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Ausgabe:

1962

Spalte:

575-580

Autor/Hrsg.:

Marxsen, Willi

Titel/Untertitel:

Zur Frage nach dem historischen Jesus 1962

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575

576

Zur Frage nach dem

Von Willi Marx

Die hier anzuzeigenden Hefte kreisen um dasselbe Thema,
unterscheiden sich aber in Anlage und Absicht.

Paul A 11 h a u s' versucht, in knappen Zügen den gegenwärtigen
'Stand der Frage nach dem historischen Jesus zu skizzieren
. Auf 17 Seiten kann das natürlich nur recht summarisch
geschehen, zumal dabei auch noch eine Fülle von Problemen
angeschnitten wird. (Ausgangspunkt der Fragestellung in der
Aufklärung, die Quellenfrage, Johannes und die Synoptiker, die
synoptischen Evangelien als Bericht und Bekenntnis, Qumran,
Martin Kähler und seine „Überspitzung" durch Bultmann, „Züge
des Bildes Jesu".)

Das Problem tritt nur unscharf heraus. A. lehnt die liberale
Frage nach dem historischen Jesu6 ab, da wir die „wahre
Wirklichkeit Jesu Christi nicht in der Abstraktion eines undogmatischen
.historischen Jesus', sondern in dem verkündigten
Christus der urchristlichen Botschaft finden" (S. 13). Das heißt
dann doch aber, daß wir diese wahre Wirklichkeit in der „Antwort
auf die echte Wirklichkeit Jesu und seiner Geschichte"
durch die Apostel finden (S. 17), und also — im Kerygma. Man
fragt sich, was dann aber die „Züge des Bildes Jesu" sein sollen
, die Althaus (freilich recht allgemein) zeichnet. Ist das nun
nicht doch der „historische Jesus"? Und kommt nun nicht doch
heraus, daß es eben dieser historische Jesus ist, der dem Glauben
„ein gutes historisches Gewissen" gibt, ohne das er nicht
leben kann? (S. 19) Denn woran entsteht nun eigentlich der
Glaube: an den aus dem Kerygma durch Abstraktion gewonnenen
„Zügen" des Jesusbildes — oder an der Antwort auf die
Wirklichkeit Jesu, also am Kerygma? So wären hier noch manche
Fragen anzumelden.

Der Vortrag enthält aber auch offenbare Unrichtigkeiten. Wie
kann man im Markusevangelium den ganzen Ablauf der Geschichte
Je6u von seinem Auftreten an als kristallklar vor unseren Augen liegend
bezeichnen (S. 5; die Berufung auf E.Hirsch geschieht hier zu
Unrecht, denn dieser behauptet das nicht vom Mk.-Evang., sondern
von einer seiner Quellen, von „Mk. 1"!), und dann „in Sachen der
Chronologie des Lebens und Todes Jesu" Johannes den Synoptikern
gegenüber den Vorzug geben? (S. 6) Weiter: Es 6timmt einfach nicht,
daß ,.heute allgemein zugestanden" sei, das Mk.-Evang. gehe mittelbar
auf Petrus zurück (S. 5). Daß schließlich die Logienquelle ,,ohne
Zweifel . . . auf einen Ohrenzeugen, nämlich auf Matthäus" zurückgehe
(S. 5), ist zwar eine sehr kühne, aber keineswegs gesicherte (oder
auch gar nur wahrscheinliche) Annahme.

Heinrich Ott legt einen überarbeiteten Teil seiner 1954
verfaßten Habilitationsschrift vor2. Es geht ihm um den Seinsmodus
geschichtlicher Wirklichkeit. Er möchte die Aporie, die
darin liegt, daß geschichtliche Wirklichkeit teils objektivierender,
teils existentieller Erfahrung zugänglich ist, durch den Nachweis
auflösen, „daß das objektive Konstatieren ein der geschichtlichen
Wirklichkeit überhaupt unangemessener Erkenntnismodus
ist" (S. 12).

Zur Begründung seiner ersten These (,,Es gibt keine Tatsachen
") setzt er bei M. Kähler ein. Wenn dieser meinte, der
wirkliche Christus sei der Christus der Evangelien, hinter den
man nicht zurückfragen dürfe, dann sagt O.: hinter den man
nicht zurückfragen könne, denn, so argumentiert er gegen einen
„Postivismus", der die geschichtliche Wirklichkeit als einen
Komplex von Tatsachen ansieht und nur sie als wirklich gelten

läßt (mit Nietzsche): .....nein, gerade Tatsachen gibt es nicht,

nur Interpretationen" (S. 16). Wer nämlich an Tatsachen orien-
' tiert bleiben will, unterschlägt die Bedeutsamkeit, die „alles
geschichtliche Sein bestimmend durchwaltet" (S. 20). Darum gibt
es Tatsachen, verstanden als bruta facta, nur als „bloße Abstraktionen
" (S. 21).

') A 11 h a u s, Paul: Der gegenwärtige Stand der Frage nadi dem
historischen Jesus. München: Verlag der Bayerischen Akademie der
Wissenschaften; i. Komm. C.H.Beck 1960. 19 S. 8° = Bayerische
Akademie d. Wissenschaften, Philo«.-Hist. Klasse, Sitzungsberichte,
Jg. 1960, H. 6.

J) Ott, Heinrich: Die Frage nach dem historischen Jesus und die
Ontologie der Geschichte. Zürich: EVZ-Verlag [i960]. 34 S. 8° =
Theologische Studien, hrsg. v. K. Barth u. M. Geiger, H. 62. DM 2.80.

historischen Jesus

s e n, Münster/Westf.

