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Ausgabe:

1962 Nr. 9

Spalte:

712-713

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Gölz, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der primitive Mensch und seine Religion 1962

Rezensent:

Gölz, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 9

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neuen vergleicht, um dieses aus jenem zu deuten, um eine begründete
Aussage über das Schicksal des jüdischen Volkes in der christlichen
Gemeinde oder über die Autorität seines Amtes zu machen,
rechnet er mit einer unmittelbaren und unauswechselbaren Zusammengehörigkeit
beider, «einen Überlegungen vorausgehend. Mit den
Vergleichen vollzieht Paulu6 gedanklich, was Gott zuvor als zusammengehörig
zueinander geordnet hat. Das Geschehen in der Wüste
ist als Mahnung für die christliche Gemeinde geschehen (nicht nur zu
diesem Zweck aufgeschrieben). Diese Zusammengehörigkeit erkennt
Paulus daian, daß beide Größen einander wesenhaft gleichen und
heilsgeschichtlich aufeinander bezogen sind. Aus der besonderen
Zusammengehörigkeit von je zwei Wirklichkeiten, die beide zusammen
, jede als eine Hälfte, erst das ganze von Gott gewollte Geschehen
ausmachen, ist nun eine gegenseitige Deutung der beiden Teile
durcheinander möglich, der alten Bundesverfügung durch die neue und
der neuen durch die alte, Adam durch Christus und Christus durch
Adam. Auch hier ist das Verhältnis der jeweils miteinander verglichenen
Größen unterschiedlich, ihre Hauptaussage ist aber in diesem
Fall die Größe und Überlegenheit Christi und seines Werkes über
altem Heils- und Unheilsgeschehen.

In der Arbeit wird vermieden, das behandelte Verhältnis zwischen
Altem und Neuem mit dem üblichen terminus „typologisch"
zu bezeichnen, obwohl der Begriff ivnog vorkommt. Erstens ist der
Begriff in der Literatur stark nivelliert, zweitens läßt sich nachweisen
, daß bei der Verwendung des Begriffs immer wieder das deutsche
Fremdwort „typisch" bestimmend ist, das aus griechischem, genauer
wahrscheinlich platonischem, Denken stammt und Paulus falsch deuten
muß. Drittens ist Typologie ein System der Deutung des ATs,
das in nachnt.licher Zeit ausgeprägt, jedenfalls als System bei Paulus
nooh nicht vorhanden ist. Es ist falsch, von dem Wort ivnos
bei Paulus auf eine typologische Methode zu schließen.

In einem letzten Paragraphen wird die Bedeutung der apokalyptischen
Vorstellungen der Urzeit - Endzeit - Entsprechung und des
Zwei - Äonen - Schemas für die Art, in der Paulus altes Heilsgeschehen
mit dem Heil in Christus in Beziehung setzt, untersucht,
mit dem Ergebnis, daß beide Vorstellungen als Grundaussagen über
Gottes Handeln in der Welt aneinander zerbrechen; sie können die
Erkenntnis über das spannungsvolle Wirken Gottes in der Geschichte
zwischen AT und Christus nicht ausdrücken.

