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Ausgabe:

1962 Nr. 5

Spalte:

368

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Einheit in Christus 1962

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Seite 1

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367

Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 5

368

dem jüngeren und dem älteren Thomas, zwischen Intuition und
Konstruktion bei Thomas selbst.

In einem zweiten Teil exemplifiziert der Verfasser die neue
Einstellung an den einzelnen Traktaten der Theologie, die er in
der Reihenfolge der klassischen Theologie nacheinander durchgeht
. Geringer Wertschätzung erfreut sich die Apologetik. Um so
stärker ist das Interesse an der Bibel. Die Tradition wird nicht
als Quelle neben der Bibel, sondern als deren Verdeutlichung
verstanden. Bei den kirchlichen Lehräußerungen ist nach der Lehr-
tendenz zu fragen. Die päpstliche Unfehlbarkeit ist Ausdruck
der gesamtkirchlichen Unfehlbarkeit. Gegenüber den ,,Gottesbeweisen
" ist man zurückhaltend. Beweisen ist ,,wiedererkennen
". Der Gott der Bibel tritt anstelle des ens absolutum. Die
Beziehung zu Gott ist ein Ich-Du-Verhältnis. Gen. 1—3 wird von
manchen als Beschreibung des heutigen Zustandes gedeutet.
Gegenüber der Gesetzlichkeit betont man das Recht einer maßvollen
Situationsethik. In der Gnadenlehre vollzieht sich eine gewisse
Annäherung an die Reformation. In der Morallehre soll das
juristische Element zurücktreten. In der Sexualethik öffnet man
sich modernen Bestrebungen, die dem Körperlichen mehr Recht
zubilligen. Die Kirche wird als der mystische Leib Christi verstanden
. In der Sakramentslehre wird die Glaubensverfassung bei
Spender und Empfänger stärker betont. Die Transsubstantiation
darf nicht mit ihrer scholastischen Interpretation identifiziert
werden. Man proklamiert das Priestertum der Gläubigen. Die
,,letzten Dinge" werden entmythologisiert und humanisiert, zugleich
aber auch „verbiblischt". Himmel und Hölle sind kein Ort,
sondern ein Zustand.

Der dritte Teil des Buches ist dem Versuch einer Beurteilung
gewidmet. Mit erfreulicher Objektivität wird die zurückhaltende
Stellungnahme der offiziellen Kirche zu der „Neuen
Theologie" registriert. So wendet sich die Enzyklika „Humani
generis" gegen den „Irenismus", gegen den dogmatischen Relativismus
, gegen jede Geringschätzung der Scholastik und des kirchlichen
Lehramtes. „Mystici corporis" lehnt die Scheidung zwischen
Rechts- und Liebes-Kirche ab; die Protestanten gehören
streng genommen nicht zum Leibe Christi. In „Sacra Virginita-
tis" (1954) wird betont: Die Jungfräulichkeit steht rangmäßig
über der Ehe. Neben den Enzykliken werden die zahlreichen Ansprachen
und sonstigen Verlautbarungen von Pius XII. angeführt,
in denen Fragen der „Neuen Theologie" berührt werden. Demgegenüber
fehlt es bei den Betroffenen nicht an „Ausweichversuchen
" (S. 194), z. B. der „fast panischen Neigung zur Relativierung
aller Verlautbarungen, wenn einmal eine mehr oder weniger
wichtige Entscheidung widerrufen wird" (ebd.). Man kann
aber auch eine positive Bewertung der Neuerungen durch die
Kirche feststellen. Das gilt von den genannten Enzykliken, auch
von „Divino afflante Spiritu", sowie von den päpstlichen Ermunterungen
, auf moderne Fragestellungen einzugehen. Der Verfasser
fragt zum Schluß selbst: „Was kann man als vernünftige Erneuerung
ansehen?" Er wendet sich gegen Einseitigkeiten der überlieferten
Theologie, er befürwortet eine Einschränkung der spekulativen
Theologie, er fordert die stärkere Berücksichtigung der
„cognitio per amorem" und die Ergänzung des Dogmas durch die
„Lebenswerte". Nicht ohne Sorge beobachtet er die Einflüsse
protestantischer Theologie und moderner Philosophie auf die
„Neue Theologie", ferner eine gewisse „unreife Affektivität"
sowie die Neigung zu „Grenzüberschreitungen" durch Verabsolutierung
des eigenen Standpunktes. Aber vor „unnötiger Ängstlichkeit
" bewahrt der Blick in die Geschichte: Es hat sich schon
manche Einseitigkeit ganz von selbst wieder korrigiert, manche
zunächst schockierende Erkenntnis schließlich doch durchgesetzt.
Beruhigenderweise kann heute allgemein „die völlig orthodoxe
Absicht und der Versuch zur Versöhnung bei fast allen Modernen
" festgestellt werden (S. 244). „Die eigentliche Nouvelle
Theologie hat mit ihrem Hauptakzent auf den von uns genannten
Grundtendenzen des modernen Denkens kein einziges Dogma
und nicht einmal eine einzige Wahrheit des Katechismus . . . beeinträchtigt
, weshalb sie als eine erlaubte Richtung in der katholischen
Theologie betrachtet werden darf" (S. 249). Es gilt darum
, die „potentiellen Irrtümer" zu überwinden und „die guten
Früchte der neuen Bewegung mit mehr Ruhe zu pflücken"
(S. 249). Ein wertvolles Literaturverzeichnis, das freilich hinsichtlich
der deutschen Theologie noch beträchtlich erweitert werden
könnte, beschließt das Buch.

