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Ausgabe:

1962

Spalte:

383-385

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Melzer, Friso

Titel/Untertitel:

Anleitung zur Meditation 1962

Rezensent:

Haufe, Friedrich

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sehen Folgerungen für eine Erneuerung der Seelsorge deutlicher
ab, so z. B. wenn D. schreibt: „Während nach der heute noch
weithin wirksamen Anschauung die Kirche aus zwei Gruppen
besteht, deren eine im wesentlichen nur Subjekt, deren andere
im wesentlichen nur Objekt ihres seelsorgerlichen Handelns ist,
sieht die alte Kirche alle Heiligen gleicherweise als Subjekt und
Objekt der zum Heil wirkenden Kirche" (S. 142—143). Das
Amt macht nur „sichtbar, was die Kirche als Ganzes immer und
überall in allen ihren Gläubigen ist: Vermittlerin des Heils"
(S. 158). Nach 1. Kor. 4, 15 „wird das Amt der Kirche in werkzeuglicher
Stellvertretung Christi väterlicher Ermöglichungsgrund
der Mutterschaft aller Gläubigen" (S. 159). Gegenüber der Früh-
patristik hat aber heute „die Verwirklichung des christlichen
Lebens — als Wirkform der Heils Vermittlung betrachtet —
an Bedeutung und Wirkkraft verloren. An ihre Stelle ist die viel
engere Seelenfühfung in Disziplin und Aszese getreten", neben
Predigt und Katechese (S. 184). Das Amt vermag „nicht die
mütterlichen Funktionen der Gesamtgemeinde allein aus sich zu
erfüllen" (S. 192).

Der Zielgedanke des Buches ist der an das Laien-
apostolat, obwohl dieser Begriff nirgends auftaucht. Ebensowenig
erfahren wir davon, wie eine „Erneuerung der Seelsorgs-
formen" praktisch aussehen würde. So streng wird der Begriff der
„Theologie der Seelsorge" genommen, daß die praktischen Folgerungen
aus der historischen Arbeit gerade nur in ihren theologischen
Grundlinien angedeutet werden. Wir finden die Praxis
selbst genau und umfassend dargestellt in dem Buch von Viktor
Schurr: Seelsorge in einer neuen Welt 2- 1957 (besprochen
DZdZt 13, 1959, 37-38. ThLZ 86, 1961, 233-234).

Halle/Saale Hans Urner

Melzer, Friso: Anleitung zur Meditation. Stuttgart: Evang. Verlagswerk
[1958]. 133 S. 2., veränd. Aufl. [1959]. 142 S. 8°. Lw.
DM 10.80.

Über das Büchlein des Verfs. hat in ThLZ 1955, Sp. 495
Heinrich Rendtorff schon einmal eine Rezension geschrieben,
gleichsam über eine Vor aufläge der „Anleitung zur Meditation
", die Friso Melzer unter dem Titel „Meditation, Eine
Lebenshilfe" 1954 hat erscheinen lassen, — übrigens eine sehr
verständnisvolle und das wertvolle Buch mit Wärme begrüßende
Besprechung. Die beiden jetzt vorliegenden Auflagen, 1958 und
als zweite veränderte und erweiterte Auflage 1959, lassen erkennen
, wie lebhaft das Bedürfnis nach „Anleitung zur Meditation
" ist und wie in immer weiter vertiefender Arbeit der Verf.
aus immer größerer Erfahrung heraus Hilfe anzubieten hat.
Schon H. Rendtorff bemerkte damals, „daß nicht die Lektüre und
gedankliche Aneignung eines Leitfadens zum Ziele führt, sondern
nur die beharrliche und geduldige praktische Übung".
Immer wieder spricht M. selbst davon, daß die Praxis meditativen
Handelns eigentlich nicht literarisch vermittelt werden kann
und bei diesem Versuch notwendigerweise vielem Mißverständnis
preisgegeben ist. Die Theologen werfen Psychologismus vor,
und die Psychologen verstehen das theologische Grundanliegen
nicht. Melzer weist selbst darauf hin, daß einer der bedeutendsten
Anreger zu meditativer Praxis, als dessen Schüler er sich
selber mit bekennt, der 1947 verstorbene Darmstädter Arzt
und christliche Seelsorger C. Happich, nur wenige Veröffentlichungen
hinterlassen hat, die F. Melzer in seinem zusammenfassenden
Literaturbericht über Meditation (ThLZ Jg. 1957,
Sp. 415) zusammengestellt hat. (Ein Teil des in der ThLZ 1957
gegebenen Berichtes ist dann in die Auflagen von 195 8 und
1959 übernommen worden.) Es ist reizvoll zu vergleichen, wie
in den Auflagen der Verf. immer zielbewußter und sich gleichzeitig
maßvoll beschränkend die pädagogische Aufgabe
seiner Veröffentlichung herausarbeitet, nicht nur, indem er eine
genaue Klärung des schillernden Begriffes „Meditation" gibt,
der man sich anschließen sollte — er schlägt den Ausdruck
„Innerung" vor —, sondern er verzichtet auch darauf, Innerun-
gen letzter Stufe literarisch mitzuteilen und verweist dafür auf
die unmittelbare notwendige Praxis. Kann sich doch der Verf.
zunehmend auf eine Praxis von Meditationsfreizeiten und
Übungen berufen. Eine Fülle von Zeugnissen solcher Übungsteilnehmer
legt er vor. So wird sehr anschaulich, was mit

