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Ausgabe:

1962 Nr. 6

Spalte:

470-471

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Höchstädter, Walter

Titel/Untertitel:

Liturgische Erneuerung ? 1962

Rezensent:

Schanze, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 6

470

kanzlei der Evangelischen Kirche der Union und die Kirchenleitungen
von Hannover, Bayern, Sachsen, Thüringen, Mecklenburg
, Hamburg, Schleswig-Holstein, Württemberg, Rheinland,
Baden neben einzelnen Persönlichkeiten und Zeitschriftenredak-
tionen verantwortlich mitgearbeitet. Schließlich hat der Rat der
Evangelischen Kirche in Deutschland mit Beschluß vom 12. April
1957 die Ordnung empfehlend an die Gliedkirchen weitergegeben
. Damit hat sie auch für die Gliedkirchen, die an der vorbereitenden
Konferenz nicht beteiligt waren (s. o.), eine Art
von offiziöser Bedeutung erhalten, und bei der verhältnismäßig
geringen Zahl reformierter Gemeinden in Deutschland (Ev. Ref.
Kirche in Nordwestdeutschland, Lippische Landeskirche und reformierte
Einzelgemeinden) wird man mithin annehmen dürfen, daß
die Ordnung in sehr vielen evangelischen Gemeinden innegehalten
werden wird. Neben dem EKG bedeutet 6ie ein weiteres
einigendes Band für den deutschen Protestantismus. — Die
Predigttexte werden auf 7 Tabellen dargeboten, die übersichtlich
und praktisch angeordnet sind. Reihe I und II enthalten die sog.
alten Perikopen (Evangelium u. Epistel), Reihe III—VI vier neue
Reihen, zwei evangelische und zwei epistolische, die aber mit
alttestamentlichen Texten derart gemischt sind, daß durchschnittlich
jeder vierte Text aus dem AT stammt. Die alten Reihen
(I und II) sind gleichzeitig als jährlich wiederkehrende Lesungen
gedacht. Zu den ,,ordentlichen" Textreihen treten drei „außerordentliche
", die Psalmenreihe, die 6og. Marginaltexte und die
Continuatexte. Die Psalmentexte sollen im allgemeinen nicht im
sonntäglichen ,,Hauptgottesdienst", „sondern in Früh- oder Abendgottesdiensten
, in Wochengottesdiensten und Bibelstunden" ausgelegt
werden. Die Marginaltexte sind für ähnliche Gelegenheiten
gedacht, stehen aber in gewisser Beziehung zum Evangelium
oder zur Epistel des Sonntags und können daher stellvertretend
für einen der Texte in Reihe I — VI eintreten. Sie wollen den
,,überquellenden Reichtum" der Bibel stärker „zur Geltung
bringen". Die Continuatexte endlich sind ein dankenswerter Hinweis
auf die Möglichkeit, in gewissen Zeiten des Kirchenjahres
über zusammenhängende Textreihen zu predigen, in der Freudenzeit
z. B. über Joh. 13 und 14 oder in der Trinitatiszeit über ausgewählte
Abschnitte aus der Apostelgeschichte usw. Daß im
Einführungsteil (S. 12) im Zusammenhang damit die Freiheit des
Pfarrers bei der Textwahl besonders hervorgehoben wird, verdient
dankbare Anerkennung. Aus der beigegebenen Übersicht
über die Herkunft der Texte nach den biblischen Büchern ist
mancherlei Interessantes zu entnehmen: nicht berücksichtigt sind
z. B. im AT das 2. Buch der Chronik, Nehemia, der Prediger Sa-
lomo, das Hohe Lied und eine Reihe von kleineren Propheten.
Das Buch Hiob erscheint nur zweimal mit Marginaltexten. Alter
Überlieferung entsprechend kommt das Markusevangelium verhältnismäßig
selten (20 Texte) vor. Außerordentlich erfreulich
wäre es, wenn die Hinweise in den „Vorbemerkungen" unter 8
'S. 15 f.) endlich Beachtung fänden; sie beziehen 6ich auf „die
Notwendigkeit, einen aus einem größeren Zusammenhang herausgelösten
Text dem Hörer als einen in sich geschlossenen Sinnzusammenhang
zu bieten". — Über einzelne historische Bemerkungen
in der Einführung wird man mit den Herausgebern rechten
können. Verunglückt ist der Abschnitt über die „prismatische
Struktur des Wortes Gottes" (S. 10), weil der Unterschied zwischen
Prisma und Spektrum nicht bedacht ist. Der Hinweis auf
den Revisionstext des NT (S. 16) verrät eine gewisse Ängstlichkeit
und Unentsehicdenheit, die jeder bedauern wird, dem die
frage nach der fortschreitenden Entfremdung unserer Gemeinden
vom Wortlaut der Luthcrbibel Sorge macht. Der Hinweis, „es 6ei
zweckmäßig, alle Erfahrungen mit diesen Predigttextreihen den
Kirchcnleitungen mitzuteilen" sollte beachtet werden. Er scheint
Grund zu der Hoffnung zu geben, daß diese Ordnung nichts Unabänderliches
darstellen soll. Vielleicht kommt in einer näheren
°der ferneren Zukunft einmal der Augenblick, wo sachlich und
nüchtern über die Frage der „Geprägtheit" deT einzelnen Sonnige
durch die sog. „alten Perikopen" gesprochen werden kann,
"eut, wo eine evangelische Ordnung der Predigttexte
wie selbstverständlich vom Sonntags- oder Tagesproprium spre-
ehen oder von der „Fastenzeit" reden kann, sind wir noch nicht
so weit und nehmen daher diese Ordnung ak: Ordnung und nicht
mehr - unter Luthers Vorbehalt hin: „Die Ordnungen sollen

zur Förderung des Glaubens und der Liebe dienen und nicht zum
Nachteil des Glaubens. Darum steht und gilt keine Ordnung von
ihr selbst etwas, sondern aller Ordnung Leben, Würde, Kraft und
Tugend ist der rechte Braudi; 6onst gilt und taugt sie gar nichts."
(Deutsche Messe, am Ende.)

