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Ausgabe:

1962 Nr. 1

Spalte:

25-27

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Meister Eckhart der Prediger 1962

Rezensent:

Weiß, Konrad

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 1

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seits wird mit erfreulicher Klarheit deutlich gemacht, daß man
die biblischen Tatbestände nicht sachgerecht erfaßt, wenn man,
etwa im Sinne Schleiermachers, alles, was dem Glaubenden
widerfährt, als „Wunder" bezeichnet. Und ein drittes: Bs wird
von Anfang an gezeigt, daß das Wunder nur im Ganzen des
christlichen Glaubens recht verstanden werden kann. So erweist
sich der Gang durch die Wunderdebatte verschiedener Jahrhunderte
als sehr lohnend, weil klärend. Cclsus und Origenes werden
einander gegenübergestellt, Augustin kommt zu Wort, dann
Spinoza, Reimarus, Schleiermacher, Hegel, Strauß, Baur, Joh. Weiß,
und endlich werden Theologen der letzten Jahrzehnte und der
Gegenwart zitiert: Wilhelm Herrmann, Carl Stange, Johannes
Wendland, Rudolf Otto und endlich Rudolf Bultmann. Man darf
Geschichte nicht zur Natur umfälschen, man darf Gottes Wirken
nicht zur unpersönlichen Notwendigkeit machen, man darf das
Naturgesetz — nach R. Otto „das auf eine Formel gebrachte Rät-
sel" — nicht hypostasieren, man muß den eschatologischen Sinn
des Wunders begreifen. Verf. weiß, daß die Kritik am Wunder
weitergehen wird, solange es Gläubige und Ungläubige auf
Erden gibt. Aber wer gelernt hat, in beiden Äonen zu denken,
weiß, daß das Wunder ein wesentliches und notwendiges Moment
des christlichen Glaubens ist.

Leipzig Gottfried Voigt

MeistCT Eckhart der Prediger. Festschrift zum Eckhart - Gedenkjahr,
hrsg. im Auftrag der Dominikaner-Provinz „Teutonia" von P.Udo
M. Nix, O. P. und P. Dr. Raphael ö c h s 1 i n, O. P. Freiburg-
Basel-Wien: Herder [i960]. VIII, 284 S. gr. 8°. Lw. DM 24.50.

Die Tatsache, daß die Dominikaner-Ordensprovinz Teutonia
die 700. Wiederkehr der Geburt ihres großen Sohnes Eckhart von
Hochheim, die vermutungsweise für das Jahr 1260 angenommen
wird, zum Anlaß nimmt, seinem Gedenken diese Festschrift zu
widmen, wird alle, die als Forschende, Lernende, Lesende und
geistlich Lebende mit seinem nachgelassenen Werk in Berührung
gekommen sind und den Hauch seines Geistes verspürt haben,
mit tiefer Befriedigung erfüllen. Wird dadurch doch dem tragischen
Geschick, das das Leben dieses großen Frommen ruhmlos
im Dunkel der Geschichte enden ließ, nun auch von seinen ihm
nächst verpflichteten Ordensbrüdern in aller Öffentlichkeit eine
tiefe, ehrerbietige Reverenz erwiesen und damit eine Schmähung
wiedergutgemacht, die ihm noch im vergangenen Jahrhundert
gerade von einem großen Angehörigen seines eigenen Ordens
widerfahren war.

Der Titel der Festschrift besagt, daß sie das Augenmerk auf
das opus proprium dieses Prediger mönches lenken möchte.
Sie nimmt sich damit zweifellos des wichtigsten Teiles seiner
Hinterlassenschaft an, durch den er bis in die Gegenwart wirkt
und weiter wirken wird: seiner Predigt.

