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Ausgabe:

1962 Nr. 7

Spalte:

538-539

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Gallati, Fidelis M.

Titel/Untertitel:

Wenn die Päpste sprechen 1962

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 7

538

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Pol, W. H. van de: Der Wehprotestantismus. Glaubens- und Lebens-
wclt unserer Brüder. Ins Deutsche übertragen v. M. de W e i j e r.
Essen: Ludgerus Verlag 1960. 286 S. 8°. Lw. DM 18.50.

Das neue Buch des zur katholischen Kirche konvertierten
Verfassers wendet sich in erster Linie an Laien, für die heute
eine gute Kenntnis des Weltprotestantismus unerläßlich 6ei. Aus
Rücksicht auf den Leserkreis ist auf einen gelehrten Apparat
verzichtet. Gleichwohl ist ein wissenschaftlich voll verantwortetes
Werk entstanden, dem wir mit Achtung begegnen. Der Verf. sagt
nicht zu viel, wenn er schreibt, daß er „nach größter Billigkeit,
Unparteilichkeit und Objektivität" gestrebt hätte. Am Schluß
jedes Kapitels wird ein Literaturverzeichnis geboten, in dessen
ökumenischem Horizont die Werke des deutschen Protestantismus
fast verschwinden. Es wäre wohl gut, wenn in künftigen Auflagen
auch die Vornamen der Verfasser genannt würden. Die
holländische Originalausgabe ist bereits 1956 erschienen. Die
Übersetzung liest sich gut, nur auf dem ersten Bogen sind einige
Unebenheiten stehen geblieben.

Es werden in vier Kapiteln der lutherische, reformierte,
anglikanische und ökumenische Protestantismus behandelt. Die
reichen geschichtlichen Kenntnisse jede6 Kapitels sind zuverlässig;
dem Laienleser wird sehr viel geboten. Indessen erübrigt sich ein
Referat über diese umfänglichen Teile, weil sie über ein normales
theologisches Fachwissen nicht hinausgehen. Große Sorgfalt
ist auf die Charakterisierung der Typen verwendet, die beim
Anglikanismus als besonders geglückt gelten darf. Außer im
Schlußkapitel wird oft zwischendurch der ökumenische Ort der
Kirchen zu bestimmen gesucht.

Wir haben erwartet, daß solches Buch auch einen aktuellen
Beitrag zum interkirchlichen Gespräch der Gegenwart leistet,
und sahen uns nicht enttäuscht. Die Beobachtungen hier möchten
wir weitergeben.

1. Als die problematischste Gestalt des gesamten Protestantismus
gilt Luther. Seine menschliche, psychische, wissenschaftliche
, moralische, religiöse Integrität bleibt außer Zv/eifel. Wenn
allerdings seine Haltung Kopcrnikus gegenüber „borniert" genannt
wird (26), wird man zurückfragen, wie denn der Verf. über
die Verwerfung durch Paul V. vom 5. 3. 1616 urteilt. Dunkel
blieb uns der Sinn einer Aussage über religiöse Primitivität des
Elternhauses; „das Volk, das in den für die Zeit wenig bevölkerten
Gegenden wohnte, stand erst seit kurzer Zeit unter dem
Einfluß der Kirche" (28). Wann sind denn die zahlreichen mitteldeutschen
Bistümer gegründet? Doch bleibe das als unwichtig
auf sich beruhen! Interessanter ist, daß der Vorwurf des politischen
Versagens auch vom Verf. aufgenommen wird. Weil
Luther sich nach Worms „in die Stille des Privatlebens" zurückgezogen
hätte, sei es zu keiner nationalen Kirche in Deutschland
gekommen; die Gegenreformation und der Dreißigjährige Krieg
seien die Folge gewesen (27)! Wichtiger aber ist der starke Akzent
auf dem Ockhamismus Luthers und seinem Biblizismus. Es
scheint Allgemeinurteil werden zu sollen, daß der Ockhamismus
e'ne „vorübergehende Erscheinung" gewesen sei, „ein bedeutender
Rückschritt" und teilweise häretisch, so daß die Folgerung
•möglich wird, Luther hätte nur ein Zerrbild der katholischen
Kirche und ihrer Lehre gekannt (31). Der Biblizismus Luthers
w'rd um so höher bewertet. „Es ist die Frage, ob es außer Luther
Wohl je einen Exegeten gegeben hat, bei dem die berufsmäßige
wissenschaftliche Beschäftigung zugleich so persönliche und existentielle
Züge aufwies" (35). Das wichtigste Problem der
j-utherforechung sei deshalb die Frage, wie es durch die persönliche
Neuentdeckung des Evangeliums zu einem Bruch mit der
katholischen Kirche kommen konnte. Hinter dieser Bewertung
von Ockhamismus und Biblizismus steht unausgesprochen der
Satz: man befreie Luther und die Seinen von dem Zerrbild des
Katholizismus und führe die in der Luft liegende Verständigung
über die biblische Rechtfertigungs- und Gnadenlehre herbei,
dann müßte eigentlich die Spaltung überwunden werden.

