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Ausgabe:

1962 Nr. 5

Spalte:

387-388

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Die Obersorbische Agenda von 1696 1962

Rezensent:

Jannasch, Wilhelm

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Seite 1

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387

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 5

388

R i o 11 e, Jules C. E.: Die obersorbische Agenda von 1696. Text und
Untersuchungen. Berlin: Akademie-Verlag 1959. 71*, 150 S., 3 Taf.
gr. 8° = Deutsche Akademie d. Wissenschaften zu Berlin, Veröffent-
lichg. d. Inst. f. Slawistik, hrsg. v. H. H. Bielfeldt, 20. Kart. DM 29.-.

Das vorliegende Buch verdankt «eine Entstehung slawistischen
Interessen und kann unter dieser Voraussetzung hier natürlich
nicht besprochen werden. Der Herausgeber, von seiner
Mutter her wendischer (heute: „sorbischer") Herkunft und bis
1938 ev. Pfarrer einer sorbischen Gemeinde, ist Lektor für Sor-
bistik an der Universität Montreal. Er bietet auf den Seiten 7*
bis 71* des wertvollen Buches eine bibliographische, sprachgeschichtliche
, grammatische und lexikalische Einleitung in die
dann in gutem Faksimiledruck wiedergegebene Agende („die
evangelische Kirchen-Agenda auff sonderbahre Verordnung der
gesambten Stände des Marggraffthumbs Ober-Lausitz / von Land
und Städten / in die Wendische Sprache übersetzet und nummehr
zum gemeinen Gebrauch der Evangelischen Ober-Lausitzischen
Kirchen in öffentlichen Druck gegeben. Budissin, in Verlegung
Johann Wilisch /druckts Andreas Richter / An. 1696"), deren Vorrede
von P. Praetorius, Archidiakonus in Bautzen, Tobias Zschu-
derly, Pfarrer zu Lohse, J. C. Crüger, Pfarrer zu Milckel,
E. Matthaei, Pfarrer zu Colin und M. Rätze, Diakonus in Bautzen,
unterzeichnet ist. Von kiTchengeschichtlichem Interesse sind die
Mitteilungen über die äußere Entstehungsgeschichte der Agende,
die der Herausgeber wohl mit Recht mit dem durch den Pietismus
geweckten Interesse an einer intensiveren Betreuung der wendischen
Gemeinden in der Oberlausitz in Verbindung bringt.
Zinzendorfs Großmutter Katharina von Gersdorf wäre in diesem
Zusammenhang auch zu nennen, ebenso für eine spätere Zeit der
Graf selbst. Die auf S. 10* —12* gegebenen Listen und Nachweisungen
sorbischer Gemeinden und Pfarrer sind wichtig. Neben
den bibliographischen Mitteilungen (das benutzte Exemplar der
Agende ist aus einer alten sorbischen Kirche der Bibliothek des
Instituts für sorbische Volksforschung in Bautzen überwiesen
worden) sind vor allem die literaturgeschichtlichen Bemerkungen
von Bedeutung, in denen der Herausgeber vollständige Viten der
fünf Übersetzer der Agende zusammenzustellen bemüht war, vor
allem aber die „innere Entstehungsgeschichte der Agenda"
(S. 23—31). Hier wird der Zusammenhang zwischen der vorgelegten
sorbischen Agende und der Kirchenordnung des Kurfürsten
August von Sachsen vom Jahre 1681 und dem „vollständigen
Kirchen-Formular Johannis Schraden", das der Verf. indes leider
nicht benutzen konnte, soweit wie möglich nachgewiesen; die
Änderungen und Fortlassungen in der sorbischen Agende werden
festgestellt. Die Übersetzer haben sich nicht sklavisch an die amtliche
deutsche Agende gehalten, sondern bereits gewisse Fortbildungen
vorgenommen, wie sie vermutlich dem Brauch in ihren
wendischen Gemeinden entsprachen. In dem reproduzierten Exemplar
finden sich, sowohl auf den linken deutschen, wie erst recht
auf den rechten sorbischen Textseiten weitere handschriftliche
Änderungen, bisweilen nur einzelner Worte, bisweilen aber auch
ganzer Textzusammenhänge. (Ich wundere mich, daß der Verf.
diese handschriftlichen sorbischen Änderungen im sprachwissenschaftlichen
Teil seiner Einleitung nicht berücksichtigt hat.)
Liturgiewissenschaftlich ist natürlich aus der Agenda für uns
nicht allzuviel zu lernen, da 6ie ja Wiedergabe einer bekannten
Vorlage ist, abgesehen etwa von der schon erwähnten Freiheit,
die die Übersetzer sich gegenüber dieser Vorlage erlaubten und
die der Tendenz der „Augustusagende" durchaus entspricht
(S. 2 8 f*.). Ob die Tatsache, daß die Agende kein eigenes Beichtformular
bringt, einen Verzicht auf die Beichte bedeutet, wie der
Herausgeber anzunehmen scheint (S. 29*), ist mehr als zweifelhaft
. Durch die am Anfang der Agende unter der Rubrik „die
öffentlichen Kirchengebete" stehende allgemeine Beichte und Absolution
wird das nicht bewiesen; denn hier handelt es sich ganz
eindeutig um die „offene Schuld" nach der Predigt („nachdem wir
Gottes Wort angehöret"), an die sich ebenso unzweifelhaft das
allgemeine Sonntagsgebet anschließt. — Der Einsegnung der
„Sechswöchnerinnen" sind (mit Rücksicht auf die hier denkbaren
verschiedenen Möglichkeiten) fast 18 Seiten eingeräumt, sicher
ein Beweis für die hohe Schätzung dieses gottesdienstlichen
Brauches bei den Wenden. — Bei der Trauung ist der Ringwechsel
durch einen Wechsel der Kränze (S. 70) ersetzt, eine merkwürdige
, inzwischen auch bei den Sorben untergegangene slavische
Sitte, über die der Herausgeber S. 30* f. Näheres mitteilt. — Angaben
über den Gang des Gottesdienstes, insonderheit auch
der Abendmahlsfeier, fehlen; Begriffe wie Messe oder Priester
sind aus der kursächsischen Vorlage ebenfalls nicht übernommen
. Das „Verzeichnis der gebräuchlichen Versikel und Kollekten
" ist für die Geschichte des gottesdienstlichen Gebetes von
Bedeutvfng (S. 90—149).