Die zweite (positive) These, die im Anschluß an Kähler
formuliert wird, lautet dann: Alle geschichtliche Wirklichkeit,
die wir erfahren, hat bildhaften Charakter. D. h. nach O.: Das
Wirkliche prägt sich uns stets als Bild (bzw. als Erscheinung)
ein, watf keineswegs immer bewußt zu sein braucht (S. 24). Das
wird dann an Jesus verdeutlicht, denn das Jesusbild ist der Ausdruck
der ersten unmittelbaren Begegnung mit Jesus, die Erfahrung
Jesu im Glauben, den es schon während seiner irdischen
Geschichte gab (S. 25). - Aber, so fragt O. nun, kann das Bild
nicht falsch sein? Wo bleibt dann das Wirkliche selbst? Versinken
wir nun nicht „in einen bodenlosen Relativismus"? (S. 30)
Im Rahmen einer ontologischen Analyse drängt sich da O. als
„Grenze und Korrektur dieser ontologischen Konzeption" die
Setzung des Begriffes eines „Dinges an sich" auf, der aber
„reiner Grenzbegriff" bleiben muß und „dessen Inhalt niemals
Gegenstand der Erfahrung und der Wissenschaft werden kann"
(S. 30). — Im Rahmen des christlichen Glaubens soll es noch eine
andere Möglichkeit geben, dem drohenden Relativismus zu entgehen
: das Sehen Gotte6, das uns freilich der Problematik nicht
enthebt. — Mit einigen Ausblicken auf später zu behandelnde
Fragen schließt das Heft.

Die anregende Abhandlung kann hilfreich sein, einige in der heutigen
Diskussion umstrittene Fragen zu klären oder doch mindestens
durch präzisere Formulierungen weiterzuführen. Sie muß dann freilich
aus dem Bereich der methodischen Überlegungen herausgenommen
und an den Texten erprobt werden. Bei O. geschieht das immer nur
andeutungsweise — und gerade da oft problematisch. Ich kann z. B.
vorläufig keineswegs einsehen, daß zum Bedeutsam-Sein der Auferstehung
ihre Leiblichkeit (was für eine?) gehört (S. 34). Wichtiger
scheint mir noch ein anderes Problem. Für Kähler war das biblische
Christusbild das wirkliche. O. differenziert mit Recht. Jesus von Na-
zareth war „für seine Jünger und Zeitgenossen ein Bild". Darum gehört
der „wirkliche historische Jesus . . . grundsätzlich derselben ontologischen
Ordnung an wie das biblische Christusbild", wenn sie auch
„verschiedenen .Schichten' der Phänomenalität angehören". Nun soll
aber nach O. das zeitlich frühere Bild nicht notwendig das ,. .direktere
', ungetrübtere, ,6achnähere'. richtigere" sein (S. 31). Ist das aber
überzeugend? Das direktere Bild ist es doch auf jeden Fall. Bei der
Frage der Sachnähe wäre zu differenzieren. Wenn das spätere Bild von
einem Augenzeugen stammt, kann es durchaus sachnäher sein als
ein früheres von demselben (oder einem anderen) Augenzeugen. Wenn
es aber von einem Dritten stammt, der kein Augenzeuge war? Dann
ist ein Urteil über die Sachnähe doch nur möglich nach Prüfung am
ersten (direkten) Bild. Dabei ist zu klären, ob das spätere Bild getrübt
oder ungetrübt ist. Verläuft diese Prüfung positiv, dann (aber nur
' dann!) kann gesagt werden, daß da6 frühere Bild nicht richtiger ist
als das spätere. (Vgl. auch die Ausführungen auf S. 25. Das „mystisch
j gefärbte" Bild Jesu in den Evangelien kann durchaus der „Ausdruck
(I) der ersten unmittelbaren Begegnung mit Je6us" sein; ob es aber
wirklich der Ausdruck des ersten (!) unmittelbaren (!) Bildes ist, kann
nicht vorausgesetzt, sondern lediglich durch Prüfung festgestellt
werden.)

Damit sind wir aber schon bei einem der Probleme, mit
j denen sich Rudolf Bultmann in seinem Heidelberger Aka-
', demievortrag beschäftigt'1. Er setzt sich umfassend mit der gegen-
: wärtigen Diskussion, insbesondere auch mit den Beiträgen seiner
Schüler auseinander. Wir skizzieren zunächst kurz den Inhalt.

B. meint, e6 werde heute nicht immer klar die Frage nach
der historischen Kontinuität zwischen dem Wirken
des historischen Jesus und dem urchristlichen Kerygma
unterschieden von der anderen Frage nach dem sachlichen
Verhältnis zwischen Jesus und dem Kerygma (S. 6). Er
beginnt mit der ersten Frage. Dabei präzisiert er früher gemachte
Aussagen, die Mißverständnisse hervorgerufen haben.
Kontinuität besteht zwischen Jesus und dem Kerygma; sie besteht
jedoch nicht zwischen Jesus und dem Christus des Keryg-
mas (S. 8). Wenn Jesus nun aber Jude (und kein Christ) war,
dann wird auch die Kontinuität „eigentümlich eingeschränkt",
denn sie geht dann doch offenbar nicht „über das unbezweifel-

:l) Bultmann, Rudolf: Das Verhältnis der urdiristlichcn
Christusbotschaft zum historischen Jesus. Heidelberg: Winter 1960.
27 S. gr. 8° = Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie d. Wiss.,
Philos.-hist. Klasse, Jg. 1960, 3. Abhandig. Kart. DM 5.60.