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Ausgabe:

1962 Nr. 8

Spalte:

622-623

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Lindner, Reinhold

Titel/Untertitel:

Grundlegung einer Theologie der Gesellschaft 1962

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 8

622

überhaupt geht!). Wie man so etwas anstellt, das wäre bei
Karl Heim zu ersehen; diesen Namen finde ich aber im Namensverzeichnis
nicht. Es ist meine Überzeugung, daß in unserer
heutigen Begriffs- und Gesprächslage eine lutherische Theologie
ohne die Heimsche Dimensionenlehre nicht auszukommen vermag
. Objektiv, das kann heißen dinghaft-gegenständlich, das
kann aber auch heißen personhaft-gegenüber seiend. Differenziert
man hier nicht genauer, wird alles mißverständlich, und
wird vor allem dem Illusionsverdacht nicht begegnet werden
können. Denn der besteht doch immer darin, daß der Verdächtiger
behauptet, das für objektiv Gehaltene sei in Wahrheit nur
subjektiv. Ohne die neueren Begriffe des Existenziellen und
Existenzialen, der Begegnung und des Ichseins vom Du her ist
Feuerbach nicht zu schlagen. Dennoch muß man für das Buch
dankbar sein. Es fragt, stellt in Frage und regt an zu neuem
Suchen. Der Verfasser deutet an, daß er demnächst eine Untersuchung
über die wichtigen Begriffe substantialiter und personaliter
zu veröffentlichen gedenkt; in diesem Zusammenhang
spricht er über Ich-Du-Beziehung und Ontologie. Man darf
hoffen, daß an dieser Stelle neue Aufschlüsse für das lutherische
Denken gewonnen werden, die im vorliegenden Buch wohl umschrieben
sind, aber noch weiter ausgeleuchtet werden müssen.
Schillings vorliegendes Buch hat sein Recht und seine Bedeutung
vor allem als Kritik an verschiedenen theologischen Systemen
unter dem Aspekt des Illusionsverdachts; wa6 den positiven
Teil, die von ihm umrissene Begründung des Glaubens
anlangt, so warten wir auf die von ihm angekündigte Ergänzung
.

Ulm a.D. UlridiMann

Barth, Karl: Systematische Theologie.

Kirche in der Zeit 17, 1962 S. 143—145.
Bertalot, Renzo: Revelation and Manifestation.

Scottish Journal of Theology 1 5, 1962 S. 44—49.
E m e r y. Pierre-Yves: Reforme et unite. A partir de l'ecriture.

Verbum Caro Nr. 61 (1962) S. 42—65.
Grass. Hans: Systematische Theologie.

Theologische Rundschau N. F. 28, 1962 S. 76-93.
Haag, Herbert: Zum Verhältnis Exegese — Dogmatik.

Tübinger Theologische Quartalschrift 142, 1962 S. 1—22.
Hamilton, William: A Secular Theology for a World Come ofAge.

Theology Today 18, 1962 S. 435—459.
Harrison, Paul M.: Functional Theory and Christian Doctrine.

Theology Today 19, 1962 S. 59—70.
Harvey, Van A.: Faith and Belief in Contemporary Theology.

Theology Today 18, 1962 S. 460—472.
Mahl mann, Theodor: Das Axiom des Erlebnisses bei Wilhelm

Herrmann.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 4, 1962 S. 11—88.

Marshall, John S.: The Impregnable Rock of Holy Scripture.
Anglican Theological Review 44, 1962 S. 131—144.

Muirhcad, Ian A.: Intercommunion and Discipline.
Scottish Journal of Theology 15, 1962 S. 21—35.

R o t t c r, Friedrich Otto, Prof. Dr. Dr.: Kritische« Denken und dogmatische
Bindung im religiösen Glauben. Mainz: Matthias-Grünewald
-Verlag [1961]. 32 S. 8°.

Torrance, Thomas F.: The Arnoldshain Theses on Holy Com-
munion.

Scottish Journal of Theology 15, 1962 S. 4—21.

Visser't Hooft, Henriette: Co-Humanity and the Covenant.
Theology Today 19, 1962 S. 71—74.

Wittenberg, Martin: Kirchengemeinschaft und Abendmahlsgemeinschaft
, kirchengeschichtlich gesehen. (III)
Lutherischer Rundblick 9, 1961 S. 162—192.

ETHIK

Schrey, Heinz-Horst: Christliche Daseinsgestaltung. Äußerungen
evangelischer Ethik zu Fragen der Gegenwart, ausgewählt; mit einer
Einleitung v. H. Thiel icke. 2. Aufl. Bremen: Schünemann (1961).
XXXII. 584 S. kl. 8° " Sammlung Dieterich, Bd. 187, Studienausgabe.
Kart. DM 9.80.

Dieser Band ist eine Weiterführung dessen, was H.-H. Schrey
und H. Thielicke 1956 mit dem Band „Glaub« und Handeln,
Grundprobleme evangelischer Ethik" begonnen haben. Während

der erste Band die christlich-ethischen Grundfragen prinzipieller
Art durch eine Auswahl aus den Arbeiten verschiedener moderner
protestantischer Theologen zu beleuchten versuchte, wird
der Leser hier in die Stellungnahme zu konkreten, teilweise
höchst brennenden Fragen der Gegenwart eingeführt. Auch diesmal
hat Schrey die Auswahl besorgt, während Thielicke für die

l „Einleitung" verantwortlich ist.

