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Ausgabe:

1962 Nr. 8

Spalte:

583-585

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Nilsson, Martin P.

Titel/Untertitel:

Geschichte der griechischen Religion ; Bd. 1: Die Religion Griechenlands bis auf die griechische Weltherrschaft 1962

Rezensent:

Herter, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 8

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sehen, der sehr bald verheiratet und Vater einer kinderreichen
Familie war. Darüber hinaus weisen auch Bucers theologisches
Genie und sein ganz anders geartetes literarisches Talent in eine
andere Richtung.

Diese wenigen Bemerkungen zeigen zur Genüge an, daß
zahlreiche am Rande behandelte Fragen dieses Bandes eine Überprüfung
erfordern.

Insgesamt entspricht in den Einführungen die persönliche
Beurteilung dem Standort der Autoren, die Bucer von Luther
her sehen. Ein Satz am Anfang des Buches gibt den Grundton
an: „Dann wird Bucer, wie wir hoffen, als der erscheinen, der
er ist, ein Schüler Luthers eigener Prägung" (S. 10), eine
Forschungshypothese, der wir uns nicht anschließen können.
Vorurteile dieser Art beeinträchtigen lediglich das Verständnis
des Bucerschen Textes und legen der Forschung Fesseln an, die
im Denken Bucers grundlegendere Quellen und Einflüsse zu entdecken
und freizulegen hat: augustinisch-thomistische theologische
Tradition, nominalistische Logik, rheinische Mystik, eras-
mianischer Humanismus und patristische Strömungen, devotio
moderna und Bemühungen um eine praktische Anwendung des
Christentums, die mystische und realistische Frömmigkeit als
typisch elsässisches Erbe, in Straßburg selbst vorherrschende
geistliche Strömungen (Wiedertäufer) usw. Statt sich auf ein
(falsches) Dilemma: Luther oder Zwingli? einzulassen, sollte
man 6ich enger an den Text Bucers halten, um hier die Beziehungen
zur älteren theologischen Tradition, zum zeitgenössischen
Humanismus und schließlich auch zur Persönlichkeit Bucers
selbst aufzuspüren. Geschieht dies nicht, so ist eine gewisse Reserve
geboten, und es muß davor gewarnt werden, das Urteil
des Lesers in Richtung eines grundsätzlichen Vorurteils festzulegen
, das Bucer in das Gefolge Luthers versetzt. Die Schriften
aus seiner reifen Zeit werden ohne Zweifel dazu führen, diesen
Punkt in den folgenden Bänden zu berichtigen.

3. Im übrigen betreffen diese Bemerkungen lediglich das
Beiwerk des Bandes und schmälern keineswegs seinen allgemeinen
Wert. Anfechtbar scheint uns die Gesamtanlage der Gesamtausgabe
mit ihrer Aufteilung in deutsche und lateinische Schriften
'1 und der engen Unterteilung innerhalb jedes einzelnen Ban-

*) Diese Aufteilung ist unserer Ansicht nach völlig künstlich und
zufällig. Bucer schrieb sowohl in lateinischer wie in deutscher Sprache,
je nach den Umständen, der augenblicklichen Eingebung und auch entsprechend
dem Rang des Publikums, das er ansprechen wollte. Er
schrieb schnell und in einem abgerissenen Stil und dies in zwei Sprachen
, die für ihn auswechselbar waren. Die Syntax seines Latein erinnert
viel eher an eine gesprochene Sprache als an das klassische
Schullatein. Hätte er selbst die Gesamtausgabe seiner Werke besorgen
sollen, so wäre es ihm wohl nicht in den Sinn gekommen, sie in lateinische
und deutsche Schriften zu unterteilen. Eine solche Einteilung
wirft uns um ein Jahrhundert zurück, in die Zeit, wo M. Schuler und
J. Schultheß die Werke Zwingiis in zwei ähnlichen Serien herausgaben

des, sowie der zu großen Anzahl von Autoren, die sich in die
Bearbeitung des Gesamtstoffes teilen. Es entsteht so die Gefahr
, daß die einheitliche literarische Produktion Bucers aufgelöst
wird zu einem Mosaik von einzelnen Texten, deren Zusammenhang
nur noch schlecht herzustellen ist. Das wird bereits bei
dem ersten Band sichtbar: im Inhaltsverzeichnis sind die gedruckten
Schriften ohne Numerierung aufgeführt, während die
ungedruskten Gutachten numeriert, aber undatiert folgen. Es
wäre indessen ein leichtes gewesen, hier dem Beispiel der Ausgabe
von Zwingiis Werken im Corp. Reform, zu folgen mit den
drei großen Abschnitten: I. Deutsche und Lateinische Schriften
numeriert und chronologisch geordnet; II. Korrespondenz;
III. Schriftkommentare. Im Falle Bucers könnte man einen
vierten Abschnitt hinzufügen: IV. Ungedruckte Gutachten.
Diese Gutachten bilden eine ziemlich kompakte dokumentarische
und theologische Masse und könnten daher als eigenes literarisches
Genre aufgefaßt werden, getrennt von den übrigen Abschnitten
: keinesfalls aber kann man sie, wie es im vorliegenden
Fall geschieht, als Anlage oder Zusatz zu den gedruckten
Schriften behandeln, denen 6ie weder in der Ausarbeitung noch
in der Datierung entsprechen. Dazu kommt, daß diese Gutachten
in der Hauptsache in Straßburg aufbewahrt werden, ihre
fotografische Reproduktion und ihre Bearbeitung also die Herausgabe
des Corpus verzögern, das, abgesehen von den Briefen,
im wesentlichen aus den gedruckten Schriften (Abhandlungen
und Kommentare) besteht. So ist ohne Zweifel das langsame
Ingangkommen der Ausgabe zu erklären. Außerdem steht zu
befürchten, daß die deutsche Serie auf die Korrespondenz vorgreift
, wie das S. 20 bereits angekündigt wird, so daß dann
umgekehrt Gutachten in die Korrespondenz verwiesen werden
(der sie an sich nur allzu nahestehen), um schließlich nirgendwo
ihren Platz zu finden.

