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Ausgabe:

1962

Spalte:

329-339

Autor/Hrsg.:

Grundmann, Siegfried

Titel/Untertitel:

Dialektisches Kirchenrecht auf ökumenischer Basis 1962

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Alles in allem: die Formel „Offenbarung als Geschichte"
hat ihr gutes Recht, und es gehört zu dem Verdienste der so
bezeichneten Schrift, darauf wieder kräftig den Ton gelegt zu
haben. Aber die Formel ißt unvollständig, wenn sie exklusiv

j sein will: zur Offenbarung gehört als unentbehrliches Moment
; das Wirken des Hl. Geistes, das Geschenk des Glaubens hinzu.

Der Titel der Schrift wäre zu ergänzen zu unserer Überschrift:

Offenbarung als Geschichte und Glaube.

Dialektisches Kirchenrecht auf ökumenischer Basis

Von Siegfried Grundmann, München
Seit den Büchern von Günther Holstein' und Hans Lier- Jurisdiktion in seine Hand zu bekommen'. Die Kirchenrechts-
mann* ist nun nach einer im wesentlichen durch die Zeit- lehre, die er vorfand, bot ihm dafür die Voraussetzungen,
umstände verursachten Pause von nahezu 30 Jahren zum ersten Inwiefern? Sohm wie Holstein, um nur die beiden für die
Male wieder von evangelischer Seite* ein großes Kirchenrechts- rechtstheologische Durchdringung des evangelischen Kirchenlehrbuch1
erschienen. Es stammt au6 der Feder des bekannten rechts zwischen 1890 und 1930 bedeutendsten Namen zu nen-
Freiburger Rechtsphilosophen und Kirchenrechtslehrers Erik Wolf nen, gingen von einem doppelten Kirchenbegriff aus. Sie bauten
und trägt den Titel „Ordnung der Kirche. Lehr- und Handbuch beide auf der in ihren Wurzeln bis zu Augustin zurückverfolg-
des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis"5. Das ist ein Ereig- baren Unterscheidung in unsichtbare und sichtbare Kirche auf.
nis nicht nur von kirchenrechtlicher, sondern auch von theolo- i Sohm maß nur der ersteren, der ecclesia invisibilis ( = Kirche
gischer und allgenieinkirchlicher Bedeutung, das einige Auf- als Gegenstand des Glaubens), geistliche Bedeutung bei. Die
merksamkeit wert ist. ecclesia visibilis (= Wort und Sakrament besitzende und ver-
Man wird die große wissenschaftliche Leistung, die W. mit waltende Gemeinschaft) ist für ihn eine weltliche Gemeinschaft

diesem achtunggebietenden und umfangreichen 772 S. Tex )
Werk vollbracht hat. nur dann richtig einordnen können, wenn
man sich die Entwicklung vergegenwärtigt, &f *e '*n«e} T
Kirchenrechtswissenschaft in den letzten drei ^hrzeh.ntc" J *
laufen hat und die bisher nur in Abhandlungen und Monofcra
phien zutage getreten ist, nun aber erstmalig zur .Verarbeitung
in einem Lehrbuch und damit zur Darstellung in einem ge
schlossenen wissenschaftlichen System geführt hat. Wie die
Verlagsankündigungen unmittelbar vor dem Erscheinen «eben
der, weiterer systematischer Kompendien des «angelisdien
Kirchenrechts beweisen* ist es kein Zufall, daß das Buch Enk
Wolfs im jetzigen Augenblick erschienen ist: Die Zeit ist reit
zu solchen Unternehmen, von denen neue Impu se ausgehen
werden. Das historische Geschehen des Kirchenkampfes n .
wenn vielleicht auch noch nicht ganz verarbeitet, so doch, mit
zunehmender Distanz überschaubar geworden; die theologischen
und juristischen Vorarbeiten sind wenigstens auf Teilgebieten
geleistet, Bestandsaufnahmen durchgeführt, der pc.sit.ve_ Rechts^
Stoff in hinreichendem Maße konsolidiert und kodifiziert und
durch alles das gewisse Ausgangspositionen geklart.

Und gerade diese muß man kennen, wenn man W.s bedeutendes
Buch topographisch einordnen will. Der K.rdienkan pt
war die Bewährungsprobe für die evangelische K.rchenrccht -
lehre der damaligen Zeit und der vorangegangenen Jahrrehnte
mit Namen wie Sohm, Kahl, Friedberg, Schoen, Bredt, n
stein u. a. und damit für den kirchenrechtlichen Enthusiasmus,
Idealismus und Positivismus. Die Probe wurde nicht bestanden.

