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Ausgabe:

1962 Nr. 8

Spalte:

619-621

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schilling, Werner

Titel/Untertitel:

Glaube und Illusion 1962

Rezensent:

Mann, Ulrich

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619

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 8

620

Beitrag zur Diskussion um das Toleranzproblem von einem für
die Gegenwartsfragen aufgeschlossenen römisch-katholischen
Standpunkt aus.

Halle/Saale Erdmann Schott

Schilling, Werner: Glaube und Illusion. Von gegenwärtiger Theologie
und evangelischer Glaubensbegründung. München: Evang.
Presseverband für Bayern [i960]. VII, 209 S. 8°. Lw. DM 16.80.
Das Buch ist, wie der Verfasser erklärt, mindestens teilweise
angeregt durch die „dialektisch beeinflußte" Kritik an
seinem früheren Werk Feuerbach und die Religion. Es handelt
6ich dennoch um ein in sich geschlossenes Ganzes und kein bloßes
Supplement. Es ist in der Sache begründet, daß Feuerbach
auch in diesem Buch Schillings eine wesentliche Rolle spielt, ja,
daß die Auseinandersetzung mit ihm das eigentliche Thema ist.
Denn es geht dem Verfasser um den Vorwurf und Verdacht der
Illusion gegenüber dem christlichen Glauben. Andererseits will
er keine verfehlte Apologetik in dem Sinn treiben, als gelte
es gegenüber dem Illusionsverdacht nun den Glauben zu beweisen
. Doch gibt es nach Schillings Auffassung eine berechtigte
Apologetik als wissenschaftliche Rechenschaftsgabe über die
Glaubensbegründung und Auseinandersetzung auch mit nichtchristlichen
Anschauungen. Darin schon zeigt 6ich der grundsätzliche
Standpunkt, zu dem der Verfasser sich auch mehrfach
bekennt: er vertritt eine lutherische Theologie, die offen i6t
besonders für religionsgeschichtliche Fragestellungen; Rudolf
Otto wie auch Horst Stephan kommen stark zur Geltung; die
Frontstellung richtet sich vor allem gegen Barth und Bultmann.

In seinem ersten Abschnitt setzt sich Schilling, etwas
knapp, mit dem theologischen Liberalismus auseinander; im
zweiten kommt dann der eigentlich polemische Vorstoß: gegen
den dialektischen Ansatz und den „Pseudo-Christus" Karl
Barths. Es werde hier „die Autorität des Logos im Grunde
rationalisiert" (S. 29); der Logos gehe keine wirkliche Unio
hypostatica mit der Menschheit ein, es bleibe vielmehr immer
nur bei Konfrontation, Anruf und Anspruch, wenn in Christus
das Göttliche sich mit dem Menschlichen treffe; am Anfang
6tehe die Als-ob-Fiktion absoluter Jenseitigkeit, am Ende die
Systematisierung derselben, in Wahrheit aber handle es sich um
eine Theologie mit „anthropologisch-rationalistischem Charakter
" (S. 35). Die Wirklichkeit der Offenbarung komme nicht
zu ihrem Recht, der „reale, gottgeschenkte Christus des Neuen
Testaments" werde nicht hingenommen. Der Illusionsverdacht
sei auf diesem Weg nicht zu überwinden.

Damit ist der Auftakt zum dritten Abschnitt gegeben:
nun ist Feuerbach an der Reihe. Dieser Abschnitt ist vielleicht
die eigentliche Mitte der ganzen Abhandlung. Man muß sagen,
daß hier auf Grund guter Quellenarbeit interessante Perspektiven
eröffnet werden. Schilling wehrt sich vor allem gegen die
zu hohe Einschätzung Feuerbachs vor allem von Seiten der dialektischen
Theologie, welche diesen Denker geradezu zu ihrem
Bundesgenossen promoviert habe. Weil Feuerbach die Religion
bekämpft, kann ihm die dialektische Theologie nur zustimmen,
denn der Kampf gegen die Religion ist für sie von Anfang an
wesensbestimmend. Schilling entwickelt dagegen ein Bild vom
inneren Werdegang Feuerbacb.6: gegen seinen Kritiker Lorenz
weist er nach, daß man auf keinen Fall von pantheistischer
Mystik als Ausgangsposition der Feuerbachschen Polemik reden
dürfe; die Umkehrung des Hegeischen Denkens basiere auf
einem unzulänglichen Hegelverständnis Feuerbachs; Feuerbach
habe in „Freiheit bewußt den Unglauben gewählt" (S. 57), so
sehr dabei Einflüsse einer unbefriedigenden rationalistischen
Theologie (man muß vor allem an 6einen Lehrer H. E. G. Paulus
denken) mitspielten, auf keinen Fall dürfe man für den Feuerbachschen
Abfall die ganze Theologie des neunzehnten Jahrhunderts
verantwortlich machen. Feuerbach sei im übrigen vom
sensus numinis völlig frei, und das gleiche treffe für die heutigen
radikalen theologischen Bekämpfer der Religion zu. Der
Wirklichkeitscharakter der Religion, wie ihn etwa Rudolf Otto
erfaßt hat, müsse auch in der heutigen Theologie ernster genommen
werden. Damit ist das Thema gegeben für den nächsten
Abschnitt, der das heutzutage häufig proklamierte „Ende der
Religion" in Frage stellt. Hier findet sich vor allem eine Polemik
gegen Thielicke, wogegen Schilling die These vertritt, in
Europa lebe eine sehr intensive versteckte Religiosität voll
Enthusiasmus, die sich in verschiedenen Gewändern verkleide,
und die außerchristlichen Religionen stünden in missionarischem
Angriff auf die alte Welt.

