Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1962 Nr. 9

Spalte:

647-670

Autor/Hrsg.:

Frör, Kurt

Titel/Untertitel:

Unterweisung und Erziehung in den Kirchen der Gegenwart 1962

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5, Seite 6, Seite 7, Seite 8, Seite 9, Seite 10, Seite 11, Seite 12

Download Scan:

PDF

647

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 9

648

Zugewinnen suchen. Dadurch ist deutlich geworden, woran es
der protestantischen Seelsorge mangelt.

Aus allem Gesagten scheint hervorzugehen, daß die Bedeutung
des Katholizismus für die protestantischen Kirchen in
den nicht-rationalen Elementen der Religion liegt. Doch ist
dieser Eindruck falsch. Obwohl der Protestantismus fundamentalere
Beziehungen zu den humanistischen und autonomen Richtungen
der modernen Zivilisation hat als der Katholizismus,
repräsentiert der letztere theoretisch und praktisch eine Rationalität
, die man in der protestantischen Dogmatik und Ethik
sehr oft vermißt. Als erstes sollte die protestantische Theologie
mit ihrer Neigung zur Unbestimmtheit, Volkstümlichkeit und
Willkür sehr viel von der formalen Klarheit, Folgerichtigkeit
und philosophischen Genauigkeit der katholischen systematischen
Theologie lernen. Zweitens — und das ist noch viel wichtiger
— sollte die protestantische Theologie in der Apologetik
wie in der Ethik den Versuch des katholischen Denkens,
Offenbarung und Vernunft in Korrelation zu bringen, ebenso
ernst nehmen, wie es einst die alte Kirche getan hat. Verständlicherweise
kann der Protestantismus die heteronome Lösung
des späteren Katholizismus nicht annehmen, wonach die römische
Kirche letztgültige Instanz für Metaphysik und philosophische
Ethik ist. Diese Lösung ist eine notwendige Folge des
sakramentalen Absolutismus des römischen Katholizismus, und

ihre Zurückweisung durch die protestantischen Kirchen ist
wiederum eine notwendige Folge ihrer eschatologischen Selbstkritik
. Der Protestantismus jedoch hat niemals eine eigene Lösung
entwickelt. Er hat entweder die Offenbarung von der
Vernunft abgetrennt und so auf der einen Seite eine in falscher
Sicherheit ruhende Orthodoxie, auf der anderen Seite eine in
falscher Sicherheit ruhende autonome Zivilisation; oder er hat
durch'die vollständige Auflösung der Offenbarung in der Vernunft
einen religiösen Idealismus und Humanismus geschaffen,
in denen die inneren Widersprüche der menschlichen Existenz
ganz außer acht gelassen werden. Dies hat viel zu der Schwäche
des Protestantismus angesichts der theoretischen und praktischen
Probleme einer profanen Welt beigetragen. Nicht in der Lösung
des Problems, nur im rechten Verständnis für dessen Wichtigkeit
erwies sich der Katholizismus als stärker. Die protestantischen
Kirchen müssen eine Methode finden, die Theologie und
Philosophie in die rechte Beziehung zueinander bringt. Sonst
werden sie der heutigen Welt nichts mehr zu sagen haben. Sie
müssen das Problem, nicht dessen Lösung von der katholischen
Kirche übernehmen. Es kann weder der prophetische Typus des
Christentums auf die Dauer ohne den priesterlichen Typus,
noch der eschatologische ohne den sakramentalen leben: dies
ist kurz gefaßt die Antwort auf die Frage nach der bleibenden
Bedeutung der katholischen Kirche für den Protestantismus.

Unterweisung und Erziehung in den Kirchen der Gegenwart

Von Kurt Fror, Erlangen

In der Katechetik der römisch-katholischen Kirche der
Gegenwart ist eine Bewegung im Gange, die von ihr selbst als
katechetische Erneuerung verstanden wird. Ihre Grundgedanken
werden, im wesentlichen übereinstimmend, von der Innsbrucker
Schule um J. A. Jungmann SJ. und von der Tübinger Schule um
F. X. Arnold, Professor der Pastoraltheologie an der dortigen
Universität, vertreten. Den ersten Anstoß zu einem neuen
Aufbruch gab die kleine, aber bedeutsame Schrift von Jungmann
, „Christus als Mittelpunkt religiöser Erziehung", 1939.
Die wegweisenden Veröffentlichungen von Arnold1 werden ergänzt
durch die von ihm bei Herder herausgegebene Reihe
„Untersuchungen zur Theologie der Seekorge" sowie durch
andere Monographien zur Geschichte des Katechismusunterrichts2
. Die sachliche Neuorientierung geht vor allem bei Arnold
und seinen Mitarbeitern Hand in Hand mit einer kritischen
Durchforschung der Geschichte der Unterweisung von der Gegenreformation
bis heute.

