Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1962 Nr. 1

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

27 Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 1 28

Das Bestreben D.s geht dahin, gemäß den von E. selbst beteuerten
Intentionen das Neben- und Widereinander heterodoxer und orthodoxer
Formulierungen einsichtig zu machen, ohne daß gewaltsam und
voreilig harmonisiert wird. Vielmehr werden verschiedenartige Darstellungen
des gleichen Sachverhaltes — z. B. verschiedene Trinitäts-
modelie — miteinander konfrontiert, und manches Problem wird als
offen und weiterer Erforschung bedürftig dargestellt. An dem ständig
gehandhabten Maßstab thomistischer Lehren wird mehrfach die abweichende
neuplatonische Linie in E.s Denken sichtbar. Im Gesamtergebnis
erscheint die Gottesgeburt im Seelengrund als „das durch Gnade erhobene
Bild des dreifaltigen Gottes in unserm unsterblichen Geiste".

H. P i e s c h zeichnet in ihrem Aufsatz den zugleich ethischen und
mystischen Aufstieg des Menschen zu Gott nach der Predigt „Vom
edlen Menschen" in eindrucks- und liebevoller Weise nach, indem sie
zur Interpretation Gedanken des mit dieser Predigt eng verbundenen
Liber Benedictus heranzieht. Sie versteht die Predigt als ein „Kryptogramm
" für den gnadenhaften Aufstieg der Seele zur erlebnis-, nicht
wesenhaften Einswerdung mit und in Gott und setzt es in die offene
Sprache kirchlicher Lehre und Frömmigkeit6praxis um. Ein solches
Verfahren kann bei aller Betonung der Eigenart und Höhenlage der
E.schcn Gedanken — z. B. gegenüber Augustin, an dessen Ausführungen
in De vera relig. c. 26 n. 49 E. in seiner Darstellung von sechs
Stufen des Aufstiegs anknüpft — doch nicht der Gefahr entrinnen, die
alle Grenzen traditionell-kirchlichen Denken« überschreitende Außerordentlichkeit
von E.s Konzeption und Aussage zu nivellieren.

Unter diesem Gesichtspunkt überragt der die Mitte der
Festschrift (S. 104—148) einnehmende Aufsatz von H. Kunisch,
Offenbarung und Gehorsam, alle anderen Arbeiten. Hier ist
wirklich ein Versuch gemacht, die äußersten Grenzen der Aussage
, bis zu denen E. vorgetrieben wurde, unmittelbar aus dem
innersten, explosiven Impuls des mystischen Erlebnisses zu begreifen
. Hier wird deutlich, daß innerstes Erleben und Äußerstes
an sprachlicher Formulierung konform sind, während die dazwischen
liegenden glatten, nachvollziehbaren theologischen und philosophischen
Formulierungen und die Ermittlung eines geordneten
Stufenganges vom einen zum andern — worum 6ich alle die andern
Aufsätze mühen — das Begreifen eher behindern als fördern
können. K. bemerkt mit Recht wiederholt, daß E. auch in den
schwierigsten Situationen als Angeklagter von der unsagbaren
Wahrheit, in deren Dienst ihn Gott nahm und die er anstößig
formulieren mußte, um nicht in harmloser, konventioneller Weise
mißverstanden zu werden, nicht6 zurücknahm noch zurücknehmen
konnte. „Wer so sprechen muß, ist von Besonderem ergriffen,
und ihm ist gegeben, diesem Besonderen zu entsprechen, in einer
schmerzvollen Lage des Preisgegebenseins und Gefährdetseins
auszuhalten bis in die Verurteilung hinein." K. nennt E.s Lehre
mit Recht „eine äußerste Gegenposition (zu bürgerlichen Verharmlosungen
der christlichen Existenz), großen Stil christlicher
Daseinshaltung". Mit Recht spricht er vom „Adel" dieses Mannes
, von „Ritterlicher Wesensart", die das Leiden, dessen Mittelmäßige
nicht würdig sind, als „Auszeichnung und Hervorhebung
aus Vielen" begreift und bejaht. Er sieht, daß E. sich letztlich für
die Wahrheit seiner Aussage nur auf sein Herz berufen konnte
und daß „die Forderung", die er „im Gehorsam leisten wollte",
„mit den Mitteln scholastischer Methode seine Rechtgläubigkeit
nachzuweisen", „das Unleistbare ist": „gegen den Vorwurf der
Ketzerei zu verteidigen, was Geheimnis zwischen Gott und ihm
war, was Wahrheit in Gott und in ihm war". So wird begreiflich,
daß E. in seiner letzten Wirklichkeit von Anfang bis Ende seines
Wirkens als ein Einsamer zu leben bestimmt war.

Ich vermag das, was K. mit diesem Aufsatz für das entscheidende
Verständnis Meister Eckharts, dessen Erforschung sich
mehr und mehr in Einzeluntersuchurtgen aufgelöst hat und weiter
auflösen wird, geleistet hat, mit Worten kaum zu würdigen.
Ich meine, er hat uns andern, die wir seit Jahrzehnten bemüht
sind, die Quellen von Eckharts Wissen und Denken aufzudecken
und den Zugang zu seiner geistlichen Rede und gelehrten Darlegungen
durch rationale Interpretation zu ebnen, einmal wieder
und mit bisher unerreichter Eindringlichkeit zu Bewußtsein gebracht
, warum wir eigentlich so viel Lebenskraft und -zeit an
diese Aufgabe setzen und daß es d o c h eine lohnende Aufgabe
ist.

