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Ausgabe:

1962 Nr. 7

Spalte:

547-549

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kühn, Ulrich

Titel/Untertitel:

Natur und Gnade 1962

Rezensent:

Kinder, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 7

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b) Echte Gleichheit legt sich aus in Verschiedenheit, bei
der der Personkern des Menschen ernst genommen wird, und doch erkannt
ist, daß alle den ,.gleichen Start" haben (168).

c) Echte Freiheit bewährt sich in Verbindlichkeit. Freiheit
ist nach dem Neuen Testament Verantwortung für den Mitmenschen.
Sie kann nur gewährt werden, wenn sie zuvor empfangen wurde. Dazu
ist die Gemeinschaft als das Vorgegebene unentbehrlich. Freiheit wahrt
die Distanz und gibt zugleich echte Nähe.

Ein gemeinsames ist in allen drei Vorträgen zu spüren:
Die Welt des eigenmächtigen Menschen ist an ihr Ende gekommen
. Die Botschaft der Kirche, aus der heraus sich Gemeinde als
brüderliche Gemeinschaft baut, hat nicht nur eine exemplarische
Bedeutung für die Mitmenschlichkeit. Verf. hat die große Aufgabe
der Kirche in der Welt heute ermutigend aufgewiesen. Er
tritt dabei jeder ideologischen Schwärmerei, auch im theologischen
Gewände, entgegen. Dabei erledigt er im Vorübergehen nicht
ohne Scherz manche Scheinfrage wie etwa die, ob die Bemühungen
um die Wiedervereinigung „theologisch" zu begründen seien.
Die christliche Gemeinde hat von der Menschwerdung Jesu
Christi her eine ganz menschliche Aufgabe: daß die Vernunft
wieder vernehmend werde und daß es vernünftiger und menschlicher
zugehen möchte in dieser Welt, die als vorletzte allein
von der Kraft des Letzten ihren Bestand hat.

Eisenach Heinz Erich E i s e n h u t h

Kühn, Ulrich: Natur und Gnade. Untersuchungen zur deutschen
katholischen Theologie der Gegenwart. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
[1961]. 180 S. gr. 8°, und Berlin: Luth. Verlagshaus [1961] = Arbeiten
z. Geschichte u. Theologie des Luthertums, hrsg. v. W. Maurer
, K. H. Rengstorf, E. Sommerlath, VI.

Die neuen Tendenzen, die sich in der heutigen römischkatholischen
Theologie in Deutschland wie etwa auch in Frankreich
und den Niederlanden regen, sind merkwürdiger- und
bedauerlicherweise bisher von Seiten der evangelischen Theologie
verhältnismäßig wenig gewürdigt und zu ernsthafter Auseinandersetzung
vorgenommen worden, während umgekehrt auf
römisch-katholischer Seite eine ungleich intensivere Beschäftigung
und Auseinandersetzung mit der reformatorischen wie der
heutigen evangelischen Theologie festzustellen ist. Um so verdienstvoller
und dankenswerter ist es, daß in der hier vorliegenden
Arbeit, einer veröffentlichten Dissertation, der junge
fähige Leipziger Theologe Ulrich Kühn die so vernachlässigte
Aufgabe in Angriff genommen hat. Er beschäftigt sich in ihr
eingehend mit zentralen Gedanken hervorragender römischkatholischer
Theologen deutscher Zunge der Gegenwart, die für
die Erneuerung theologischen Denkens im Raum der römisch-
katholischen Kirche exemplarisch sind: Karl Eschweiler, Romano
Guardini, Gottlieb Söhngen, Erich Przywara, (Henri de Lubac),
Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar (Hans Küng), und
zwar sind es ihre Bestimmungen des Verhältnisses von Natur
und Gnade in anthropologischer Sicht, die ja zweifellos besonders
aufschlußreich und auch relevant für die Auseinandersetzung
sind, die K. hier im einzelnen untersucht. Indem sie den
entsprechenden Bestimmungen der neuscholastischen Schuldogma-
tik (deren präzise und treffend interpretierende Darstellung das
I. Kapitel unter der Überschrift „Natur neben Gnade" auf
Grund besonders von Dickamp und — als Typ für die molini-
stische Richtung — Lercher bringt) gegenübergestellt werden,
wird sowohl die Abhebung davon deutlich (zu der stärkeres
biblisches Denken, Zurückgreifen auf die „Väter", besonders
auf Augustin, Aufnahme neuzeitlichen Denkens wie auch — last
not least — Aufnahme von Motiven aus evangelischer Theologie
mitgewirkt haben) als auch das Durchhalten gewisser klassischer
Fragestellungen und Kategorien aus der Scholastik, wenn diese
z. T. auch ganz neu interpretiert werden.