Nadi einer Übersicht über den Stand der Gesamtausgabc der Lateinischen
und Deutschen Werke für das Jahr 1960 teilt J. Koch in
einer „Einführung" (S. 1—24) die wichtigsten Ergebnisse seiner im
Arch. Fr. Praed. 29 u. 30 (1959 f.) veröffentlichten Forschungen zur Vita
und zum Prozeß Meister Eckharts mit, woraus genannt seien: die
Richtigstellung älterer Vermutungen über Herkunft und Geburtsort,
seine persönliche Schülerschaft Alberts d. Gr., Studium der artes in
Paris, konkrete Angaben über seine intensive Tätigkeit als Provinzial
der neugeschaffenen Ordensprovinz Saxonia (1303—1311), über seine
Seelsorge in den Frauenkonventen des Ordens (1313 bis mindestens
1322), seine Residenz in Straßburg in diesen Jahren, in die K. auch die
Ausarbeitung des opus tripartitum verlegt und für die er die Entstehung
des Trostbuches sichert, Leitung des Kölner Generalstudiums der
Dominikaner nach 1322 und endlich die Aufhellung der komplizierten,
'n diesen Jahren gegen ihn laufenden Prozesse und ihrer Motive, so-
WC!1 <*aS crrlaltenen Aktenstücke und Nachrichten erlauben. Dabei
macht K. in eindringlicher Weise sichtbar, welches hohe Ansehen und
ertrauen Eckhart wahrend seines ganzen Lebens und noch wahrend
es Prozesses nicht nur in, sondern auch außerhalb seines Ordens, selbst
bei den rivalisierenden Franziskanern genossen hat.

In einem Aufsatz „Sinn und Struktur der Schriftauslegungen"
7 .T1 y.erfolgt derselbe Autor, wie der Titel sagt, zwei Ziele,
zunächst mochte er Sinn und Absicht von E.« Auslegung einzelner
aus dem Zusammenhang genommener Schriftworte ermitteln, eines
Verfahrens, das vo„ der seit dem 12. Jhdt. die glossatorische Schrift-
auslegung ablosenden Zusammenhangsexegese des scholastischen Kommentars
abweicht. Nach K. will E. damit, wie mit seiner ganzen gelehrten
Arbeit, unmittelbar der Predigt dienen, wie es einem echten Sohn

des Hl. Dominikus angemessen war. Von hier aus versteht K. zunächst
die Gesamtanlage des opus tripartitum, in dem die philosophischen
Erörterungen der Propositionen und Quaestionen (Teil I u. II) der
Schriftauslegung (Teil III) zu dienen hatten. Das bene sentire de deo
sei der Sinn der philosophischen Ausführungen, wie es ja auch eine
zentrale Aufgabe der Predigt ist. Aber auch der in umfangreiche
Schriftauslegungen nach der Ordnung der biblischen Bücher (opus
expositionum) und in ein im Vergleich dazu sehr kurzes opus 6ermonum
(Predigtentwürfe) gegliederte dritte Teil hat nach K. seine Einheit in
der Abzweckung des Ganzen auf die Predigtarbeit. Für die Schriftkommentare
erhärtet K. das dadurch, daß sich in ihnen ganze Predigten
, Predigtentwürfe, Beispielsammlungen und Anekdoten finden, die
in einem Kommentar nichts zu suchen haben, daß die morales exposi-
tiones einen wesentlichen Bestandteil auch in spekulativen Auslegungen
bilden und daß sich die Gedankenführung oft in aufsteigender
Linie bewegt, was der rhetorischen Wirkung der Predigt, nicht aber
der umgekehrt verfahrenden wissenschaftlichen Untersuchung entspricht
.

Zum andern bemüht sich K. um die Aufhellung der Struktur
der einzelnen Auslegungen, der er auch bereits in Anmerkungen zur
Textausgabe seine Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Hier deckt er drei
Strukturmotive auf, die entweder 1) das zu behandelnde Problem.
2) der zu behandelnde Text oder 3) wiederum die Abzweckung auf
die Predigt abgeben. Der Text (2) kann einerseits durch den verschiedenen
Symbolwert einzelner Worte eine ganze Reihe verschiedener
Auslegungen liefern, andererseits aber durch seinen paradoxen Sinn
den gedanklichen Aufbau der Auslegung bestimmen.