Die Auswahl ist sehr bunt. Barth und Gollwitzer stehen
hier neben Dibelius, Künneth und Althau6. Emil Brunner und

i Lilje, Tillich und Bonhoeffer werden dem Leser vorgeführt, so
wie auch die beiden Herausgeber und viele andere. Hauptsächlich
handelt es sich um deutschsprachige Autoren. Doch kommen
auch Denker wie Eivind Berggrav, J. Ellul und Reinhold Niebuhr
zum Wort, und auch Ergebnisse der ökumenischen Studienarbeit
(Evanston etc.) werden angeführt neben Feststellungen deutscher
Studienkommissionen.

Auch in der Auswahl der Themen greift das Buch weit aus.
Man bemerkt, daß es mit einem Abschnitt (von A. de Quervain)
über ,,Das Gebet als Gottesdienst" anfängt (Beeinflussung von
Karl Barth), und dann handelt es sich um die Frage des Eides
(für einen Ausländer auffallend ausführlich), der Toleranz, der
Arbeit und Gerechtigkeit, Leben und Tod, Ehe und Familie,
Volk und Staat, Krieg und Frieden und schließlich um Wirtschaft
und Gesellschaft. Immer wieder kommen die schwersten
und aktuellsten Fragen hervor: der Schutz des werdenden Lebens
, Euthanasie, Ehescheidung, das Eherecht in Deutschland, der
Christ im Staat, kann ein Christ Kommunist sein (Gollwitzer),
die Todesstrafe (Barth und Althaus), Probleme des Krieges, auch
des Atomkrieges (zu diesem letzteren Problem ein Kommissionsbericht
aus Amerika), das Recht zur Kriegsdienstverweigerung
(Schrey), gerechter Zins, gerechter Preis, gerechter Lohn
(Brunner) usw.

Einheitlich ist das Buch somit keineswegs, soll1 es auch
nicht sein. Und Thielicke sieht es in der Einleitung als seine
Hauptaufgabe, zu zeigen, daß eine evangelische Kasuistik unmöglich
ist. Die verantwortliche Entscheidung kann dem Einzelnen
nicht abgenommen werden. Insofern gut und richtig. Man
fragt sich aber doch, ob es wirklich Sinn hat, eine solche bunte
Auswahl meistens aus einem größeren Zusammenhang herausgerissener
Äußerungen zu ethischen Fragen auf den Markt zu
werfen. Da den Theologen wohlbekannte lateinische Fachausdrücke
übersetzt sind, zielt das Buch wohl auf den „gebildeten
Laien". Kann ihm wirklich durch diese verwirrende Buntheit
geholfen werden? Führt man ihn nicht in die Versuchung
zu wähnen, jetzt wisse er Bescheid, während er doch nur ein
kleines Bruchstück zur Kenntnis hat nehmen können? Was
selbstverständlich keineswegs bedeutet, daß das Buch wertlos
oder sinnlos wäre. Auch der Theologe wird zweifelsohne etwas
finden, was ihm neu und wertvoll ist. Der Rezensent ist aber
so altmodisch, daß er vollständige Werke bevorzugt.

Gentofte N- H- See

Lindner, Reinhold: Grundlegung einer Theologie der Gesellschaft.

Dargestellt an der Theologie Paul Tillichs. Hamburg: Furche-Verlag
[i960]. 63 S. 8° = Studien zur evang. Sozialtheologie u. Sozialethik,
hrsg. v. H.-D. Wendland, Bd. VIII. Kart. DM 7.80.

Diese Schrift ist als Einführung in die Gedankenwelt Paul
Tillichs durchaus beachtlich und lesenswert. Sie will Tillichs
Theologie als „Theologie der Gesellschaft" verstehen (s. bes.
S- 59). Sie will jedoch noch mehr: nämlich am Gerüst der Systematik
Tillichs eine „Theologie der Gesellschaft" überhaupt konzipieren
. Das überzeugt nicht, einmal deswegen nicht, weil
Tillichs Systematik — die Konstatierung von „Entfremdungen"
und deren Überwindung „in Jesus, dem Christus" (S. 39) — nur
auf Personen, aber nicht auf objektive „Strukturen" bezogen,
sinnvoll erscheint, andererseits deswegen nicht, weil L. viel zu
prinzipiell und formal bleibt, pointiert gesagt: in Allgemeinheiten
steckenbleibt.

Ist denn mit Formulierungen wie den folgenden wirklich etwas gesagt
?: Die Kirche müsse „Antwort auf die Situation der Gesellschaft"
sein (S. 56, 61 u. 63), ihre „heilende Mitte" (S. 47, 59, 61). Oder:
■ ■Eine Ethik der Liebe (s. u.. Rez.) . .. versucht die wahre Struktur des
Seins zu erkennen, um dem Leben in seiner wahren Wirklichkeit ent-