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Ausgabe:

1962 Nr. 9

Spalte:

685-686

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Chambon, Joseph

Titel/Untertitel:

Was ist Kirchengeschichte 1962

Rezensent:

Beyreuther, Erich

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Seite 1

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685

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 9

686

geschehen aus der kirchengeschichtlichen Entwicklung heraus zu
erklären und dazu markante Begebenheiten, die diesem Zweck
dienen, in die Erzählung einzuschalten. Ebenso werden manche
Anschauungen aus dem kirchlichen Leben des Mittelalters, sofern
sie für das Verständnis der geschilderten Ereignisse notwendig
sind, herangezogen und die Sitten und Verfahrensweisen, die
sich auf den Konzilien entwickelt hatten, verdeutlicht.

Alles Notwendige wird gesagt. Nur wenige Verallgemeinerungen
, die mit dem Standpunkt des Verfs. zusammenhängen,
erscheinen uns gewagt. Im übrigen kann ohne Einschränkung von
diesem Büchlein gesagt werden, daß es sich um eine ausgezeichnete
Leistung handelt. Ein Anhang bietet zu jedem Abschnitt die
wichtigste Literatur.

Mtinstcr/Wcstf. Hubert Stuppcrich

C h a m b o n, Joseph: Was ist Kirdicngcschichte? Maßstäbe und Einsichten
. Cöttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1957]. 166 S., 1 Taf.
8°. Kart. DM 6.80; Lw. DM 9.50.

Die Besinnung, daß die Kirchengeschichte nicht allein eine
profane Wissenschaft 6ein kann, sondern im Raum der Theologie
an deren Anfechtbarkeit teil hat, und sie ohne Glaubensaussagen
nicht auskommt, fordert zu immer neuen Versuchen
auf, der „rein" wissenschaftlichen, die ihre schweren Probleme
in sich schließt, eine „erbauliche" Kirchenge6chichte zur Seite
zu stellen. Daß beide zuletzt ineinander liegen, muß nicht ausdrücklich
betont werden. Die bisher vorliegenden „erbaulichen"
Darstellungen der Gesamtkirchengeschichte haben nicht immer
überzeugend gewirkt.

Was Chambon mit dem anspruchsvollen Titel „Was ist
Kirchengeschichte?" vorlegt, i6t ein zyklischer Überblick über die
ganze Kirchengeschichtc unter verschiedenen Gesichtspunkten.
Jeder dieser Versuche, die uns in der Durchdenkung der theologischen
Kirchengeschichtc weiterführen und unsere Urteilskategorien
erweitern, kann nur dankbar begrüßt werden. Was
man dann aber voraussetzt, ist ein scharfes und die Problematik
der verschiedenen Epochen der Kirchengeschichte erkennen lassendes
Bild. Hier aber setzen unsere Bedenken ein. Wenn der
Verfasser von der lukanischen Apostelgeschichte ausgeht und
die in der lukanischen Geschichtsschau liegende Problematik
überhaupt nicht sichtbar wird, ist man bedenklich gestimmt.
Das Bild der ersten Christenheit wird merkwürdig simplifiziert.
Muß das eine erbauliche Kirchengeschichtc voraussetzen? Nicht
anders ergeht es uns, wenn der Verfasser auf das mittelalterliche
Mönchtum und dann auf die Reformation zu sprechen kommt.
Calvins Gottesstaat wird in eine Linie mit Cromwells Parlament
der Heiligen und dem Schicksal der ersten puritanischen Staaten
Nordamerika gestellt. Was über Luther und Schwenckfeld
ausgeführt wird, ist nicht nur einseitig gesehen. Merkwürdig
wird im Zusammenhang mit der Frage der Liturgie die Kirche
von England beurteilt. Dabei ist sie es, in deren Schoß die
ersten großen Erweckungen aufbrechen, der Methodismus aufkommt
, während die englischen Freikirchen hier nur nachfolgen.
Auch bei der Darstellung des Katholizismus und des Vaticanum,
um weitere Beispiele herauszugreifen, kann man schwerlich dem
Verfasser folgen. Jedenfalls wird das Problem einer Geschichte
der Kirche in dieser irdischen Welt in ihrer ganzen Schwere
"'cht sichtbar.

Ob der Verfasser durch sein eingehendes Studium der Geschichte
des französischen Protestantismus bis zur Revolution,
dieser Geschichte voller Rätsel bis hin zur inneren und äußeren
Ausblutung der französischen Kirche, zu seiner Reich Gottes-
Auffassung geführt worden ißt? Führt eine tiefgehende Resignation
seine Feder? Was er schließlich im Rückblick über
•-Kirchcngeschichte als große Freude" darstellt, reizt noch stärker
zum Widerspruch. Sein „tiefer Optimismus", der sich „an
glorreiche Sonderfälle", an „die tiefe Schönheit im glorreichen
•Serben der großen Sieger in der christlichen Vergangenheit'
"alt und fast im gleichen Atemzug von einem „zäh-fortschreitenden
Abrücken vieler evangelischer Kirchen von der Reforma-
fionsbasis" in eine „Mischmach-Situation" spricht, um praktisch
die ganze Gegenwart der Kirche nach Edgar Allen Poes
Skizze von „The Teil-Tale Heart" mit einer zerstückelten

Leiche in einem improvisierten Grab zu vergleichen, in der aber
noch der Herzschlag des lebendigen Erlösers aufklingt, läßt nach
seinem Kirchen- bzw. Reich Gottes-Verständnis fragen.

