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1962 Nr. 8

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Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 8

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Damit ist zwar wiederum ein Argument gegen die Zuschreibung
der Paraphrase an Apolinarios gefunden; aber eine wirklich
auch im einzelnen beweiskräftige und eindeutige Rekonstruktion
des dieser zugrunde liegenden 2-Textes dürfte wohl gerade
wegen der von G. selbst aufgezeigten Schwierigkeiten praktisch
unmöglich sein. Was überhaupt möglich ist, hat G. mit einer
Fülle von Beispielen gezeigt, die man in Zukunft immer dankbar
berücksichtigen wird.

Die in einem Anhang (S. 178—18 5) beigegebene Zusammenstellung
der zahlreichen, meist geradezu evidenten Konjekturen
des Verfassers macht sein Buch völlig unentbehrlich.

Heidelberg Hein» Martin W erhahn

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Jakobs, Hermann: Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung
im Zeitalter des Investiturstreites. Köln-Graz: Böhlau 1961.
XIX, 270 S., 1 Kte. gr. 8° = Kölner Historische Abhandlungen, hrsg.
v. Th. Schierfer, Bd. 4. Kart. DM 28.-.

Das Hauptanliegen des Buches schließt an Hallingers Arbeit
„Gorze-Cluny" (1950/51) an, der stärkere Differenzierungen
innerhalb der Klosterreform des 11. Jhdts. herausgearbeitet hat.
Im bewußten (z. T. auch kritischen) Anschluß an Hallinger will
Jakobs die besondere Eigenheit der vom Kloster Hirsau getragenen
Bewegung aufzeigen: „Das Hirsauer Reformwerk erhielt
ohne Zweifel starke Impulse durch die burgundische Zentrale
Cluny, und mit einem gewissen Recht orientierte sich die Forschung
an dieser Sicht . . . Bei näherem Zusehen erweist 6ich
jedoch . . ., daß jenes Kennwort clunyazensisch nur sehr bedingt
auf Hirsau angewendet werden kann" (S. IX). „Nicht allein
Cluny, sondern vor allem der Gregorianismus und in überraschendem
Ausmaß noch die gorzischen Traditionen des deutschen
Mönchtums haben Hirsaus Bewegung mitbestimmt" (S. XI).
Die Reihe der Beweise setzt ein mit dem sog. Hirsauer Formular
von 1075, das Jakobs im Anschluß an Hallinger und
Th. Mayer für echt hält (S. 13 ff.): Der Eigenkirchenherr verzichtet
auf sein eigenkirchenherrliches Recht, wahrt aber seinen
Anspruch auf die Vogtei, zu der er vom König die Vollmacht
erhält; das Kloster Hirsau investiert seinen Abt selbst. Mit
Recht nennt Jakobs jenes Hirsauer Formular ein „typisches
Zeugnis einer Übergangszeit" (S. 21). Gregor VII. hat jenes
Formular nicht bestätigt. Nach Jakobs Meinung hat gerade die
„Selbstinvestitur" des Abtes beim Papst Ablehnung erfahren,
da er darin eine Form des Eigenkirchenrechts gesehen habe.
„Diese eigenkirchenrechtliche Einführung des Abtes mit eindeutig
clunyazensischem Gepräge wird unterschieden von der kanonischen
Einweisung des Abtes, der bischöflichen Benediktion;
sie soll canonice erfolgen" (S. 84). Der Papst wünschte aber
eine noch stärkere Berücksichtigung der Bischöfe, als dies in
dem Formular von 1075 vorgesehen war. Die Ablehnung der
Selbstinvestitur durch Gregor VII. richtete 6ich nach Jakobs „in
unmißverständlicher Weise auch gegen den Partikularismus Clu-
nys" (S. 99). Hirsau sollte nicht zu einer „Kirche in der Kirche"
werden, wie Cluny (S. 100 sowie S. 157). Aus „gesamtkirchlicher
Perspektive" konnte Gregor nicht anders handeln.
„Bischofsredit war auch kanonisches Recht" (S. 110). Das Kapitel
„Hirsau und der Episkopat" (S. 104—151) setzt diese Linie
fort: Es will die bisherige Meinung von einem Streben nach
einem zentralen Hirsauer Kloßterverband, der den Bischöfen
gegenüber unabhängig sein wollte, revidieren. Jakobs sieht
wohl einen Ansatz zu einem überdiözesanen Zellensystem
(S. 120), er hält auch die Redeweise von einer „Hirsauer Kongregation
" für zulässig (S. 132); er betont aber, daß es sich nur
um eine geistige, nicht um eine verfassungsrechtliche Zentralisation
gehandelt habe. „Abt Wilhelm hat einen verfassungsrechtlichen
Zentralismus nicht schaffen wollen" (S. 132), „ein
echter Clunyazenser ist er bei aller Übernahme clunyazensischen
Gedankengutes nie gewesen . . . weil der gorzische Mönch schon
vorher zum Gregorianer geworden war" (S. 1 32/33). Ein wesentlicher
Abschnitt steht unter der bezeichnenden Überschrift „Die
bischöfliche Klosterreform" (S. 135 ff.), wobei vor allem Otto
von Bamberg Kronzeuge ist; im Bamberger Bereich erhielten

18 Klöster die Hirsauer Statuten unter Mitwirkung des Bischofs.
Jakobs folgert, daß „Hirsau nicht , antiepiskopal' orientiert
war" (S. 141) und beruft sich auf Arbeiten von Büttner und
Bauerreiß.

