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Ausgabe: | 1962 Nr. 9 |
Spalte: | 669-670 |
Kategorie: | Allgemeines |
Titel/Untertitel: | Der Spannungsbogen 1962 |
Rezensent: | Delekat, Friedrich |
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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 9
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des Wortes „aufgehoben" ist. Denn sie weiß, daß es auch im
natürlichen Leben Hingabe und Entsprechung gibt. Sie weiß
aber auch, daß der wirkliche, unverhüllte Anspruch Gottes tödlich
ist und daß das eschatologische Handeln Gottes auch eine
Neuschöpfung des Menschen zur Hingabe einschließt. Dann
aber sind es nicht „die im Unterricht zu ihrem Vorkommen
freigegebenen Dinge und Wesen", die den Menschen in Anspruch
nehmen und zur Verantwortung ziehen (102), sondern
die Anrede Gottes und Gein Handeln am Menschen in Gesetz
und Evangelium. Wo in der Philosophie das „Sein" steht, da
6teht in der Verkündigung der Kirche der dreieinige Gott. Dadurch
wird aber alles verändert, die Anrede, der Anspruch, die
Verantwortlichkeit, die Unentschuldbarkeit, die Entsprechung
und die Art und Weise der Hingabe. Die Theologie ist sich
mit der philos. Pädagogik darin einig, daß im Bildungsgeschehen
alles darauf ankommt, „den Menschen aus seiner
reflexiven Selbstumstellung herauszuziehen und ihn unter sachliche
und mitmenschliche Ansprüche zu stellen" (105). Sie gibt
dieser Übereinstimmung gerade dadurch Ausdruck, daß sie
weiterfragt: Wie geschieht das? Wenn es das Ziel der Erziehung
ist, daß der junge Mensch lernt und bereit ist, der
„Zucht" dieser Inanspruchnahme zu folgen (106), dann wird
die Theologie bestätigen müssen, daß das in gewisser Weise
innerhalb eines natürlichen Selbstverständnisses, das vom Evangelium
nichts weiß, gelernt werden kann. Sie hat wirklich keinen
Grund, da6, was der unter dem natürlichen Gesetz lebende
Mensch vermag, künstlich zu verkleinern. Sie kann aber auch
nicht verschweigen, daß alles, was hier an Inanspruchnahme
und Hingabe zu lernen ist, von der ganzen Problematik betroffen
wird, in der der Mensch lebt, ehe er das Gesetz als
sein Todesurteil vor Gott und das Evangelium als seinen Freispruch
existentiell vernommen hat. Es wäre denkbar, daß die
Lehre vom natürlichen und geoffenbarten Gesetz, wie sie
neuerdings Wingren entwickelt hat, das Gespräch zwischen
Theologie und Pädagogik an dieser Stelle einen Schritt weiter
führen könnte''1.
Es i6t sehr zu wünschen, daß die Theologie in der weiteren
Fortsetzung dieses Gespräches den Entwurf Sch.s ernsthaft berücksichtigt
, nachdem sie sich bisher fast ausschließlich mit der
hermeneutischen Pädagogik auseinandergesetzt hat. Das hatte
angesichts der Gesamtsituation in der allgemeinen Pädagogik
6einen guten Grund, denn hier schien eine weiterführende
Überlegung am ehesten sinnvoll zu sein. Es ist darum höchst
dankenswert und beachtlich, daß in der pointierten Selbstkritik
der humanistischen Pädagogik bei Sch. eine ganz andere
Gesprächsmöglichkeit auftaucht, die neue Aspekte und Anknüpfungen
bereitstellt.
21) Vgl. Gustav Wingren, Schöpfung und Gesetz, Göttingen 1960.
ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN
[TUlieh, P.:] Der Spannungsbogcn. Festgabe für Paul Tillich zum
75. Geburtstag, hrsg. v. Karl H e n n i g. Stuttgart: Evang. Ver-
lagswcrk [1961]. 186 S. 8°. Lw. DM 19.80.
Der Audruck „Spannungsbogen", den der Herausgeber als
Überschrift über die Paul Tillich zu seinem 75. Geburtstage gewidmete
Festgabe gesetzt hat, will die Person und das literarische
Werk des Jubilars nach zwei Seiten hin kennzeichnen,
sowohl im Blick auf den großen Umkreis der Fragen, die er
behandelt hat, wie hinsichtlich der Spannungen, die ein Denker
aushalten muß, der es versucht, sie auf einen gemeinsamen
Nenner zu bringen. Die Weite dieses Spannungsbogens wird
auch an der Verschiedenheit der Mitarbeiter an dieser Festgabe
und den von ihnen behandelten Themen sichtbar. Eins davon
ist der „Gebrauch neuer Begriffe in der Theologie" (Ulrich
Neuenschwander). Auch Helmut Thielickc behandelt es in seinem
Aufsatz „Paul Tillich, Wanderer zwischen zwei Welten".
