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Ausgabe:

1962

Spalte:

527-528

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Tauler, Johannes

Titel/Untertitel:

Predigten 1962

Rezensent:

Moeller, Bernd

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Seite 1

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faltet. Der Glaubende darf gewiß sein: Gott nimmt mich an,
so, wie ich bin, auf Grund des unergründlichen Erbarmens, das
sich dem Menschengeschlecht in Jesus Christus zugewendet hat.
Das Tridentinum hat diese Botschaft der Reformation in der
6essio VI. als Irrtum abgelehnt und damit einen tiefen Graben
aufgerissen, der eine Verständigung unmöglich zu machen
scheint. Die Mitwirkung des Menschen ist Bedingung seiner Erlösung
. Da wir aber unsere Werke nie zureichend beurteilen
können, bleibt die Hoffnung unserer Rettung im Bereich der
Wahrscheinlichkeit, das heißt der Ungewißheit.

Demgegenüber entfaltet die vorliegende Studie die These,
daß Thomas von Aquin im Traktat über die drei göttlichen
Tugenden, besonders aber in dem bedeutsamen Abschnitt über
die Hoffnung, die Überzeugung vertreten habe: Der Hoffende
ist seiner Hoffnung nicht nur bedingungsweise, sondern absolut
gewiß; denn er stützt seine Hoffnung nicht auf die schon
zugeeignete Gnade, sondern auf die göttliche Allmacht und
Barmherzigkeit. Darum kann auch der Sünder, sofern er nur
glaubt, seiner Hoffnung gewiß sein. „Weder die Heiligen mit
ihren Fürbitten noch das Gebet von Freunden, weder eigene
Verdienste noch erreichte Heiligkeit geben für 6ich ein hinreichendes
Motiv unserer Hoffnung ab, denn wir erhoffen die ewige
Herrlichkeit nicht auf Grund der Verdienste, sondern allein aus
Gnade (non ex meritis, sed pure ex gratia)". Wohl wird zugegeben
, daß bei Thomas die guten Werke als causae 6ecundairiae
ebenfalls Grund unseres Hoffens sein können, niemals aber als
causa principalis. Den Vätern des Tridentinischen Konzils aber
wird in aller Ehrerbietung der Vorwurf gemacht, sie hätten bei
der Behandlung des ganzen Fragenkomplexes die Ausführungen
des Aquinaten über die Hoffnungsgewißheit nicht hinreichend
herangezogen und ausgewertet. Seit Jahrhunderten habe man
den großen Lehrer der Kirche zu einseitig dafür verwendet, um
mit ihm eine gegenreformatorische Apologetik zu betreiben.
Nun aber soll die Thomaslehre von der Hoffnungsgewißheit der
Vergessenheit entrissen werden, um die getrennten Kirchen
einander wieder näher zu bringen.

Verdienstvoll an der vorliegenden Arbeit ist auf jeden
Fall, daß der Verfasser bei seinen eigenen Glaubensgenossen
aufzuräumen sucht mit Vorurteilen, die sich im Vulgärkatholizismus
tief eingenistet haben, als sei Luther Quietist gewesen,
während es doch in seinen Predigten „wimmelt von Ermahnungen
und prophetischen Aufrufen zut Bekehrung, zur inneren
Erneuerung, zur Umgestaltung, zur christlichen Durchdringung
der gesamten Lebensführung". Ebenso wird gegen jede einseitig
forensische Interpretation der evangelischen Rechtfertigungslehre
Stellung genommen, weil auch für Luther der Christus
extra nos im Glauben zum Christus in nobis wird. Die sorgfältig
durchgeführte Studie ist ein erneuter Beitrag zu der Tatsache
, wie stark die katholische Theologie im deutschen Sprachraum
darum bemüht ist, Anliegen der evangelischen Theologie
zu verstehen und unter Rückverweisung auf ihr eigenes Vätererbe
in sich aufzunehmen.

Tübingen Adolf K ö b c r 1 e

Tauler, Johannes: Predigten. Vollständige Ausgabe, Übertrag, u.
hrsg. v. Georg H o f m a n n. Freiburg-Basel-Wien: Herder [1961].
648 S. 8°.

Zwar ist die Angabe auf dem Schutzumschlag dieses Buches,
es handle sich um die erste Tauler-Gesamtausgabe seit 1911,
irreführend; denn einerseits ist das neue Werk keine Urtextausgabe
, wie diejenige Vetters es war, und andererseits ist eine
neuhochdeutsche Gesamt-Übersetzung, wie die vorliegende,
1913 (21923) durch Walter Lehmann bei Diederichs in Jena
vorgelegt worden — im Vorwort des vorliegenden Buches wird
dieser Sachverhalt denn auch durchaus richtig dargestellt.
Dennoch ist diese 1961, im 600. Todesjahr Taulers erschienene
Ausgabe, ein schön ausgestatteter, handlicher Band, 6ehr zu begrüßen
; denn die Lehmannsche Übersetzung ist in mancherlei
Hinsicht unzureichend: Sie ist noch ohne Kenntnis der neueren
philologischen und theologischen Literatur und stattdessen allzusehr
durch den mystischen Geist des Diederichs-Verlags jener
Jahre geprägt und gelegentlich entstellt; außerdem fehlen ihr
drei Tauler-Predigten, die Vetter einst übersehen hatte, so daß