Im Kapitel „Hirsau und der Adel" (S. 152—189) wird das
Bestreben des Papstes und der Hirsauer deutlich, aus dem Vogt
des Klosters einen Klosterbeamten zu machen. „Gregor VII.
verdient/ in gewisser Weise Bewunderung, wenn er im Kampf
mit dem Königtum auch dem Adel gegenüber seine Prinzipien
verfocht..." (S. 161). Freilich hatte er damit kaum Erfolg; auf
lange Sicht setzten sich die Partikulargewalten im Reich durch
(S. 170). Das letzte Kapitel „Die Hirsauer im Investiturstreit"
(S. 190—223) zeigt die Intensität, mit der die Hirsauer für
Gregor VII. Partei nahmen, wobei Jakobs vor allem der innerhalb
und außerhalb des Klosters ins Leben gerufenen Laienbewegung
große Bedeutung zumißt (S. 203), ohne den Einfluß
der geistigen Macht Hirsaus im einzelnen genau bestimmen zu
wollen (S. 204). Bezeichnend ist, daß sich gelegentlich der Gedanke
des päpstlichen Primats in den Bereich des unbedingten
monastischen Gehorsams verschiebt (S. 206). Im Abschnitt „Das
Königtum" (S. 207-215) stellt Jakobs etwas überraschend fest,
daß man von Hirsau her „ein positives Verhältnis zum Königtum
" gewahrt habe (S. 212), während die Existenz einer radikaleren
Gruppe weniger bedeutsam sei (S. 213—215). Der Abschnitt
„Die Hirsauer und Heinrich V." (S. 215—223) zeigt, wie
es in Hirsau zu einem Stimmungsumschwung zugunsten des
jungen Königs kam, wofür Ekkehard von Aura als Zeuge genannt
wird. „Die Erhebung Heinrichs V. im Jahre 1105 bezeichnet
... eine Zäsur in der Hirsauer Parteinahme" (S. 222). .. .
Kompromißpolitik trat an die Stelle prinzipieller Auseinandersetzungen
" (S. 223).

Gewünscht hätte man sich den Abdruck der wesentlichsten
Texte im vollen Wortlaut, insbesondere des Hirsauer Formulars
und des Comburger Formulars, dem S. 91 f. eine größere Beweislast
zufällt. Der Begriff „Feudalismus" wird nicht klar, obwohl
Jakobs gegen Hallinger ebenso polemisiert wie gegen E. Werner
(S. 157, vgl. auch 190 und 213). Jakobs spricht am Schluß seiner
Arbeit von der Problematik der Etikette „gorzisch",
„clunyazensisch", „hirsauisch", „gregorianisch" (S. 231). Hier
möchte man ihn selbst fragen: Ist es glücklich, in einer Arbeit,
die den Unterschied zwischen Cluny und Hirsau herausarbeiten
will, den Begriff „jungclunyazensisch" für Hirsau beizubehalten?
S. 160 liest man, daß sich im 12. Jhdt. „nach und nach die
Clunisierung des deutschen Mönchtums vollzog und die jung-
clunyzansische Forderung nach freier Vogtwahl auf der ganzen
Linie in das noch gorzische Mönchtum einbrach . . .". Also doch
Clunisierung in Deutschland durch Jungclunyazenser? Weiter
ist zu fragen: Geschah Gregors Zurückweisung des Hirsauer
Formulars von 1075 primär wegen der Selbstinvestitur, oder
sollte nicht vor allem die Rolle des Königs in jenem Formular
beim Papst Anstoß erregt haben? Ist die Bereitschaft der Hirsauer
1105 den König Heinrich V. zu unterstützen nicht ein
Zeichen dafür, daß ihr „Gregorianismus" doch weniger tief gewurzelt
war, als es Jakobs vorher darstellte?

Solche Fragen sollen aber wirklich nur Fragen sein und
nicht etwa als grundlegender Widerspruch verstanden werden.
Das Buch bietet eine solche Fülle von Quellenzitaten, Literaturhinweisen
und neuen Beobachtungen, daß man dem Autor für
die vielen Anregungen auf jeden Fall dankbar sein muß.

Rostock Gert H a c n d le r

Emmen, Aquilin: Die Eschatologie des Petrus Johannis Olivi.

Wissenschaft und Weisheit 25, 1962 S. 13—48.
Kandier, Karl-Hermann: Evangelium nihil aliud quam expositio

legis. Zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium und Altem und

Neuem Testament bei Humbert.

Neue Zeitschrift für Systematische Theologie 4, 1962 S. 1 — 10.
Klenk, G. Friedrich: Die Wende gegen Konstantin (oder Papsttum
und Frankenreich).

Stimmen der Zeit 170 (87. Jg. 1961/62) S. 95—101.