Ich habe an diese Versuche K.s die Frage zu richten, ob nicht ein
Vergleich mit den exegetischen Werken Augustins, Ambrosius' und
Basilius'd. Gr.. auf die sich E. am Anfang seines 1. Genesiskommentars
(In Gen. I n. 1 p. 185, 2-4) in erster Linie beruft, das Verständnis
der eigenartigen Anlage seiner Kommentare hätte weiter
fördern können.

Is Predigtweise analysiert der Kölner Domprediger U.
Plotzke in seinem Aufsatz „Eckhart der Prediger" (S. 259-283),
wobei ihm offensichtlich eigene Erfahrungen im Ringen um eine andringende
, förderliche, tief wirkende Volkspredigt zugute gekommen
sind. Er versteht zu zeigen, daß E. seine Predigt an den in der Welt
lebenden Menseben mit all seinen inneren und äußeren Anfechtungen
richtete und daß sie gleichwohl „Ausdruck höchster Geistigkeit, eines
grenzenlosen Erkenntnisdranges und tiefster Innerlichkeit" (Koch)
wurde.

Mit inhaltlichen Problemen von Eckharts Predigt befassen sich
die Aufsätze von H. Fischer, Grundgedanken der deutschen Predigten
(S. 25—72), R. Öchslin, Der Eine und Dreieinige in den
deutschen Predigten (S. 149—166), H. P i e s c h. Der Aufstieg des
Menschen zu Gott nach der Predigt „Vom edlen Menschen" (S. 167
—199) und B. Dietsche, Der Seelcngrund nach den deutschen und
lateinischen Predigten (S. 200—258).

Es ist charakteristisch und sachgemäß, daß — wie z.T. schon die
Titel dieser Arbeiten anzeigen — dabei im Grunde immer nur ein
Thema zur Sprache kommt: Gott und die Seele oder die Gottesgeburt
in der Seele. Darum geht es, wie deren Abschnittstitel zeigen, in
H. Fischers Untersuchung, die sich darum bemüht, die vielen
divergierenden Äußerungen E.s zu dieser Sache einander sinnvoll zuzuordnen
und den Ort oder die Orte zu ermitteln, an die sie E. im
philos.-theol. System scholastischen Denkens angeknüpft hat. Daran
schließt sich sein durch die Verurteilungsbulle .In agro dominico'
selbst nahegelegter umsichtiger und vorsichtiger Versuch, gewisse inkriminierte
Sätze E.s „cum multis expositionibus et suppletionibus"
„in sensu catholico" zu interpretieren.

Das ist auch das Bestreben ö c h s 1 i n s, der die unio bei E. als
gnadenhafte Hineinnahme der Seele in den Reichtum und die innere
Bewegung der Trinität und durch sie in die Einheit Gottes — in
Übereinstimmung mit dem Väterglauben, unter Bezugnahme auf das
Athanasianum — aufzuzeigen sucht. Außerdem sucht er E.s Lehre von
der Identität Christi und des in der Seele geborenen Gottessohnes auch
von anderen kirchlichen Lehrkategorien her zu verstehen: so im Schema
„von Natur" (Christus) — „aus Gnaden" (die Seele), von der Lehre
vom Mystischen Leib der Kirche her, in dem ein Austausch der Glieder
untereinander und zwischen Haupt und Gliedern stattfindet, von der
Zwei-Naturen-Lehre aus oder auch als Ziel sittlicher Lebensgestaltung.
So sehr dieses Verfahren nach Nivellierung aussieht, so wird man doch
zugeben müssen, daß Ö. damit bei E. wirklich vorhandene Motive richtig
ans Licht gehoben hat und daß sein Aufsatz von Ergriffensein durch
editen E schen Geist zeugt.

B. Dietsche steuert eine kritische Bestandsaufnahme der
Begriffskomplexe, in denen E. Wesen und Funktion des Seclengrundes
ausgedrückt hat, bei. Aus deren Gliederung unter Aspekten wie:
Wesenheit, Einheit, Reinheit, Ewigkeit, Intellektualität, Bilddiarakter,
Trinität u. a. wird die Korrespondenz zwischen den Aussagen über
Gott und denen über die Seele sichtbar.