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Ausgabe:

1962 Nr. 10

Spalte:

753-755

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

O'Neill, John C.

Titel/Untertitel:

The theology of acts in its historical setting 1962

Rezensent:

Conzelmann, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 10

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der Briefe bis ins 19. Jahrhundert nicht erhoben worden sei!
Wer die Schwierigkeiten der Annahme einer paulinischen Abfassung
des Ephcserbriefs und der Pastoralbricfe größer einschätzt
als der Verf., wird durch seine gegenteilige Beweisführung
nicht überzeugt werden, aber die sorgfältige Erörterung
aller die Echtheit betreffenden Fragen unter reichlicher
Heranziehung der wissenschaftlichen Diskussion ist auch dann
lehrreich, wenn man nicht zustimmen kann. Die Schwierigkeiten
der Abtrennung von Rm 16 vom Römerbrief und der Aufteilung
des 2. Korintherbriefs in mehrere Briefe werden deutlich
herausgestellt; als Abfassungsort für die Gefangenschaftsbriefe
wird Rom festgehalten, weil die Argumente für Ephesus
nicht ausreichen.

Am wenigsten scheinen mir die Erörterungen über die
Sammlung der Paulusbriefe und über briefliche Pseudepigraphie
gelungen zu sein. Denn daß eine Sammlung der Paulusbriefe
schon bald nach dem Tode des Paulus durch Timotheus vorgenommen
worden sei, ist eine völlig unbeweisbare und sehr
unwahrscheinliche Behauptung; und daß Pseudonymität im
Urchristentum als fragwürdig gegolten habe und man bei brieflicher
Pseudepigraphie die Gefahr des Entdecktwerdens befürchten
mußte, ist nur dann überzeugend, wenn man die Briefe in
der Apostelgeschichte von vornherein für zuverlässige Quellenstücke
hält und übersieht, daß bereits Paulus selber (nach den
Voraussetzungen des Verfs.!) die Möglichkeit von unter seinem
Namen geschriebenen Briefen ins Auge faßt (2. Thess. 2,2;
3, 17).

Angesichts der Tatsache, daß es in englischer Sprache
(außer der Übersetzung von Wikenhauscrs Werk) zur Zeit
keine ausreichende „Einleitung in das Neue Testament" gibt,
wird Guthries Buch im englischen Sprachbercich mit besonderer
Genugtuung aufgenommen werden. Und auch außerhalb dieses
Sprachbereichs wird man das Buch mit Nutzen zu Rate ziehen,
auch wenn man vielfach nicht überzeugt wird, vor allem auch
Wegen reichlicher Heranziehung englischer Literatur.

Die Litcraturbcnutzung ist freilich nidit vollständig. An englischen
Arbeiten fehlen z.B.: L. Mowry, The Early Circnlation of Paul's
Letters, JBL 63, 1944, 73 ff.; F. C. Crownfield, The Singular Problem
of the Dual Galatians, JBL 64, 1945, 491 ff.; K. L. Carroll, The Expansion
of the Pauline Corpus, JBL 77, 1953, 230 ff.; T. H. Campbell
,

Paul's „Missionary Journeys" as Reflected in His Letters, JBL 79,
•"55, 80 ff.; B. D. Rahtjen, The Three Letters of Paul to the Philip-
Pians, NTSt 6, 1959/6, 167 ff. — An deutscher und französischer Literatur
wäre vieles nachzutragen, aber unverständlich ist, warum folgende
Arbeiten nicht berücksichtigt wurden: sämtliche Arbeiten von
™ ■ Schmithal»I R. Schumacher, Die beiden letzten Kapitel des Römerbriefs
, 1929; H. Schlier, Der Brief an die Epheser, 1957; G. Bornkamm
, Die Häresie des Kolosscrbriefs, ThLZ 73, 1948, 1 1 ff. = Das
Ende des Gesetzes, 1952, 139 ff.; H. von Campenhausen, Polykarp
von Smyrna und die Pastoralbricfe, Sitzungsbcr. d. Heid. Ak. d. Wiss.,
phil.-hist. KL, 1951, 2. — S. 165, Anm. 4 muß es heißen: K. G. Kulm
(statt W.G.Kuhn); S. 185 H.Braun (statt H. Braum); S. 296 Der
Römerbrief (statt Die R., bei E. Brunner).

Marburg/Laim Werner Georg K ü tu m 6 !

°'NeilI, J. C.i The Thcology of Acts in its Hisrorical Sctting.

London: SPCK-Press 1961. VIII, 184 S. 8°. Lw. 25 s.

Die Fragestellung ist sehr präzise: Theologie nicht des
•■Lukas", sondern speziell der Apostelgeschichte, und: Entdeckung
derselben durch eine neue Bestimmung des theologiegeschichtlichen
Standortes des Buches. Der Verf. untersucht es
auf Sach- und Strukturähnlichkeit vor allem mit dem nach-
kanonischen Schrifttum.

Freilich gerät er sofort in einen gewissen Widerspruch mit sich
f^bst. Er folgt Cadbury: Lukas-Evangelium und AG stellen ein einheitliches
Werk dar. Er betont m. R., daß man für die Datierung beide
Jjucher berücksichtigen muß. Aber was dem Datum recht ist, ist doch
~cr ..Theologie" billig: Wie kann er dann noch nach der „Theologie
der ..AG." statt „des Lukas" fragen?