Nun folgt die Auseinandersetzung mit Bultmann und
seiner Schule. Dabei stützt sich Schilling vor allem auf die Sicht
der modernen Religionsphänomenologie, der gegenüber etwa der
Bultmannsche Mytho6begriff unzulänglich erscheine. Schilling
hat hier sicher viel Richtiges gesehen. Der Skopus dieses Abschnitts
zielt dann in eine neue Richtung, indem der Verfasser
sich kritisch mit Bultmanns „Marburger Predigten" (Tübingen
1956) auseinandersetzt. Dabei richtet sich der Angriff besonders
gegen die Bultmannsche Infragestellung objektiver Heilstatsachen
, für deren Geltung Schilling entschieden eintritt.

Dem folgt in einem letzten umfangreichen Abschnitt die
Entfaltung der evangelischen Glaubensbegründung. Nach einer
Auseinandersetzung mit Minneapolis kommt der „objektive
Glaubensgrund" zur Sprache. Schilling konzentriert dabei alles
auf das „biblische EST", welches beginnt mit der Behauptung
von Gottes Existenz und der Offenbarung des Schöpfergottes,
weiterführt über die Verkündigung der Inkarnation als das
„letzte Objektivum des christlichen Glaubens" (S. 15 5), über
die Wunder und die Idiomenkommunikation zum letzten biblischen
Est der realen Gegenwart Gottes im Abendmahl. Abschließend
erörtert Schilling die subjektive Aneignung des objektiven
Glaubensgrunde«. Das Erlebnis des Heiligen, die
Divination, all das hat 6ein Recht und muß nicht ohne weiteres
zur Subjektivierung des Glaubens führen; gerade demgegenüber
ist ja Schilling bemüht, der Objektivität des Glaubensgrundes
den gebührenden Vorrang zu verschaffen. Hier lesen wir viel
Beherzigenswertes, besonders über allzu moderne Predigtmethoden
u.dgl.; nur eins ist mir nicht aufgegangen: wieso der
Feuerbachsche Illusionsverdacht Schillings Theologie gegenüber
unwirksam werden sollte. Wer nicht glauben will, wird und
kann sich immer wieder hinter Feuerbach verstecken.

Damit bin ich bei der Kritik. Das Buch ist schwungvoll
geschrieben, mit zahlreichen interessanten Ausblicken, besonders
in den Anmerkungen, versehen, und es vermittelt einen weiten
Ausblick auf die zeitgenössische theologische Literatur. Zum
Stil darf ich mir die kleine Bemerkung erlauben, daß der bestimmte
Artikel häufiger angewandt werden sollte; ein Satz für
viele: „Es ist zu hoffen, daß in neuer theologischer Generation
die Eiseskruste zu schmelzen beginnt und Neubesinnung in
Kirche und Theologie geschenkt werde, wo Fiktionen krisenerschütterter
Zeiten verdarben" (S. 40)!

Die Polemik Schillings ist scharf. Das ist kein Vorwurf,
das ist seit geraumer Zeit ja wieder usus geworden. Doch erklärt
sich auch daraus, daß Einseitigkeiten und Vereinfachungen
besonders hinsichtlich der gegnerischen Position häufig sind;
und dies wieder muß zurückschlagen auf die eigene Gegenargumentation
, man muß dann die eigenen The6en ebenfalls
vereinfachend profilieren. Schilling ist diesem Geschick nicht entgangen
. Daher läßt das Buch in manchem unbefriedigt.

Ich sage das, gerade weil ich der Position, die Schilling vertreten
möchte, in vielem sehr nahestehe. Ich kann auch durch-
j aus verstehen, daß jemand einmal zornig wird und scharf zu
reden beginnt. Dennoch vermisse ich manches, was in diesem
Zusammenhang nun auch zu Gunsten der Gegner angeführt
werden müßte. Man kann etwa gegen Barth und Bultmann nur
polemisieren, wenn man zunächst einmal zeigt, welche Erkennt-
! nisse dieser Theologen trotzdem für uns alle verbindlich geworden
sind. Und das ist manchmal beim Verf. zu wenig der Fall.

Statt vieler Einzelheiten, über die zu diskutieren wäre,
möchte ich eine Grundanschauung Schillings zur Diskussion
stellen. Das ist seine Auffassung von subjektiv und objektiv
im christlichen Glauben. Ich halte es einfach für unzulänglich,
nur mit diesen Kategorien zu arbeiten. Man kommt so 6chon
Barth nicht bei, auf keinen Fall aber Bulrmanm. Es hilft alles
nichts, diese Kategorien sind heutzutag durch Existenzialien
ergänzt, und auch wer dem widersprechen will, muß sich den
neuen Sprachgebrauch zunächst einmal aneignen, um ihn dann
in seine eigene Kategorienwelt zurückzuübersetzen (soweit das