die Übersetzung von 1961, die sie enthält, sogar als die vollständigste
unter allen deutschen Tauler-Ausgaben bezeichnet
werden kann — nur die ausgezeichnete französische Übersetzung
von Hugueny, Thery und Corin (3 Bde., Paris 1927—35) ist ihr
hierin ebenbürtig. Freilich muß man auch jetzt noch die bei
Ph. Strauch (Beitr. z. Gesch. d. dt. Sprache 44, 1920, 20 f.) und
G. I. Lieftinck (De middelnederlandsche T.-Handschriften. Diss.
Groninfen 1936, 142 Anm. 1) Tauler zugeschriebenen Stücke
entbehren, und es werden auf der anderen Seite einige von
Vetter veröffentlichte, aber seither mit mehr oder weniger
durchschlagenden Argumenten für unecht erklärte Predigten und
Traktate (Vetter Nr. 1, 59, 79 und SO) ohne jede Einschränkung
oder nähere Erläuterung auch hier wieder abgedruckt. Eine
neue, umfassende kritische Urtext-Ausgabe der Schriften Taulers
ist nach wie vor ein dringendes Bedürfnis.

Der vorliegende Band enthält insgesamt 84 Predigten
und Traktate. Sie werden, im Anschluß an Corin, in neuer,
dem Ablauf des Kirchenjahrs entsprechender Reihenfolge abgedruckt
(nur Nr. 77 fällt, ohne daß die dafür angeführten
Gründe ganz zu überzeugen vermögen, aus diesem Rahmen),
und auch wenn man also in Zukunft durch die Notwendigkeit,
die synoptische Tabelle S. 632 ff. zu benutzen, behindert ist, so
erscheint die neue Anordnung doch sinnvoll. Die Benutzung des
Werks wird dadurch erleichtert, daß der Übersetzer jeder Predigt
eine kurze Inhaltsangabe voranschickt.

Die Übersetzung selbst ist flüssig und gut lesbar, und sie
erwies sich dort, wo Stichproben gemacht wurden, i. A. als zuverlässig
. Der Übersetzer hat sich recht eingehend in die Tauler-
Literatur vertieft; der Rez. vermißt nur die Berücksichtigung
der z. T. wertvollen Worterklärungen von C. Kirmsse, Die Terminologie
des Mystikers J. T. Diss. Leipzig 1930.

Natürlich kann man, wie bei jeder Übersetzung, über die
Schönheit und Angemessenheit mancher Stellen streiten. So
scheint mir die Bildkraft der Taulerschen Sprache gelegentlich allzu
blaß und abstrakt wiedergegeben zu sein, etwa S. 5 37, Z. 10
v.u., wo für Taulers Ausdruck „wider gesichte" (Vetter 261, 31)
„Gesichtspunkte seiner Beziehung" steht. S. 172, Z. 7 v.o. ist
die Übersetzung ungenau; vermutlich ist der bei Vetter (306,
17 f.) wiedergegebene Text verderbt, und es ist ihm die Variante
von LT vorzuziehen. Bei Vetter 172, 12 ist das „ane allen
zwivel" wohl hinter das Semikolon zu setzen (vgl. Vetter
152, 6 f.), und Hofmanns Übersetzung dieser wichtigen Stelle
(S. 310, Z. 14 f. v.o.) müßte entsprechend korrigiert werden.

Direkten Widerspruch hat der Rez. nur an zwei Stellen
anzumelden: Zu Unrecht wird S. 298, Z. 9 v. u. Taulers
„bethus" mit „Gotteshaus" übersetzt; die Gedankenfolge wird
dadurch verdorben. Und wenn S. 427, Z. 8 f. v. o. Taulers
(Vetter 221,29) Satz: „Der Orden enmacht üch mit heilig"
mit: „Die Zugehörigkeit zum Orden (allein) macht euch nicht
heilig" wiedergegeben wird, so ist die Tendenz, T. zu zähmen,
leider nicht zu übersehen.

Einige Druckfehler: S. 294, Anm. 2: Stehmann statt Lehmann.
S. 632: Predigt 3 statt 4. S. 633, Z. 7 v.u. streichen.

Heidelberg Bernd Moeller

Gieraths, Gundolf, O. P.: Savonarola, Ketzer oder Heiliger? Ein-
geleit., ausgewählt und übers. Freiburg - Basel - Wien: Herder [1961].
302 S., 6Taf. 8°.

Die Formulierung „Ketzer oder Heiliger?" wurde nicht aus
werbetechnischen Gründen als Titel gewählt, sondern das vorliegende
Buch geht dieser Frage mit einer dezidierten Tendenz
nach: Der Dominikaner Savonarola, der 1498 als Ketzer hingerichtet
wurde, soll jetzt nach fast einem halben Jahrtausend
rehabilitiert werden. Dabei ist Gieraths kein Einzelgänger:
Schon vor 1600 hatte der Ordensgeneral der Dominikaner
Hippolytus Beccaria darauf hingearbeitet; 1951 erklärte der damalige
Ordensgeneral Emmanuel Suarez: „Die Stunde Savona-
rolas ist angebrochen"; auf dem Generalkapitef in Rom 1955
wurde beantragt, unter den Dominikanern, deren Seligsprechung
erreicht werden 6olle, Savonarola an die erste Stelle zu setzen
(S. 40). Gieraths beruft sich auch auf zwei katholische Gelehrte,
die freilich innerhalb ihrer Kirche nicht unangefochten waren:
Joseph Schnitzer und Sebastian Merkle (S. 39). Der für die Ver-