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Ausgabe:

1962 Nr. 6

Spalte:

453-454

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bockmühl, Klaus

Titel/Untertitel:

Leiblichkeit und Gesellschaft 1962

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Seite 1

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453

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 6

454

logie der Religion als für jede Religion gültig wird ansehen dürfen,
ist eine andere Frage. Von einer Ignorierung der Problematik
oder einer dogmatischen Bestreitung des Rechtsgrundes
jeder Religion, wie sie die Kritik des Verfs. H. vorwirft, kann jedoch
nach den obigen Darlegungen nicht die Rede sein. Darin findet auch die
Behauptung des Verfs., H. gehöre hinsichtlich seines Verhältnisses
zur Religion und Theologie dem „gleichen Denktypus" an wie der
Positivismus und Marxismus (S. 66 Anm.; desgleichen S. 23), ihre
Grenze.

Man bedauert an vielen Stellen, daß sich der Verf. auf eine
„immanente" Kritik beschränkt hat, so daß man die eigenen
systematischen Voraussetzungen, von denen selbstverständlich
auch eine solche „immanente" Kritik immer getragen ist, nur
zu rekonstruieren vermag. Wenn daher auch die Ergebnisse dieser
Kritik so lange in der Schwebe gehalten werden müssen, bis
sich diese Voraussetzungen selbst ausgewiesen haben, so kann
die Arbeit dennoch als ein überall anregender Versuch der Auseinandersetzung
mit der Philosophie H.s nur empfohlen werden.

Berlin-Zehiendorf Manfred Brelage

Bockmühl, Klaus: Leiblichkeit und Gesellschaft. Studien zur Religionskritik
und Anthropologie im Frühwerk von Ludwig Feuerbach
und Karl Marx. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [ 1961 ]. 285 S.
gr. 8° = Forsdiungcn z. System. Theologie u. Religionsphilosophie,
Bd. VII. Kart. DM 25.-.

Ausgangs- und Zielpunkt der vorliegenden Monographie,
einer Baseler Dissertation, ist das Menschenbild von Karl Marx.
Die Ausführung dieses Themas erlaubt eine Begrenzung und erfordert
eine Erweiterung. Die Begrenzung besteht darin, daß sich
die anthropologischen Gedanken Marx' in seinen Frühschriften
finden, so daß sich für die Untersuchung eine Beschränkung auf
diese frühen Schriften ergibt. Andererseits zeigt sich gerade in
diesen Frühschriften der bestimmende Einfluß Feuerbachs, dessen
Gedanken zum Thema der Anthropologie deshalb vorangestellt
werden. Aber noch in einem anderen Sinn erweitert sich das
Thema. Sowohl bei Feuerbach als bei Marx schält sich die Anthropologie
aus der Religionskritik heraus: die Konklusionen der
Religionskritik werden zu Praemissen der Anthropologie gemacht
. Damit schiebt sich jeweils vor die Darstellung der
Anthropologie die der Religionskritik. Der Religionskritik und
Anthropologie Feuerbachs sind die Kap. I u. II (S. 9-109) gewidmet
. Daran anschließend wird in einem III. Kap. die Religionskritik
des jungen Marx behandelt (S. 110-156). Erst dann wird
im IV. u. V. Kap. das eigentliche Thema, die Anthropologie des
jungen Marx, in Angriff genommen (S. 157-265). Ein zusammenfassender
Überblick mit den sich daraus für die theologische
Anthropologie ergebenden Konsequenzen beschließt die Studie
(S. 266-285). Schon dieser kurze Überblick zeigt die sowohl in
historischer wie sachlicher Hinsicht bündige Konzeption der
Arbeit.

Die Ausführung im einzelnen befolgt, was den Feuerbach-
Teil betrifft, insofern methodisch nicht ganz den vom Verf. im
Vorwort (S. 3) selbst angedeuteten Weg, als die Anthropologie
Feuerbachs nicht aus der Religionskritik abgeleitet wird. Vielmehr
wird im Kap. I (S. 9—56) Feuerbachs philosophischer Entwicklungsgang
bis zum Jahre 1843, bis zu den „Grundsätzen der
Philosophie der Zukunft", nachgezeichnet. Dabei werden seine
anthropologischen Erkenntnisse aufgezeigt. Die beiden hervortretenden
Themen seiner Anthropologie sind die Sinnlichkeit des
Menschen und 6eine Sozialität (S. 29). Im II. Kap. wird dann
nachträglich gezeigt, wie das so bestimmte Menschenbild Feuerbachs
aus seiner Religionskritik erwachsen ist. Eine abschließende
Betrachtung versucht kurz (S. 105—109), die bleibende Bedeutung
Feuerbachs zu zeigen. Sie besteht zunächst in dem historisch bedeutsamen
Einfluß Feuerbachs auf Marx und Engels, sodann in
der — nacn ^M Meinung des Verfs. — berechtigten Kritik Feuerbachs
an der Gestalt der Theologie seiner Zeit, die nicht mehr
Theologie 6ei, sondern sich in Anthropologie verwandelt habe.
Gemeint ist damit hauptsächlich die Theologie Schleiermadiers
<«. S. 104 f., 108, 148, 155 f., 268).