Mainz Wilhelm Jannasch

Höchstädter, Walter: Liturgische Erneuerung? München: Kaiser
1961. 29 S. gr. 8° = Theologische Existenz heute, eine Schriftenreihe
, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz, N. F. Nr. 87. DM 1.90.

Es ist schwierig, in einer wissenschaftlichen Zeitschrift über
diese Broschüre zu referieren. Es handelt 6ich um eine ausgesprochen
polemische Schrift, die gar nicht den Versuch macht,
den von ihr Angegriffenen (die liturgische Bewegung im heutigen
Luthertum) in seinen Intentionen zu verstehen. Vielmehr
bedenkt sie von vornherein alles „Lutherische" mit mißbilligenden
Bemerkungen und läßt dafür die Sonne ihres Wohlgefallens
scheinen auf Reformierte, Herrnhuter, auch Alpirsbacher, die ja
von Karl Barth beeinflußt sind. Bedauerlich ist, daß der Autor
bei dieser Polemik gelegentlich auf das Niveau des Pamphlets
herabsteigt, so, wenn er auf S. 4 f. der von ihm innig mißbilligten
„Lutherischen Liturgischen Konferenz" (deren Namen richtig
zu schreiben er nicht für nötig hält) nachrechnet, daß in ihr
auch Nicht-BK-Männer sitzen. Darauf führt er die Tatsache zurück
, daß im Evangelischen Kirchengesangbuch einige von ihm
besonders ästimierte zeitgenössische Lieder des Schweizer Reformierten
Gesangbuches nicht zu finden sind.

Der Verfasser bestreitet der liturgischen Bewegung, die in
der neuen Lutherischen Agende ihren Niederschlag findet, den
Namen einer liturgischen „Erneuerung". Er macht ihr den Vorwurf
des Romanisierens, der Rückschrittlichkeit, der Gemeindefremdheit
, der kirchenregimentlichen Uniformierung, der Einschnürung
in das Kirchenjahr und ähnliches. Zuletzt geht er auf
die Problematik des gregorianischen Gesanges ein, den er für
obsolet erklärt. Die Aufzählung dieser Momente läßt erkennen,
daß es sich hier um Fragen und Vorwürfe handelt, die vielfach
unter der Decke spürbar sind. Es wäre zweifellos ein Verdienst,
wenn diese Dinge einmal in sauberer Weise in das Licht der
kirchlichen Diskussion gehoben würden. Das kann nicht geschehen
ohne Kenntnis der immerhin ziemlich umfangreichen
neueren Fachliteratur, in der die Liturgiker Rechenschaft über
ihre Entscheidungen gegeben haben und auch auf die genannten
Kritiken eingehen. Vgl. „Untersuchungen zur Kirchenagende I"
von Beckmann, Kulp, P. Brunner, Reindell; „Leiturgia"; ferner
die Entwürfe und Begleitworte zur Lutherischen Agende. Die
Schrift von Höchstädter bietet zu alledem bedauerlicherweise
nur Ansätze, die überwuchert sind von schiefen Argumentationen
und Voreingenommenheiten.

Was soll man z. B. dazu sagen, daß die Absicht der Agende L
vom Ein-Mann-System loszukommen und eine bewegte Vielfalt liturgischer
Amtsträger zu postulieren, mit der Binsenwahrheit entwertet
werden soll, Gottes Geist allein könne Leben schaffen (16). Mit solchen
Argumenten ist jede kirchliche Arbeit abwertbar. — Oder wenn
den Lutherischen Kirchen zum Vorwurf gemacht wird, daß sie ihre
Agenden schön und würdig ausstatten — horribile dictu sogar mit
Lederschlaufen bei dem vielgebrauchten Ordinarium —, weil dadurch
die Agende eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Römischen Meßbuch
bekomme. Bücher bestimmter Gattungen haben nun einmal ihre ihnen
angemessenen Gestaltungsformen. Das gilt von Atlanten, Lexiken,
Telefonbüchern ebenso wie von Agenden. — Es sei mit diesen Einzelheiten
genug.

Die grundsätzliche Frage ist durchaus der Erörterung wert,
ob die Lutherische Agende mit Recht oder Unrecht die Kontinuität
wahrt mit der vorreformatorischen abendländischen
Liturgie über die reformatorischen und nachreformatorischen
Agenden hinweg (nicht, wie der Verfasser argwöhnt, über den
„Schott"). Bejaht man das grundsätzlich, ist es überflüssig, nachzurechnen
, wieviel z. B. an Introiten und Antiphonen aus dieser
Tradition entnommen sind. Da diese Texte (auch die meisten
Antiphonen) biblisch sind, liegt kein Grund vor, andere zu erfinden
. Zur Beurteilung der Agende wäre vielmehr wichtig, festzustellen
, daß und warum in manchen Fällen von der Tradition
abgewichen wurde.

Auch zu dieser Frage nur eine Einzelheit. Als besonders belastend