Wie dem auch sei, bleiben diese Fragen von Einteilung
und Einleitung zweitrangig und nebensächlich. Das Wesentliche
ist, daß wir endlich eine handliche, kritische und vollständige
Ausgabe der Werke Bucers besitzen. Unter diesem Gesichtspunkt
betrachtet - und das sei zum Schluß nochmals ausdrücklich
hervorgehoben — befriedigt diese Ausgabe in sehr hohem
Maße; ihre Herausgeber sind zu diesem Werk zu beglückwünschen
. Hoffentlich fördert die Aufnahme, die diese Ausgabe
beim wissenschaftlichen Publikum findet, ein möglichst baldiges
Erscheinen der folgenden Bände. Könnten die Herausgeber dabei
aus den obenstehenden Bemerkungen die eine oder andere
Anregung berücksichtigen, so dürfte das wohl dazu beitragen,
diese so hoch notwendige und höchst willkommene Publikation
noch zu vervollkommnen.

(1829 ff.). Die Herausgeber des Corp. Reform, waren besser beraten,
als sie Zwingiis Werke entsprechend der literarischen Gattung einteilten
und sich innerhalb dieser Einteilung an die chronologische Reihenfolge
hielten. Diesem Beispiel hätte man folgen sollen.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

N i 1 s s o n, Martin P., Prof.: Geschichte der griechischen Religion.

Bd. 1: Die Religion Griechenlands bis auf die griechische Weltherrschaft
. 2., durchgesehene u. ergänzte Aufl. München: Beck 1955.
XXIII, 872 S., 52Taf„ sTextabb. gr. 8° = Handbuch der Altertums-
wiss. V.Abt.. 2. Teil, Bd. 1. DM 64.-; Lw. DM 70.-.

Da der andere Band von Nilssons imponierendem Werke
npch nicht neu erschienen ist, muß die zweite Auflage des ersten
Bandes für sich angezeigt werden, was hier leider mit erheblicher
Verspätung geschieht. Die Erneuerung ist so schnell notwendig
geworden, daß an der Fassung vom Jahre 1941 keine
tiefeingreifenden Änderungen vorgenommen zu werden brauchten
; "ich darf daher auf das seinerzeit in dieser Zeitschrift 67,
1^42, 88 ff. erstattete Referat verweisen. Einer der großen Vorzüge
des Werkes, die ausgiebige Benutzung archäologischen
Materials, wie es für die besonders beabsichtigte Erfassung
gerade der Breitenschicht des Volksglaubens unentbehrlich ist |

(vgl. Nilsson, Opuscula selecta III, Lund 1960, 3 ff.), macht sich
jetzt in zahlreichen Zusätzen geltend, die Neufunde betreffen.
Auch sonst ist die jüngste Literatur vor allem in Anmerkungen
und auch noch in Nachträgen berücksichtigt worden und hat
auch zu Modifikationen im Text geführt; der Bildanhang hat
ebenfalls einige Änderungen erfahren. Nicht zuletzt fußt Nilsson
wieder auf der eigenen Forschung, die er auch seither unermüdlich
fortgesetzt hat, wie nacht zum wenigsten der reiche zur
Ergänzung heranzuziehende 3. Band seiner Opuscula selecta
(s. ob.) zeigt. Einigemal hat er vordem gehegte Ansichten
zurückgenommen: so verlegt er den Anfang der Einwanderung
der Griechen nun in die Zeit des Bruches zwischen früh- und
mittelhelladischer Zeit (S. 331), während er weiter mit starkem
Einfluß der minoischen auf die mykenische Religion rechnet (vgl.
auch S. 26, 1), und die Erweckung des Liknites bezieht er nicht
mehr auf den im Frühling erwachenden, sondern den aus der
Unterwelt aufsteigenden Dionysos (S. 5 80). Den Etymologien
der Götternamen legt er gesteigerte, aber doch nicht ausschlag-