Gerlach, Rolf: Studien zur Gründungsgeschichte des Zisterzienserklosters
Neuencamp. Diss. Greifswald 1962. 155 S.
Südwestlich von Stralsund liegt die kleine Stadt Franzburg. Die
Kirche des Ortes ist das einzige — leider verunstaltete — architektonische
Überbleibsel (das südliche Querhaus) der zu Beginn des 14.
Jahrhunderts erbauten Zisterzienserklosterkirchc, die in den Nachwehen
der Reformation durch den Pommernherzog abgebrochen worden ist.
Auch die Klostergebäude selbst sind verschwunden. Alte uns erhaltene
Urkunden, die das Kloster betreffen, und allgemeines Quellenmaterial
aus dem 13., 14., 15. und 16. Jh. bleiben somit neben
einigen wertvollen Dokumenten wie dem Dorfregister des Klosters
und Teilen des Necrologiums, einigen Grabplatten und den seit 1961
vorliegenden Grabungsergebnissen (Grabung des Caspar-David-Fricd-
rich-Institutes der Univ. Greifswald, die sich in ihrer Zielsetzung
jedoch lediglich auf kunsthistorische Probleme der Klosterkirche
Neuencamp II beschränkte) vorläufig die wichtigsten Anknüpfungspunkte
für jede Bemühung um die Geschichte des Klosters. — In der
vorliegenden Arbeit geht es dem Verfasser um die Probleme der
Gründung des Klosters: er fragt nach den Motiven, nach der Zeit und
dem Raum, — letzteres im weiteren und engeren Sinn. Im Einleitungskapitel
beschäftigen ihn so allgemeine Fragen wie Kolonisation,
Germanisierung, Christianisierung, deutsche Ostpolitik überhaupt, in
deren Rahmen er die überlieferten Fakten und Daten, mit denen
Neuencamp in Zusammenhang gebracht werden muß, einzuordnen bemüht
ist. — Die Frage nach dem Gründungsjahr (worüber aufgrund
sich widersprechender Quellenaussagen schon des öfteren gerätselt
worden ist), wird mit einleuchtenden Argumenten dahingehend beantwortet
, daß wir in jeder der uns überlieferten Jahresangaben
(1229, 1231, 1233, 1234) ein für die Gründung verbindliches Datum
zu sehen haben und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine sukzessive
Konsolidierung des Conventes voraussetzen müssen. — Sozusagen
mit Hilfe der theoretischen Geographie1 und durch seine eigene
(leider vorzeitig zwangsweise abgebrochene) Probegrabung auf Neu-
Bauhofer Gelände (ca. 2 km östlich von Franzburg), gelangt der Ver-

*) Als Quellengrundlage hierfür dienten a) die sog. Gründungsurkunde
aus dem Jahr 1231; b) die sog. Bestätigungsurkunde aus
dem Jahr 1273; c) das Dorfregister des Klosters; d) die Matrikelkarten
und Ausrechnungsbücher der 6chwed. Landmessung vom Ende
des 17. Jahrhunderts.

fasser sodann zu Ergebnissen, die es erlauben, 6owohl den gesamten
Klosterbesitz z. Zt. der Gründung rechnerisch zu rekonstruieren und
kartographisch darzustellen als auch den Ort zu bestimmen, an dem
die ersten Klostergebäude und die Klosterkirche Neuencamp I errichtet
worden sind. Von besonderem Interesse dürfte die Tatsache
sein, daß es sich schon bei den ersten Klostergebäuden (oder zumindest
bei einem großen Teil derselben) um feste, aus Natur- und Back-
steinrbestehende gehandelt hat. — Inwieweit die sich im näheren Umkreis
des Klosters befindenden Dorfkirchen aus dem 13. u. 14. Jhdt.
von Neuencamp I beeinflußt worden sind, und inwieweit aus den
Ornamenten, Dekors und Bauprogrammen dieser Monumente theologische
Rückschlüsse etc. gezogen werden können, das muß die weitere
Arbeit ergeben, die — so hofft der Verfasser — von Kunsthistorikern
und Theologen gemeinsam in Angriff genommen werden
sollte.

G ö 1 z, Friedrich: Der primitive Mensch und seine Religion. Ein Beitrag
zur Evangelischen Religionskunde. Diss. Tübingen 1962. 163 S.

Die Frage nach dem sogenannten „primitiven Menschen" und
seiner Religiosität ist seit ihrem Aufkommen mit dem Problem des
Ursprungs und Wesens des Religiösen verklammert. Sdion aus diesem
Grunde sollte sich eine theologische Religionskunde nicht auf das
Gebiet der „Hochreligionen" beschränken.

