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Ausgabe:

1962

Spalte:

30-31

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Grobel, Kendrick

Titel/Untertitel:

The gospel of truth 1962

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 1___30

„Lebensphilosophie und Phänomenologie" (1931) nachgewiesen
hat. Nun muß gesehen werden, daß van der L. selbst dies Prinzip
der Epoche im eigentlichen Sinn in seiner Religionsphänomeno-
logie immer wieder durchbricht. Und zwar einmal dadurch, daß er
aufzeigt, daß die Phänomenologie ihre Aufgabe nicht erfüllen
kann ohne ,,die immerwährende Korrektur der gewissenhaftesten
philologischen, archäologischen Forschung", also ohne die Ausrichtung
auf die geschichtliche Wirklichkeit, die bei Husserl der
Einklammerung verfällt, und daß daher die Phänomenologie
eine Aufgabe einschließt, die nie ganz abgeschlossen, fertig werden
kann. Es gibt also für van der L. keine adäquate Wesensschau
im Sinne Husserls. Die andere Durchbrechung des Epoche-Prinzips
v. d. L.s erfolgt dadurch, daß er durch das religionsgeschichtliche
Material genötigt wird, als Theologe Religionsphänomenologie
zu betreiben, und da er dies nur so kann, wie Hermelink sehr
richtig herausgearbeitet hat, daß er jeweils die Wissenschaft einklammert
und den „Sprung ins Zeugnis" vollzieht. Nur so ist es
ihm möglich, einen Rest der Epoche - Haltung zu retten und sich
den Zugang zu den theologisch - relevanten Sachverhalten des
Christentums als der Religion der Erfüllung zu verschaffen, die
der Religionsphänomenologie ihrer eigentlichen Zielsetzung nach
sonst verschlossen bleiben. So aber ergibt sich ein ausgesprochener
Gegensatz zwischen Verstehen und Bezeugen, zwischen Wissenschaft
und Theologie.

Es ist das Anliegen Hcnnelinks in dem letzten Teil seiner
Untersuchung, diesen Gegensatz zu überbrücken. Man hätte erwartet
, daß er hier auf das umfangreiche Material eingegangen
wäre, das in der gegenwärtigen Diskussion über die theologische
Hermeneutik vorliegt. Ohne Zweifel hätten dadurch seine Ausführungen
an Klarheit gewonnen. Aber auch das, was er zu dem
hier in Frage stehenden wichtigen Problem vorträgt, verdient
Beachtung und Überprüfung. Auch das sachlichste Verstehen ist
nicht frei von Wertung. Wertung aber 6etzt immer eine persönliche
Entscheidung voraus für den Wert, den man für den höchsten
hält. Das Verstehen im Bereich der christlichen Verkündigung
setzt also die Bezeugung Christi voraus. Setzt nicht auch
van der L. diesen Sachverhalt voraus, wenn er sagt, daß alles Verstehen
ein Lieben sei, und daß alle Liebe letzten Endes ein
Geliebtwerden sei — unter Berufung auf 1. Joh. 4, 10. 19 —,
wenn er — im Gegensatz zu Husserl — betont, daß die Epoche
nicht das Verhalten des kalten Zuschauers 6ei, sondern „der
liebevolle Blick des Liebhabers auf den geliebten Gegenstand" —
nun doch im Sinne der Agape? Die Frage dürfte zu bejahen sein
und es ist daher richtig, wenn Hermelink bemerkt, „daß van der
L.s Kategorien durchaus seinem geprägten religiösen Erleben
entnommen sind" (140). Wie van der L. selbst gegenüber Fichte
betont: „Wissenschaft existiert nur Kraft des Glaubens" (633).
Es ist also in Wirklichkeit so, daß van der L. praktisch selbst die
Überbrückung von Verstehen und Bezeugen vollzieht, während er
andererseits im Rückgriff auf eine vermeintliche Epoche und aus
Furcht vor einem dogmatischen Verfahren, das in allen Religionen
außerhalb des Christentums nur Entartung sehen kann, jene Verbindung
wieder aufgibt.

Hermelink zeigt in den Schlußabschnitten seiner Untersu
chung, wie diese Furcht unberechtigt ist, wenn das Verstehen
theologisch richtig als Bezeugen fundiert wird. Durchaus im
Geiste van der L.s führt er aus, daß die Theologie als wissenschaftliche
Selbstprüfung dieses Bezeugens die Einbeziehung der
Religion in die Dogmatik erfordert, und zwar nicht in der Form
einer Lehre von den Religionen nach der herkömmlichen Art in
den Prolegomena, sondern nach dem Vorgang van der L.s als „der
liebevolle Blick des Liebhabens auf den geliebten Gegenstand",
so daß der, welcher Verstehen bezeugt, „allen alles" wird um der
Liebe willen. Von dieser Haltung müsse auch die theologische
Aufgabe der Religionskunde und Missionswissenschaft getragen
werden. Hermelink ist sich dessen bewußt, mit diesen abschließenden
Richtlinien nicht ein Letztes gesagt zu haben. In der Tat
bedürfte das Verhältnis von Dogmatik, Religionskunde, Missionswissenschaft
und Religionsgeschichte einer weiteren Klärung.
Aber auch die von ihm gegebenen Richtlinien bestätigen nicht
nur den Wert der religionsphilosophischen Arbeit van der L.s auch
in theologischer Hinsicht, sondern haben den eigentlichen Sinn
dieser Arbeit erfaßt und sind methodisch in Richtung auf das

Metazentrum des christlichen Glaubens weitergeführt und fruchtbar
gefördert. Das, was wir an dem Werk van der L.s bewundern
: die Horizontweite der Materialverarbeitung — die u. a.
äußerlich gesehen darin zum Ausdruck kommt, daß Goethe und
Nietzsche ebenso oft zitiert werden wie Paulus und Luther — und
die nie aufhörende Bewegung auf das eigentliche theologische Anliegen
hin, kommt auch noch in den Schlußabschnitten der vorliegenden
Untersuchung klar zum Ausdruck.