Rostock Konrad Weifl

D i t t m a r, Heinrich: Wesen und Methode der Information.
Kirche in der Zeit 16, 1961 S. 252—256.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Hermelink, Jan: Verstehen und Bezeugen. Der theologische Ertrag
der „Phänomenologie der Religion" von Gerardus van der Leeuw.
München: Chr. Kaiser 1960. 171 S. gr. 8° — Beiträge zur evang.
Theologie, Theol. Abhandlungen, hrsg. v. E. Wolf, Bd. 30. Kart.
DM 10.-.

In der vorliegenden Schrift, die der Ev.-Luth. Theologischen
Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation vorgelegt
wurde, geht es um eine theologische Kritik der „Phänomenologie
der Religion" van der Leeuws. Der Verfasser will das Verstehen
als methodisches Prinzip der religionsphänomenologischen Arbeit,
die er geistesgeschichtlich einordnet in die von Dilthey und
Wach inspirierte „Schule des Verstehens", in die theologisch richtige
Beziehung setzen zum Bezeugen als dem Inbegriff der
„missionarischen Verkündigung" (19). Die entscheidende Frage,
von der die gesamte Untersuchung geleitet wird, lautet: „Wie
verhält sich das Verstehen, wissenschaftlich geübt, zu dem Bezeugen
des Glaubens?". Bei ihrer Beantwortung verfährt der
Verf. so, daß er zunächst eine sorgfältige Analyse des Vorgangs
des Verstehens bei van der L. gibt, die Fruchtbarkeit dieses Vorgangs
bei dem Nachweis der idealtypischen Strukturen der Religionen
aufdeckt und gleichzeitig hervorhebt, wie die von van
der L. geübte religionsphänomenologische Methodik zu neuen
Einsichten führt, durch welche die religionswissenschaftliche und
theologische Arbeit der Gegenwart eine bedeutsame Förderung
erfahren kann.

Verhält sich dieser Teil der Untersuchung — mit Recht —
durchaus zustimmend zu der Arbeit van der L.s, so werden in
ihrem zweiten und dritten Teil die Grenzen seiner Verstehens-
methodik aufgedeckt und Wege zu ihrer theologischen Überwindung
nachgewiesen. Hermelink stellt zunächst drei Begrenzungen
der religionsphänomenologischen Methode fest. Die erste Begrenzung
sieht er darin, daß van der L. trotz seines mit Nachdruck
betonten Nachweises, daß wir die Religion nur haben an und in
den Religionen, allgemein gültige Strukturzusammenhänge aus
dem Ganzen der jeweiligen Religionen herauslöst und sie damit
von ihrem „Sitz im Leben" distanziert. Auch wenn van der L.
hervorhebt, daß es sich bei diesen Strukturen nie um faktische
Verhältnisse handelt, sondern um „verständliche Beziehungen",
bleibt die Spannung zwischen Idealtypus und ihren wirklichen
Erscheinungsformen bestehen, so daß der Idealtypus der dauernden
Korrektur durch die religionsgeschichtliche Wirklichkeit geöffnet
bleiben muß. Lind an das „Metazentrum", auf das die Erscheinungen
einer geschichtlichen Religion jeweils bezogen sind,
kommt die religionsphänomenologische Methode nicht heran. Die
zweite und dritte Begrenzung dieser Methode sieht H. in der
grundsätzlichen Wertfreiheit der phänomenologischen „Epoche"
und in dem Sachverhalt, daß der, welcher versteht, immer schon
von einem Glauben her kommt und darum auch in seinem Verstehen
immer wieder an die Stelle gerät, wo er aus einem „verstehenden
Diener der Wissenschaft zum Verkündiger wird" (102).

Diese beiden Begrenzungen sind sachlich eng miteinander
verbunden. Konsequent durchgeführt stellen sie das von van der L.
immer wieder betonte Prinzip der Epoche überhaupt in Frage. In
den Epilegomcna zu 6einem Werk läßt van der L. erkennen, daß
er dieses Prinzip der Philosophie Husserk entlehnt hat. „Und
nichts anderes meint auch E. Husserl, wenn er die Ideenerkenntnis
an eine .phänomenologische Reduktion', d. h. eine .Durchstreichung
' oder .Einklammerung' deß zufälligen Daseinskoeffi-
zienten der Wcltdinge knüpft, um ihre ,c6sentia' zu gewinnen"
(774 f.).

In der Tat kommt vermöge dieser .Reduktion' die Faktizität
der geschichtlichen Situation eines Phänomens gar nicht in den
Blick. Husserls Ziel ist bekanntlich, durch diese Methode zu einer
absoluten Erkenntnis im Sinne des Wissenschaftsideals Piatons
und Dcscartes' durchzustoßen. Dieselben Intentionen finden sich
bei dem von van der L. oft zitierten Max Schcler und der Hermeneutik
Martin Heideggers. Es ist die Haltung, die Ernst Troeltsch
s.Z. mit Recht „Universal-Mathematiztemus" nannte. Eine Haltung
, die im strengen Gegensatz steht zu der Deutung des Verstehens
bei W. Dilthey, wie Georg Misch in seinem Werk