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Ausgabe:

1962 Nr. 5

Spalte:

353-355

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Heinrich

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur Geschichte der altlateinischen Überlieferung des zweiten Korintherbriefes 1962

Rezensent:

Thiele, Walter

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353 Theologische Literaturzeitung 1962 Nr. 5 354

Zimmermann, Heinrich: Untersuchungen zur Geschichte der alt-
lateinischen Überlieferung des zweiten Korintherbriefes. Bonn: Hanstein
i960. XXIII, 439 S, gr. 8° = Bonner Biblische Beiträge, hrsg. v.
F. Nötscher u. K. Th. Schäfer, 16. DM 52.20.

Die vorliegende umfangreiche Arbeit möchte mit ihren ausdrücklich
auf den 2. Korintherbricf beschränkten Ergebnissen
einen Beitrag liefern zur Aufhellung der Textgeschichte des lateinischen
Corpus Paulinum. Der Verfasser hatte eine außerordentliche
Fülle von Material zu bewältigen. Allein für diesen Brief
sind Im Vetus - Latina - Institut Bcuron ca. 10 000 Belegstellen
aus der patristisdien Literatur gesammelt, und der Verfasser hat
mehrere Wochen darauf verwandt, diese Sammlungen einzusehen
. Dazu kommen die Handschriften mit ausgesprochen altlateinischem
Text: die lateinische Seite der Bilinguen d e (f) g
und die Freisinger Fragmente r. Schließlich lebt die Vetus Latina
verschiedenster Prägung in der Vulgataübcrlieferung weiter.

Die Verwertung des Materials bei Zimmermann gibt Anlaß zur
Kritik.

1) Es ist unerklärlich, daß der Apparat der großen Oxforder
Vulgataausgabe nur ganz vereinzelt benutzt wurde. Unter dem Gesichtspunkt
, daß die Vetus Latina in der Vulgataüberlicfcrung weiterlebt,
werden Vulgatazcugcn wie das Wolfcnbüttler Lektionar oder der spanische
Liber comicus behandelt (S. 73—77), die Überlieferung in den
Handschriften CT oder D oder FLN ist viel wichtiger.

2) In der Beilage (S. 261—430) werden die wichtigsten Texte abgedruckt
. Der für den Liber comicus erstellte Text (S. 286—291) berücksichtigt
nicht die Ausgabe von J. Pcrcz de Urbcl und A. Gonzalez y
Ruiz Zorrilla (Madrid I 1950, II 1955). Beim Wolfcnbüttler Lektionar
und bei den Freisinger Fragmenten hätte unbedingt angegeben werden
müssen, welche Stellen nur auf Ergänzung beruhen (S. 284f.; 385—391).
Geschieht das nicht, dann wird der Sinn des kostspieligen Abdrucks
hinfällig: der Leser muß ja doch auf die Einzelausgaben zurückgreifen
Das gilt auch für den Pelagiustext (S. 307-318): ohne die Angabe der
führenden Zeugen A und B bleibt die Bedeutung der von Soutcr übernommenen
Klammern unklar. — Keinesfalls dürfen die von Augustin
nur übernommenen Schriftstcllen seiner Gegner unter den Zitaten
Augustins (S. 392—430) erscheinen: Der Donatist Petilianus (6.15;
1 >■ 14 f. 20. 23). die Manichäer Faustus (5, 16 f.) und Felix (4.4;
12,7-9), der Arianer Maximinus (1.2: 5.21), die Pclagianer (5. 10).
Julian von Eclanum (5.10). Der Brief 216 ist an Augustin gerichtet,
"'so sein Bibeltext (5. 10) nicht augustinisch. Umgekehrt durften die
Briefe 40 und 167 (Augustin an Hieronymus) nicht auch noch als
Hieronymustext (Brief 67 und 132) geführt werden (9.7; 11.29).

