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Ausgabe:

1962 Nr. 6

Spalte:

456-457

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

LaNoë, Françoi de

Titel/Untertitel:

Die Welt in der Schöpfung 1962

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 6

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SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Dient, Hermann, Prof. D.: Was heißt schriftgemäß? Neukirchen
Kr. Moers: Verlag der Buchhandl. des Erziehungsvereins 1958. 75 S.
gr. 8°. DM 7.20.

Die vorliegende Arbeit stellt in ihrem ersten Hauptteil
(S. 9—40) eine ,.biblische Hermeneutik" dar, und zwar vornehmlich
in Form einer Auseinandersetzung mit den hermeneutischen
Grundgedanken R. Bultmanns. In Teil II wird als Probefall „die
Schriftgemäßheit der Lehre von der Rechtfertigung propter Christum
sola fide" untersucht, und zwar wieder vor allem in der
Auseinandersetzung mit Bultmann, aber auch mit römisch-katholischen
Äußerungen. Ein Nachwort (Teil III) setzt sich mit dem
Buch von Hans Küng über Barths Rechtfertigungslehre in katholischer
Sicht (1957) auseinander. —

Diem geht davon aus, daß bei Bultmann zwei hermeneu-
tische Zirkel vorliegen: ein „theologischer Zirkel zwischen dem
Kerygma als dem anredenden und entscheidungsfordernden Wort
der Schrift und dem Glaubensverständnis als der Antwort auf
diese Anrede". Der Begriff „Glaubensverständnis" bringt nun
aber einen zweiten Zirkel ins Spiel: „e6 ist rechtes Schriftverständnis
insofern, als es zugleich Selbstverständnis ist und
umgekehrt" — wodurch bei Bultmann die Gefahr entsteht, daß der
Theologe nun „das Kerygma nach seinem eigenen Selbstverständnis
kritisch beurteilt" (S. 11). Um dieser Gefahr zu entgehen,
möchte Diem sich „mit jenem ersten Zirkel begnügen", ihn aber
zugleich „zur Vermeidung von Mißverständnissen anders definieren
". Er bedient sich dazu des von K. Barth in den Vordergrund
gerückten Begriffes des Zeugnisses. Das Zeugnis der biblischen
Zeugen verweist zurück „auf das, was es bezeugt. Nur das
Bezeugte selbst kann das Zeugnis in seiner Wahrheit beglaubigen
und in seiner richtigen Bedeutung erklären" (12).

Was wird bezeugt? Ein Handeln Gottes nach seinem ewigen
Ratschluß: dies veranlaßt Diem, mit Hilfe des ThWB die entsprechenden
biblischen Begriffe zu untersuchen, um dann über „das
Erkennen Gottes" — ebenfalls im Anschluß an das ThWB, diesmal
aber einen Artikel Bultmanns — zu handeln. Die entscheidende
Auseinandersetzung folgt in dem Abschnitt „Geschichte
und Geschichtlichkeit", in dem Diem zu dem Ergebnis kommt,
es gehe dem Johannesevangelium „um die Geschichte des Erkennens
zwischen Jesus und dem Vater, der ihn gesandt hat, und
weiterhin zwischen Jesus und den Seinen. Wie sich diese Geschichte
zu dem allgemeinen Geschichtsdenken verhält, ist erst
eine cura posterior" (18). So kann Diem als Ergebnis festhalten:
der „Vorgang des glaubenden Erkennens ... ist die Geschichte
der Selbsterschließung Gottes in seiner Offenbarung, in der sich
sein Ratschluß verwirklicht. Wir haben uns diese Geschichte
nicht selbst ausgedacht, sondern haben sie aus dem Text abgelesen
" (20).

In einem weiteren Gedankengang sucht Diem zu sichern, daß
sich die neutestamentlichen Zeugen selbst so verstehen, daß jeder
von ihnen „den Ort und die Bedeutung seiner Aussage innerhalb
der Geschichte der Selbsterschließung Gottes zu deuten unternimmt
" (23). Dazu gehören nun nach Diem auch neutestament-
liche „Lehraussagen" (25), die dem Erkennen vorgegeben und
für die Interpretation des Schriftzeugnisses normativ sind (27):
vermutlich wird an dieser Stelle der Widerspruch Bultmanns und
seiner Freunde am heftigsten erklingen. Hier geht es nun um die
Frage der „objektiven" Aussagen: „Man befürchtet offenbar,
daß jemand diese Aussage als .objektive' Wahrheit übernehmen
könnte auch außerhalb des Vorgangs der glaubenden Erkenntnis
— und das dann für Glauben ausgeben. Das ist gewiß möglich."
Diem hat aber fraglos recht, wenn er sagt, daß wir solchen „Mißbrauch
des Dogmas durch eine falsche .Objektivation' . . . jedenfalls
nicht dadurch verhindern" können, „daß wir die dogmatische
Aussage aus dem Erkenntnisvorgang überhaupt eliminieren
" (27 f.): man würde sich wünschen, daß möglichst viele junge
Theologen sich diesen Satz sehr genau merken. Manche Verwirrung
in unsern Hörsälen würde damit ein Ende nehmen.

