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1962 Nr. 9

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Christliche Kunst und Literatur

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 9

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tinischen Manierismus zusammen, den Dionissi wie viele seiner
Vorgänger in seinen Linienduktus aufgenommen hat, als Mittel,
die Geistigkeit der Darstellung transparent erscheinen zu lassen.

Der letzte Abschnitt über die Stroganow- und Zarenschule
ist ein Kabinettstück gedrängter, aber sehr aufschlußreicher
Darstellung. Die Stroganows waren eine überaus mächtige
Kaufmannsdynastie ähnlich wie die Fugger, deren „ökonomischer
Kosmos" sich merkwürdigerweise in einer Miniaturkunst
von höfischer Eleganz und ästhetischer Erlesenheit widerspiegelt.
Es ist eine Malerei für die Auserwählten, für feine Geschmacksnerven
und politisches Fingerspitzengefühl. Die elementare
Volksfrömmigkeit hat dazu keinen Zugang mehr und die Ikone
entzieht sich ihrer sozialen Aufgabe. Dies ist auch bei dem
hochbegabten Uschakow der Fall, bei dem die „fränkische Manier
" dominiert und der „akademische Lehrbetrieb" seinen
Einzug hält. Hier haben wir schon Malerei im westlichen Sinne
vor uns, die, wenn sie auch an gewissen überkommenen Formalien
festhält, schon der autonomen Ästhetik unterworfen ist
und damit ihren Sinn als überpersönliche Äußerung der geistigen
Welt verloren hat.

Den Abschluß der Einführung bilden noch wertvolle Betrachtungen
über die Anwendung der verkehrten Perspektive,
über die Auffassung des Lichtes in der Ikonenmalerei, über die
Bedeutung des Goldgrundes, über Kolorismus und Polychromie
und schließlich über die Gesetze der Proportion, die in der
Anwendung der „moduli" zum Ausdruck kommen. Einen großen
Wert haben die eingehenden Anmerkungen zu den Tafeln,
die sehr viel Material zur Geschichte und Ikonographie der
Einzelgegenstände beinhalten, wobei insbesondere auf die liturgischen
Quellen hingewiesen wird. Ein Literaturverzeichnis am
Ende jeder Erklärung gibt namentlich dem Fachmann wertvolle
Hinweise über den Stand der Forschung.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß mit der Publikation
von Onasch der Ikonen-Literatur in deutscher Sprache
ein Standardwerk geschenkt und ein wirklicher Fortschritt dadurch
erzielt wurde, daß neues, wunderbares Material aus der
Welt der Ikonen in köstlichen Wiedergaben vorliegt und Betrachter
aller Richtungen und höchster Ansprüche voll auf ihre
Rechnung kommen werden. Vielleicht darf sich aber auch die
Hoffnung an dieses Buch knüpfen, daß in Zukunft im deutschen
Sprachbereich nicht nur Theologen und Religionswissenschaftler
immer tiefer in die Welt der Ikonen eindringen, sondern nun
auch Kunsthistoriker ermutigt werden, den komplizierten Gestaltungsgesetzen
der russischen Ikonenmalerei und ihren Wandlungen
im Verlauf der Jahrhunderte nachzugehen und sie
zusammenfassend darzustellen.

Graz Walter Felicetti-Liebenf eis

Hoffmann, Dieter: Der Himmel in der Malerei. Von den byzantinischen
Mosaiken bis zur gegenstandsfreien Kunst.
Zeitwende XXXIII, 1962 S. 109-116.

L ü t h i, Kurt: Tendenzen der Malerei seit 1945 in theologischer
Sicht.

Evangelische Theologie 22, 1962 S. 250—270.

PHILOSOPHIE UND BELIGIONSPHILOSOPHIE

Schmitz, Josef: Disput über das Teleologische Denken. Eine
Gegenüberstellung von Nicolai Hartmann, Aristoteles und Thomas
von Aquin. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag [i960]. 216 S. 8°.
Kart. DM 15.90.

Beck, Heinrich: Möglichkeit und Notwendigkeit. Eine Entfaltung
der ontologischen Modalitätenlehre im Ausgang von Nicolai Hartmann
. Pullach b. München: Verlag Berchmanskolleg 1961. VIII,
136 S. gr. 8° = Pullacher Philosophische Forschungen, hrsg. von
W. Brugger u. J. B. Lötz, Bd. V. Kart. DM 13.60.