Dabei unterscheidet K. im Blick auf die Bestimmung des
Verhältnisses von Natur und Gnade in bezug auf den Menschen
zwei Hauptgruppen moderner römisch-katholischer Theologen,
nämlich die, die eine grundsätzlich teleologische Beziehung
zwischen beiden sehen (Kap. II, unter der Überschrift „Natur
auf Gnade hin"): Eschweiler, Guardini, Söhngen, Schmaus, und
die, die im Blick auf den konkreten Menschen das Gnadenhandeln
Gottes an ihm und seine schöpfungsgegebene „Natur"

wesentlich miteinander verbunden sehen und lediglich grundsätzlich
die „Natur" des Menschen von den Einwirkungen des
..übernatürlichen" Gnadenhandelns Gottes unterscheiden (Kap. III.
unter der Überschrift „Natur in konkreter Einheit mit Gnade"):
Przywaira, (Lubac), Rahner, v. Balthasar, (Küng). Für beide Gruppen
ist, je auf ihre Weise, bezeichnend, daß hier in die metaphysischen
Fragestellungen der Scholastik die grundsätzlich

! ,,heilsgeschichtliche" Betrachtungsweise der Bibel eindringt, wo-

; durch das von der Scholastik geforderte Nebeneinander der
„Natur"- und der Gnadenordnung mit der prinzipiellen Selbständigkeit
und Abgerundetheit der „Natur" in sich (die zumal
um der absoluten „Ungeschuldetheit", der reinen Gratuität der
Gnade willen gefordert ist!) zu überwinden und beides lebendiger
zusammenzusehen versucht wird, ohne daß dabei doch zumindest
die Frage nach der „reinen Natur" in theologischer
Relevanz aufgegeben wird.

Die Arbeit läßt erkennen, wie intensiv der Verf. sich um
ein tieferes Verständnis der älteren und neueren römischkatholischen
Theologie, als es im evangelischen Raum allgemein
üblich ist, gemüht hat, und das wahrhaft mit Erfolg. Dabei ist
bei allem spürbaren Dabei-Sein seine Arbeitsweise methodisch
sehr exakt. Seine Darstellungen gehen nach Charakterisierungen
des betr. Anliegens jeweils vom Detail des Befundes aus, sind
auf Schritt und Tritt gut belegt, wobei das Typische jeweils
genau getroffen und präzis herausgearbeitet wird. Zum Schluß
werden jedesmal treffende und helfende systematische Zusammen-

j fassungen gegeben, die das Verständnis und die Übersichtlich-

I keit sehr erleichtern. Die systematischen Linien wirken nicht
erzwungen, sondern treten aus der Sache selbst hervor. Dem
Leser werden die eigentliche Bedeutung all der „schultheologischen
" Bestimmungen in bezug auf das Verhältnis von „Natur

| und Gnade" nach ihrer Intention ebenso deutlich, wie ihm das
Darüberhinausdrängen zu andersartigen Sichten bei den Neueren

J eindrucksvoll wird. Im Zuge des Ganzen werden wiederkehrend
die wichtigen Fragen etwa der „Gottebenbildlichkeit" des Menschen
, der Erbsünde, der Art der Erlösung im Verhältnis zur
Schöpfung, der „natürlichen" Gottesbeziehung des Menschen
und seiner „natürlichen" Gotteserkenntnis usw. in ihrer je besonderen
Auffassung aufschlußreich behandelt.

Kritisches kann zu dem Ganzen des darstellenden Teils,
der innerhalb der Arbeit naturgemäß den größten Raum einnimmt
, kaum gesagt werden. Allenfalls bei näherem Eingehen
auf die Details wären hie und da Einzelfragen zu 6tellen, wozu
aber der hier zur Verfügung stehende Raum nicht ausreicht. Um
wenigstens ein paar Beispiele zu nennen, ist es mir etwa frag-

! lieh, ob bei Söhngen wirklich der metaphysische Naturbegriff

I „der beherrschende geblieben" ist und S. tatsächlich „in die

j neuscholastischen Bahnen zurück" lenkt (78) oder ob Schmaus
„der benediktinischen Mysterientheologie nahesteht" (79) oder
ob bei Rahner Natur und Gnade „letztlich doch quantitativ und
nicht... (nur) kategorial voneinander unterschieden sind" (123).
Ferner: Was bedeutet es, wenn S. 85 gesagt wird, die Konkupis-

| zenz sei seit dem Sündenfall im Menschen „wieder da"?
(Eine Verschreibung: S. 145, Textzeile 10 muß es „Viertens
" statt „Drittens" heißen!) Doch das sind Kleinigkeiten,
die das Positive des Ganzen, die Fülle der herausgearbeiteten
wichtigen Gedanken mit den ihnen innewohnenden Einsichten
und Anregungen, nur unterstreichen sollen. Die treffliche forschungsmäßige
wie gedankliche Leistung des Verfs. wird hoffent-

| lieh das erforderliche tiefere Ernstnehmen der neueren römischkatholischen
Theologie von Seiten der evangelischen Theologie

| sowie die dringend notwendige Auseinandersetzung mit ihr
fruchtbar anregen und fördern!

Auch zur Auseinandersetzung gibt K. — im
IV. Kapitel, in dem er die grundsätzliche Art römisch-katholischen
theologischen Denkens, sowohl der älteren wie der neueren
Richtung, von biblisch-evangelischem Denken aus in bezug

' auf die Themafrage (unter der Überschrift „Natur erlöst durch
Gnade") beleuchtet und mit ihm konfrontiert — gewichtige,

i helfende Gesichtspunkte. (Dabei benutzt er als Hilfen aus heu-

j tiger evangelischer Theologie lediglich Thielicke (Ethik I),
E. Brunner und vereinzelt v. Loewenich. Hierzu wären immerhin

; noch Arbeiten etwa von K. G. Steck oder auch verschiedene