„Innerung" eigentlich gemeint ist: Wiedergewinn einer Erfahrungsweise
des Menschen aus seiner Ganzheit heraus und in
einer Schicht seines seelischen Erlebens, in der unmittelbar
schauend, lauschend-hörend und in hingegebener Offenheit
eines gesamt-leiblich-seelischen Empfangens der Mensch die
Wirklichkeit nicht zu „bewältigen" trachtet, sondern unmittelbar
in sich eingehen läßt. Melzer zieht die Bezeichnung „Erlebnis-
bewußtsein" dem Ausdruck „Bildbewußtsein" vor, den Happich
und Haendler gebrauchen; auf diese von allen Sinnen sich
nährende „Schicht" des seelischen Lebens scheint ihm so besser
gewiesen zu sein. (Vgl. etwa R. Guardini „Die Sinne und die
religiöse Erkenntnis", Würzburg 1950; diese seinem Anliegen
besonders fein entsprechende Schrift scheint M. entgangen zu
sein.) Daß indes diese Innerungshaltung nicht zu einer Preisgabe
der Person führt, sondern gerade bewußter und klarer der
Selbsterkenntnis dient, zeigt der Verf. ausgezeichnet. Er zeigt
auch, wie die Wachheit des denkenden und wollenden Menschen
gerade aufgerufen wird, der tiefsten „Schicht" der menschlichen
seelischen Wirklichkeit, dem Unbewußten, der rechte
Wächter zu werden, ohne diese Wirklichkeit zu leugnen und sie
falsch zu verdrängen, statt ihr aus der „Kraft der Mitte" zu
begegnen. In diese „mittlere Erlebnisschicht" will Wort und
Sakrament dringen und von dorther tief ins Unbewußte hineinstrahlen
, ad inferos, bis in den Abgrund des gefallenen und
nach Erlösung lechzenden Menschen.

Man kann dem Verf. für diese Sicht gar nicht dankbar
genug sein, auch dafür, daß er die Grenzen literarischer Mitteilungsmöglichkeit
so nüchtern beurteilt. Man spürt es all
seinen zahlreichen Veröffentlichungen an, daß ihn eine sehr
schmerzliche Erfahrung umtreibt: der Lebensverfall der Sprache,
insonderheit der deutschen Sprache, bereitet ihm am tiefsten
Sorge, wenn es dabei um die Sprache der Predigt geht und
wenn der Prediger an seiner Sprache es verrät, daß er von den
Schichten der Erlebniswirklichkeit abgeschnürt ist, in denen das
lebendige Wort empfangen wird und aus denen heraus erst
eigentlich sein Wort zum hörbaren Worte wird.

Vielleicht sollte man den Verf. gegen eine mißverständliche
Formulierung von vornherein verteidigen dürfen, die ihm
verübelt werden könnte: er sagt, daß Meditation eigentlich nur
vom Einzelnen und in Einsamkeit erfahren werden kann. Das
ist nicht individualistisch gemeint. Der Verf. fällt in dieser
„Anleitung" nur nicht mit der Tür ins Haus. Freilich ist das
Ziel gerade meditativer Reinigung der bedrohten menschlichen
Mitte neue lebendige Gemeinschaft; — in der Gemeinschaft
heimgeführter Schöpfung, in neu empfangener Gottesgemeinschaft
wird der eigentliche letzte Sinn meditativer Innerung
schließlich erst erfahren. Aber dahin führt der Weg erst über
die Erfahrung lebendiger Einsamkeit und oft über erschreckende
Bußerfahrung der verlorenen Ruhe und über Erfahrungen
der Tröstung mit innerndem Umgang reiner und echter Gebilde
. M. weiß aus tiefer Erfahrung, daß nicht ostasiatische
Nirwana-Meditation und nicht anthroposophischc Spekulation
„heilt", sondern nur christusbehüteter Tiefenumgang. Pädagogisch
gemeint ist also die scheinbare Einsamkeit, in die die
Teilnehmer der Übungen versetzt werden bis in die langen
Dunkelheitsübungen hinein. Aber auch die einsamen Innerungs-
übungen, auch wenn sie ganz allein vollzogen werden, vielleicht
gar nur auf Grund des gelesenen Anleitungsbuches nachprobiert
werden, sind in eine eigentümliche Gemeinsamkeit hineinbezogen
. Sie stehen von vornherein in einer Beziehung, vielleicht
unausgesprochen, zu dem trinitarischen Glauben, in aller
Weite und Tiefe, nur drängt sich der wahrhafte Seelsorger nicht
auf, sondern bietet nur vorerst Erfahrungen an, die zu eigenen
Erfahrungen hinführen sollen. Es wird nur nicht verfrüht, sondern
zunächst in schlichter einsamer Übung dazu angeleitet,
fürbittende, fürglaubende und stellvertretende Kräfte an sich zu
erfahren, von denen die eigenen Tiefenkräfte leben und zehren.
Eigenste Innerungserfahrung drängt immer auf den Zusammenhang
mit einem lebendigen Du zu, soll sie nicht aufs schlimmste
gefährden und geradezu in eine magische Hybris verführen.
Hier liegen die eigentlichen Gründe, die ein isoliertes Medita-
tionsüben bedenklich erscheinen lassen können, oder allenfalls
so wirkungsunwirklich. Im Hintergrund aller Innerungsübung