Nicolai Hartmann fordert die katholische Fundamentaltheologie
und scholastische Philosophie in besonderem Maß zur
Auseinandersetzung mit seinem Denken. Das liegt nicht so sehr
an der gezielten Polemik dieses Denkers, es gibt Angriffe gegen
die katholische Philosophie, welche diese trotz hohen Niveaus
kaum zu beunruhigen brauchen; Hartmann aber entwirft eine
Ontologie, die aufs Ganze gesehen die „Philosophia perennis"

kritisch in Frage stellt, über sie hinausstrebt und in dieser
kritischen Auseinandersetzung alle herkömmlichen Elemente auf
neuer Basis zu einem neuen Bau zusammenfügt. Hartmann
sucht dabei dem Seinsverständnis unsrer Zeit gerecht zu werden
, und es ist keine Frage, daß er damit in vielem bahnbrechend
und maßgebend geworden ist. Von daher ist es verständlich
, daß die katholische Ontologie sich in ihrer Grundlagenbesinnung
durch Hartmann herausgefordert sieht. Die
vorliegenden Bücher 6ind zwei eindrucksvolle Dokumente für
diese neue Auseinandersetzung.

Josef Schmitz behandelt das große ontologische Thema der
Finalität. Er setzt sich vor allem mit dem Spätwerk Hartmanns
„Teleologisches Denken" (Berlin 1951) auseinander, worin der
Philosoph jede Finalität außerhalb des menschlichen bewußten
Handelns geleugnet hatte; teleologisches Denken ist für Hartmann
, der darin über Kants Kritik der Urteilskraft noch ein
wesentliches Stück hinausgeht, lediglich eine naive Denkbequemlichkeit
. Nur der Mensch kann planen, die Finalität ist
von ihm verursacht. Eine objektive Finalität im Seinsgeschehen
anzunehmen, wäre ein dem modernen kritischen Verstand
gegenüber unhaltbares Unterfangen, wäre anthropomorphi-
stisch und mythologich.

In seiner Erörterung dieser Hartmannschen These entwirft
Schmitz zunächst einen systematischen Gesamtüberblick über
Hartmanns Philosophie. Man muß sagen, daß er dem Gegner
in seinen Anliegen durchaus gerecht wird, die Darstellung ist
sehr objektiv gehalten und so frei als möglich und nötig von
vorzeitiger Polemik. Man kann diesen Abschnitt ganz allgemein
als gute Einführung für den empfehlen, der zum Denken
Hartmanns einen ersten Zugang sucht. Das gilt auch für die
beiden Darstellungen, die sich mit Aristoteles und Thomas befassen
. Sie füllen den zweiten Teil aus, der die Finalität al6
„universelles Prinzip der Seinserhellung" erweisen soll. Der
dritte Teil behandelt die Finalität „im ontischen und ontologischen
Sinn"; Schmitz kommt dabei zu dem Ergebnis, daß Hartmanns
Denken zu „unlösbaren Antinomien" führt, wogegen
der Rückgriff des Thomas auf ein „absolutes transzendentes
Prinzip" die Antinomien zu lösen und das teleologische Denken
zu fundieren vermag. Das teleologische Denken erweist sich
unter diesem Aspekt nicht als träge, sondern als umsichtig und
äußerst „unbequem", wogegen Hartmanns Stehenbleiben bei
Antinomien als ein vorzeitiges Innehalten angesehen werden
muß. Es ist ja keine Überraschung, daß ein katholisches systematisches
Werk zu solchem Ergebnis kommt. Es ist aber auch,
das muß sich der evangelische Leser vorhalten, ebensowenig
eine Überraschung, daß der Protestant gegen Aristoteles und
Thomas von vornherein betont kritisch eingestellt ist, zwar
Hartmann in seinem weithin atheistischen Denken nicht rundweg
zustimmt, dennoch aber unter der Devise „Unterscheidung
von Glauben und Wissen" mit Hartmann sich einigermaßen
stellen kann und an letzten Antinomien schon von Kant her
keinen Anstoß nimmt. Wie gesagt, auch das ist keine Überraschung
, hier steht Axiom gegen Axiom, und um die Gültigkeit
der Axiome kann nur in ganzer Breite der kontroverstheologischen
Auseinandersetzung gerungen werden.

Nimmt man dies vorweg, 60 muß man das Buch von
Schmitz auch in evangelischer Sicht als eine wertvolle fundamentaltheologische
Untersuchung begrüßen. Sie führt zu zentralen
Problemen. Und der evangelische Dogmatiker kann davon
manchen Gewinn mitnehmen. Es ist ja auch für die evangelische
Dogmatik keineswegs so ganz ausgemacht: daß man von
der Vorsehung nur e contrario reden dürfe; daß es ganz und
gar nichts von objektiver Sinnhaftigkeit etwa in der Naturentwicklung
zu beobachten gäbe; und daß etwa der Mensch
naturwissenschaftlich gesehen lediglich als Ergebnis der Faktoren
Mutation und Selektion angesehen werden dürfe. So sieht ihn
ja auch Hartmann nicht an, aber daß man Hartmann widersprechen
muß, wenn er die evangelische dogmatische Rede von
der göttlichen Vorsehung ebenso wie die katholische philosophisch
als Anthropomorphismus abtut, liegt offen zutage.

Dennoch muß sich der katholische Theologe vom evangelischen
fragen lassen, ob sein Eingeschworensein auf den Stagi-
riten und den Aquinaten nicht doch zu einem allzu starren