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1962 Nr. 8

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Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 8

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L1TUHGIEWISSENSCHAFT

Müller, Norbert: Die liturgische Vergegenwärtigung der Psalmen.

Untersuchungen zur hermeneutischen Problematik der lutherischen
Propriumspsalmodie. München: Chr. Kaiser 1961. 166 S. 8° = Forschungen
zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, hrsg. von
Ernst Wolf, 10. Reihe, Bd. XXL Kart. DM 10.-.

Die vorgelegte Studie ist eine Neubearbeitung einer 195 7
von der Theologischen Fakultät Leipzig angenommenen, aber
noch nicht herausgegebenen Dissertation. Ihre Absicht ist, eine
Brücke zwischen wissenschaftlicher Psalmenauslegung und gottesdienstlichem
Psalmengesang zu bauen und so zu einem besseren
Dialog zwischen alttestamentlicher Forschung und liturgischer
Erneuerung der Kirche beizutragen.

Das Werk besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil ,,Die
liturgische Vergegenwärtigung der Psalmen als praktische Aufgabe
und hermeneutisches Problem" (S. 17—55) stellt der Verfasser
die beiden Formen vor, in denen sich das hermeneutische
Problem der alttestamentlichen Psalmen in der Exegese und in
der Liturgik zeigt. Eine Übersicht über den Stand der heutigen
Erörterung einerseits des Platzes und der Rolle des Alten Testaments
in der Kirche und andererseits des Sinnes und der Formen
des christlichen Gottesdienstes zeigt, daß die Psalmen von
zwei verschiedenen Seiten interpretiert werden können: ,,der
Exeget sucht seinen Text als Erzeugnis einer uns ferngerückten
Welt zu erfassen; er müht sich, . . . dieses aus dem Text ihm
entgegentretende Fremde dem Zeitgenossen in seiner bunten
Fremdheit darzustellen" (S. 41 f.). Dagegen: „Liturg und Gemeinde
übernehmen den Text als ihr eigenes Wort und in ihrem
Munde wird die Schrift zur Rede, der Text wird ausgelöst aus
seiner Herkunft, wird unmerklich der liturgischen Gegenwart
ausgewandelt, dem Sänger nach Zeit, Ort und Umständen angepaßt
" (S. 42). Doch sollen diese beiden Haltungen sich nicht
ausschließen, weil erst beide den Text vollständig vergegenwärtigen
(S. 43). Darum soll der christliche Psalmgesang sich
nicht auf liturgische Tradition, sondern auch auf exegetische
Grundlagen stützen.

In dem zweiten, sicher originalsten Teil: „Die liturgischen
Grundhaltungen in den Psalmen" (S. 91—110) will
N. Müller die Psalmen als liturgische Texte in ihrem „dynamischen
" Charakter darstellen. Die Dynamik der Psalmen sieht er
nicht zuerst in thematischen Aussagen über Gott und sein Verhältnis
zur Gemeinde, sondern in einer bestimmten Weise des
Stehens vor Gott, einer bestimmten „liturgischen Grundhaltung
" (S. 47). Die Grundhaltungen erscheinen in den
verschiedenen Psalmgattungen, aber gemeinsame Züge erlauben
eine Viergliedcrung: 1. Die Grundhaltungen des einzelnen Beters
(in Klage, Dank und Vertrauen); 2. Die Grundhaltungen
der Klage in der Gemeinde; 3. Der Lobgesang (Anschauung,
Besinnung, Aufblick und Anbetung); 4. Die Verkündigung
(prophetischer Anruf, priesterliche Weisung und Lehre). Jede
dieser Grundhaltungen charakterisiert sich in einer bestimmten
Weise des Betens, sich auf Gott und die Welt zu beziehen. Am
Schluß dieser Analyse bemerkt der Verfasser, „daß sowohl die
christlichen Grundhaltungen bereits in den Psalmen vorgeprägt
sind, als auch die Grundhaltungen der Psalmen im christlichen
Gottesdienst Raum haben" (S. 109) und „daß nur die liturgische
Vergegenwärtigung der Bedeutung der Psalmen ganz gerecht
wird" (ibid).