Der Verfasser hat die von ihm genannte doppelte Absicht
(s.o.) mit seiner Arbeit sicher erreicht. Man kann aus seinem Buch
materialmäßig viel lernen. Man kann vielleicht bedauern, daß
die einzelnen Vertreter der „Neuen Theologie" hinter der Schilderung
der Gesarntbewegung völlig zurücktreten. Aber diese
Anordnung ermöglicht jedenfalls leichter ein Urteil über den
„kirchlichen" Wert dieser Theologie. In dieser Hinsicht erweist
sich auch die zunächst etwas pedantisch anmutende Exemplifizierung
anhand der einzelnen Traktate als ein geschickter Griff.
Man erhält einen starken Eindruck davon, daß in der zeitgenössischen
katholischen Theologie vieles in Bewegung ist und sich da
und dort zum mindesten der Grenze der „Häresie", speziell des
Protestantismus, nähert. Es ist denkbar, und von unserem Standpunkt
aus zu hoffen, daß sich manche ihrer Anliegen durchsetzen
werden. Dem protestantischen Leser wird aber auch klar gemacht,
daß das Schicksal dieser Theologie letztlich von der Stellungnahme
des kirchlichen Lehramtes abhängt. Der Rezensent darf
mit Genugtuung vermerken, daß sein Urteil über die „Neue
Theologie"1 durch einen kompetenten katholischen Sachkenner
bestätigt wird.

Erlangen Walthcr y. Lo e w e n i c Ii

) W. v. Locwenidi, Der moderne Katholizismus, *1959, S. 281 ff.

C u I I m a n n, Oscar, u. Otto K a r r e r : Einheit in Christus. Evangelische
und katholische Bekenntnisse. Zürich: Zwingli-Verlag;
Einsiedeln: Benziger [i960]. 171 S. 8". Lw. sfr. 9.80.

Die vorliegende Schrift enthält elf Aufsätze von katholischen
und reformierten Theologen und Nichttheologen über
Themen zur Verständigung zwischen den Konfessionen. Ein
Geleitwort von O. Cullmann geht voraus, ein Rückblick und
Ausblick von O. Karrer folgt nach. Alle Aufsätze sind durch
eine große Aufgeschlossenheit für das Anliegen der andern Konfession
ausgezeichnet. Als Beispiele für die behandelte Thematik
seien erwähnt: H. R. v. Grebel, Die ökumenische Haltung des
Protestanten; E. Egloff, Die ökumenische Haltung des Katholiken
; O. K. Kaufmann, Was lernen wir Katholiken von den
Protestanten? W. Meyer, Was wir Protestanten von den Katholiken
lernen können. Obwohl das Bestreben, die Unterschiede
und Gegensätze nicht zu verschleiern, betont wird, ist die Sicht
m. E. an einigen Punkten nicht klar genug. So gräbt z. B. O. K.
Kaufmann nicht tief genug, wenn er schreibt: „Das abschätzige
Urteil der Reformatoren über die Messe läßt sich doch nur so
erklären, daß zur Zeit der Reformation das Wesen der Messe
bis weit in den Klerus hinein nicht mehr verstanden wurde"
(S. 100). Entsprechend meint W.Meyer, „daß die katholische
Kirche heute daran ist, diesen Opfergedanken (sc. den Meßopfergedanken
) in seiner biblischen Reinheit wieder herauszustellen
" (145). Mit solchen allgemeinen Urteilen kommen wir
nicht weiter; es müßte schon gezeigt werden, inwiefern die
reformatorische Kritik an der Messe als einem immer neu vollzogenen
Sühnopfer heute überholt ist. Am Sühnopfergedanken
hält auch die heutige katholische Lehre von der Messe betont
fest. — Ebenso wird der kritische Punkt in folgendem Satz nicht
recht anvisiert: „ . . . auch wenn in der katholischen Kirche der
Unterschied zwisdien .lehrender' und .hörender' Kirche stärker
betont wird als in den evangelischen Bekenntnissen, so sind
doch auch nach katholischer Auffassung sowohl Klerus als Laien
notwendige Glieder der Kirche" (107). Es geht in Wirklichkeit
nicht um eine mehr oder weniger starke Betonung dieses Unterschiedes
, sondern um die Frage seiner Berechtigung. Das katholische
Dogma von der lehrenden Kirche läßt den Glauben als
einen dem Lehramt zu leistenden Gehorsam erscheinen und
steht damit im Widerspruch zum reformatorischen Verständnis
des Glaubens. — Im Ganzen ist die vorliegende Schrift ein erfreuliches
Zeichen der heute vorhandenen Bereitschaft zu einer
Art „innerchristlicher Koexistenz" (O. Karrer S. 155); der theologische
Ertrag ist freilich gering.

Halle/Saale Krclmann Schott