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Ausgabe:

1962

Spalte:

344-345

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bianchi, Ugo

Titel/Untertitel:

Teogonie e cosmogonie 1962

Rezensent:

Rudolph, Kurt

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persönliche Charakter dieser Festschrift wird auch durch den
vorgesetzten Titel maqqel shäqedh (Jer. 1, 11), offenbar die Benennung
des Vischer'schen Hauses in Montpellier, verdeutlicht,
ebenfalls durch die beiden von Künstlerhand geschaffenen Porträts
des Jubilars, die dem Bande beigegeben sind (Exposito-
Farese und Lindegaard). Das Buch enthält dann 22
Aufsätze, dargeboten nach dem Alphabet der Verfasser und
6ämtlich in französischer Sprache geschrieben oder in sie übersetzt
.

Von ihnen seien zunächst die herausgehoben, die bestimmte
Anliegen V.s aufnehmen und weiterführen. So greift
gleich der erste von S. Amsler ,.Texte et evenement", unter
ausdrücklicher Bezugnahme auf V, in die Problematik um
Kerygma und Geschichte geistvoll und geschickt ein. Ein Beitrag
von A. Neher beschäftigt sich mit der jüdischen Typologie,
anknüpfend an die spätjüdische Anschauung von Jeremia als dem
großen Meister des Gesetzes und Vorläufer der Pharisäer; hier
muß man allerdings seine Verwunderung aussprechen, daß dies
unter die Rubrik „Typologie" fallen soll. Eher gehen auf V.s
Bahnen die hermeneutischen Reflektionen D. Piccards über
Gen. 18; 22; 32, Stellen, deren Offensein zum NT hin herausgearbeitet
wird. Die Interpretation will deutlich machen, daß
die Beziehung des NT zum AT nicht nach der Art der Durch-
pausung eines Grundrisses gedacht werden darf, da sonst die
„Geschichte" zu kurz komme — eine berechtigte Warnung!

F. Michaeli knüpft in 6einen 6ehr beachtlichen Ausführungen
über „hebräische Grammatik und biblische Theologie" an
V.s in Montpellier gehaltene Antrittsvorlesung an. Die Teilüberschriften
(Notion du concret et du reel; n. de relation et de
mouvement; n. d'unite et de totalite; n. de plenitude et de
force) zeigen die Richtung, in die der Verf. hier geht, und man
bedauert nur, daß hier nicht, etwa durch Rückgang auf Herder
und Renan, das Ganze in größere Zusammenhänge gestellt
wird (vgl. etwa: Die Christliche Welt 36, 1922, S. 165-169).
Eine geistvolle theologische Darbietung über Gen. 3 gibt
A. M a i 11 o t. Beachtlich z. B. ist die Bemerkung, daß in Gen. 3
nicht drei, sondern zwei Partner vorhanden seien, Gott und der
Mensch; Gott habe dem Menschen die Möglichkeit gegeben,
,,un homme-sans-Dieu", ja, ein ,,homme-contre-Dieu" zu sein
(133). Hierher gehören auch die theologisch-exegetischen Ausführungen
von G. M i e g g e über Jes. 40, 6, vor allem über den
Begriff hesed, „das von Gott gnädig Gewährte". V.s Grundhaltung
zum Israelproblem (Der neue Staat „Israel" und der Wille
Gottes, 1953) findet eine Ergänzung in dem etwas kompliziert
geschriebenen Aufsatz von A. Lacocque „Israel moderne et
prophetie". Wichtig ist in ihm besonders, was über die theologische
Bedeutung des Landes gesagt wird.

Auch abgesehen davon gibt es eine Reihe anderer, die Forschung
fördernder Beiträge. Über das viel erörterte Sanherib-
problem schreibt J. B r i g h t und setzt sich, mit guten Gründen,
für die These Rawlinsons ein, es habe sich um zwei verschiedene
Feldzüge Sanheribs gehandelt. A. C a q u o t stellt — was
manchmal etwas gezwungen anmutet, im ganzen aber überzeugend
klingt — aus dem Buche Hiob das Material zusammen, um
zu zeigen, daß die Hiobsgestalt Züge eines Königs trägt.
P. Humbert geht dem Komplex Überhebung-Fall nach, mit
einleuchtenden Beobachtungen und Formulierungen, ohne (natürlich
!) erschöpfend zu sein. Eine wertvolle Wortuntersuchung
über aschre bringt C. Keller in seinem Aufsatz „Les beatitu-
des de TAncien Testament". Dem Titel der Arbeit von D. L y s
„Alchimie du verbe et demythisation" sieht man nicht an, daß
hier ein hübscher Beitrag zum Humor in der Bibel geliefert wird,
der z.B. in Gen. 11 zur Entmythisierung führt. R. Martin-
Achard stellt, ausgehend von J. Fichtner, die Beziehungen zur
Weisheit bei Jesaja dar, dessen Diktion man seine Herkunft aus
dem Stand der Weisen anmerke und der, in polemischer Auseinandersetzung
mit seiner früheren Zunft, nun die wahre Weisheit
verkündige. G. P i d o u x geht den Anspielungen an das
Asylrecht in den Psalmen nach und kommt so zu einer Reihe
hilfreicher Beobachtungen. Bedeutsam ist der Aufsatz von

