religiös-sittliches Urteilsvermögen" ist s. in 1. Kor. 8,7.
10.12; 10,25. 27-29; 2. Kor. 4,2; 5,11 (bzw. in 1. Kor. 10 „das
religiös-sittliche Wertempfinden", 73 f.). Für 1. Kor. 8,7 muß St. ein
doppeltes Verständnis des Wortes annehmen (s. u.); eine Ambivalenz
des Begriffes ist natürlich grundsätzlich nicht ausgeschlossen, sollte
aber dann auch für andere Stellen als denkbar zugestanden werden. —
So bleibt die Bedeutung .Gewissen' nur für Rom. 2, 15 (doch 6agt St.
auch hier: „Ihr Inneres spricht sie schuldig oder frei", 81); 1. Kor. 4,4