3) Nicht genügend Sorgfalt ist auf die Ausarbeitung der Listen im
Untcrsuchuncstcil verwendet worden. Zeugen, die nur eine Stimme
haben, dürfen in der Zeugenreihe auch nur einmal erscheinen, zutml
wenn die Mehrheitsverhältnisse als Kriterium für die Textgcschichtc
RCWertet werden. So hat die unter dem Namen des Hieronymus laufende
Bearbeitung des Pelagiuskommcntars (H in Souters Apparat: warum
wird nicht nach diesen Angaben sondern nach PL 30 zitiert. z.B. S.79
:" 1.13; 4, 6i 5, 1. J; 9, 71) neben Pelagius keine eigene Stimme mehr,
ebensowenie wie Cassiodor. wenn nur die Quellen übernommen werden
. (Drr Zusammenhang zwischen diesen Zeugen wird doch S-246
Mnz richtig angegeben.) — Da die Gesamtbezeugung ständig wechselt,
hätte angedeutet werden müssen, welche Zeugen für den besprochenen
■all überhaupt vorliegen. Die Angabe „alle anderen", „die meisten anderen
" nützt nichts, wenn der Leser nicht weiß, welcher Zeitraum und
welche geographisdie Breite durch diese „anderen" gedeckt wird. Auch
d.'e rein alphabetische Anordnung der Väter erschwert die Orientierung
.

In seinen Untersuchungen geht Zimmermann von den
Bilinguen aus. Sie vertreten eine Familie; wie weit sind sie Vertreter
ihres Archetyps? (S. 12-65) Das Hauptgewicht ruht auf
8 und d. Nach Ausscheidung der singulären Lesarten ergibt sich
jur den Verfasser ein positiver Hinweis auf den Archetyp aus der
Beobachtung, daß die gesamte Vetus Latina auf eine Urform
zurückgeht. Wo also die Gesamtheit oder doch die Mehrzahl der
Zeugen auf der Seite von g oder d steht, könne man auf den
Archetyp schließen. Aber damit hat sich doch das angegebene Ziel
verschoben: „Archetyp" ist dann nicht mehr der Vater der Fami-
iu ci sondcrn d'e Urform der lat. Bibel. Die Hss-Famihe
selbst fuhrt - das erkennt Zimmermann ganz richtig - auf einen
im/.Tn. einc Rcvision nach der griechischen Vorlage vor-
™; V rcvidicrf Stadium wird als z' bezeichnet im Ge-
z £;Zr Cr,e" Und dcshalb ursprünglichen z-Version, d.e
auch bc, Cypr.an belegt ist.

BlickEaufWdie UCf! dT'idl Rem,K l*"Ct daß d und g vor allem im
aUf d'C Urfo™ d" Vetus Latina. wenieer im Blick auf den Vater

der Hss-Familie untersucht werden. Diese Unsicherheit wird durch die
Wahl des Sigels z verstärkt, denn nach Corssens Vorgang versteht man
darunter zunächst nur den Archetyp der Familie. — Die Zusammenstellung
von d und g mit der Mehrzahl der übrigen Lateiner kann nicht
den geforderten Dienst der Rückführung auf den Archetyp (sei es der
lat. Bibel, sei es der Hss-Familie) leisten; sie zeigt nur, daß die Handschriften
nicht außerhalb, sondern innerhalb der Gelamttradition stehen
. Dieser Satz ist bei Bilinguen nicht selbstverständlich; er gewinnt
erhöhte Bedeutung im Blick auf die griechische Vorlage. Der „westliche
", auch nur in den Bilinguen vertretene griechisdie Text ist also
für die Vetus Latina wirklich maßgebend. Dieser letzte Punkt kommt
bei Zimmermann auch klar zum Ausdruck.

Der breite Strom der Überlieferung, in dem d und g stehen,
wird als (5-Typ bezeichnet. Im Fortgang der Untersuchung wird
eine Fülle von Zeugen auf ihr Verhältnis zu diesem Typ befragt
(S. 66—18 3). Es handelt sich — in etwas anderer Reihenfolge aufgeführt
— um Marcion, Tertullian, Cyprian, Novatian, Hilarius,
den lateinischen Übersetzer des Irenaeus, Lucifer, Priscillian,
Ambrosius, Ambrosiastcr, Rufin, Hieronymus, Pelagius und das
pseudo-augustinisdie Spcculum. Für sie alle wird eine teils
engere, teils weitere Beziehung zum r5-Typ festgestellt und ein
jeweils wechselnder Einfluß dreier verschiedener Formen des
""Typus (z, z1 und x) angenommen. „Aus diesen drei Formen läßt
der Text aller Zeugen des r)-Typus sich hinreichend erklären"
(S. 255).