Mainz Wilhelm Ja n n a s ch

Brooks, CIcanth: Prayer Book Revision: Literary Style.

Anglican Theological Review 44, 1962 S. 18—33.
Geyer, Wilhelm Hermann: Gottesdienst und Lied der Lutherisdien

Kirchen in Amerika.

Ev.-Luth. Kirchenzeitung 15, 1961 S. 406—408..

HELIGIONSPADAGOGIK

Pädagogisches Lexikon. Mit einem Anhang über die Geschichte der
Pädagogik und über das Bildungswesen der Länder. Im Auftrag des
Deutschen Evangelischen Kirchentages hrsg. von Hans-Hermann
Groothoff und Martin Stallmann. Stuttgart: Kreuzverlag
[1961]. 10 S., 1264 Sp. gr. 8°. Lw. DM 58.—.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist schon zweimal
mit bedeutenden lexikalischen Leistungen hervorgetreten, denen
die öffentliche Kritik Bewunderung und Zustimmung ausgesprochen
hat, dem EVANGELISCHEN SOZIALLEXIKON
(Fr. Karrenberg) und dem WELTKIRCHENLEXIKON (F. H. Littel
und H. H. Walz). In fast gleichem Format kommt nun dieses
neue. Die Herausgeber versuchen im Vorwort zu rechtfertigen,
warum dieses Lexikon nicht „evangelisches", sondern nur pädagogisches
Lexikon heißt. Das ist nicht überzeugend. Wir haben
in der evangelischen Verantwortung für die Pädagogik genug
gelernt, daß es nicht gut und richtig ist, fromm zu reden und
die echte Weltlichkeit durch eine überbetonte Christlichkeit zu
verstellen. Es sei auch 6ofort positiv vermerkt, daß sich der
Gesamttenor unkonfessionalistisch und rein wissenschaftlich
verhält. Das war auch dem Soziallexikon nachzusagen, dem jedoch
der gute Salzgeschmack einer freien biblischen Konfessio-
nalität stärker abzuspüren war als diesem. Ein gutes Päd. Lexikon
im katholischen Herder-Verlag liegt vor, ebenso eins in
der Schweiz, beide bestens zu gebrauchen. Ein einbändiges
„evangelisches" ist daneben erwünscht und sogar unentbehrlich,
sollte deshalb jedoch den für die gesamte Pädagogik unentbehrlichen
Sondercharakter und Sonderbeitrag ohne falsche Überbetonung
wahren. Der Wille dazu wird im Vorwort zum Ausdruck
gebracht, aber die Ausführung etwas zu einseitig von der
Perspektive der Herausgeber bestimmt. Das wäre weniger zu
beanstanden, wenn 6ie das Werk auf ihre persönliche Verantwortung
, und nicht im Auftrag des Kirchentages, so zu gestalten
unternommen hätten. Jeder der vielen Artikel, die sie selber
übernommen haben, zeugt von wissenschaftlicher Qualität;
dagegen ist nichts zu sagen. Aber diese Massierung verstärkt
verständlicherweise die Einseitigkeit, wie auch die Auswahl der
sonstigen Mitarbeiter. Ein gutes Drittel stammt aus dem nieder-
sächsisch-norddeutschen Raum, den auch eine gewisse gleichartige
Theologie kennzeichnet. Daß viele jüngere Wissenschaftler
hinzugezogen wurden, ist lobenswert.

Daran liegt es vielleicht auch, daß der „reformierte" Anteil
zu kurz kommt. Sowohl die pädagogische Bedeutung Calvins
wie die der Hohen Schule zu Herborn bleiben unbeachtet.
Ferner ist — immer unter dem Gesichtspunkt, daß der Kirchentag
der Auftraggeber kt — bedauerlich, daß die pädagogische
Arbeit der Bekennenden Kirche und der „Kammern" für Erziehung
und Unterweisung bei den Bruderräten während des
Kirchenkampfes nicht einmal im Stichwortverzeichnis ein Alibi
finden. Auch die theologisch-pädagogische Problematik in bezug
auf „Evangelische Unterweisung" oder das „Wort zur Schulfrage
", das die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
195 8 einstimmig beschlossen hat, bleiben nur nebensächlich erwähnt
. Wo anders als in einem trotz allem „evangelischen"
Lexikon sollte man dafür eine sachliche Würdigung suchen?

Sieht man von diesen - freilich nicht leicht wiegenden —
Bedenken ab, so bleibt die Freude an vielen Artikeln zu wich-