Zunächst wird (in m.E. berechtigter Ablehnung von Dodd s
Analyse von Lk 21) als terminu6 post quem das Jahr 70 n.Chr.
testgestellr. Dann werden Indizien für die positive Datierung
S^ucht. Es ergeben 6ich (in Auswahl) folgende:

Die Pastoralbriefe kennen Lukas nicht (9). Wiederum weiß
L«kas noch nichts vom Corpus Paulinum (18). Die wichtigste

These ist nun (gegen Overbeck, Haenchen): Auch Justin
kennt Lukas nicht.

Dem Nachweis ist ein ausführlicher Exkurs (28—53) mit Darbietung
des Materials gewidmet. Ergebnis: Justin benützt nicht Lukas,
wo Ähnlichkeiten bestehen, sondern beide haben eine gemeinsame
Quelle. Diese kennt auch Marcion noch und benützt sie bei seiner
Bearbeitung des Lukas-Evangeliums. Womit die Grenzen des methodisch
Festzustellenden freilidi weit überschritten sind. Leider ist
Kösters angekündigte Untersuchung der Evangelienzitate bei Justin
noch nicht erschienen.

Gerade wenn keine literarische Abhängigkeit Justins vorliegt
, ist die sachliche Übereinstimmung zwischen ihm und
Lukas um so beachtlicher (Theologie der Auferstehung — Apol I
50, 12; Auffassung vom Verhältnis zwischen Christen und
Juden; leider scheinen Ocpkes Untersuchungen zur Struktur der
„theoretischen" Auseinandersetzung zwischen Kirche und Synagoge
dem Verf. entgangen zu sein). Fazit: Justin und Lukas
gehören derselben Zeit an. „Luke-Acts" ist ca. 115—130 n.Chr.
entstanden.

Diese Spätdatierung wird nun in der konkreten Interpretation
erprobt. Testfälle sind die Rede des Stephanus, das
Aposteldekret.

Schwierigkeit: Mit diesem Datum befinden wir uns in einer Zeit,
da das Corpus Paulinum bekannt ist. Verf. weist zwar darauf hin,
daß dieses auch von Justin nicht benützt werde (26), da dieser in einer
Kirche schreibe, für die Paulus keine Rolle spiele. Eine peinliche Auskunft
angesichts der Tatsache, daß sich Lukas gerade Paulus zum
Gegenstand wählt.

Kapitel 2 (54 ff.) befaßt sich mit Struktur und Theologie
der AG.

Der oben erwähnte Widerspruch deutet sich wieder an.
Einerseits heißt es: „The theology of the author of Acts is
strikingly defined by his beginning and his ending" (54),
andererseits: „This chapter, and indeed the whole book, is an
attempt to show that Acts and its companion Gospel display
a clear and coherent pattern..." (55). Ein gewisser Ausgleich
ergibt sich durch die Behauptung, beide Bücher seien nach demselben
Dispositionsschema (in je fünf Teilen) konstruiert. Die
Gliederung der AG. ist: 1) 1,9-8,3. 2) 8,4-11,18. 3) 11,19
— 15,35. 4) 15,36—19,20. 5) 19,21—28,31. Das ist eine
Schematisierung, welche m. E. keinen sachlichen Ertrag für das
Verständnis der AG. abwirft. In der Tat sind auch die Ergebnisse
des Verfs. — entgegen seiner eigenen Meinung — von
dieser Disposition einigermaßen unabhängig.

Die wesentliche These ist: Thema des Buches ist nicht die
Geschichte der Mission von Jerusalem bis Rom, sondern: Wie
die Kirche auf diesem Weg, den sie Gott führte, ihr wahres
Wesen fand, nämlich ihre Selbständigkeit gegenüber dem Judentum
. Pointe ist nicht die Gründung von Gemeinden durch Paulus
, sondern — Ort für Ort — ihre Loslösung von der Synagoge.
Der angebliche Widerspruch, daß Paulus angeblich Gemeinden
gründet (Ephesus!), andererseits immer wieder schon Christen
vorfindet, gewöhnlich als Widerspruch zwischen vorgefundenem
Stoff und lukanischer Tendenz erklärt, beruht auf falscher Beurteilung
der Intention des Lukas.

Erhärtet wird diese Auffassung, wenn man die gesamte
Haltung gegenüber dem Judentum erkennt. Und diese zeigt
sich, wenn man die Reden der AG nicht je für sich, als kleine
Einheiten, interpretiert. Vielmehr ist zu sehen, daß jede von
ihnen ihren eigenen Beitrag zum Fortschreiten der Geschichte
liefert. Ausführlich wird unter diesem Gesichtspunkt die
Stcphanusrede besprochen (71 ff.): Sie bringt Gedanken, die
sonst nie vor dem Jahr 70 belegt sind, gehört also in das
skizzierte kirchengeschichtliche Milieu (Umgebung Justins), nämlich
in die Zeit, da sich die Kirche vom Judentum getrennt
(und zugleich das AT angeeignet) hat. Auch das Aposteldekret
ist entsprechend einzuordnen: Es gehört zu den Versuchen des
zweiten Jahrhunderts, einen Ausgleich zwischen Juden- und
Heidenchristen zu finden. Ferner ist die christologische Titulatur
(titulare Verwendung von christos) in diesem Rahmen zu verstehen
(vgl. Justin). Überraschend kommt dann im letzten,
zusammenfassenden Kapitel die Behauptung, das Buch sei für
gebildete Römer geschrieben. Zu ihr ist der Verf. offenbar weniger
durch Stil und Inhalt der AG. als durch sein Starren auf