Aber die Größen z. z1 und x bleiben viel zu unbestimmt, als daß
sie so weitreichende Folgerungen rechtfertigen könnten, z ist offenbar
nichts anderes als der „freie" oder durch Cyprian belegte Text, z1 der
von Cyprian abweichende genauere Text. (Nur so kann ich folgende
Gleichungen verstehen: Lucifer dg 11,13 dolosi — z; 11,2 castam
~ z1 S. 146 f.; Ambrosius dg 2, 10 sj cui = z; 3, 3 inscripta = z1
S. 158 f.) Noch größere Schwierigkeiten habe ich mit x. Nach S. 255
stellt x in der Entwicklung des r5-Typs die am weitesten fortgeschrittene
Stufe dar, charakterisiert durch das Bemühen, den griechischen
Text besser wiederzugeben und „westliche" Lesarten auszumerzen.
Aber wo wird diese Form x einmal wirklich vorgeführt? Nach S. 12 ist
x als Stammvater von fg vor allem in g vertreten, nach S. 34 hat g in
den S. 28—32 vorgeführten Lesarten die x-Lesart bewahrt. Ich entnehme
diesen Listen nur, daß g fast immer mit d geht (dann hätten wir
also z1, bzw. bei Übereinstimmung mit Cyprian z vor uns), sonst mit
Ausnahme von 4, 16 (diese Lesart wird später immer als z gewertet)
mit der Vulgata übereinstimmt. Dann liegt doch aber x, wenn es sich
überhaupt von z und zl abhebt, nicht vor der Vulgata, sondern ist von
der Vulgata beeinflußt. Audi die S. 36—40 gegebenen x-Lesarten führen
nicht zu der S. 255 ausgesprochenen Charakterisierung.

Meine Hauptfrage ist folgende: Kann man wirklich von
erschlossenen Textformen aus die tatsächlich gegebenen Zeugen
beurteilen? Muß man nicht viel stärker bei den wirklich greifbaren
Texten bleiben? Von ihnen aus kann man in günstig gelagerten
Fällen (wie etwa bei defg) noch einen Schritt rückwärts
in die Vergangenheit tun. im allgemeinen wird man sich damit
begnügen müssen, aus dem Vergleich der Zeugen die wirksamen
Tendenzen der Textgeschichte zu erheben. Auch gegen die Anwendung
des Mchrheitsprinzips habe ich Bedenken. Auf diese
Weise kommt man nur zu allgemeinen Ergebnissen, die Eigen-
prägung der Einzelzeugen geht verloren. Lesarten, die nur einmal
bezeugt sind, erscheinen zu sehr im Licht unbedeutender Sonderlesarten
, und doch haben sie bei Cyprian oder dem pseudo-
augustinischen Spcculum ein ganz anderes Gewicht als etwa bei
Tertullian, Hilarius, Ambrosius.

Hinweisen möchte ich im einzelnen auf die Behandlung des Marciontextes
(S. 113—127). Gibt Tertullians Referat die lateinische
Bibel Marcions wieder? Im Anschluß an Harnack beiaht Zimmermann
diese Frage (S. 117), stellt aber in der folgenden Abhandlung über die
Tertullianzitate fe6t, daß Tertullian selbst nur wenig Berührungspunkte
mit der Vetus Latina aufweist und andererseits dem vorausgesetzten
Marciontext nicht so fern steht, wie Hans v. Soden 1927 meinte (S. 134).
Damit war der richtige Weg beschritten, Zimmermann hätte ihn nur
zu Ende gehen sollen: aus den vorgelegten Texten zu 2. Cor. ergibt sich
kein sicherer Anhaltspunkt, daß Tertullian in adversus Marcionem 5
einen lateinischen Marciontext zitiert. Audi Harnacks Belegstellen
zu anderen Paulusbriefen haben mich nicht überzeugt.

Der 2. Teil (S. 187-235) bespricht einen vom r3-Typus zu
unterscheidenden Texttyp, nach seinem Hauptvertreter r als
»-Typus bezeichnet. Typisch für ihn ist die energische Absage an
den „westlichen" Text als maßgebliche griechische Vorlage
(S. 202-205), ohne daß dabei die Verbindung zum ()-Typus
völlig verloren ginge (S. 195—202). Augustin zitiert diesen

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