Der allgemein zugrundcgclegtc Rechtsbegriff, der aus der lra- -~ ;"""";"X;d;";VÄtbar-unsichtbare Wesenskirche „hangt
dition des Humanismus und der Aufklärung stammte, von der Ute» «^^S^, ... aus geschichtlicher Notwen-
religiösen Wurzel des Kirchenrechts wenig wußte, ausschließlich thtCIldtl ^^JS^^^Lk die Kirche als menschlicher
weltlich geprägt war und damit die rechtliche Ordnung der cngKeit zusammen • d Schöpfungsordnung zugehört,

Kirche dem Staat preisgab, wurde zu der Waffe, deren sich der i Sozialverband »J»»«« ^ £ sjc zur Rechtskirche
totalitäre Staat bediente, um die Kirche auf dem Wege der | Kann das siecrone - rfAti kommt Holstein zu

wird, nur weltlicher Art sein, i wir „, j,..U,, „ncir-btWpn

- ,i j r i rw in Act Empirie der sichtbar-unsicht Daren

') Günther Holstein. Die Grundlagen des evangelischen Kirchen- , dem Ergebnis: „Uas; in « niemals qualitativ verschieden
redlts- 1928- , Kirche mögliche Recht ist . m r^ ^ ^ ^

') Hans Liermann, Deutsches evangelisches Kirchenrecht, 1933. von a lern anderen Recht .. fc ^ ^

3) Für das katholische Kirchenrecht wäre insbesondere zu nennen: weltliche Schwert und tt«WDng« Recht."" „Das

Eduard Eichmann - Klaus Mörsdorf. Lehrbuch des Kirchenrechts auf haft verschiedenes .kirchliches WO iwm

Grund des Codex Iuris Canonici, 3 Bde.. 9. Aufl., 1959/60. Recht der Kirche ist also gegenüber ff^^K^^VjT

*> Als Grundriß ist zu erwähnen: Adalbert Erler. Kirchenrecht, | mflle und die anderen Soz.alordnungen umschließt, kein quali
2. Aufl.. 1957.

ohne religiösen Eigenwert: „Die Kirche Christi ist unsichtbar.
Darum gibt es keine sichtbare Gemeinschaft, welche als solche
die Kirche Christi wäre. Auch sofern sie Wort und Sakrament
besitzt und verwaltet, ist die sichtbare, leibliche Christenheit
nicht Kirche Christi. . . Auch sofern sie Wort- und Sakramentsgemeinschaft
hervorbringt, ist sie nur Welt, gar nicht Kirche.
Es gibt keine sichtbare Kirche.'"1 Nur auf die unsichtbare Kirche
bezieht sich auch der Satz Sohms von der Unvereinbarkeit von
Kirche und Kirchenrecht. Die sichtbare Kirche hingegen ist rechtlicher
Ordnung und Verfassung zugänglich, ja, bedürftig. Dieses
Recht aber ist, da für Sohm nur eine zwangsweise durchsetzbare
Norm Rechtscharakter hat und die von der Kirche selbst
gesetzten Ordnungen diese Voraussetzung nicht erfüllen, notwendig
staatliches und damit weltliches Recht: „Nur die Zwangsregel
(die Ordnung einer sittlich zur Mitgliedschaft zwingenden
Gemeinschaft) unterliegt dem Urteil, ob gerecht oder ungerecht.
Nur die Zwangsregel ist Recht . . . Für den Protestantismus
gibt es folgeweise nur noch weltliche Obrigkeit und nur noch
weltliches (von der staatlichen Gemeinschaft ausgehendes)
Recht. . . Das Wesen der Kirche ist geistlich, das Wesen des
Rechts ist weltlich."8

Auch Holstein geht von der Unterscheidung ecclesia invisibilis
— ecclesia visibilis aus, wandelt diese aber ab in die Unterscheidung
von Geist- oder Wesenskirche einerseits und Rechtskirche
andererseits. Die erstere ist „als Gemeinschaft der
chiistusverbundenen Geister und Herzen" unsichtbar und „als
die Gemeinschaft der um Wort und Sakrament Versammelten
und Sammelnden" („Kirche im soziologischen Sinn") sichtbar.

Erik* Prof- D.theol.h.c.. Dr.jur.: Ordnung der Kirche.
Lehr- und Handbuch des Kirchenrechts auf ökumenischer Basis, Frankfurt
/M.: Klostermann |i96l|. XXX, 832 S. gr. 8°. Kart. DM 71.-

7) Vgl. dazu Werner Weber, Die staatskirchenrechtliche Entwicklung
des nationalsozialistischen Regimes in zeitgenössischer Betrachtung
, in: Rcditsprobleme in Staat und Kirche, Festschr. f. Rudolf

" iK' r>°j |T"v,J mak den I Smend. 1952, S. 365-386. anders noch I, S. 465 f.

Lw. DM 78.50. - Im Folgenden abgekürzt als O. d. K. Vgl. auoi ^ KirAenTeAt 11, * ™„ e , _ Sohm weit-

Vorabdruck in ThLZ 85 (1960). S. 642-648. . t) r h Kirchenrecht 11. S. 55. 121 . i. ' • Ordnungen.

-) Inzwischen erschienen: Hans Dombois. Das Recht der GM* J/^^ hat Emil Brunner 1Das Gebot und d- Ordnung
Oekumenisches Kirchenrecht I. 1064 S.. Luther-Verlag. Witten. !♦»>• JneT pro,«tantisch-theologischen Ethik, 4. mm., *

S- 'S' Günther Holstein. Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts
(- Grundlagen). 1928 S. 257.
") Holstein. Grundlagen, b. 87.

) Gerade auf dem Gebiete des Kirchenrechts der Ökumene, das
wTLTa SJScl,TOpunltm;ißif: ™ Mittelpunkt des Buches von
W. steht (beachte den Untertitel), fehlt es noch weithin an Schrifttum,
w. seiest vermag dafür auf S. 747. Anm. 2 nur zwei Arbeiten zu