In den folgenden Abschnitten sichert Diem seine Anschauung
vor allem gegen das römisch-katholische Verständnis des
Dogmas und seiner Bedeutung für die Schriftauslegung — bis hin

zu Überlegungen über die Bedeutung der Dogmatik im hermeneutischen
Zirkel. Sie enthalten gegenüber dem, was Diem (und
was K. Barth) anderwärts schon gesagt haben, nichts wesentlich
Neues, waren aber zur Abrundung des Gedankenganges auch
nicht gut zu entbehren.

Aus dem zweiten Teil: „Die Schriftgemäßheit der Lehre von
der Rechtfertigung propter Christum sola fide" sei nur kurz berichtet
, daß Diem nicht etwa bei Paulus, sondern in der johanne-
ischen Theologie einsetzt (die forensische Bedeutung des Begriffes
,,/mqxvqeTv" wird hier entscheidend); zugleich fällt in der
Interpretation der Augustana der Ton interessanterweise auf die
Trinitätslehre, speziell die Lehre vom Heiligen Geist, „denn der
Geist zeugt von dem Christus extra nos, der gerade als solcher
in nobis ist" (55). Dieser Teil enthält zahlreiche Andeutungen
exegetischer, dogmatischer und dogmengeschichtlicher Art, die
die weitere Diskussion befruchten können (Diem stützt sich
seinerseits u. a. auf Untersuchungen von E. Wolf und J. Koop-
mann); da sie nur die vorher dargelegte Methode erhärten sollen,
gehört diese Diskussion aber nicht in diese Besprechung. Zu
fragen ist freilich, ob es tatsächlich gelang, „die Schriftgemäßheit
der reformatorischen Rechtfertigungslehre" zu erweisen? Hier
müssen nun doch wohl einige Fragezeichen gemacht werden.
Zum Beispiel: ist das „propter Christum" nicht stärker im Sinne
der Satisfaktionslehre gemeint als dies bei Diem hervortritt, der
in der Auseinandersetzung mit der kerygmatischen Theologie
den Ton ganz auf das „extra nos" legt? Gewiß steckt dieser Gedanke
in dem „propter" in unüberhörbarer Weise. Aber man
wird das andere auch nicht übersehen können und also auch nach
dessen Schriftgemäßheit fragen müssen.

Methodisch besonders fruchtbar scheint mir die Erkenntnis
zu sein, daß auch bei theologischen Fragen, die scheinbar mit der
Christologie nichts zu tun haben — wie z. B. bei der Frage nach
dem Verhältnis des Pneuma zur menschlichen Entscheidungsfreiheit
— der „christologische Faktor" der neutestamentlichen
Texte zu beachten ist (5 8). Dies hätte vielleicht auch im Gespräch
mit Küng stärker betont werden können: die Frage nach
der rechten Schriftauslegung ist zugleich immer eine Frage nach
der rechten Erkenntnis Christi. Das zeigt ja auch die inzwischen
so heiß entbrannte Debatte über den historischen Jesus deutlich.

Bethel b. Bielefeld Wolfgang Seh we i t zc r

N o e, Francois de la: Die Welt in der Schöpfung. Übers, von Ursula
Behl er. München-Paderborn-Wien: Schöningh; Zürich: Thomas-
Verlag 1960. 247 S. 8°. Lw. DM 15.—.

Dieses Buch ist eine in sehr lockerem feuilletonistischem
Stil gehaltene Apologetik im Bereich der dogmatischen Kapitel:
Schöpfung, Anthropologie und Christologie. Thematisch an Karl
Heim erinnernd fehlt diesem Buch jedoch nicht nur jegliche Systematik
, sondern auch die Strenge der Gedankenführung Heims.
In seiner aphoristischen und essayhaften Art mutet es den deutschen
Fachtheologen typisch französisch an — oder auch katholisch
(man denke an gewisse Schriften Guardinis). Das soll keinesfalls
ein Werturteil sein, sondern nur der Versuch einer allgemeinen
Charakterisierung durch Vergleich, zumal ganz gewiß
niemand ein letztes Wort darüber hat, ob nun die gründlich
systematische Art der deutschen Theologen oder jener interessante
und anregende Essaystil der Verkündigung mehr dient.
Weiter weist N.s Buch — außer dem, daß N. offensichtlich nicht
nur für Fachtheologen schreibt — noch einen bemerkenswerten
Unterschied zur deutschen Theologie auf: Die theologischen Aussagen
, um die es N. geht, werden ständig mitten in biologische,
physikalische, soziologische, medizinische usw. Probleme hineingestellt
, und zwar so jäh und so massiv, daß der in der deutschen
protestantischen Theologie weithin geltende Grundsatz, daß
.Theologie und Ontologie' strikt zu scheiden seien und einander
nichts angingen, fast auf jeder Seite wie mit Füßen getreten erscheint
. Dafür lebt in diesem Buch — und in der so selbstverständlichen
Art, wie Theologie und Ontologie in eins fallen — ein
Bewußtsein darum, daß das Handeln Gottes mit dem Menschen
in der .realen' Wirklichkeit und nicht nur in einer abstrakten
,rein theologischen' Wirklichkeit geschieht, wie es vorbildlich
genannt werden muß. Wenn man vergleicht, wie N. Jesus Christus
— als ,in der Fülle der Zeiten' — in die geschichtsphiloso-