Man bedauert es an dieser Stelle ein wenig, daß der Verf.
mit seiner gediegenen Kenntnis Feuerbachs Schleiermacher als die
eigentliche Zielscheibe der Kritik Feuerbachs hinstellt, aus dessen
Ineologie Feuerbach nur die Konsequenzen gezogen habe, die

Schleiermacher aus theologischer Befangenheit nicht zu ziehen
wagte. Man bedauert es einmal deshalb, weil es sich hierbei um
ganz allgemeine und bekannte Urteile handelt, besonders aber
deshalb, weil sie einfach falsch sind. Ganz abgesehen davon, daß
Schleiermacher nicht daran denkt, mit seiner „Gefühlstheologie"
Gott zu beweisen (S. 104 f.), ist es auch von Feuerbach aus
gesehen sachlich unrichtig, allein in Schleiermacher das Gegenüber
der Kritik zu sehen. Feuerbach meint nicht Schleiermacher
allein, sondern den gesamten Protestantismus, 6ofern sich in ihm
die Frage des Katholizismus, was Gott an sich selber sei, verwandelt
habe in die Frage, was Gott für den Menschen sei. Darüber
läßt der § 2 der „Grundsätze der Philosophie der Zukunft" keinen
Zweifel. Damit ist dann vor allem - und darauf hat K. Barth
in seinem vom Verf. zitierten Aufsatz über Feuerbach aufmerksam
gemacht — auch Luther gemeint, auf den sich Feuerbach mit
Vorliebe beruft (cf. K. Barth, Die Theologie und die Kirche
S-225, 229-231). Das Problem des „Subjektivismus" in der
Theologie ist viel schwieriger und hintergründiger, als der Verf.
ahnen läßt. Zugespitzt formuliert: entweder man, erkennt die
Kritik Feuerbachs als berechtigt an, und dann muß man mit der
anthropologisch ausgerichteten Theologie Schleiermachers auch
den Personalismus Luthers aufgeben, oder man tut es nicht, und
dann kann man auch Schleiermacher nicht einfach verwerfen. Es
ist eine zum guten Ton gewordene, aber nicht ganz redliche Kritik
, das allein Schleiermacher zur Last zu legen, wofür der ganze
Protestantismus verantwortlich ist.

Das III. Kap. bringt nun die Religionskritik des jungen
Marx (S. 110—149). Sie hält sich im wesentlichen in den Bahnen
Feuerbachs, denn „für Deutschland ist die Kritik der Religion im
wesentlichen beendet, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung
aller Kritik" sagt Marx 1844 im Hinblick auf Feuerbach
(S. 193). In der Projektion des Menschlichen in das Jenseitige
sieht Marx die Verleugnung der Humanität und empfindet deshalb
die Zerstörung der Religion als eine Forderung der Sittlichkeit
(S. 124).

Seine eigene Anthropologie, den „realen Humanismus",
entwickelt Marx wiederum im Anschluß an Feuerbach. Auch für
ihn sind die sinnliche und soziale Bestimmtheit des Menschen
die entscheidenden Aspekte, er zieht aber durch die Aufnahme
der hegelschen Dialektik — sehr interessant die in der Forschung
kaum beachteten Unterschiede zwischen der Dialektik Hegels
und Marx' (S. 212 ff.) — aus diesen Erkenntnissen andere Konsequenzen
als Feuerbach. War Feuerbach ohne Sinn für die Geschichte
„in der Theorie, bei der Umwandlung der Theologie in
Anthropologie stehen geblieben" (S. 205), so sieht Marx, daß
diese Anthropologie erst verwirklicht werden muß, daß sie zum
„kämpferischen Humanismus" werden muß. Die mit hegelscher
Dialektik entworfene Geschichtsschau, der Fortschritt vom „dialektischen
" zum „historischen Materialismus", weist den Weg,
auf dem dieser kämpferische Humanismus zu seinem Ziel gelangt
.

Soviel — oder wenig aus der Fülle interessanter und belehrender
Beobachtungen. Man liest diese kenntnisreiche, solide
und gründliche Studie über einen Gegenstand, über den viel
und oft ohne solch ein exaktes Wissen geschrieben wird, mit
viel Freude.

An Corrigenda sind mir aufgefallen: S. 32 ,Anm. 61 lies statt „Das
revolutionäre Buch" = „Der revolutionäre Bruch"; S. 3 5, Z. 5 v.u.
statt „die Gattung" = „der Gattung"; S. 58, Z. 20 statt „1839" =
„1830"; S. 204, Anm. 112 statt „Das Prinzip der Hoffnung" = „Das
Prinzip Hoffnung"; S. 275, Anm. 21 statt „Unterbrechung" = „Untersuchung
".

Mainz Hermann Fischer

Dubarle, A.-M.: Allusions scripturaires conjecturales dans les
Pensees de Pascal.

Revue des Sciences Philosophiques et Theologiques 45, 1961 S. 641

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Kockelmans, A.: Eenheid en verscheidenheid in de wetenschap

volgens het standpunt der phaenomenologie.

Tijdschrift voor Philosophie 22, 1960 S. 331—361.
P 1 a t, J.: Ethiek van Kant in de kritische werken.

Tijdschrift voor Philosophie 22, 1960 S. 205—268; 362—424.