Das zentrale Kriterium für diese Durchforschung der
Historie ist die deutliche Unterscheidung zwischen einer eigenständigen
kerygmatischen Glaubenslehre und der wissenschaftlichen
Theologie. Als Hauptperioden einer lebensgefährlichen
Überfremdung der Unterweisung durch die abstrakte Begrifflichkeit
der wissenschaftlichen Theologie werden erkennbar: Einmal
die Zeit der Gegenreformation, in der mit den Katechismen
Bellarmins (1598) die Kontroverstheologie in den Katechismusunterricht
eindrang und die katechetische Tradition
unterbrach, die von der Frühzeit über Augustin das Mittelalter
bestimmt und noch in den Katechismen des Canisius und im
Catechismus Romanus (1566) zu verspüren ist. Zum andern der
Sieg der Neuscholastik im Katechismus Deharbes von 1847 über
die katechetische Erneuerung, die nach der Aufklärung in der
Tübinger Schule des 19. Jhdts. und ihrem klassischen Kateche-
tiker, J. B. Hirscher, ihren reifsten, wenn auch nicht ganz unproblematischen
Ausdruck gefunden hatte. Der begrifflich-
scholastische Katechismus und die ihm gemäße, texterklärende
Methode haben auch nach der Ablösung Deharbes durch den
römischen Einheitskatechismus Th. Mönnichs (eingeführt 1925)
die Unterweisung bestimmt und bis in die Gegenwart herein

l) Franz X. Arnold, Dienst am Glauben, 1948. — Ders., Grundsätzliches
und Geschichtliches zur Theologie der Seelsorge, 1949. —
Dens., Glaubensverkündigung und Glaubensgemeinschaft, 1955. —
Ders., Seelsorge aus der Mitte der Heilsgeschichte, 1956.

J) Vgl. F. X. Arnold, SeeUorge aus der Mitte der Heilsgeschichte,
1956, S. 214 f. (Lit.).

ihre Wirkung nicht verloren. Eine spürbare Auflockerung bedeutete
in formal-kerygmatischer Hinsicht die „Münchener
Methode", in material - kerygmatischer Hinsicht aber erst die
Schaffung der neuen Lehrstück-Katechismen und die in ihnen
zur Geltung kommende katechetische Erneuerung. Im Rückblick
auf den Unterricht der Gegenreformation seit dem 17. Jhdt.
und der Neuscholastik seit der Mitte des 19. Jhdts. kann sich
Arnold das Urteil Hirschers zu eigen machen, jene Katechismen
seien „ein Aggregat von Dogmen, ohne sie zum Ganzen einer
Heilsordnung zu verbinden, in langer Reihe nebeneinander"'1.
In der Tat sind entscheidende Stichworte der gegenwärtigen
katechetischen Bewegung schon bei Hirscher zu finden. Sie kann
seine Intention, ein Stück Gegenreformation im Unterricht zu
überwinden, um so eher aufgreifen, als sie sich bewußt ist, damit
an die legitime Tradition der Urkirche, Augustins, des
Aquinaten, des späteren Mittelalters und sogar noch des 16.
Jahrhunderts vor dem Einbruch der Kontroverstheologie in den
Volksunterricht (G. Witzel, P. Canisius, Contarini) anzuknüpfen
.

Damit soll an die Stelle abstrakter Lehrsätze und apologetischer
Definitionen wieder die lebendige Begegnung mit dem
Heilshandeln Gottes in der biblischen Heilsgeschichte treten,
deren Mitte Christus ist. Das gewährleistet sowohl die organische
Verbindung von Bibelunterricht und Katechismuslchrc
als auch die Konzentration der gesamten Unterweisung auf ihre
christologische Mitte. Das bedeutet: Nicht Doktrin, sondern
Drama, nicht Petrefakten, sondern kerygmatische Anrede, die
zut Antwort des Glaubens herausfordert, nicht Lehrsystem,
sondern heilsökonomischer Zusammenhang der Taten Gottes in
der Geschichte. Zeitenweise wollte man diese notwendige
Selbstbefreiung der katechetischen Verkündigung aus der Umklammerung
der scholastischen BegTifflichkeit dadurch unterstützen
, daß man in der Innsbrucker Schule eine doppelte Art
von Theologie unterschied: Eine „kerygmatische" oder „Ver-
kündigungs"-Theologie, die ihren eigenen Gesetzen folgt, und
die „wissenschaftliche" Theologie der Kirche und der Universitäten
. Aufgrund einer eingehenden Diskussion wurde das wieder
fallen gelassen. Was davon übrig blieb, ist die ausdrückliche
Forderung, auf das Studium der Dogmatik eine zusammenfassende
Wiederholung folgen zu lassen, die der Umsetzung
ihrer abstrakten Begrifflichkeit in die „Verkündigungstheologie"
der Praxis dient. Man wurde sich darüber klar, daß die her-

3) F. X. Arnold, Glaubensverkündigung und Glaubensgemeinschaft,
1955, S. 25.