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1962 Nr. 9

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 9

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Denkschema führen muß, das schließlich den lebendigen Glauben
lähmt. Denn darum geht es ja eigentlich. Cui bono, so muß
man fragen bei dieser allzu exakten und objektiv verbindlichen
Ontologie. Und ich persönlich muß gestehen, daß ich keineswegs
überzeugt bin davon, daß Aristoteles über Piaton den
entscheidenden Schritt hinausgekommen sei und darum als
Prototyp der Philo6ophia perennis zu gelten habe. Selbstverständlich
hat jede, auch die evangelische Theologie, philosophische
Komponenten. Daß sich dabei Piaton (und Kant) dem
Prüfstein des Neuen Testaments gegenüber als theologisch ergiebiger
erweisen als Aristoteles, steht außer Frage. Es bedurfte
der ganzen universalen Denkleistung der Hochscholastik, um
ausgerechnet den Stagiriten als christlichen Normalphilosophen
zu erweisen, denn Aristoteles ist nun einmal ein Immanenzdenker
(vgl. hierzu Ernst Hoffmann, Piatonismus und christliche
Philosophie, 1960, S. 338). Was Schmitz über die Transzendenz
des ,.unbewegten Bewegers" 6agt, scheint mir nicht überzeugend
. Diese Transzendenz hat mit der christlichen nichts zu tun;
man vergleiche damit etwa Piatons Höhlengleichnis. Schmitz
stützt sich bei der Aristotelesdarstellung um ein kleines zu viel
auf Deutungen, die den Stagiriten zu ungebrochen fürs katholische
Denken in Anspruch nehmen, daher wohl auch die Distanzierung
von W. Jaegers Sicht, die mir nicht ganz einleuchtet.
Dennoch ist aufs Ganze gesehen die Entfaltung des aristotelischen
und des thomistischen Denkens historisch gut fundiert.
Das Buch zeichnet sich überhaupt aus durch gute Quellen- und
Sekundärliteraturbenutzung, es ist klar aufgebaut und flüssig
geschrieben.

Schwer zu lesen ist dagegen die Untersuchung von Heinrich
Beck; das liegt jedoch an dem äußerst spezifizierten Thema, das
mit großer Genauigkeit bis ins letzte ausgeleuchtet wird. Das
Problem des Buches ist Harrmanns kategoriale Ineinssetzung
von Möglichkeit und Notwendigkeit, welche von Hartmann
Wiederum gegen einen objektivistischen Determinismus dadurch
abgesichert wird, daß er der immanenten Notwendigkeit eine
..äußere Relativität" zuweist. Beck zeigt recht einleuchtend, wie
auch bei Hartmann sich „die physische Ontologie aus innerer
Notwendigkeit ins Metaphysische übersteigt" (S. 72). Von da
aus gewinnt er dann die Möglichkeit, wiederum die aristotelisch-
thomistische Ontologie gegen die modernistische Auffassung ins
Feld zu führen. Die ganze Argumentation wird mit einer großen
Exaktheit und Sachkenntnis durchgeführt, sie ist ein Stück
Philosophischer Arbeit, wie man sie in solcher Spezifizierung
auf evangelisch-theologischer Seite kaum finden kann. Wie
Schmitz geht auch Beck schließlich auf die Ergebnisse der modernen
physikalischen und biologischen Forschung ein und konfrontiert
sie mit der Akt-Potenz-Lehre, um sie schließlich unter
Pädagogischen und theologischen Aspekten zu beleuchten. Der
evangelische Theologe fühlt sich dabei manchmal an Karl Heim
erinnert. Nur wird er fragen, ob eine derart exakte philosophische
Spezialuntersuchung wie die von Beck nicht besser auf
solche universellen Ausblicke verzichtet hätte: denn es ist ein
anderes, eine Gesamtschau des heutigen Forschungsstandes unter
theologischem Aspekt zu entwerfen, ein anderes jedoch, auf
einem Spezialgebiet überzeugende ontologische Einzelerkenntnisse
zu erarbeiten und sie sodann zu einem Gesamtbild auszuweiten
, das dann notwendigerweise dieselbe logische und onto-
logischc Evidenz für sich in Anspruch nehmen muß. Weniger
wäre vielleicht in diesem Fall mehr gewesen.

Das soll jedoch der vollen Anerkennung für die hervorragende
philosophische Arbeit von Beck keinen Abbruch tun.
Auch nicht der Hinweis auf den etwas zu harmlosen Satz, daß
"artmann den Unterschied zwischen formaler und materialer
Notwendigkeit nicht gesehen habe: dies sei „schade", denn dadurch
bleibe ihm „der Zugang zu Gott versperrt" (S. 67). Wie
aber, wenn eben der moderne Mensch, der nicht im Glauben
steht, s o denken müßte? Wenn es eben mit der von Beck
"manchmal gar zu positiv apostrophierten „Philosophia perennis
d°ch nicht so weit her wäre? Dennoch bleibt das Buch eine besonders
bedeutsame Leistung. Die evangelische Theologie wird
che Veröffentlichungen der Pullacher Forschungen aufmerksam
'm Auge behalten müssen.