2. Die Beurteilung der Schweizer Reformatoren zielt dar-
auf. sie von dem problematischen Luther so weit wie möglich zu
entfcrncn. Zwingli wie Calvin 6ind biblische Humanisten und unabhängig
von Luther, den man nicht gebraucht hätte, um in der
Schrift das Evangelium zu entdecken (98). Aber auch die Schweizer
hatten keine rechte Kenntnis von der Lehre der katholischen
Kirche. „Immer wieder fällt es dem Katholiken unserer Zeit auf,
daß die Reformatoren gegen falsche Begriffe der katholischen
Lehre gesprochen haben" (101). Die Verfolgung und Tötung von
Ketzern durch Calvin wird milde beurteilt, — man hätte hier
nicht anders als die römische Inquisition gedacht. Bei der Darstellung
des Anglikanismus wird eindringlich auf den Biblizismus
in den Untergrundbewegungen in der Zeit vom 14.— 16. Jahrhundert
eingegangen. Wie beim Luthertum muß es auch beim
Reformiertentum heißen: fort vom falschen Verständnis des
Katholizismus, hin zur Bibel!

3. Die Beurteilung des Weltprotestantismus insgesamt ist so
positiv, daß auch der evangelische Leser erstaunt aufmerkt.
Wiederholt wird gesagt, daß der Weltprotestantismus erst im
Aufbruch sei und noch vor der Entfaltung seiner stärksten Kräfte
stände. Dem Vorurteil, er sei in sich zerrissen und in tausend
Teile zersplittert, wird verschiedentlich eindrucksvoll widersprochen
. In den grundlegenden Glaubensüberzeugungen bestehe
volle Einigkeit, daneben gäbe es neuerdings ein starkes gemeinprotestantisches
Sendungsbewußtscin der Menschheit gegenüber,
die katholische Christenheit nicht ausgenommen. Schon vor dem
Schlußkapitel war vor der Annahme gewarnt worden, der Anglikanismus
sei auf dem Weg nach Rom. Klarer als viele evangelischen
Beurteiler sieht van de Pol, daß die Oxfordbewegung eine
Episode war, die abklingt. Bemerkenswert sei, daß im Gesamtprotestantismus
die traditionellen Trennwände an Bedeutung
verlören. Nachdenkenswert ist das Urteil: „Protestanten einer
gleichen Richtung betrachten sich als Geistesverwandte, auch
wenn sie zu verschiedenen Kirchen gehören, während sie den
Mitgliedern der eigenen Kirche, die einer andern Richtung anhängen
, mehr oder weniger fremd gegenüberstehen" (216). An
der Schwelle des zweiten Vatikanischen Konzils scheint uns die
positive Beurteilung des Weltprotestantismus sehr bemerkenswert
zu sein. Die römische Kirche soll zu einer echten Begegnung
gerufen werden. Es ginge immer nur um das Wohl des andern,
„nie um Siegestrophäen, um billigen Seelenfang und Verstärkung
der Macht" (271).

4. Die zentrale römische Position, von der im Buche nicht
näher zu reden war, wird in lapidarer Kürze und ohne Erweichungen
behauptet. Der fundamentale Unterschied zwischen Katholiken
und Protestanten läge in der Lehre von der Kirche. Die
auf den Fels Petri gegründete sakramentale Kirche ist „eine
übernatürliche Wirklichkeit im ontischen Sinne" (11).

Daß das Buch einen bemerkenswerten Beitrag zur interkirchlichen
Diskussion leistet, dürfte seinen eigentlichen Wert
ausmachen.

Rostork Gottfried Holti

G a 1 1 a t i, Fidelis M., O.P.: Wenn die Päpste sprechen. Das ordentliche
Lehramt des apostolischen Stuhles und die Zustimmung zu
dessen Entscheidungen. Wien: Herder [i960]. XVI, 207 S. 8°.

Der Untertitel ist wichtig. Aus ihm geht hervor, daß nur
das ordentliche Lehramt des Papstes, nicht auch das außerordentliche
, behandelt werden soll. Das außerordentliche Lehramt
des Papstes, das sich in den Kathedralsprüchen äußert, ist
für den Katholiken verhältnismäßig unproblematisch; denn seine
Unfehlbarkeit ist seit dem Vatikanum Dogma, und das Erfordernis
einer absoluten Zustimmung, einer fides divina et catho-
lica, kann nicht bezweifelt werden. Wie steht es aber mit dem
ordentlichen Lehramt, d. h. mit dem Lehramt, welches der
Papst in Predigten, Ansprachen, Rundschreiben u. dgl. täglich
persönlich oder durch die römischen Kongregationen ausübt?
Unter welchen Bedingungen und wie weit ist der Katholik hier
zur Zustimmung verpflichtet?

G.s Antwort ist vielschichtig. Gegen Vacant, Salaverri
u. a„ die eine erweiterte päpstliche Unfehlbarkeit verfechten,
begründet G. die These: Der Apostolische Stuhl ist nicht durch
das Charisma der Unfehlbarkeit gesichert im Hinblick auf das
einzelne Lehrurteil, wenn es seinem ordentlichen Lehramt erfließt
(41 f.). Die unbedingte Bürgschaft der Wahrheit haben