In der hier vorliegenden Arbeit wird darum der Versuch, Religion
theologisch zu verstehen und zu deuten, auf das Feld der primitiven
Religion ausgeweitet. Zunächst schien es angesichts der Verschiedenheit
und oftmals Gegensätzlichkeit der Ansatzpunkte unerläßlich, die
Geschichte der religionswissenschaftlichcn Debatte um den
primitiven Menschen ausführlich und kritisch darzustellen.

Die „klassischen" Theorien seit Edward Tylor führten die Forschung
in eine gründliche Aporie: Es ist nicht gelungen, die primitive
Religion in ein allgemein anerkanntes Schema religiöser Evolution
oder Dekadenz einzubauen. Die soziologische und die tiefenpsychologische
Forschung verzichten zwar auf den Entwicklungsgedanken,
engen aber das Problem in gefährlicher Weise ein: Die primitive
Religion wird dort allzu schnell mit ihrer sozialen oder psychischen
Funktion identifiziert.

Alle diese Versuche leiden unter weltanschaulichen Voreingenommenheiten
. Bei der Untersuchung der ideologischen Grundlagen
der Fragestellung und ihrer verschiedenen Lösungen wird
nämlich deutlich, wie sehr gerade in den großen Theorien über der»
primitiven Menschen die Menschenbilder der Romantik, des Idealismus
und vor allem der Aufklärung mitgewirkt haben. Allemal fühlte
sich der moderne Betrachter vom primitiven Menschen nach den
Voraussetzungen seines Daseinsverständnisses befragt. Er konnte dieser
kritischen Frage mehr oder weniger weit stattgeben. Er belächelte,
bestaunte oder beneidete seinen primitiven Bruder je nach dem Grad
der Sicherheit, in der er sich selbst modern fühlte. Diese Sicherheit
nahm in den letzten dreißig Jahren rapide ab. Nun beginnt der moderne
Mensch zu fragen, ob ihm nicht mit dem „Aufstieg" der Moderne
ein wesentliches Element des Menschseins verloren zu gehen
drohe, und ob primitives Welt- und Dascinsverständnis nicht vielleicht
doch mehr sei, als eine in exotischen Gegenden noch nachweisbare
Urform oder eine rückständige Sonderform des Denkens: nämlich eine
immer gegenwärtige, nur manchmal verdrängte „Struktur" menschlicher
Existenz. Diese Ubiquität des Primitiven herauszustellen, ist
das zweite Ziel der Arbeit.

Inwiefern fordert nun aber die Diskussion um den primitiven
Menschen und seine Religion theologische Aufmerksamkeit?

Einmal deshalb, weil die ganze Debatte in geheimer oder offener
Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft entstand und verlief
. Der aus der „Unmündigkeit" des mittelalterlich-christlichen Denkens
emanzipierte moderne Geist suchte nach einem „Ersatz-Adam",
von dem her er die eigene Stellung in der Geschichte begreifen wollte.
Die Freiheit modernen Denkens aber, aus welcher jener neue, wissenschaftliche
Mythos vom Urmenschen in seinen verschiedenen, oft recht
konstruierten Gestalten entspringen konnte, war und ist nicht zuletzt
eine Frucht der evangelischen Verkündigung.

Den Hintergrund der wissenschaftlichen Diskussion um den primi'
tiven Menschen bildet die Frage nach Weg und Ziel der Mensch'
werdung. Dabei lassen sich zwei Tendenzen unterscheiden: Voll'
zieht sich Menschwerdung durch Wiederentdeckung und Stärkung des
primitiven Erbes im modernen Menschen, oder aber in der allmähli'
dien Überwindung des Primitiven durch das Moderne? Soll der Theologe
hier Partei nehmen? Das Thema der Menschwerdung ist ihm in
einem besonderen Kontext aufgetragen. Das kann ihn befähigen, eine
leidige Alternative überwinden zu helfen.

Es ist schließlich eine Absicht dieser Arbeit, dem Missionar
an die Hand zu gehen, welcher unter Menschen arbeitet, die man
„primitiv" zu nennen sich angewöhnt hat. So sehr man die in dieser