Er bringt es auf die etwas überspitzte Formel, daß Tillich „sowohl
auf dem Katheder wie auf der Kanzel die sakrale Esoterik
der Sprachgcwalt durchbreche und die Profanität der Aussage
vorziehe" (S. 20). Den Gegenpol zu diesen beiden Aufsätzen
bildet der von Wilhelm Stählin über das „Gloria Patri" in der
christlichen Liturgie, deren Sprechweise ja immer etwas von
'.der geschlossenen Wucht der Sprache des altkirchlichen Dog-
mas" (Neuenschwander, S. 84) beibehalten wird. In der Behandlung
dieses Problems kommt m. E. nicht genügend zur Geltung,
daß für Paul Tillich der Anstoß zur Verwendung neuer theologischer
Begriffe von seiner intensiven Beschäftigung mit dem
Sozialismus und der Psychoanalyse herkommt. Es handelt sich
dabei für ihn nicht nur um ein Problem des formalen Ausdrucks
. Näher an die Sachfragen führt der kritische Aufsatz von
W. Weischedel „Paul Tillichs philosophische Theologie, ein
ehrerbietiger Widerspruch" heran. Der Philosoph Weischedel
nalt die von Tillich versuchte Synthese von Theologie und
Philosophie für nicht gelungen. Eine vorsichtige theologische
Kritik übt Theodor Siegfried mit seiner Frage: „Was heißt natürliche
Offenbarung?" Den theologischen Kontrabaß spielt bei
dieser Frage jedoch der Wirtschaftswissenschaftler Eduard Hei-
njann. In dem Aufsatz. „Theologie - Fachwissen oder Grund-
PjT117' weist er nachdrücklich darauf hin, daß „die geistige
Tr,jy der westlichen Welt durch die gemeinsame christliche
P„nW k°nstituiert wird", und erläutert das an einigen
m, .m üb«rzeugender Weise. Der Aufsatz von Adolf Lowe
dinV ei"C dritte Kraft" aktualisiert und erweitert diesen Ge-
an«en. „Der geschichtliche Augenblick", in dem wir leben, sei
„eine Phase in dem jahrhundertealten Prozeß politisch-sozialer
Befreiung aus den Banden traditioneller Beherrschung". Dabei
hätten sich „die nationalen Kämpfe mit dem weltumfassenden
Wettstreit zwischen Ost und West verquickt". Das Endziel
dieses Befreiungskampfes sei „die Errichtung einer globalen
Gemeinschaft" auf der Grundlage einer globalen Interessensolidarität
. Sie könne technisch zweifellos verwirklicht werden;
politisch sei das schon eehr viel schwieriger; worauf es ankomme
, sei jedoch ein „internationaler Gemeinschaftsgeist".
Max Horkheimer berührt die geschichtliche Grenze dieser
christlich-abendländischen Gemeinschaftsidee und -Wirklichkeit,
wenn er am Schluß seines Aufsatzes „Über die deutschen Juden
" sagt, „die eigentliche Aufgabe der Erziehung" sei, daß die
Menschen nicht nur „gegen das Unrecht an Juden, sondern gegen
Unrecht überhaupt, nicht gegen Judenverfolgung, sondern
gegen Verfolgung schlechthin" empfindsam werden (S. 147).
Die beiden letzten Aufsätze sind biographisch. Hanns Lilje
spricht objektiv, gut unterrichtet und klug über „Paul Tillichs
Bedeutung für das amerikanische Geistesleben", Karl Hennig in
der Absicht einer kurzen Orientierung über Tillichs „Leben und
Werk". Nicht ausreichend zur Geltung kommt die Wirksamkeit
in Deutschland, die Tillich hinter sich ließ, als er mit 47
Jahren nach Amerika auswanderte; und so gut wie gar nicht ist
von dem „religiösen Sozialisten Tillich" die Rede, obwohl es
doch gerade dieser gewesen ist, der als einer der ersten von
der nationalsozialistischen Regierung zur Auswanderung gezwungen
wurde.
Mainz Friedrich Delekat
Beckmann, Joachim: Im Kampf für die Kirche des Evangeliums.
Eine Auswahl von Reden und Aufsätzen aus drei Jahrzehnten.
Gütersloh: Gerd Mohn [1961]. 398 S. gr. 8°. Lw. DM 19.80.
Als eine Festschrift zum 60. Geburtstage (18.7.1961) ist
dem jetzigen Präses der rheinischen Kirche (und Professor an der
Kirchlichen Hochschule Wuppertal sowie Honorarprofessor an der
Bonner Theologischen Fakultät) diese Sammlung seiner Reden
und Aufsätze überreicht worden. Der Band gliedert sich dem Inhalt
der Beiträge nach in: I. Predigten, II. Dogmatische Fragen,
III. Ethische Schriften, IV. Schriften zur Kirchenfrage, V. Kirchenkampf
, VI. Liturgische Aufsätze. — Der überwiegende Teil
der ausgewählten Stücke stammt aus den beiden letzten Jahrzehnten
, also aus einem Zeitabschnitt, als der Jubilar sich jedenfalls
6chon in einem kirchenleitenden Amt befand, nur fünf von
achtundzwanzig gehören in die Zeit, als Beckmann noch als
Düsseldorfer Pfarrer für das Bekenntnis und die Erneuerung der
Kirche kämpfte. Mit dem Herausgeber bedauert auch der Rezen-