Nachschrift : Die vorliegende Besprechung war abgeschlossen
, als uns die Nachricht von dem plötzlichen Ableben
Hermelinks erreichte, der einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen
war. Die Nachricht erschütterte uns um so mehr, da die
genannte Untersuchung zu den besten Erwartungen ihres Verfassers
auch in wissenschaftlicher Hinsicht berechtigte. In 6einen
Ausführungen spiegelt sich der große Horizont und die theologische
Klarheit seines Meisters van der Leeuw wider. Sein früher
Heimgang ist daher doppelt schmerzlich.

Werner Schult/

Kiel

Grobcl, Kendrick: The Gospel of Truth. A Valentinian Meditation
on the Gospel. Translation from the Coptic and Commentary.
London: A. and C. Black [i960]. 206 S. 8°. 16 s.

G. ist Professor für Neues Testament an der Vanderbilt
Divinity School in America. Sein vorliegendes Werk enthält eine
Einführung (S. 7—31), eine kommentierte Übersetzung der unter
dem Namen „Evangelium Veritatis" veröffentlichten1 zweiten
Schrift aus dem Codex Jung (S. 32—201) und ein Literaturverzeichnis
(S. 203—206). Das Buch ist zwar 1960 erschienen,
bietet aber die Auffassungen des Verfs. aus dem Jahre 1958.
Damit hängt zusammen, daß er wichtige Literatur über das sog.
Evangelium Veritatis nicht verarbeitet hat. Zu nennen wäre da
vor allem: W. C. Till: Bemerkungen zur Erstausgabe des „Evangelium
veritatis", Orientalia 27, Roma 1958, S. 269-286; W. C.
Till: Die Kairener Seiten des .Evangeliums der Wahrheit', Orientalia
28, Roma 1959, S. 170—185; W.C.Till: Das Evangelium
der Wahrheit, neue Übersetzung des vollständigen Textes, ZNW
50, Berlin 1959, S. 165-185; H.-M. Schenke: Die Herkunft des
sogenannten Evangelium Veritatis, Berlin 195 8, Göttingen 1959;
und vieles andere mehr.

In der Einführung schildert G. die Auffindung der Nag-
Hamadi- Schriften, kommt dann speziell auf den Codex Jung zu
sprechen und gelangt auf diesem Wege schließlich zu dem eigentlichen
Gegenstand seiner Arbeit, dem sog. Evangelium Veritatis.
Im Anschluß an die Herausgeber hält er diese Schrift für das von
Irenaus adv. haer. III 11,9 bezeugte Evangelium Veritatis der
Valentinianer. Darüber hinaus vertritt er die Anschauung, daß
Valentinus selbst der Autor dieser zweiten Schrift aus dem Codex
Jung sei (S. 17—21. 26 f.). Als Abfassungszeit nimmt er etwa das
Jahr 150 post an (S. 28). Im großen und ganzen übernimmt er
also die Theorie von van Unnik. Da nun die Schrift — wie G.
richtig und klarer als die Herausgeber erkennt — nichts spezifisch
Valcntinianischcs enthält, muß er Valentinus zu einem fast orthodoxen
Christen machen. Das aber ist eine unhaltbare Theorie!
Sie macht es unmöglich, die Einheit in der Vielfalt der valentini-
anischen Systeme zu begreifen, und widerstreitet der längst erkannten
Entwicklungslinie, die von der sog. Barbelo-Gnosis über
Valentinus zu den Valentinianern führt. Wenn der Text nichts
spezifisch Valenrinianiscbes enthält, liegt die Annahme am nächsten
, daß er überhaupt nicht valentinianisdi ist und also nicht
das valentinianische Evangelium Veritatis von Iren. III 11,9
sein kann. Auch die Verwandtschaft der zweiten Schrift aus dem
Codex Jung mit den Oden Salomos, die bald nach der Edition des
Textes von mehreren Fachleuten erkannt wurde, ist G. von selbst
nicht aufgefallen, obgleich er zweimal auf die Od. Sal. verweist
(Anm. 8. 123), und die diesbezüglichen Veröffentlichungen hatte
er noch nicht zur Kenntnis genommen.

Die Übersetzung (immer auf den linken Seiten mit den geraden
Seitenzahlen; gegenüber auf den rechten Seiten befindet sich jeweils
der Kommentar) ist selbständig und sprachlich meist durchaus vertretbar.
An einwandfrei falschen Übersetzungen habe ich nur Folgendes gefunden
:

') Evangelium Veritatis ediderunt M. Malinine, H.-Ch. Puech,
G. Quispel, Studien aus dem C. G. Jung - Institut VI, Zürich 1956.