G. von Rad „Les idees sur Ie temps et l'histoire en Israel et
l'eschatologie des prophetes", Das alttestamentliche Zeitverständnis
wird vor allem an dem Phänomen der Feste verdeutlicht,

bei denen die vergangenen Geschichtsfakten im göttlichen Heilsplan
festgehalten werden, und dann an den Propheten aufgewiesen
, bei denen sich Jahwes Eingreifen in die gegenwärtige
Geschichte realisiert, übrigens in Analogie zur früheren. Ein
sehr reichhaltiger Beitrag! P. R e y m o n d erläutert, wie der
Bericht vom Traum des Salomo die Lücke schließen will, die
dadurch entsteht, daß bei Salomo ja erstmalig das dynastische
Prinzip (A. Alt), nicht das Charismatische das königliche Amt
begründet. W. Z i m m e r 1 i zeigt, wie die Auszugstradition bei
Ezechiel und Deuterojesaja benutzt und abgewandelt wird und
erzielt so eine gute Hilfe zum Verständnis dieser Propheten.

Weitere Beiträge steuern bei E. D h o r m e, W.-A. G o y,
E. Jacob, H. Michaud und A. P a r r o t. So ist ein reichhaltiges
Werk entstanden, das auch in seiner äußeren Aufmachung
originell wirkt. Leider sind nicht wenige Druckfehler
stehen geblieben. — Das Buch als Ganzes kann wirksam unterstreichen
, welcher hohen Wertschätzung sich Wilhelm Vischer
als Mensch und in seiner Lebensarbeit in weiten Kreisen erfreut.

Kiel Hans Wilhelm H e r tz b e rg

Dilschneider, Otto A.: Nolite conformari! Eine Begegnung mit
Paul Schütz.

Zeitschrift für Religions- u. Geistesgeschichte XIII, 1961 S. 356—367.
L o c h m a n, J. M.: Versuchungen der deutschen Theologie.
Kirche in der Zeit 16, 1962 S. 13—16.

Seidlmayerf, Michael: Universität: Wissenschaft und Menschcn-
bildung.

Neue Sammlung 1, 196! S. 507—516.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

B i a n c h i, Ugo: Teogonic e cosmogonie. Roma: Editrice Studium,
1960. 191 S. kl. 8° = Universale Studium, 69. L. 300.—.

In diesem kleinen Buch greift der italienische Religionshistoriker
Bianchi erneut ein religionsphänomenologisches Thema
auf und versucht, es seiner typologischen Arbeit dienstbar zu
i machen. Er hat daher aus den weitschichtigen und umfangreichen
j Überlieferungen über Theo- und Kosmogonien eine gewisse
Auswahl getroffen, die er in neun Kapiteln darstellt und interpretiert
: die Mythen der „Primitiven" (diesen Ausdruck, ebenso
wie den evolutionist. Begriff der „Naturvölker" will B. eigentlich
vermeiden, 13 f.), Zentralamerikas (Maya) und Polynesiens
(36 ff.), Altindiens (Rgveda und Atharvaveda, 5 2 ff., 65 ff.),
! Irans (78 ff.), Mesopotamiens (97 ff.), Griechenlands und Kleinasiens
(111 ff.) und der Orphik (128 ff.).

Bei der einleitenden Erörterung des Mythosbegriffes legt B. Wert
: auf die Unterscheidung zwischen dem „Mythos", der nur eine rein
; unterhaltsame und interessante Erzählung ist. und dem eigentlichen
Mythos als „heilige Erzählung" (146), der mit dem Leben und Kult
! verbunden ist. Letzteres ist der „gültige Mythos" (mito valido) —
I eine Bezeichnung, die B. der von der „Wahrheit des Mythos" (Pettaz-
j zoni) vorzieht —, der „direkten und konkreten Bezug zu einer Ideolo-
: gie in Aktivität hat" und so gewissermaßen die „ideologische Erfahrung
und die der existentiellen des Volkes, das ihn besitzt" aus-
| drückt (7, s. auch 145 ff.). Damit hat B. auch die existentiale
Interpretation eines Mythos zugegeben (vgl. 9 u. 1521), die nötig ist,
j weil uns eben die Welt des Mythos „radikal fremd" und nicht mehr
, „gültig" ist: daran ändert auch B.s Polemik nichts (149).

Als typologisches Ergebnis stellt B. zunächst bei den „Primi-
tiven" und den älteren Hochkulturen drei Schöpfertypen fest:
die Figur des „Höchsten Wesens", die Gestalt des „demiurgi-
sehen Tricksters" (25 ff.)1 und die „kosmogonische Wesenheit",
die sich entweder als Urelternpaar (Himmel — Erde) oder in ab-
; strakten, unpersönlichen Seinsprinzipien (archäi) darstellen kann
(z. B. in Polynesien). Leider fehlt die Behandlung des interessanten
ägyptischen Materials, das uns jetzt S. Morenz in
mustergültiger Weise erschlossen hat2. Als Hauptergebnis bc-

') Vgl. jetzt auch von B.: Der demiurgische Trickster und die
Religionsethnologie, in Paideuma 7, 1961, H. 7, S. 335—344.

-) Ägyptische Religion, Stuttgart 1961, bes. Kap. 8 (Wcltschöp-
fung und Wcltwerden).