Es ist durchaus nicht zu verkennen, daß der gelehrte Verfasser
eine Fülle wenig bekannter Einzelbeispiele aus der Kirchen-
und Geistesgeschichte eindrucksvoll einzuflechten weiß, aber die
geistlich - kontemplativen Gesichtspunkte, in welche er sie
hineinstellt, überzeugen oft nicht. In der Frage einer theologischen
Bewältigung der Kirchengeschichte ist uns leider nicht
vorwärts geholfen worden.

München Erich Bey reuther

Hör, Hellmut: Die Urkunden des Klosters St. Veit 1121—1450 bearb.
unter Mitarbeit und mit einem Nachtrag von Ludwig M o r e n z.
München: Beck 1960. 37*, 349 S., 1 Taf. gr. 8° - Quellen u. Erörterungen
z. Bayerischen Geschichte, hrsg. v. d. Kommission f. bayer.
Landesgeschichte b. d. Bayer. Akademie d. Wiss., N. F., Bd. XV.
In dem vorgelegten Quellenband werden 243 heute ganz
oder teilweise bekannte mittelalterliche Urkunden des Klosters
St. Veit ediert, von denen 190 bisher ungedruckt waren. Der
Gesamtbestand des Archivs soll bei Auflösung des Klosters
St. Veit 832 Urkunden umfaßt haben; 137 sind heute noch im
Original erhalten. Die Herausgeber berichten über die Umstände,
unter denen diese Dokumente überliefert wurden; Erörterungen
über die verschiedenen Schreiber, Aussteller und Empfänger, die
Siegel sowie eine Liste der verlorenen Urkunden schließen sich
an. Inhaltlich handelt es sich fast ausnahmslos um Kaufverträge,
Schenkungen und ähnliche Vorgänge, die die materielle Grundlage
des Klosters betreffen. Die frömmigkeitsgeschichtliche Bedeutung
solcher Vorgänge ist immer wieder greifbar. Schon die
erste Schenkung 1121 geschah pro remedio animae (Nr. 4).
Gelegentlich geht es nicht nur um die eigene Seele, sondern auch
um die „meiner Hausfraun Ursen, der got genad, und aller unser
vorvoderen sei" (Nr. 177). Mehrfach wird von den Schenkenden
genau beschrieben, was sie als Gegenleistung verlangen:
..... daz si uns darumb all jar järleich und ewichleich haben und
begen sullen einen ewigen jartag an sand Niclas tag, ze nacht mit
einer gesungen vigily, darnach des morgens mit einer gesungen
selmezz mit gantzem chor und mit vier prinnenden chertzzen . . ."
(Nr. 85). Für den Fall, daß die Brüder von St. Veit ihren Verpflichtungen
nicht nachkommen, wird Vorsorge getroffen: „Und
Weihes jars sy des also saeumig waern und den jartag nicht
vollentaeten, als vor verschriben ist, desselben jaus sol di ob-
genant ewig gult gevallen dem heiligen herrn sand Johanns und
seinem gotshaus, gelegen zum Neunmarkgt..." (Nr. 183). Sechs
Urkunden sind päpstlichen Ursprungs: Schutzbriefe Alexanders III.
von 1177 (Nr. 7) und Alexanders IV. von 125 5 (Nr. 10), ein
Auftrag Nikolaus IV. von 1290 an das Kloster zu einer Vermittlungsaktion
(Nr. 17), Besitzbestätigungen aus der Kanzlei Urbans
VI. von 1379 (Nr. 131) und Innozenz VIII. von 1406 (Nr.
162) sowie ein erneuter Schutzbrief Nikolaus V. von 1450
(Nr. 242). Auch ein Kaiser wird genannt: Ludwig der Bayer bestätigt
1345 dem Kloster St. Veit die von seinen Vorfahren verliehenen
Rechte (Nr. 64). Sonst bieten die Urkunden kaum Einblicke
in größere kirchengeschichtliche Zusammenhänge, wie sie
etwa die Urkunden des Klosters Fulda gewähren; die in den Urkunden
des Klosters St. Veit genannten Personen sind primär
für die mittelalterliche Geschichte Bayerns und des Erzbistums
Salzburg von Interesse.

Rostock Gert Haendler

Svenskt kyrkoliv i Finland. 40. Jhrg. (Julbok för Borgä-
stift). Helsingfors 1961. 168 S., 27 Abb. kl. 8°.

Beim 40. Jahrg. einer stattlichen Reihe fragen wir: haben
derartige Jahrbücher theologischen Wert und Gehalt? Als Studenten
horchten wir auf, wenn Albert Hauck in der Vorlesung
über Kirchengeschichte am Ende eines Abschnitts fragte: und
das fromme Leben in dieser Zeit? So zog er in der Vorlesung
über die Aufklärung eine Predigt seines Urgroßvaters hervor,
um zu zeigen: Weihnachten wurde nicht nur über Stallfütterung
gepredigt, sondern die fromme Aufklärung traf den Kern des
Evangeliums, die Liebe Gottes in Christus.