So groß aber die Bedeutung der Grundhaltungen der Psalmen
in dem christlichen Gottesdienst auch sei, man dürfe doch
nicht das Problem ihrer liturgischen Vergegenwärtigung lösen,
ohne auf ihre Thematik zu achten. So gibt der dritte Teil: „Die
Thematik der Psalmen und die christliche Glaubenserkenntnis
der Gegenwart" (S. 111—158) eine gute Darlegung der wichtigsten
Themen der Psalmen: Gott der Schöpfer, der Herrscher der

Geschichte, der Helfer der Seinen. Im Vergleich mit dem im
i Gottesdienst wirkenden christlichen Credo heben diese Themen
keinen Widerspruch auf, stellen aber doch einige Fragen, welche
der Verfasser zu beantworten versucht: Parabolische Anwendung
der Schöpfungspsalmen an der Gnade, Unzugänglichkeit der
| Naturanschauungen der Psalmen, historisches Gebundensein der
Psalmen an König, Kultus und Gesetz Israels und endlich die
scheinbaren Widersprüche zwischen Evangelien und den sogenannten
„Rache- und Unschuldspsalmen". Für jede dieser Fragen
gibt der Verfasser den Anfang einer Lösung, bemerkenswert in
sehr verschiedener Richtung, bald christologisch, bald in der
„Grundhaltung", so daß die Vergegenwärtigung der Psalmen im
christlichen Gottesdienst nicht nur als möglich, sondern als
notwendig erscheint.

Zum Schluß, mit wiederholter Verwerfung aller christolo-
gischen Schemata (S. 157—160), betont der Verfasser die drei
besonderen Dienste der Psalmen in der christlichen Liturgie: sie
sprechen die Weltsituation des Menschen mit unvergleichbarer
Kraft aus; 6ie halten die christliche Frömmigkeit in ihrer Verantwortung
für die Welt sowie im realistischen Ernstnehmen
der sichtbaren Wirklichkeit und des unsichtbaren Gottes
(S. 161).

In dem Anhang gibt der Verfasser als Beispiel eine kritische
Vergegenwärtigung und Beurteilung eines Introitustextes
über die Freude an Jerusalem (122. Ps.).

Diese schön gegliederte Studie wird sicher gute Dienste in
der heutigen liturgischen Arbeit leisten, indem 6ie in liturgischer
Perspektive einige wichtige Ergebnisse der Psalmforschung,
besonders im Kapitel über die Thematik der Psalmen (S. 111
—140) darstellt. Vielleicht wäre sie noch nützlicher gewesen,
wenn der Verfasser sich nicht durch die Gattungsanalyse Gnu*
kels begrenzt, sondern sich weiter in das Gebiet des israelitischen
Kultus gewagt hätte, wo eben diese Gattungen ihren ursprünglichen
„Sitz im Leben" haben. N. Müller hat stattdessen
versucht, einige liturgische „Grundhaltungen" in den Psalmen
zu finden. Nun bleibt aber, obwohl mehr als eine Definition
dieser Grundhaltungen gegeben ist (S. 47, 55, 56 f.), dieser Begriff
sehr fließend und hätte eine systematische Betrachtung gebraucht
. Wie könnte er sonst die Probleme der liturgischen
Vergegenwärtigung der Psalmen befriedigend lösen? Praktisch
bleibt der Begriff ganz beiseite, wo der Verfasser sich mit den
speziellen Fragen der Schöpfungs- oder Unschuldspsalmen beschäftigt
. Und wenn die „Rachepsalmen" nicht Selbstaussagen
des Beters, sondern die extreme Form des Rufes nach Gottes
Gerechtigkeit sind, sollte nicht ihre Vergegenwärtigung sich auf

I die Gerechtigkeit Gottes in Christo mehr als auf irgendeine
Grundhaltung des Beters gründen? Das ist sicher kein „christo-

I logisches Schema", sondern die Weiterfuhrung der theozentri-

j sehen Thematik der Psalmen im Neuen Bund. N. Müller hat
diesen Hauptakzent gut gesehen, aber vielleicht mit zu geringem

[ Mut verfolgt.

Lausanne Samuel Ams 1 er

Becker, Petrus: „Pro nec Virgine nec Martyre".
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Boone Porter, H. Jr.: The Law of the Prayer Book and the Autho-
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