Ulm a. D. Ulrich Mann

Schmucker, Josef: Die Ursprünge der Ethik Kants in seinen vorkritischen
Schriften und Reflektionen. Meisenheim/Glan: Anton Hain
1961. 399 S. gr. 8° = Monographien zur philosophischen Forschung,
Bd. XXIII. DM 33.80.

Obwohl Kants Ethik in ihrer Entwicklung schon mehrfach
dargestellt worden ist (F. W. Foerster, 1893, O.Thon, 1895,
Paul Menzer, 1897, Max Küenberg, 1927, P. A. Schilpp, 1953/
54) sieht sich Verf. aus drei Gründen zu dieser neuen Untersuchung
veranlaßt:

1) Er hatte bereits aufgrund seiner Münchener Dissertation
(München 1948) den Eindruck, daß die vorkritische Schrift über
das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1763) bisher nicht richtig
eingeschätzt worden ist. Der Einfluß der deutschen Aufklärung
, besonders der von Wolff und Crusius, ist unterschätzt und
der der englischen Moralphilosophie und der von Rousseau
(128 ff.) ist überschätzt worden. Mit dem XIX. und XX. Band
der Akademie-Ausgabe der Werke Kants ist erst der Nachlaß,
der für diese Frage hauptsächlich heranzuziehen ist, zugänglich
gemacht worden.

2) Verf. benutzt zum ersten Male den erst 1942 veröffentlichten
vollständigen Text der „Bemerkungen" zu den „Beobachtungen
über das Gefühl des Schönen und Erhabenen". Dadurch
erscheinen die beiden frühen Schriften „Die Beobachtungen
" und die „Träume eines Geistersehers" (1765) in neuem
Licht, was sich dann für die Frage des Verhältnisses von der
sog. vorkritischen zur kritischen Ethik auswirkt.

3) Besonders mit der letzten Interpretation von Schilpp
setzt sich Verf. auseinander, weil er aufgrund seines neuen Materials
zu neuen Erkenntnissen gekommen ist.

Das Hauptergebnis dieser wertvollen Untersuchungen liegt
darin, daß Verf. den bisher betonten Unterschied zwischen einer
vorkritischen und einer kritischen Phase in der Ethik Kants
nicht gelten lassen will. Die späten ethischen Grundgedanken
sind bereits in den frühen Schriften, also vor 1770, vertreten
worden (386). So ist z. B. die Erkenntnis, daß es sich in der
Ethik nicht um Glückseligkeit handeln kann, bereits unter dem
Einfluß von Hutcheson und Crusius gegenüber Wolff in der
Frühzeit ausgesprochen worden (95). Die Ethik hat zwar teil
an der gesamtphilosophischen Entwicklung Kants, aber ist von
der dritten, der letzten entscheidenden „Umkippung" zur
• subjektiv-kritischen" Methode in der Transzendentalphilosophie
nicht betroffen. Kant hat diesen Unterschied klar bezeugt. Die
ausführliche Analyse der Reflektionen bestätigt dies. Von der
Transzendentalphilosophie sagt Kant: Sie ist „kritisch, dialektisch
, subjektiv; sie vermag duTch ihre Ideen keine Erkenntnis
von ihren Objekten zuwege zu bringen". Dagegen ist die Moral
„dogmatisch, d. h. festsetzend, 6ie vermag durch ihre Ideen objektiv
gültige Sätze über ihren Gegenstand: die Willkür des
Menschen, auszusagen" (389 f.).

Aus dieser Abhandlung wird in neuer Weise ersichtlich,
warum Kant die kritische Metaphysik mit der Aufgabe betrauen
konnte, die Vernunftwissenschaft „als die Demarkation und die
Grenzwache" davor zu bewahren, ihre eigenen Grenzen gegenüber
der Moral und Religion zu überschreiten (z.B. Nachlaß
IV/4464). Diese die Moral in ihrer Selbständigkeit respektierende
Bestimmung der kritischen Vernunft bleibt auch für uns heute
von grundsätzlicher Bedeutung. Der große Umfang dieser Untersuchung
hängt mit der gründlichen Zitierung des Materials zusammen
. Dadurch ist es möglich, der vorsichtig abwägenden
und sprachlich gut durchgeführten Behandlung der neuen Einsichten
mit größtem Gewinne zu folgen.

Eisenach Heinz Erich E i son h uth

Biser, Eugen: Was besagt Nietzsches These ,Gott ist tot'?
Wissenschaft und Weisheit 25, 1962 S. 48—63.

Composta, Dario: Essere e „fede" nei Presocratici.
Salesianum XXIII, 1961 S. 714-722.

Hei ss, Robert: Die Zeit des Menschen und die Zeit überhaupt.
Universita6 17, 1962 S. 509—521.

H o ß f e 1 d, P.: W. Diltheys Stellung zur Religion und seine philosophischen
Voraussetzungen.
Theologie und Glaube 52, 1962 S. 107-121.